altFrames und Markierungen statt Form

von Sarah Heppekausen

2. April 2011. "Das hat bestimmt ein Praktikant geschrieben", frotzelt Mark Terkessidis. Der Migrationsforscher und Publizist ist alles andere als einverstanden mit dem "Wording" des Heimspiel-Programmbuchs. Er beschwert sich über Formulierungen wie "Einblick in eine fremde Kultur" oder die Festsetzung der Randgruppenidee. "Wenn ich so etwas läse, dann würde ich doch lieber nicht kommen."

Aber Mark Terkessidis ist da. Er ist nicht einer Randgruppe zugeordnet, sondern zum "Round Table Talk" beim Symposium eingeladen worden. Ein Expertengespräch zum Thema "Migration, Identitätspolitik und Theater" gemeinsam mit Rita Thiele (Chefdramaturgin am Schauspiel Köln) und Monika Gintersdorfer (Regisseurin aus der freien Szene und Fachfrau für ivorisch-deutsche Theaterabende).

Unterschiedliche Referenzräume

Es gibt die Fakten: Terkessidis nennt Zahlen. In Frankfurt zum Beispiel hätten 67 Prozent der Kinder unter sechs Jahren Migrationshintergrund. Thiele erzählt von der außergewöhnlichen Quotenregelung in ihrem Haus: Ein Drittel der Ensembleschauspieler stammen aus Familien mit internationalem Background. Gintersdorfer berichtet vom Theaterspielen in der Elfenbeinküste, wo Einheimische kein Geld fürs Theater, sondern für Nachtclubs und Alkohol ausgeben.

Es gibt die klare Positionierung: Stadttheatervertreterin Rita Thiele will sich nicht in Geiselhaft nehmen lassen von einer Politik, die mehr Migranten im Theater(publikum) sehen will. "Unsere Zuschauerorientierung ist aufs Bildungsbürgertum ausgerichtet." Und Theater keine Sozialarbeit. Mark Terkessidis will den Ausdruck "unterschiedliche Kulturen" ersetzen durch "unterschiedliche Referenzräume".

Und es gibt die Zukunftswünsche: Monika Gintersdorfer sehnt sich nach mehr Radikalität in der "wertkonservativen Bastion Stadttheater" und weniger Stillsitz-Theater. Rita Thiele wünscht sich auf der Bühne mehr Selbstverständlichkeit. "Es sollte doch scheißegal sein, ob jemand schwarz oder weiß ist." Und Mark Terkessidis hofft, dass Theater einen neuen Arbeitsansatz finden. Dass Impulse nicht aus bürgerlicher Angst entstehen, sondern aus der positiven Realität neuer Hybridität.

Andere Repräsentationsstrukturen

Vom runden Tisch zu schwarzen Sesseln: Darin haben es sich die Theorie-Schwergewichte Diedrich Diederichsen und Hans-Thies Lehmann beim Panel bequem gemacht. Nicht nur, um sich gegenseitig beim Wassereingießen zu assistieren, sondern vor allem um über Partizipation zu reden. Die gibt es nicht erst seit dem Heimspielfonds und nicht erst seit der "Duchampschen Wende" – seit alles und jeder zum Material der Kunst werden kann –, sondern schon seit der Antike. "Bei Aischylos waren Laien auf der Bühne", weiß Lehmann.

Im 18. Jahrhundert gab es dann laut Lehmann Schillers deutliche Unterscheidung von Kunst und Nicht-Kunst, das klassische Rollenspiel und die Übereinkunft, dass Kunst eine bestimmte Form ist, Realität abzubilden. Heute habe sich der Kunstbegriff verschoben, meint der Theaterwissenschaftler. "Frames und Markierungen sind an die Stelle von Form getreten", stimmt Diederichsen ihm zu. Den Kulturwissenschaftler und Autor zieht es immer wieder in Richtung Bildende Kunst bei Beispielen für Partizipation, Moderator Tobi Müller zieht zurück. Zum Theater. Diederichsens Diagnose für die Darstellende Kunst: Stadttheater erfüllen heute nicht mehr die Repräsentationsstruktur wie noch im 18./19. Jahrhundert. Aber die klassischen Theaterstrukturen sollten nicht gänzlich aufgelöst, sondern erhalten bleiben, und Partizipation als Politisierung und Demokratisierung der Situation verstanden werden.

Zeit zum Vertiefen bleibt nicht. Die nächsten "Theaterschaffenden, Architekten und Medientheoretiker" sitzen in Position beim nächsten "Round Table Talk". Dabei gibt es noch so viele Fragen. Zum Beispiel die: Müssen wir den Kunstbegriff der klassischen Ästhetik aufgeben, um neue Formen wie Partizipation zu integrieren? Ist der Einbruch des Authentischen nicht bloß eine Weiterentwicklung, auch wenn Authentizität im Falle "echter" Menschen auf der Bühne weniger im Affektiven als im Stofflichen liegt? Heute stehen sie wieder auf der Bühne. Mal sehen.

 

www.heimspiel2011.de