Presseschau vom 14. November 2015 – Die Frankfurter Allgemeine beobachtet Männer- und Frauenrollen beim Schauspielnachwuchs

Jungs, traut Euch zu sein wie Marlon Brando

Jungs, traut Euch zu sein wie Marlon Brando

14. November 2015. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (14.11.2015) schreibt Simon Strauss über einen Vorsprech-Marathon in Neuss, "bei dem sich sämtliche Abschlussjahrgänge der staatlichen Schulen (in diesem Jahr rund zwanzig) dem Fachpublikum präsentieren können".

Starke Frauen

Dort erlebt er lauter tolle starke Frauen, Frauen, die "wehrhaft und rachsüchtig" seien, "ohne Scham, ohne Zurückhaltung", "zügellos". Man sehe Frauen, "die Chips fressen und furzen, die von ihren 'Titten' und ihrer Selbstbefriedigung erzählen, die als Asoziale auftreten und als sexsüchtige Furie, die überhaupt sehr viel über Sex reden in derber, ekelerregender Weise". -  "Und doch spielen diese jungen Frauen ihre Derbheit und Hässlichkeit wunderbar leichtfüßig, feiern sie die Abschaffung der männlichen Vorherrschaft noch einmal auf so lustvolle Art, dass es eine Freude ist ihnen zu zuschauen."

Schwache Männer

"Und was ist mit den Männern?" Die atmeten schwer, stürzten "mit zerrissenem Hemd und klatschnassen Haaren auf die Bühne, schreien und flüstern, stampfen und zetern". Und achteten "doch darauf, dass ihre frisch rasierten Achseln nicht staubig werden". Sie seien "feinfühlig und metro" und wollten doch "so gern proletarisch-archaisch wirken". Sie verkörperten fast ausschließlich "die Opfer". Man könne den Eindruck gewinnen, "als sei Judith Butler nun endlich auch in den Schauspielschulen zur Pflichtlektüre geworden".

Doch dieser Eifer der Absolventen, "in ihrem Spiel die traditionellen Rollenmuster umzudrehen", beruhe auf einem "Missverständnis": so sehr die Infragestellung von Geschlechterrollen im "sogenannten echten Leben eine wohltuende Wirkung" habe, so notwendig seien die "besessenen, herrschsüchtigen, dominanten Männer auf der Bühne". Zum einen, weil das klassische Repertoire "randvoll mit unsympathischen, intoleranten Machos" sei. Zum andern gerade deshalb, "weil sie im realen Leben verschwinden. Weil das Theater gerade kein Abbild unserer eigenen Welt sein sollte, "sondern aufrührende Gegenwelt. Ein Ort, an dem man es sich nicht verständnisvoll bequem machen kann, sondern angestiftet wird zum Widerwort, zur Verständnislosigkeit gegenüber der Fremdheit vergangener Zeiten".

(jnm)

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