Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia - Der Shorty zum Gastspiel beim Theatertreffen 2012
Zu schön
von Eva Biringer
Berlin, 9. Mai 2012. Lieber Theatertreffen-Besucher, ich habe Dich in den vergangenen Tagen schon öfters gesehen. Du bist doch ein Kollektiv! Ich hab mir Dich immer als liberalen, aber doch kritisch-ernsten Theatergänger vorgestellt. Heute, bei "Kill your darlings! Streets of Berladelphia", wirktest Du ausgesprochen entspannt. Nicht ganz unschuldig daran wird das Wetter gewesen sein: Nach Regenschleiern und Tristesse zeigte sich heute zum ersten Mal seit Beginn des Theatertreffens wieder die Sonne. Entsprechend mutete die Stimmung auf dem Rosa-Luxemburg-Platz wie eine frühsommerliche Picknickgesellschaft an. Es wurde Weißwein getrunken und Flaschenbier, zur stimmigen Parkatmosphäre fehlte nur noch der Einweggrill! Es war, als müsste die Klingel zu Beginn der Vorstellung energischer läuten als sonst, um Dich, liebes Kollektiv, aus der milden Abendsonne ins Innere des Theaters zu bewegen. Im Zuschauerraum flirrte die Luft von Stimmengewirr und stadion-tauglicher Warm-up-Musik und selbst als der Hauptdarsteller schon hinter dem Vorhang vorlugte, sank der Lärmpegel erst allmählich ab.
Schön, liebes Kollektiv, Dich heute so gut gelaunt anzutreffen. Gestern bei Macbeth zum Beispiel, da zeigtest Du Dich eher zwiegespalten. Heute warst Du sehr viel vergnügter. Ich habe Dich nach der Vorstellung zu Deiner Begleitung raunen hören: "Das hat Spaß gemacht!" Du gabst sogar standing ovations! Gewiss lag das auch an Fabian Hinrichs großartiger Soloperformance: Umgeben von den "fünfzehn besten Turnerinnen und Turnern von Berlin" manövrierte er sich Rad schlagend durchs post-moderne Pollesch-Kapitalismuskuddelmuddel. Manchmal sang er dabei, dann klang das wie gut durchdachter Diskurspop à la Blumfeld.
Schokolade essen
Und als irgendwo im Saal ein Handy klingelte, da rief er aufmunternd: "Geh ruhig ran, das wird gleich verwertet: 'Ja, bin gerade im Theater. Worum es geht? Erzähl ich Dir später!'" Da hast Du, liebes Kollektiv, wieder gelacht und warst ganz nachsichtig. Das mit unserer Interaktion hat auch sonst ganz prima funktioniert. Du hast auf meine Anspielungen auf die Verbindlichkeit in Netzwerken reagiert und offensichtlich verstanden, was ich meine, wenn ich frage, ob gemeinsames Pizza essen alles gewesen sein kann (ich habe Dich zwei Reihen vor mir zwar nicht Pizza, dafür Schokolade essen sehen).
Ich frage mich ja, warum Du, liebes Kollektiv, heute da warst. Hättest Du für eine Handvoll Turner in der Mehrzweckhalle auch 45 Euro Eintritt bezahlt? Hast Du Dir die Vorstellung schon einmal angesehen? Oder brauchte es die nachträgliche Honorierung durch die Jury des Theatertreffens, um auch Dich von der thematischen Relevanz des Stücks zu überzeugen, das gleichzeitig so mühelos daherkommt, wie die Turnübungen von außen betrachtet aussehen?
Gegen Ende hat es auf der Bühne gewittert. Du hast an dieser Stelle vielleicht wieder mal Ausschau nach dem Mehrwert gehalten, dabei saßt Du doch im Trockenen! Und konntest nach dem ausgedehnten, überwiegend zustimmendem Schlussapplaus hinaustreten in den regenfreien Berliner Frühsommerabend. Aber halt – das klingt zu schön! Wir können Dich, liebes Kollektiv, nicht so gehen lassen. Wir hatten eine Antwort auf Deine Fragen! Aber wir haben die besten Textstellen gestrichen, denn sie waren nicht zu ertragen. Du würdest danach vielleicht nie wieder etwas über Theater lesen wollen. Aber keine Sorge, liebes Kollektiv, das Theatertreffen ist ja noch nicht vorbei. Es ist ja gerade erst Halbzeit.
Hier geht's zur Nachtkritik der Premiere am 18. Januar 2012 an der Berliner Volksbühne. Weiter zur tt-Festival-Übersicht geht es hier.
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selten schmunzelte ich so nachhaltig über feingesirrte
eindrücke und einzellergedanken.
ein fettiger hauch von spritzoelkochkunst umgarnt meine
kollektive volksküchenseele, in der ich wahrlich nicht alleine sein möchte.
hut ab,für diesen schaurig ernsten beitrag von ihnen.