Presseschau vom 8. Juli 2018 - Die taz kritisiert Oliver Reeses erstes Jahr am Berliner Ensemble
Fast wie bei Claus Peymann
8. Juli 2018. Arg unzufrieden mit dem ersten Jahr von Intendant Oliver Reese am Berliner Ensemble zeigt sich Barbara Behrendt in der taz (7.7.2018).
Glück gehabt im Windschatten
Der Crash von Chris Dercon an der Volksbühne sei das Glück für Reese gewesen. Man habe seiner Arbeit angesichts des Dramas am Luxemburg-Platz einfach wenig Beachtung geschenkt. Reeses erste Spielzeit sei deutlich unter dem geblieben, "was er mit greller Marketingkampagne als 'neu', als 'Autorentheater' und 'politisches Gegenwartstheater' (O-Ton Reese) gelabelt hatte".
Anspruch und Wirklichkeit
Reese habe "der Hauptstadt mit ihren postdramatisierten Bühnen" ein Theater der großen Erzählungen wiedergeben wollen. "Schauspieler und Autoren sollten im Zentrum stehen – Menschen und ihre Geschichten." Schon die Eröffnung sei aber am eigenen Anspruch erstickt, "politische Aussagen zu treffen, bisherige Zuschauer nicht zu verschrecken, neue hinzuzugewinnen, die Schauspiel- und Regiestars vorzuzeigen und gleichzeitig neue Namen zu präsentieren". Reeses Schwerpunkt, "das Autorentheater", sei im Kleinen Haus unter die Räder geraten.
Der Spielplan
Behrendt rechnet dann Stück für Stück mit Reeses Programm ab, ein Auszug: Geboten habe der Start am Schiffbauerdamm mit "Caligula" und dem "Kaukasischen Kreidekreis" "große Kostüme, Clownsmasken, Theaterdonner" – fast wie bei Claus Peymann. Der Tiefpunkt der Saison dann im Winter mit Ola Mafaalani "Kinder des Olymp", die Arbeit sei bereits aus dem Spielplan verschwunden.
Vom neuen Autorentheater sei wenig zu sehen gewesen. Stücke von Duncan Macmillan und Dennis Kelly "konnten nicht überzeugen", Ersan Mondtag habe "eine schwache Arbeit zum Thema Altern und Sterben" präsentiert. Nur ein einziges Mal habe es neue Dramatik auf die Große Bühne geschafft: David Böschs Inszenierung von Tracy Letts’ "Eine Frau" sei kein "Großereignis, aber ein schöner, berührender Abend". Die Adaption von Benjamin von Stuckrad-Barres Autobiografie "Panikherz" habe Reese auf die Drogenexzesse reduziert und Barbara Bürks und Clemens Sienknechts "Ballroom Schmitz" sei ein "ziemlich seichtes Musical". Ausgerechnet Tennessee Williams’ "Endstation Sehnsucht" ein Stoff, der gar nicht recht in Reeses Programmatik passe, habe dem Haus einen "späten Erfolg" beschert. Hier sei endlich auch das Ensemble der großen Stars zur Geltung gekommen.
Autorenprogramm verwaist
Moritz Rinke verlasse Haus und das von ihm geleitete Autorenprogramm bis anhin ohne eine Premiere aufgrund "unterschiedlicher künstlerischer Auffassungen". Auch in der Dramaturgie suche man neues Personal. "Es scheint, als sei nicht alles harmonisch verlaufen."
(jnm)
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