Theater und Kritik

Wagen wir 2020 einen Blick hinein in die gute Stube. Kurzer Blick auf die Uhr. Oh, es ist schon spät. Pssst. Still. Wir spähen durchs Schlüsselloch ins Schlafzimmer hinein.

Aha! Da sind sie. Da liegen sie. Ein altes Ehepaar, Rücken an Rücken.

Sitzen sie im Restaurant, da ist der Höhepunkt einer Konversation die Bestellung beim Kellner. Den Rest der Zeit wird stumm aneinander vorbeigeschaut. Was sollte man sich auch sagen? Du hier / Ich dort / WIR fort.

So ergeht es den Berliner Theatern und der dazugehörigen Kritik.

Man sagt sich „Guten Tag!“. Man verträgt sich. Man lässt sich in Ruhe. Mehr nicht. Wären die Kinder nicht, eine Trennung stünde unmittelbar bevor. Da müssen die Kinder es eben machen. Wir wollen, dass sich wieder in die Augen geguckt wird, ungeschminkt und ohne Sonnenbrillen.

Die Krise des Theaters ist nur durch die Überwindung der Trennung von Theater und Kritik zu meistern.

Welchen Nutzen hat Kritik in der jetzigen Form? Keinen! Entweder es wird gelobt oder es wird verrissen.

Wenn es überhaupt zur öffentlichen Kritik kommt! Kürzlich wurde darüber berichtet, wie Papa Oliver der Mama Stephanie ihr gekochtes Allerlei vom Herd wegnahm und in den Ausguss kippte. Den Kindern zuliebe!

Immerhin: Er hatte vorher einen Löffel probiert und es für versalzen befunden. Das kann man den Kindern nicht vorsetzen!

Ein offenes Forum muss geschaffen werden. Endlich Austausch statt Abgrenzung. Wieso wird Regisseuren und Regisseurinnen nicht die Möglichkeit eingeräumt auch nach der Premiere weiter an einer Inszenierung zu arbeiten? Ja, Herr Meier Müller Schmidt, ich hör Sie sagen: „Mein guter Franz, aber wie soll das gehen. Das ist nicht möglich. Da gibt es Termine. Das ist der Betrieb!“ Ich antworte: „Ja, mein guter Herr Müller, dann ändert eben den Betrieb!“

Die Berliner Freie Szene steht da vor anderen Problemen. Als Theatermacher/in ist es schwierig jemanden ausfindig zu machen, der/die gewillt ist, eine Kritik über eine Theaterarbeit anzufertigen. Die „Big Player“ der Szene sind zwischen vierzig und fünfzig Jahren alt und versorgt. Alle anderen kriechen ächzend über die Bretter, die die Welt bedeuten und fragen sich, ob sie das Salz oder das Haar in der Suppe sind. Nur interessiert sich niemand für die Suppe.

Da kommen wir ins Spiel. Wir nehmen unsere nachhaltig hölzernen Löffel zur Hand und sind hungrig. Unsere Leibspeise ist experimentelles und politisches Theater.

Wir interessieren uns für Theater, das risikofreudig ist Wege zu beschreiten, die erst gegangen werden müssen.

Weg vom Produkt-Gedanken. Weg von Vermarktungsideen.

Für eine Rückkopplung von Theater und Kritik.

Für ein offenes Forum.

Für Experimente.

Kritik zu „Die Eule und das Kätzchen“ am „theater… und so fort“

„Die Eule und das Kätzchen“

 

Carl Spitzwegs „Der arme Poet“ gehört zu den bekanntesten Bildern der deutschen Malerei. Wilton Manhoffs Komödie „Die Eule und das Kätzchen“, die momentan im „theater…und so fort“ unter der Regie von Konrad Adams läuft, hat genau solch einen armen Poeten als Protagonisten.

Der erfolglose Schriftsteller und Poet Felix Sherman lebt alleine in seinem Stadtappartement und verdient sich seinen Lebensunterhalt als Bücherverkäufer. Als die erfolglose Schauspielerin Doris aus ihrer Wohnung geworfen wird, weil Sherman sie bei ihrem Vermieter wegen Prostitution angeschwärzt hat, quartiert sich Doris kurzerhand bei Felix ein. Die beiden streitet sich, vertragen sich, trennen sich, um am Ende fest zustellen, dass sie beide ohne einander nicht wirklich leben können.

Das Bühnenbild ist leicht an das Spitzwegs Bild „Der arme Poet“ angelehnt. So findet sich, neben der Matratze mit darüber aufgespanntem Schirm, ein aus Büchstapeln zusammengesetzter Tisch, wieder. Ein Bücheregal eine Couch, und eine Schreibmaschine auf einem anderen Tisch komplettieren die Einrichtung. Nathalie Seitz spielt eine lebenslustige und leicht überdrehte Doris, die trotz ihrer Macken liebenswert ist. Hinter der so selbstbewussten Person versteckt sich jedoch ein weicher Kern. Alexander Wagner gibt einen philosophischen Poeten, dessen Glaube an Logik und Vernunft durch Doris ins Wanken gerät. Er leidet unter seiner Erfolglosigkeit als Schriftsteller, da ihm nichts lieber wäre als die ungeteilte Aufmerksamkeit der Leserschaft. Die beiden Schauspieler ergänzen sich perfekt; es wird keine Sekunde langweilig den beiden beim Spielen zu zusehen.

Das Stück handelt von der Liebe zweier nur scheinbar grundverschiedener Charaktere, die durch ihre Liebe sich und den anderen akzeptieren lernen, wie er ist. Der Zuschauer erlebt in jedem Fall einen amüsanten Abend mit zwei hervorragenden Schauspielern.

Vorstellungen gibt es noch vom 27.12.-30.12.2015 und am 02.01.2016 jeweils um 20:00 Uhr, sowie an Sylvester (zwei Vorstellungen) im „theater… und so fort“. Weitere Informationen und Tickets unter http://www.theaterundsofort.de/ .

„Wir können die Welt nur verbessern, wenn wir sie abschaffen“ – Thomas Bernhards „Weltverbesserer“ von Theater Plan B im Rationaltheater

Die Welt ist eine Kloake/ Man muss sie ausräumen“, wettert der zunächst völlig hilflos wirkende „Weltverbesserer“, während er von seiner Frau in den Sessel gehievt und in Position gebracht wird, um mit seinem Monolog zu beginnen. Im Morgenmantel, barfuß und zerzaust sitzt er nun da und lässt – immer wieder unterbrochen durch Klagen über seinen Gesundheitszustand – jene bekannten bernhard’schen Hasstiraden ab: Die Welt ist eine Kloake, sie müsste ausgeräumt werden, aber weil naturgemäß niemand diese Kloake räumt, bleibt sie was sie ist. Kein Weltverbesserer ist in der Lage diese „Weltkloake“ nachhaltig zu säubern. Meist fehlt es auch an Durchhaltevermögen, wie die kleine Geschichtsstunde deutlich macht. Gandhi, Voltaire, Willy Brandt: alle tot – Snowden: fast tot.

Überwiegend dreht sich der abendfüllende Monolog um die Ehrendoktorwürde an jene namenlose Person des Weltverbesserers, die an diesem Tag stattfinden soll. Ein paar Herren werden zum Essen erwartet, um ihm den Titel zu verleihen, den er sich durch sein „Traktat zur Verbesserung der Welt“ verdient hat. Unglücklicherweise wird gerade durch die ihm hierfür verliehenen Titel und Orden deutlich, dass niemand sein Traktat verstanden hat. „Mein Traktat will nichts anderes/ als die totale Abschaffung/ Nur hat das niemand begriffen/ Ich will sie abschaffen/ und sie zeichnen mich dafür aus“.

Man hört ihm gerne zu, diesem Weltverbesserer, obwohl kaum einer sagen könnte, was das unerträglich Bernhardsche erträglich macht. Die Aufführung im Rationaltheater ist wohl nicht zuletzt deshalb mehr als erträglich, weil Titus Horst in der Hauptrolle absolut überzeugt und allen Zuschauern den bernhardschen Humor greifbar machen kann. Andreas Wiedermann gelingt eine solide Inszenierung, voller Hingabe an die sehr anspruchsvolle Sprache, im entspannten Ambiente des Rationaltheaters – ein Thomas-Bernhard-Abend durch und durch.

Nur noch heute, am 20. März, zu sehen, um 20 Uhr im Rationaltheater!

„Das Produkt“ – ein zündendes Stück Sprengstoff mit Mohammed als Drahtzieher!

Ja, das ist der Stoff aus dem Schlagzeilen gemacht werden, deren Sensationsgier sich auf alles stürzt was der zeitgemäßen Polemik entspricht. Zur Verwunderung ist der Schauplatz hierfür die Bühne des Foyers im kleinen Theater Landshut.

Das Produkt von Mark Ravenhill unter Regie von Constantin von Thun inszeniert eine Tour de Force durch das Gewaltspektakel eines nach Sensation und Unterhaltung lüsternen Filmproduzenten, der wahnhaft und unverfroren alle abgründigen Winkelzüge der Unterhaltungsindustrie bedient. Schauspieler Christian Mark verkörpert im Einmannstück einen schmierigen, im Chefsessel sitzenden, quotenbesessenen Filmproduzenten, der im Monolog eine imaginäre Hauptdarstellerin für sein Filmprojekt zu erwärmen sucht, um Bestandteil seiner Gewalt ausufernden und absurden Filmproduktion zu werden. Zündstoff und für einen Quotenschlager unumgänglich sind bekanntermaßen Gewalt und Sex. Entsprechend dieser Devise ergeht sich der Filmproduzent in seinen krankhaft anmutenden Beschreibungen des Drehbuchs und zieht alle Register des Show-Business. Während der Auftakt des Drehbuchs noch scheinheilig mit dem Aufschneiden eines Croissants des in Turban und Kaftan bedeckten Moslems beginnt, findet das amerikanisch geschürte Feindbild namens „Islam“ in einer Akkumulation von reißerischen Terror- und Gewaltszenen seinen Niederschlag: Sprengkörper, spritzendes Blut, abgetrennte Körperteile, Folter und brennende Körper.

Die Rolle die besetzt werden soll, ist die der Amerikanerin Amy, deren Mann dem Anschlag auf das World Trade Center zum Opfer gefallen ist und sie sich ausgerechnet in den Islamisten Mohammed verliebt, der ihr den weltbesten Orgasmus verschafft, sich aber kurz darauf als Terrorist der Al-Quaida entpuppt. Geblendet von seiner sexuellen Attraktivität, wächst ihre Wohnung zum Schauplatz einer fundamentalistischen Zelle heran, die Mohammeds Selbstmordattentat auf Disneyland Paris plant. Aus Liebe will sie sich gemeinsam mit ihm in die Luft sprengen. Doch ein Alptraum über die bevorstehende Gräueltat veranlasst sie noch die Polizei einzuschalten.

Getrieben von Sensationsgier potenzieren sich die Gewaltbeschreibungen des Filmproduzenten ins Abstruse, als Amy in Mohammeds brennende Arme fällt, die Körper verschmelzen und beide anschließend mit Verbrennungen im Swimmingpool kopulieren. Seine Inszenierungsvorhaben selbstgefällig kommentierend, eskortiert er mit seiner fingierten Kamera und weiß filmische Effekte der Zeitlupe und des Zooms an richtigen Stellen einzusetzen, mit dem Ziel das potenzielle Publikum auf die Folter zu spannen. Um den sensationsträchtigen Szenen Nachdruck zu verleihen, belebt er die Bühne mit suggerierenden Gesten und effekthascherischen Körpereinsätzen wie der Mega-Orgasmus Amys, sodass er letztlich die Rolle des Produzenten verlässt und selbst zum Darsteller und Alleinunterhalter seiner Dramaturgie der Gewalt wird. Selbst das Abwenden der potenziellen Hauptdarstellerin, die er imaginär im Zuschauerraum adressiert, scheint ihm in seinen Vorhaben nicht zu irritieren. Schauspieler Christian Mark verkörpert auf exzellente Weise den Inbegriff eines prätentiösen Blockbuster-geilen Filmproduzenten, der jegliche Schwelle des Schams aushöhlt.

Das Produkt - Pressefoto 1 (von Dr. Bernd Seydel)

Das nahezu nahtlose Bombardement von erzählten Gewaltszenen in „das Produkt“ führt auf satirische Weise das Prinzip des Reiz- und Reaktionsschemas der Unterhaltungsindustrie vor Augen, das bedingt durch die eigene Ausschlachtung der Brutalität und der daraus resultierenden Verrohung des Zuschauers, sich selbst wieder in seiner drohenden Erschöpfung übertrumpfen muss. Um die Empathie wieder zu aktivieren, bedarf es beispielsweise der Zuhilfenahme eines unschuldigen Kindes, das aber leider kurz darauf in die Luft gesprengt wird… Hoffentlich bleibt spätestens hier dem Zuschauer die überzogene Gewaltdarstellung à la Tarantino im Halse stecken. Angesichts der politischen Brisanz ist es nicht ganz unverfänglich, die Medien in ihrer Gewalt- und Sensationsgeilheit zu karikieren, indem deren Mechanismen – wenn auch in ironischer Darstellung – erst bedient werden müssen, um dann entstellt zu werden.

Der Regisseur Constantin von Thun wagt sich auf die schmale Gratwanderung und inszeniert mit den Ausdrucksmitteln des Theaters einen Klischee-überladenen Blockbuster als karikierenden Gegenstand des Theaterstücks, der keine Grautöne zwischen Schwarz und Weiß kennt und nur Gegensätze wie Hass und Liebe, Macht und Unterwerfung symbiotisch vereint. Getreu des Mottos „Je böser der Bösewicht, desto besser der Film“ sind Feindbilder wie die des islamistischen Terroristen prädestiniert, um der Schaulust des abgestumpften Zuschauers gerecht zu werden. Da „das Produkt“ den Stoff des Drehbuchs nicht gemäß dem Sensationalismus für sich nutzt, sondern in überzeichneter Weise darstellt, dient „das Produkt“ vielmehr dazu, sich selbst zu hinterfragen. Hier offenbart sich die Frage: Sind wir das Produkt der Unterhaltungsindustrie oder erfüllt sie nur unser Verlangen.

Auf jeden Fall stellt das Theaterstück „das Produkt“ unsere Konsumgewohnheiten auf den Prüfstand. Schließlich zeigt der Schauspieler Christian Mark den Vorgang des Darstellens, während sich das Dargestellte vor der individuellen Leinwand eines jeden abspielt, sodass er zum Voyeur seiner eigenen Bilder wird. So sind wir die vom Filmproduzenten letztlich Adressierten, die er zu überzeugen versucht. Der Zuschauer kann selbst entscheiden, inwieweit seine Geschmacks- und Toleranzgrenzen verschiebbar sind und ob er Opfer der Unterhaltungsindustrie und seines Machtpotenzials wird. Hier wird dem Zuschauer der Spiegel vorgehalten und er muss sich selbst fragen, ob er sich in ihm gefällt.

http://www.kleinestheater-kammerspiele-landshut.de/spielzeit-20142015/spielzeitprogramm/repertoire/das-produkt.html

4.48 Psychose – Kay Voges

Der Livestream als neue Chance für das Theater? Publikumsgewinn oder nur ein weiterer trostloser Versuch das Theater interessanter zu machen?

Die Heinrich-Böll-Stiftung lud zum Livestream von Dortmund nach Berlin mit anschließender Diskussion. Gestreamt wurde 4.48 Psychose von Sarah Kane in Regie des Dortmunder Intendanten Kay Voges. Dieser war selbst in Berlin anwesend. Da Kane in ihrem Testament verfügt hatte, dass ihre Texte nicht als Oper oder Film gezeigt werden dürfen, musste die Veranstaltung in geschlossenem Rahmen stattfinden. Auch der Chef des Rowohlt-Verlages, bei dem der Text liegt, war anwesend. Es ging los und nach ein paar technischen Übertragungsproblemen lief es. Im Vorfeld wurden wir über die technischen Begebenheiten informiert und wie teuer der ganze Spaß ist. In Dortmund war ein Live-Cutter am Werk und ein ganzes Team von Technikern. Es wurde zu einem technischen Hype stilisiert und aufgebauscht, sowohl im Vorfeld als auch in der Diskussion danach. Über die Aufführung wurden nur wenige Worte verloren, der Inhalt, die Ästhetik, das Zusammenspiel. Wie Tim Renner in seinem Statement sagte, sind wir ganz am Anfang und es ist eine Vision. Das erkennt man leicht daran, dass nur über den Stream an sich, über die Technik und die Möglichkeiten geredet wird, nicht aber über die Inszenierung. Die Frage nach der Inszenierung stellt sich hier insoweit, als das man sich fragen kann: Wie kann man über eine gestreamte Vorstellung berichten oder schreiben? Der Vortragsraum in der Heinrich-Böll Stiftung hatte natürlich nicht das Flair eines Theaterbesuches.

Was kann man jetzt über diese Inszenierung sagen. Im Zusammenhang mit der Veranstaltung bot sich die Inszenierung  an, da sie selber sehr digitalisiert war. Die drei Schauspieler spielten in einer Box, welche mit einer Art Leinwand umspannt war und auf der permanent Text und/oder die Gesichter der Schauspieler projiziert wurden. Nur ganz zum Schluss sah man die realen Körper, als die Leinwand abgerissen wurde. Der Zuschauer in Dortmund hatte also nur den Blick auf die Leinwand. Wir in Berlin hatten einen anderen Blick, da sich noch eine Kamera in der Box befand. Es waren drei Kameras und eine Handkamera, sowie die in der Box dabei. Der Cutter schnitt die Bilder während der Übertragung und wurde so zum Regisseur des Streams. Die Ebenen überlagern sich. Im Moment des Streams ist der Regisseur also nur noch teilweise Regisseur seines eigenen Stückes, da er die Kontrolle des was-gesehen-wird in die Hände des Technikteams gibt. Unser Blick wurde kontrolliert, die Zuschauer in Dortmund hatten einen Panorama-Blick im Gegensatz zu uns. Ich traue mich gar nicht das Stück zu kritisieren, da ich die ganze Zeit das Gefühl habe, ich habe nicht alles gesehen und kann keine objektive Meinung dazu abgeben. Die Schauspieler waren grandios. Trotz der Leinwand zwischen uns habe ich sie gespürt, doch der Live-Moment hat gefehlt und vor allem bei so einem Text und so einer großartigen schauspielerischen Leistung ist er unersetzlich.

Es ist eben kein Kino und es ist auch keine Kinoästhetik. Im Nachhinein wurde oft gesagt, dass man lieber in Dortmund gesessen hätte. Im Hintergrund der Box waren vier oder fünf Gestalten hinter ihren Laptops, die die Technik der Leinwand, in Dortmund, betreut haben. Sie waren die Doktoren und die Schauspieler die Patienten. Eingeschlossen in einer digitalen Welt und auf dem Weg ihren Verstand zu verlieren. Der Text als eine Aneinanderreihung von Monologen und Dialogen. Es gibt keine kontinuierlichen Handlungsverlauf, sondern nur das Immerselbe. Der Sound ist laut, die Schauspieler schreien, winseln und zerstören sich selbst. Das innere der Box ist zum Schluss ein Schlachtfeld und die Schauspieler auch. Wenn die Kamera frontal auf die Box gerichtet wird und man keinen Rahmungen mehr erkennt, dann ist es als säße man in einem Kino mit unbequemen Sesseln wo das Popcorn fehlt. Zum Schluss reißen die Schauspieler die Box ein und steigen hinaus. Wir bekommen durch die Kamera noch einen kleinen Einblick in den Backstagebereich.

Danach die Diskussion oder vielmehr das vortragen von Statements unterschiedlicher Menschen. Verschiedene Experten trugen ihre Ansichten vor. Zur Diskussion blieb dann keine Zeit mehr. Alle beteiligten waren fast durchweg positiv eingestellt, nur ein Publikumsbeitrag am Schluss kippte die Stimmung dann doch ein bisschen. Geraldine de Bastion, die Kuratorin eines großen Netzwerktreffens, machte auf die Vorteile des Livestreams aufmerksam. Zum einen können Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen die Streams sehen und Menschen aus Regionen die diese nicht verlassen können aus unterschiedlichen Gründen würde ein Zugang geschaffen werden. Diese Gründe sind alle richtig und nachvollziehbar aber ist unser Theater so international wie das London National Theatre? Daniel Hengst, der Videokünstler aus Dortmund, sagte etwas sehr Schönes: Wir müssen das Video und/oder den Livestream als etwas betrachten, was in der Inszenierung mitgedacht ist und seinen eigenen Platz hat und nicht als etwas was hinten dran gehängt wird. Der Livestream als neue künstlerische Herausforderung und als neues ästhetisches Medium kann durchaus funktionieren. Mehr Menschen das Theater zugänglich zu machen, sollte immer ein Bestreben sein: Warum also nicht mit Livestream? Dass das nicht ein allgemeingültiges Rezept werden kann ist logisch aber den Livestream als etwas Künstlerisches zu betrachten, als Teil der Inszenierung, ist ein guter Ansatz. Meine ganz persönliche Meinung ist, dass im Livestream ein gutes Potential liegt. Man könnte es wunderbar für Schulen einsetzen, die sich nicht leisten können ins Theater zu fahren, anstatt dem gemütlichen Filmeabend auf der Couch kann man einen Theaterabend machen, und für die Theaterwissenschaft beispielsweise und Tausende von Studenten würde es vieles vereinfachen. Dass ein Stream niemals das reale Theatererlebnis ersetzen kann, darin sind sich alle einig. Ich sehe es als eine Möglichkeit, das Theater weiter hinaus zu tragen und denke dass von einer Ko-Existenz beide Seiten profitieren würden.

Die Veranstaltung fand statt in Kooperation zwischen dem Schauspiel Dortmund, der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Thalia Theater und nachtkritik.de

Der Artikel wurde am 12.12.2014 auf livekritik.de veröffentlicht. www.livekritik.de

Am 10. Dezember 2014 übertrug das Schauspiel Dortmund gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin die Vorstellung von Sarah Kanes „4.48 Psychose“ in der Regie von Intendant Kay Voges per Live-Stream in die Stiftungsräume in Berlin, wo im Anschluss eine Diskussion zum Thema „Schauspiel im Stream – Fluch oder Segen?“ stattfand. Auch Livekritikerin Marie Golüke hat sich den Stream angesehen. (Anm. d. Redaktion)

„Das Fieber“ – ein ansteckendes und virulentes „Stück“ Selbstentäußerung, dessen gesammelte Innerlichkeit den Zuschauer nicht verschont lässt.

Kleines Theater – Kammerspiele Landshut

Im Foyer des kleinen Theater – Kammerspiele Landshut entfällt die Distanz schaffende Bühne vollends, wodurch der Zuschauer die fieberhafte Stimmung des Leidenden bis unter die Haut zu spüren bekommt. Es bedarf hier keines Podestes als zwischen Schauspieler und Zuschauer trennendes Element, im Gegenteil: Publikum und Schauspieler erleben einen gemeinsamen erfahrbaren Raum, der auf eine artifizielle Verkleidung der Bühne als „fiktives Außerhalb“ der Realität zu Gunsten einer Verschmelzung von Zuschauer- und Bühnenraum, verzichtet. Das fiese Ein-Personen-Stück von Wallace Shawn, von Gabriele Gysi inszeniert, ist in seiner Penetranz dazu geschaffen, den Zuschauer schonungslos und unangekündigt zu infizieren.
Den Auftakt des Stücks bestimmt das sinnesfreudige Ertönen einer live gespielten Violine, die unverschämt Unschuld suggeriert und vom klagenden und wahnhaften Auftritt des Schauspielers Knud Fehlauer konterkariert wird. Dieses Changieren zwischen einerseits ästhetischer Sanftheit und einer ungeschminkten thematischen Grobheit macht sich Gabriele Gysis Inszenierung zum Prinzip.

Das Fieber - Pressefoto ktl (Stefan Klein) (2)
Bild: Stefan Klein

Doch was sind die Ursachen des Leidens und welche Nebenwirkungen gehen damit einher?
In Form eines Selbstgesprächs geißelt sich ein Mensch aus bürgerlichen Milieu, als er sich die Ungleichheit zwischen Arm und Reich, Leid und Luxus auf eine hemmungslose und niederschmetternde Weise vor Augen führt. Im Bar-Bereich des Theaterfoyers, der gleichzeitig einen Teil des Bühnenbildes darstellt, spiegelt sich die Zerrissenheit des Protagonisten wider. Hektisch gräbt er in der Zeitung auf der Suche nach einer tragischen Schlagzeile, die das menschliche Leid dokumentiert, als müsste die wahre Realität jenseits der aufgebauten Fassade erst durch schwarz auf weiß geschriebene Indizien bewiesen werden, um sich seiner gewahr zu werden. In dem hitzigen Monolog repräsentiert er Kläger und Angeklagter zugleich und entkleidet sich der Lebenslüge eines Bildungsbürgers, die nur in einer von Realität abgekoppelten Schein-Welt Bestand hat. Er geht hart ins Gericht mit den an der Oberfläche der Gesellschaft tradierten Wert- und Moralvorstellungen, mit denen sich viele schmücken und der tatsächlich verinnerlichten Humanität auf der anderen Seite. Das Fieber stellt die Frage nach Schein oder Sein sowie nach der Bereitschaft, die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln zu überwinden. Erst das Überschreiten der gepolsterten Schutzhülle der Wohlstandsgesellschaft, das der Protagonist als Aufwachen in einem fremden und armen Land umschreibt, welches die eigene Sprache nicht spricht, entlarvt sich die normative Humanität als Farce. Knud Fehlauers Monolog trägt den moralischen Konflikt nach außen, der aus der Frage herrührt: Wie viel Verantwortung trägt das Individuum und auf wie viel Wohlstand ist der Einzelne bereit zu verzichten? Dementsprechend korrespondiert die aus dem Dilemma heraus schreiende Verzweiflung, die ihn neurotisch im Raum hin und her laufen lässt. Er wirft fragmentarisch Lebensfragen in den Raum, die assoziativ anmuten und nahtlos verschmelzen. Er ist das Sinnbild eines Bildungsbürgers, der sich die Frage nach humanitärem Handeln stellt, der aber gleichzeitig konstatiert, dass er auf Annehmlichkeiten des Lebens nicht verzichten will. Seine Anklagen werden vom Bedürfnis nach Kunst und Kultur stimmungsschwankend kontrastiert, als er plötzlich beim Ertönen der Geige krankhaft tanzt und singt und sich abwechselnd zu seinen Klagen mit Whisky betrinkt. Sein Lachen schlägt ins Weinen um, als er im Kunstgenuss ästhetisch schwelgend im selben Atemzug blutige Folterszenen beschreibt. Es herrscht eine ambivalente Zerrissenheit im Raum: zwischen dem Bedürfnis nach exquisiter Lebensführung und gleichzeitigem Bewusstsein über die wahre Realität, die einen immer wieder einholt.

Das Fieber - Pressefoto ktl (Stefan Klein) (3)
Bild: Stefan Klein

Voller Hohn zitiert er die Devise der Wohlstandbürger, wonach ihre Kinder „nur das beste haben sollen“. Seine Beschreibung eines aufwändig eingepackten Geschenkes mit viel Schnick-Schnack dient als Metapher für das Erziehen von Kindern in einer wohlbehüteten Umgebung, abgeschottet und konditioniert gegen geschürte Feindbilder, aber verwahrlost in ihrer Menschlichkeit. Das auf allen Ebenen sozial- und gesellschaftskritische Stück lässt auch eine Portion Marxismus nicht vermissen. Hier manifestiert sich dann doch noch die politische Gesinnung Gabriele Gysis als Tochter des ehemaligen DDR-Kulturministers Klaus Gysi. So artikuliert sich in „das Fieber“ der Mangel an Humanität durch Fetischisierung der Ware, wonach die Herrschaft der Dinge über den menschlichen Beziehungen steht. Unter einer dinglichen Hülle versteckt ist nicht nur der Wohlstandbürger, sondern auch der Wert der Ware, der abgekoppelt von menschlichem Produktionsaufwand als naturgegeben angenommen wird. Wahnhaft kreist das Stück um die Begriffe der Humanität und der Werte und hinterfragt das fraglos bestehende System einer kapitalistischen Gesellschaft.

Fest steht, dass der Titel „das Fieber“ nur das Symptom einer ernüchternden Erkenntnis sozialer Ungerechtigkeit ist. Eigentlich handelt es sich hier um Weltschmerz und um das Erkranken an der Doppelmoral des Bürgertums. Die Feststellung schmerzt, dass die Polarisierung zwischen Armut und Reichtum vermeintlich den zwei Seiten ein und der selben Medaille entspricht, wonach das Leben der einen, das Leid der anderen bedingt. Wer hat die Macht, um über das Schicksal der Menschen zu bestimmen?
Die Frage beantwortet der Schauspieler mit der resignierenden Feststellung, dass „die, die mehr haben mehr bestimmen und die, die wenig haben, wenig zu bestimmen haben!“ Gegen diese Devise, die eine soziale Ungerechtigkeit beschwört, ist die fieberhafte Anklage gerichtet. Trotz 100-minütiger intelligenter Lamentation über das Leid der Welt, bleibt ein Beispiel zweckdienlichen Handelns aus. Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Auftritt Knud Fehlauers auf überspitzte Weise die Bekundung des Leids eines jeden Einzelnen widerspiegelt, dessen Beteuerungen niemandem hilft außer sich selbst zu besänftigen. So bleibt auch fraglich, ob auch nicht die Betroffenheit des Zuschauers nur der eigenen Beruhigung dient oder doch etwas in Gang setzt? Gemessen am Beifall der Zuschauer hat „das Fieber“ seine Wirkung geleistet. Doch es bleibt fraglich, welches Handeln die Betroffenheit tatsächlich bewirken kann. In seiner Inszenierung jedoch ist es ein unbehagliches Stück Wahrheit, das den Nerv der Zeit und den des Zuschauers trifft, der um eine Stellungnahme nicht herum kommt.
Beeindruckt hat das Stück vor allem durch die schauspielerische Intensität und die schonungslose Bombardierung der Zuschauer, die unprätentiös im Raum als Statisten eingebunden werden. Bemerkenswert ist auch, dass Kammerspiele Landshut solche Stücke mit Regisseurinnen wie Gabriele Gysi für sich gewinnen kann.

Erschöpft, aber mit sich zufrieden können die Zuschauer nun nach Hause gehen und zumindest von sich behaupten, dass sie sich nicht vor der Thematik gedrückt haben…und so bleibt die Frage: Inwiefern kann ein gesellschaftskritisches Theaterstück etwas verändern? Das sollte sich jeder selber fragen…

Weitere Termine sowie Informationen können auf unserer Veranstaltungsseite oder der Homepage des Theaters gefunden werden.

http://www.kleinestheater-kammerspiele-landshut.de/spielzeit-20142015/premieren/kalender/das-fieber.html

Unverhoffte Familienbande und entgleisende Scherze – Die schwarze Komödie „Der Vorname“ in Landshut

kleines theater – KAMMERSPIELE Landshut

Familientreffen könnten so schön sein… KÖNNTEN! Aber wie wohl die meisten auch schon am eigenen Leib erfahren haben, verlaufen die trauten Zusammenkünfte in der Regel nie ganz ohne Reibereien und Diskussionen.

So müssen auch die Protagonisten der französischen Komödie „Der Vorname“ von Alexandre de La Patellière und Mathieu Delaporte erfahren, dass es mit der lieben Familie nicht immer ganz so einfach ist, vor allem wenn auch noch Ehepartner und Freunde mit von der Partie sind. Élisabeth, eine Vollblut-Lehrerin, -Hausfrau und -Mutter, lädt ihren Bruder Vicent, seine schwangere Frau Anna und ihren besten Freund Claude zu einem marokkanischen Abendessen ein. Ihr Gatte Pierre steht ihr dabei meist im Weg und stellt das perfekte Klischee des verplanten Literatur-Professors dar. An sich beginnt das Treffen völlig harmonisch und scheinheilig, allerdings kippt sie Stimmung, als Vincent den Namen seines Sohnes verkündigt: Adolphe. Pierre findet diesen Namen unmöglich, erinnert er doch sehr an einen österreichischen Diktator. Und schon beginnt unter den Anwesenden eine heiße Debatte um Moral, negative Belegung von Namen und das Recht auf freie Entscheidungen.

Als sich der Name lediglich als dummer Scherz von Vincent herausstellt ist die Stimmung jedoch schon so gereizt, dass immer wieder neue Diskussionen in Streitereien und Handgreiflichkeiten ausarten. Dabei verbünden sich selbst Personen, die zehn Minuten zuvor noch in verschiedenen Lagern kämpften. Und selbst der gutmütige Claude lässt am Ende des Abends eine Bombe platzen…

Bild: Iko Freese
Bild: Iko Freese

Das Stück erinnert mich etwas an „Der Gott des Gemetzels“, denn gerade die permanent wechselnden Fronten und die Protagonisten, die sich drehen wie Fähnchen im Wind, machen den Charme beider Komödien aus. Das fünfköpfige Ensemble unter der Regie des Kammerspiel-Intendanten Sven Grunert spielt gerade diese Aspekte hervorragend aus. Eigentlich sind ja alle rational denkende Menschen, doch im Inneren brodelt es und nach dem ersten Streit reichen nur Kleinigkeiten, um wieder zu einem Ausbruch zu führen. Vincent, der Erzähler und selbsternannte Held der Geschichte wird hervorragend von Sebastian Gerasch dargestellt. Er schafft es, seiner Figur den verschmitzten aber oft niveaulosen Humor zu verleihen, der es dem Zuschauer schwer macht zu entscheiden, ob man Vincent nun leiden kann oder nicht. Weitaus stiller und gutmütiger ist da Knud Fehlauers Figur Claude. Er ist nicht nur bei den „Ehefrauen“ des Stücks der Sympathieträger und lässt trotzdem durchscheinen, dass mehr hinter der netten Kumpel-Fassade steckt. Das Herren-Trio vervollständigt der bereits genannte, schusselige Professor Pierre. Stefan Lehnen zeigt herrlich den pedantischen Akademiker, der sich über unbedeutende Kleinigkeiten über die Maße aufregen kann. Relativ ruhig erscheint anfangs Pierres Ehefrau Elisabeth, gespielt von Stefanie von Poser, die alles daran setzt, ihr „perfektes Dinner“ wenn möglich auch mit aggressiveren Mitteln durchzusetzten. Sehr spießbürgerlich kommt auch anfangs Vincents Gattin Anna daher. Cornelia Pollak lässt ihre Figur zwar nach außen hin zufrieden wirken, jedoch auch schnell klar werden, dass sie mit ihrer Ehe nicht mehr ganz so glücklich ist.

Die Inszenierung von Grunert ist für viele möchtegern-intellektuelle Theatergänger wohl zu brav, aber für diese Komödie mehr als passend und von Anfang bis Ende kurzweilig und unterhaltsam. Dies ist einer der positivsten Aspekte des Hauses, dass es noch nicht dem Trend des Provokations-Zwangs folgt ein einfach verständliche und gelungene Inszenierungen zeigt. Das Publikum scheint dies wohl auch zu schätzen. Vor allem als die Wortgefechte der Protagonisten des Stücks Handgreiflichkeiten weichen bleibt wohl keine Auge im Zuschauerraum trocken. Der Humor ist stückbedingt zumeist sehr derb und sicher nicht für jedermann etwas. Ich persönlich hatte große Freude daran.

Weitere Termine sowie Informationen können auf unserer Veranstaltungsseite oder der Homepage des Theaters gefunden werden.

http://www.kleinestheater-kammerspiele-landshut.de/spielzeit-20142015/premieren/kalender/der-vorname.html

Das Idiom

Grafische Gestaltung: Pia Kolb
Grafische Gestaltung: Pia Kolb

Berit wacht aus dem Koma auf und versteht die Welt nicht mehr. Ihr autobiografisches Gedächtnis ist gelöscht und Mutter, Ehemann und Freunde sind ihr fremd. Aber viel schlimmer noch: Niemand versteht Berit, wenn sie spricht!

Dabei drückt sich Berit ihres Ermessens klar und deutlich aus. Sie weiß nicht, dass sie plötzlich einen Dialekt spricht, ein sogenanntes „Idiom“. Leider hat sich die Sprache inzwischen zu einer allgemeinen Reinsprache entwickelt in der niemand mehr einen Dialekt spricht oder versteht. Berit wird von ihrem Umfeld belächelt, ihre Mutter und ihr Ehemann wenden sich von ihr ab und TV-Sender reichen sie als Sensation herum. Nach langwierigen, erfolglosen logopädischen Therapiesitzungen weiß Berit, dass sie in dem Krankenhaus keine Hilfe bekommen wird und beschließt abzuhauen.

Pia Kolb hat dieses Stück selbst geschrieben und führt den Zuschauer auf eine überraschend charmante, humorvolle Weise durch die vermeindlich tragische Geschichte von Berit. Dabei wechselt die junge Schauspielerin zwischen der Erzählerin Berit und den verschiedenen Rollen des Ehemannes, der Mutter und Ärzte hin und her. Die Etablierung der verschiedenen Charaktere ist Anfangs schwer nachzuvollziehen, so könnte der erste Auftritt des Ehemanns ebenso der Auftritt der Mutter sein, aber man gewöhnt sich schnell an die einzelnen Figuren. Hilfreich sind Erkennungmerkmale an den Figuren, die durch Körperhaltung, Variation der Stimmlage und einzelner Assecoirs, wie einer Brille oder einer Krüke, gegeben werden.

Das Bühnenbild zeigt ein Krankenzimmer. Es besteht aus weißen Möbeln auf schwarzem Hintergrund. Rechts und Links wird der Raum von zwei weißen Stellwänden flankiert. In der Mitte befinden sich ein Tisch, ein Tageslichtprojektor und eine Leinwand. Auf der rechten Seite steht ein Krankenbett.

Unterstützt wird das Bühnenbild von akustischen Einspielungen wie Geräuschen oder Musik und Lichtwechseln. So verwandelt sich das Krankenzimmer z.B. durch Einspielen von Stimmengewirr und Durchsagen in eine Bahnhofsvorhalle. Es gelingt Pia Kolb verschiedene Orte zu Behaupten und durch Berits emotionale Verfassung eine glaubhafte Atmosphäre zu Schaffen.

Eine unterhalsame Unterstützung bietet der Tageslichtprojektor auf dem die Schauspielerin Bilder malt und auf die Leinwand projeziert. Es ermöglicht dem Zuschauer Berits Wünsche bildlich besser nach zu voll ziehen oder einfach über Missverständnisse wärend der Therapiestunde zu Schmunzeln.

Berits „Idiom“ entpuppt sich für den Zuschauer als bayrischer Dialekt und greift kleine, alltägliche Missvertändnisse auf, die dem Zuschauer nicht fremd sind. Somit fällt es dem Zuschauer leicht mit Berit mitzufühlen und ihrer Geschichte zu Folgen.

Herrausragend für dieses Stück ist Berits Auffassung ihres Zustandes. Anstatt in einer Depression zu Versinken nimmt sie ihren Gedächtnisverlust und ihren Dialekt als Neuanfang wahr. Dadurch vermittelt sie eine optimitische Atmosphäre, die den Zuschauer mit positiven Gedanken zurück in die Realität entlässt.

Gespielt wird noch im theater…UND SO FORT am 16. und 17. Januar 2015 jeweils um 20:00 Uhr.

Zweites Treffen der Münchner privaten Schauspielschulen 2014

Am Mittwochabend, den 20.12.2014, steige ich mit einer Freundin die moosbewachsene Steintreppe, die in die Eingeweide des „theater…UND SO FORT“ führt, hinunter. In dem schmalen Flur drängen sich viele junge Menschen, fröhlicher Lärm schlägt uns entgegen, Begrüßungsrufe schallen quer durch die Schlange. Man kennt sich untereinander.

 

Es ist das zweite Treffen der Münchner privaten Schauspielschulen.

Ein Wettbewerb, den Heiko Dietz, Betreiber des „theater…UND SO FORT“ sowie der privaten Schauspielschule TheaterRaum München, letztes Jahr ins Leben rief. Zu gewinnen gibt es den MAX, dotiert mit einem stattlichen Preisgeld von 1000 Euro.

Gefördert wird das Projekt von THETA e.V. (Verein zur Förderung der freien Theater- und Tanzkultur in München)

 

Die Regeln sind unkompliziert. Zu inszenieren ist eine Performance aus folgenden Vorgaben:

Thema: Rückwärts

Pflichtbühnenbild: 2 weiße Stellwände 1m x 2m, 1 Umzugskarton

Pflichtrequisite: 1 Zollstock (weitere Requisiten erlaubt)

Licht: Einheitslicht, keine Specials (z.B. besondere Farben, Spot etc.)

Ton: Bei Bedarf frei einsetzbar

Darsteller: Mindestens drei

Dauer: 20 Minuten

Genre: Frei

 

Die Teilnehmer dieses Jahr:

ISSA – Int. Schule für Schauspiel & Acting

Neue Münchner Schauspielschule

Schauspielschule München

Schauspielschule Zerboni

TheaterRaum München

 

Gespielt wird an vier Abenden, von Mittwoch bis Samstag. Die Reihenfolge der auftretenden Schulen wird jeden Abend neu ausgewürfelt und dem Publikum erst am Ende des Abends mitgeteilt.

Ein spannendes Ereignis mit Überraschungen, wie z.B. die verschiedenen Interpretationen des Thema „Rückwärts“.

 

Die Neue Münchner Schauspielschule beschreibt dieses Thema in zwei Monologen und einer Szene aus dem Stück „Die Zofen“ von Jean Genet. Verquere Liebe und Sehnsucht, sowie ein rückwärtiger Blick auf das eben Vorgetragene bestimmen die Performance.

Einen zusammengefassten Rückblick auf William Shakespeares „Hamlet“ spielen drei Schüler der ISSA mit viel Witz und choreografierten Bewegungen. So wird z. B. die soeben gespielte Zusammenfassung rückwärts mit den gleichen Worten und Bewegungen akkurat wiederholt.

Mit einem aufregenden Thriller schlägt TheaterRaum München das Publikum in den Bann. Zwei Freunde versuchen ihre vermisste Freundin aus einem dubiosen Forschungslabor zu befreien. Der Zuschauer wird von Rückblenden und lauter Musik verwirrt, bis sich zum Schluss alles in der ersten Szene auflöst.

Die Schauspielschule Zerboni begeistert mit einer Szene zwischen zwei ungleichen Pärchen. Es geht um Betrug, Sehnsucht, Liebe und den Rückblick auf die verschiedenen Ehen, nie Gewagtes und verpasste Erfahrungen. Unterstützt wird diese Performance durch die perfekt synchronisierten Dialoge zwischen den Paaren.

Eine ungewöhnliche Nutzung der Requisiten bietet Schauspiel München. Es geht um vier Schauspieler, die hinter den Kulissen einen Rückblick auf ihre Arbeit, vergangene Beziehungen und Erfahrungen, werfen. Im Fordergrund steht die Inszenierung eines fiktiven Stückes, wozu die Schauspieler in Umzugskartons gehüllt sind.

Insgesamt überzeugen alle Schulen mit großer Spiellaune und einem abwechslungsreichen Programm, welches beste Unterhaltung voller Kreativität bietet.

Ein gelungenes, sehenswertes Projekt, das auf jeden Fall nächstes Jahr wieder stattfinden sollte!

 

 

 Den MAX nahm am letzten Abend die Schauspielschule Zerboni mit nach Hause.

 Herzlichen Glückwunsch!