Medienschau: Süddeutsche Zeitung – Carl Hegemann über René Pollesch
Das wirkliche Drama
Das wirkliche Drama
2. März 2024. "Sein Schaffen speiste sich von Anfang an aus folgender an sich trivialen Ureinsicht: Wenn einer auf der Bühne steht, sind da immer zwei - die Figur und der Darsteller", schreibt der Dramaturg Carl Hegemann über den vertorbenen Dramatiker und Regisseur René Pollesch und wie dessen Arbeit das Theater veränderte.
"Allen Versuchen zum Trotz, die Akteure bis zum völligen Verschwinden in ihren Spielrollen aufgehen zu lassen, sind da zwei. Die Menschen, die mit ihren eigenen sozialen Rollen auf der Bühne stehen, und die Rollen, die Figuren, die sie verkörpern sollen, lassen sich nicht komplett substitutieren."
Dabei sei es ein großes Missverständnis, dass Pollesch das Drama abgeschafft habe. "Pollesch hat das Drama keineswegs abgeschafft, er hat es nur aus der Bühnensituation heraus- und dahin zurückgeführt, wo es entsteht und wo jeder Mensch tagtäglich in seinem eigenen Leben mit ihm konfrontiert ist. Denn das wirkliche Drama findet nicht auf der Bühne, sondern in uns selbst statt, in jedem einzelnen Menschen. Der dramatische Konflikt in uns selbst hält uns am Leben."
Daher müssten die großen dramatischen und tragischen Konflikte auf der Bühne nicht erst hergestellt werden, "etwa durch die Entwicklung einer besonderen Personenkonstellation wie zwischen Antigone und Kreon oder Puntila und Matti". Vielmehr habe Pollesch in seinen Inszenierungen immer wieder demonstriert, "dass diese Konflikte sich allesamt und wie verrückt in uns selbst abspielen. Dass also jeder sterbliche Mensch und sogar der unsterbliche Gott sich in einem tragischen Selbstwiderspruch befinden, der gleichzeitig die Bedingung dafür ist, dass man überhaupt Erfahrungen machen und ein bewusstes Leben führen kann."
(SZ / sle)
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