Sizilianische Verhältnisse

1. Mai 2024. In William Shakespeares "Viel Lärm um nichts" kommen keine Traumatisierte aus dem Krieg, sondern testosteron-gesteuerte Möchtegernkerle, die eine Doppelhochzeit ansteuern. Als Komödie à la Bella Italia packt Carola Söllner das Stück am Brandenburger Theater an und lässt es ordentlich krachen. Doch einmal blitzt auch der male gaze auf.

Von Iven Yorick Fenker

William Shakespeares "Viel Lärm um nichts" am Brandenburger Theater inszeniert von Carola Söllner © René Löffler

1. Mai 2024. Schon der erste Auftritt wird vom Brandenburger Publikum beklatscht. Die Bühne ist spärlich eingerichtet, fast leer. Caroline Siebert und Elna Lindgens tragen blaue Cocktailkleider und schieben den dazu passenden Servierwagen auf die Bühne. Sie mixen Drinks, bauen Strandliegen auf, in denen sie dann Illustrierte lesen – auf italienisch. "Bella Italia in Brandenburg" stand draußen auf dem Plakat, das für die Premiere warb: "Viel Lärm um nichts" von Shakespeare, und die Zuschauer:innen applaudieren immer noch. Irgendwann kommen dann die Männer dazu, und der Saal johlt, ein paar Pfiffe hallen durch den Raum – wow. Die Premiere des von Carola Söllner inszenierten Komödienklassikers scheint freudig erwartet worden zu sein.

Von den Gefühlsausbrüchen der Brandenburger Premierenbesucher:innen ist der Autor dieser Kritik überraschter, als vom Auftritt der Beklatschten. Sie, die Männer, tragen helle Anzüge, Westen, darunter weit aufgeknöpfte offene Hemden. Ästhetisch gibt das Kostüm eher Miami Vice gone wrong vor als sizilianisches Stilbewusstsein. Auf der süditalienischen Insel spielt das Shakespeare-Stück um den Scheintod einer Braut nach Verleumdung und sexistischer Beschuldigung der "Unreinheit – aka selbstbestimmter Sex außerhalb des patriarchalen Machtinstruments der Ehe und: den Intrigen der Männer.

Männer mit gesteigertem Selbstbewusstsein

Die Anzüge sind allerdings nicht sonderlich italienisch geschnitten. Sie sind nicht besonders tailliert, betonen den Körper nicht, liegen nicht an, fallen etwas, aber: sie passen. Die Männer wirken ein bisschen wie Provinzjungen, die sich zum Abschlussball zum ersten Mal einen Anzug aussuchen durften – oder wie Männer eben, die sich aus unbegründet gesteigertem Selbstbewusstsein für modebewusst halten, aber alles andere als das sind. Ist das die Setzung des Abends? Dann passt’s, dass nichts passt. I mean... grellpinke Wildlederschuhe zu off-white Bügelfaltenhosen?

Viel Laerm um nichts DSC6546 Kopie c rene loeffler uMasken- und Verwirrungsspiele unter Witzbolden: "Viel Lärm um nichts" am Brandenburger Theater © Rene Löffler

Sie werden es schon ahnen, wenn dem Kostüm so viel Platz in der Kritik gewidmet wird, dann wird der Rest wohl nichts gewesen sein: jein. Das Spiel ist kleinteilig erarbeitet und gut choreografiert. Die Spieler:innen spielen engagiert und als Ensemble wirklich gut zusammen, bleiben in der Situation, nehmen die Impulse ab. Zu viel mehr kommt es dann im Verlaufe des Abends auch nicht, während die Stückhandlung verstreicht: die Männer feiern sich, streiten dann, "verlieben" sich – aka wollen heiraten. Das funktioniert dann nicht, der eine täuscht dem anderen die Untreue seiner Braut vor. Der will dann nicht mehr, weil: siehe oben.

Feiern, streiten, verlieben

Sie will aber noch, aber nicht so beschuldigt sein und fällt in Ohnmacht, täuscht später ihren Tod vor. Später klärt sich alles auf. Der andere hasst Frauen ganz unverschleiert, verliebt sich dann aber doch in eine. Die findet ihn auch nicht besonders toll, dann doch. Auch hier: Happy End. Doch die Inszenierung gibt nicht zu erkennen, was das Anliegen hinter dem Abend ist.

Viel Laerm um nichts DSC9343 c rene loeffler u KopieHappy End mit Doppelhochzeit: "Viel Lärm um nichts" © Rene Löffler

Der Zugriff auf die Sprache ist da interessanter. Söllner hat in ihrer Fassung versucht, das Deutsch der Übersetzungen zu aktualisieren. Die Pointen befördert die Fassung auch durchaus. Allerdings wirken diese, wenn sich die Männer dazu wie Schulhofjungen benehmen, eher besorgniserregend als lustig. So mimen sie feixend Oralsex, wenn sie über die Frauen sprechen und penetrieren symbolisch so allerhand. Wie Schuljungen, die mit einem großen Tabu umgehen: S.E.X.

Viel Testosteron

Je länger der Abend läuft und desto weniger zu den dauergeilen Mackern dazu kommt, desto mehr scheint dann eben doch genau das die Intention zu sein: das auszustellen. Und als dann die vermeintlich "untreue" Braut beim Sex beobachtet wird, wird ein Video projiziert, wie sie von einer Banane abbeißt, in Zeitlupe und immer wieder. Das ist dann schon ein sehr guter Umgang mit dem male gaze. Leider sucht dieser Einfall seinesgleichen vergebens.

Und die Frauen? Die sprechen fast nur über die Männer. Gut, das ist halt der Text. Das sind die Figuren. Aber auch die Inszenierung tut ultimativ nicht viel dagegen oder damit, um dann dagegen und so weiter. Und was bleibt? Reproduktion in buntem Kostüm? Da reicht auch ein Spaziergang durch jede beliebige deutsche Stadt zum Beispiel Brandenburg an der Havel.

Viel Lärm um nichts
von William Shakespeare
Regie: Carola Söllner, Bühnenbild: José Luna, Kostümbild: Gabriele Kortmann, Musik: Hallam London.
Mit: Henry Nandzik, Caroline Siebert, Elna Lindgens, Sebastian Fräsdorf, Volkmar Leif Gilbert, Benjamin Krüger, Jacob Keller, Christoph Jonas.
Premiere am 30. April 2024
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.brandenburgertheater.de

Kritikenrundschau

"Die Geschichte klappt seit über 400 Jahren auf der Bühne, wenn man sie wie Shakespeare erzählt", schreibt Benno Rougk in der Märkischen Allgemeinen Zeitung (4.5.2024). Das mache Regisseurin Carola Söllner nicht. Deren deutsche Fassung "ist dann durchaus gossentauglich und wird verstärkt durch obszöne Gesten und Sprüche". Unterbrochen werde das Stück mehrfach durch Musik. "Also die Schauspieler singen dann – meist jetzt englisch – zu Musik aus der Konserve. Mit viel Glitzer und Licht und laut und im Stil einer Showband. Warum das so ist, erschließt sich dem Laien nicht." An den Schauspielern liege es jedenfalls nicht, dass dieser Klassiker in Brandenburg nicht zum Straßenfeger werde.