Wenn die Realität dazwischenhaut

Kay Voges stellt sich den Fragen von Simone Kaempf

29. März 2019. Das Gastspiel von Ersan Mondtags Dortmunder Produktion "Das Internat" beim Berliner Theatertreffen 2019 fällt aus. Der Fall sorgt für Wirbel. Technische Hindernisse werden von den Berliner Festspielen und dem Theater Dortmund als Begründung für den Ausfall angeführt. Aus Medienberichten der vergangenen Tage vernahm man, dass die Produktion hinter den Kulissen für Verwerfungen sorgte. Simone Kaempf hat für nachtkritik.de beim Intendanten des Schauspiels Dortmund Kay Voges nachgefragt.

nachtkritik.de: In der ersten Begründung für die Theatertreffen-Absage hieß es, dass es Probleme bei der Spielstätten- und Terminfindung gab. Dann wurde bekannt, dass der Aufbau des Bühnenbilds sieben Tage dauern würde. Immerhin ist es noch vorhanden. Warum war es nicht möglich, einen geeigneten Spielort für das Gastspiel beim Berliner Theatertreffen zu finden?

Kay Voges: Wir haben am 30. Januar erfahren, dass wir mit "Das Internat" zum Theatertreffen eingeladen sind und haben von da an versucht, in enger Zusammenarbeit mit Yvonne Büdenhölzer, dieses Gastspiel möglich zu machen. Es wurden verschiedene Spielorte und Terminvarianten besprochen, es wurde eruiert, wie die technische Umsetzung an diesen Orten jeweils sein könnte, wir haben dispositionell versucht, die Wiederaufnahme-Proben mit den elf Gästen, die beteiligt sind, hinzubekommen. Dann sind wir nach Berlin gefahren, haben gemeinsam mit Yvonne Büdenhölzer das HAU1 besichtigt. Letztendlich haben wir uns gemeinsam eingestehen müssen, dass es keine Lösung auf Grund terminlicher Probleme im Zusammenhang mit einer geeigneten Bühne gibt. Das war nach sechs Wochen Arbeit eine Niederlage für uns alle.

Der Knackpunkt ist der Aufbau des Bühnenbilds über sieben Tage?

Nein anders, fünf Tage wird aufgebaut, ein Tag wird gespielt, ein Tag wird abgebaut.

Internat4 560 Hupfeld u"Das Internat", Regie und Bühne: Ersan Mondtag, Theater Dortmund, Premiere: 9. Februar 2018  © Birgit Hupfeld

Und es fand sich kein Haus, das sieben Tage zur Verfügung steht?

Wir hatten die Chance, fünf Tage ins HAU1 zu gehen. Das HAU1 wäre wunderbar gewesen, aber die Zeit hat leider einfach nicht gereicht.

Das Bühnenbild ist sehr kleinteilig auseinandergenommen, es hieß, dass es wie ein Puzzle zusammengesetzt werden müsse. Es lag im Vorwege ja schon in der Luft, dass "Das Internat" im Rennen ums Theatertreffen ist. Warum hat man nicht versucht, das Bühnenbild in einem anderen Zustand aufzubewahren?

Bühnenbilder laufender Inszenierungen werden im Theatermagazin gelagert, die Lagerflächen für den laufenden Vorstellungsbetrieb sind begrenzt. Im Fall von "Das Internat" sind es drei große Wagen, so stand das spektakuläre Bühnenbild im Magazin. Man hat diese Wagen während des laufenden Spielbetriebs rausgefahren, fast fünf Meter hoch mal zehn Meter, das Bühnenbild konnte so am Tag der Vorstellung aufgebaut und am nächsten Tag abgebaut werden. Am 11. Juli 2018 wurde die letzte, 13. Vorstellung gespielt, das Publikums-Interesse hier in Dortmund war damit beendet. Da wir allerdings Besuch von Juroren des Theatertreffens hatten, gab es die Möglichkeit, dass wir vielleicht eine Einladung zum Theatertreffen 2019 erhalten. Vielleicht. Wenn ein Stück abgespielt ist gibt es einen Abspielbescheid, das heißt, das Bühnenbild, die Kostüme und Requisiten sind zur weiteren Verwendung freigegeben. Im Falle von "Das Internat" gab es keinen Abspielbescheid, wie es sonst üblich ist, sondern das Bühnenbild wurde demontiert, die Kostüme, Requisiten und das demontierte Bühnenbild in fünf großen Containern eingelagert und ins Außenlager gebracht, wo sie nun seit Juli 2018 stehen.
Als wir die Einladung zum Theatertreffen erhalten haben, sind wir sofort in die Planung für das Gastspiel gegangen. Das Bühnenbild hätten wir auf unserer Hauptbühne zusammengesetzt, um es statisch zu ertüchtigen für die Wiederaufnahmeproben in Dortmund, um es dann wieder auseinanderzunehmen und für den Transport nach Berlin in die Container zu packen. Das sind ganz theaterpraktische Vorgänge, um zu vermeiden, sich mit einem halben Bühnenbild beim Theatertreffen lächerlich zu machen.

KayVoges 560 EdiSzekely uDortmunds Schauspielintendant Kay Voges auf der Theater-und-Netzkultur-Konferenz "Enjoy Complexity" 2018 in Dortmund © Edi Szekely

Stefan Keim hat in einem Radio-Beitrag angedeutet, dass es Probleme während der Produktion gab mit den Arbeitsbedingungen. Können Sie das bestätigen?

Die Inszenierung in ihrer Gesamtästhetik ist der Grund, warum das Stück zum Theatertreffen eingeladen ist, das Bühnenbild in seiner Art ist mit der wichtigste Bestandteil des Ganzen. Wir sind im November der letzten Spielzeit aus unserer Interims-Spielstätte zurückgezogen in das Theater, das wirklich noch eine halbe Baustelle war, in den theatereigenen Werkstätten waren erschwerte Bedingungen durch mehrere Krankheitsfälle. Es gab hier einen personellen Engpass und wir sind mit dem Bühnenbild wirklich Spitz auf Knopf vor der Premiere fertig geworden. Das ist unschön, aber die Wahrheit.

Ersan Mondtag hat auch nochmal bestätigt, dass sich seine Anwürfe während der Proben gegen die Technik und sonst nichts gerichtet haben. Auch wenn sich zwischendurch einiges vermischt hat.

Ersan hat dieses fantastische Bühnenbild kreiert. Aber es passiert in dieser Welt, dass Dinge nicht fertig werden, da kann er sauer auf die Werkstätten sein, nicht auf die Technik. Es gibt Zeitvorstellungen und -pläne und dann gibt es eine Realität, die einem dazwischen haut.

Die Arbeit wird beim Theatertreffen mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet. Hätte man in dem bereits probeweise aufgebauten Bühnenbild zumindest einmal spielen können, um die Vorstellung aufzuzeichnen? Dass es keine Aufzeichnung geben wird, hat ja auch für Irritation gesorgt.

3sat hatte auch seinen Zeitplan, bis wann die Aufzeichnung stattfinden sollte. Die elf Gäste, die spielen, haben auch anderweitige Verpflichtungen, Ersan steckt auch in Projekten, es ist ja nicht so, dass nur Dortmund Probleme mit Termin-Findungen hat.

Das klingt nach vielen Diskussionen vor und nach der Premiere...

Man muss nochmal betonen: Wir haben gemeinsam alles versucht, ein Gastspiel in Berlin hinzukriegen. Dortmund ist stolz darauf, zum Theatertreffen eingeladen zu sein, wir haben wirklich nichts unversucht gelassen und bedauern es zutiefst. Das haben wir auch mit der ersten Pressemitteilung ganz ernsthaft so gemeint. Die Enttäuschung, die Ersan empfindet, weder eine 3sat-Aufzeichnung zu bekommen, noch das Stück in Berlin zeigen zu können, ist von meiner Seite komplett nachvollziehbar. Da bin ich Regie-Kollege genug, ich wäre auch enttäuscht.

Die erste Begründung war sehr knapp gehalten. Und natürlich fragt man sich dann, welche Rolle die Konflikte gespielt haben.

Pressemeldungen sind dazu da, einen Fakt bekannt zu geben, kurz und knapp und verständlich. Hausinterne Konflikte lösen wir in Dortmund hausintern und nicht in Kommentarspalten oder Twittermeldungen. Die Konflikte und Probleme, über die Ersan in seinem Interview mit Stefan Keim gesprochen hat, haben nichts mit der Absage dieses Gastspiels zu tun. Hier werden Sachen vermischt, von außen herbei geredet und vielleicht auch von einigen Leuten forciert, deshalb noch einmal zum Schluss: Eine Einladung zum Berliner Theatertreffen ist eine große Auszeichnung, die Größte, die es gibt und die man sich wünscht - das ist eine große Herausforderung – derer wir uns gestellt haben, wir sind gemeinsam mit den Berliner Festspielen gescheitert – das ist eine große Niederlage für alle Beteiligten.