Es gibt keine Repräsentation

17. Mai 2023. Wie das Unfassbare des Holocaust darstellen? Mit Mitteln des Films und des Theaters begibt sich das niederländische Kollektiv De Warme Winkel in "Der Bus nach Dachau" auf Spurensuche. Jetzt auch beim Berliner Theatertreffen.

Von Michael Wolf

"Der Bus nach Dachau" vom Schauspielhaus Bochum © Isabel Machado Rios

17. Mai 2023. In wenigen Jahren werden auch die letzten Insassen von Konzentrationslagern gestorben sein. Dadurch stellen sich die Fragen nach der Darstellung der Nazi-Verbrechen noch einmal neu und dringlicher, gibt es dann doch niemanden mehr, der mit der Autorität erlebten Leids Einspruch gegen eine verzerrte Geschichtsschreibung einlegen könnte. "Wenn zukünftige Generationen über den Holocaust reden, dann reden sie wahrscheinlich über Schindler’s Liste", heißt es an einer Stelle des Abends "Der Bus nach Dachau", inszeniert von De Warme Winkel, ein niederländisches Duo bestehend aus Vincent Rietveld und Ward Weemhoff.

Es gibt keine angemessene Darstellung

Weemhoffs Vater schrieb Anfang der Neunzigerjahre an einem Filmdrehbuch mit demselben Titel, so erzählt er zu Beginn. Es sollte um KZ-Überlebende und ihre nachgeborenen Kinder gehen, die in das Lager zurückkehren, um die Vergangenheit und um Wunden, die nicht schlossen.

Aus dem Film wurde nichts, die Förderanstalt lehnte das Skript ab. Gedreht wird er nun stattdessen dreißig Jahre später auf der Bühne der Berliner Festspiele, zumindest in Teilen, zumindest ein bisschen. Wirklich den Holocaust inszenieren, das liefe den Prinzipien dieser Produktion zuwider, die ihr Thema mit allerlei Mitteln umkreist, mitunter vage bleibt oder zum Rästelhaften neigt, doch in diesem Punkt eine klare Haltung vertritt: Es gibt keine angemessene Darstellung, keine, die Wahrheit für sich beanspruchen könnte.

Wo ist der Historikerstreit?

Und auch keine Möglichkeit, die Opfer zu repräsentieren. Bei jedem Versuch in diese Richtung dreht das Spiel ab, führt es Ensemble und Publikum in die Irre. Weshalb sie dann in einer Szene als KZ-Gefangene den entgegengesetzten Weg wählen, in die Verfremdung hinein, und ihre Gesichter von einem Computerprogramm zu feisten Fratzen verzerren lassen.

So kreuzen sich in den besten Momenten auf anregende Weise ästhetische, moralische und historische Linien. In den schlechteren fragt man sich aber schon, wie es zu diesem Untertitel kommen konnte. Für ein "21st Century Erinnerungsstück" fehlt doch einiges. Keine Spur ist etwa vom neuen Historikerstreit zu erkennen. In gelegentlichen Vorwürfen gegen die deutsche Vergangenheitsbewältigung könnte man sogar auf den Gedanken verfallen, die Wehrmachtsausstellung hätte nie stattgefunden.

Vom guten Deutschen

Diese Produktion ist zu stark im Jahr 1993 verhaftet, als Weemhoffs Vater an seinem Drehbuch schrieb und Spielberg den Holocaust als Geschichte eines guten Deutschen verfilmte. Dass er damit den Blick auf die Nazi-Verbrechen eher verschüttet denn freigelegt hat, dürfte den meisten Zuschauern im Publikum auch schon vor dem Abend klar gewesen sein.

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Hier geht es zur Nachtkritik der Premiere am Schauspielhaus Bochum, hier zur unserer TT-Festivalübersicht.

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