One-Man-Show

3. Mai 2024. Das Theatertreffen eröffnete in diesem Jahr mit gleich zwei der zehn eingeladenen Produktionen. In der Schaubühne Berlin lief Falk Richters "The Silence". Dimitrij Schaad schwang sich im autofiktionalen Monolog zu Höchstform auf. 

Von Simone Kaempf

"The Silence" © Gianmarco Bresadola

3. Mai 2024. Mit "The Silence" hat das Theatertreffen also gleich zum Auftakt seinen ersten großen Soloabend gesetzt. Schauspieler:innen-Feste wurden im Vorwege beschworen. Groß werden sie präsentiert und platziert. Dass neben Ulrich Rasches "Nathan der Weise" diesmal auch ein zweites Gastspiel zur Eröffnung lief, lässt sich als nichts anderes als ein Mission-Statement deuten. Vorbei sind die Zeiten, als Monologe und Solo-Performances an Theatern in den Foyerecken oder Studiobühnen Vorlieb nehmen mussten. Doppelpremiere, hat es das zur Eröffnung des Theatertreffens schon einmal gegeben? 

Für den besonderen Anlass kommt Dimitrij Schaad mit überraschend lässiger Unterspieltheit auf die Bühne. Begrüßt einen hier quasi beim FC Bayern der Schauspielkunst, Schaubühne, Theatertreffen, überhaupt. Spricht ganz privat, wie er sagt, die Bitte aus, die Hustenbonbons jetzt alle zusammen am Anfang einzunehmen. Sahnt schon mal erste Lacher ab. Ja, es kann der losgehen, der Raum ist bereit, ihm zu folgen. Oder besser: Schaad macht ihn sich bereit fürs Eintauchen in diese überraschende Familienansicht. Falk Richter hat für die Vorlage Gespräche mit seiner Mutter geführt und bohrt tief in der Vergangenheit seiner vom Krieg geprägten Eltern, die ihre eigenen Gewalterfahrungen wegschwiegen und jeder Abweichung des Sohns von der Norm mit Misstrauen, Verboten bis hin zur körperlichen Gewalt begegneten. 

Trainingsjacken-Authentizität

Mit der Aufzählung, worüber in der Familie nicht gesprochen wurde, beginnt der eigentliche Text. Und die Liste ist lang: Nicht darüber, wie viele Menschen der Vater als junger Soldat im Zweiten Weltkrieg getötet hat. Dass der Großvater den Vater oft körperlich misshandelt habt, oder dass der Vater, nachdem er eine Affäre mit der damals noch minderjährigen Mutter begonnen hatte, noch weitere neun Jahre mit der ersten Frau zusammenlebte. 

Schaad nutzt den Text beredt, um einen Erinnerungsabgleich zu starten, "von, mit, über Falk Richter". Zwischendurch trägt er die adidas-Trainingsjacke, die Richter in einem der Videos anhat, die ihm im Gespräch mit seiner Mutter zeigen. Mehrmals zerknüllt er beschriebenes Papier, das im Bogen auf der Bühne landet angesichts der Schwierigkeit bei der Ergründung des Schweigens, das seine Kindheit in Buchholz in der Nordheide prägte. "Halt, das sind Erzählstränge, die auf einen Roman zulaufen und soll ja irgendwann auf einer Bühne gesprochen werden", unterbricht er sich selbst. Es ist ein illustrierendes Spiel, in dem Schaad immer genau das letzte Stück Distanz zur Figur hält und eigene Metakommentare abgibt, bestens einstudiert. Ums Improvisieren geht es hier nicht. 

Erinnerungsfakten und -fiktionen

Täuscht es, dass es bei dieser Theatertreffen-Premiere Anlauf braucht, bis Schaad richtig in Fahrt kommt? Erst in der Szene des Telefonats mit dem Ex-Freund aus der Schulzeit, der jetzt mit einer Frau verheiratet lebt, schwingt er sich zu tragikomischen Höhen auf, wenn er dem Ex-Freund befiehlt sofort zu erscheinen, um ihre Jugend-Beziehung noch einmal aufleben zu lassen. Schaad reizt das aus. Und imitiert im nächsten Moment die kühle Sachlichkeit einer Psychiaterin, die Richters autobiografisches Nachbohren in die Schranken weist und plausible Erklärungen für die Resilienz seiner Mutter liefert. "Ist das Aufschreiben einer Erinnerung nicht doch auch das Schaffen einer Fiktion?", fragt Schaad aka Richter einmal.

Der Abend deckt die ganze Bandbreite ab, vom erfundenen, weil erwünschten Liebesgeständnis des "autofiktionalen" Vaters an den "autofiktionalen Sohn" bis hin zu den dokumentarischen Interview-Szenen mit seiner Mutter, die groß auf die Leinwand projiziert werden. Falk Richter hat zusammen mit einem Kameramann dafür in Buchholz im Elternhaus gedreht. Die Bilder und Interview-Ausschnitte liefern den Authentizitätsbeweis und spiegeln mit dem düsteren Einfamilienhaus-Charme die Patina der westdeutschen Wohlstandstands-Gesellschaft.

Standing Ovations ohne Regisseur

Das ist die eigentliche große Überraschung des Abends. Wer hätte gedacht, dass das bundesrepublikanische Schweigen über die traumatischen Kriegserfahrungen und Härte der Nachkriegs-Gesellschaft so eine Bühne bekommt und erzählt wird, wie die erlebte Gewalt an die Boomer-Generation weitergereicht wurde. 

Die Standing-Ovations kassierte Schaad dann am Ende allein. Falk Richter hätte sie auch redlich verdient. Doch er war gar nicht anwesend, auch überraschend, sondern nebenan im Haus der Festspiele, so hieß es. Ein bisschen unfeierlich und verwirrend, hat es so auch noch nicht gegeben.

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