Das Goldene Vließ - David Bösch reduziert die Grillparzer-Trilogie auf eine Ehestreit-Medea
Wir graben Ihrer Zukunft ein Zuhause
von Esther Slevogt
Berlin, 16. Oktober 2009. Der Anfang ist stark, die Szenerie unübersichtlich. Das fahle Licht Dutzender von Glühbirnen an meterlangen Kabeln dringt durch Nebelschwaden, aus denen sich bald ein junger Mann mit E-Gitarre an die Rampe drängt. Er singt im rauen Sehnsuchtston von der Jagd nach Glück und Ruhm, von der Jagd nach dem Goldenen Vließ. Dann hören wir vom Mord am Griechen Phryxus, der hier auf Kolchis jenes Vließes wegen ermordet wurde. Und bereits nach wenigen intensiven Minuten sind wir beim zweiten Teil von Franz Grillparzers monumentaler Trilogie "Das Goldene Vließ" angelangt.
"Die Ar-go-nau-ten", nölt Tino Mewes alias Absyrtus mit existenzialistischem Rockschmelz ins Mikroport und setzt satt vibrierende Töne auf der E-Gitarre nach. Singt von seiner Schwester Medea, die einem Fremdling verfiel, mit dem sie nun auch noch mitgehen will. Medea, ich liebe dich so, brüllt er herzzerreißend, fällt dabei auf die Knie und schmiert sich rotes Theaterblut ins Gesicht. Kenner von Grillparzers Original ahnen: Dies muss die Stelle sein, an der sich Medeas Bruder Absyrtus von der kolchischen Klippe stürzt, als Jason, der Verführer seiner Schwester, mit ihr flüchten will und ihn zuvor als Geisel nimmt.
Selbstironische Entsorgungsarbeit
Blutverschmiert steht Absyrtus noch einmal auf, um auch den Fluch seines Vaters Aietes über Medea ins Publikum zu werfen. Und dann wieder im Nebel zu verschwinden, aus dem er kam – von wo er im Laufe des Abends immer mal wieder auftaucht, um aus dem Jenseits der abtrünnigen wie unglücklichen Schwester ins Gewissen zu reden, als sich der väterliche Fluch bereits erfüllt hat.
So weit, so cool. Und auch höchst selbstironische Entsorgungsarbeit am Grillparzer-Pathos, dessen erste beide Trilogie-Teile nach, sagen wir sieben Minuten abgehandelt und auf den Sperrmüll verfrachtet worden sind. Allerdings fragt man sich, als sich die Nebel gelichtet haben, ob dies wirklich eine richtige Entscheidung war. Wir sind unversehens bei Teil drei der Trilogie, bei "Medea" angelangt: eine weiße, endzeitige Sperrmüllandschaft mit Plastikstühlen, weiß gestrichenen Bierkisten, Bildschirmen und Möbelfragmenten, in denen drei überlebensgroße Bambi-Figuren stehen, die aussehen, als stammten sie aus einem alten Märchenpark.
Mittendrin in diesem Drehbühnenchaos ein Paar, dessen Körpersprache sofort unmissverständlich klar macht, dass es sich nichts mehr zu sagen hat – Jason und Medea, gewandet in eine Prekariatsuniform: sie mit Blümchenunterrock, er mit schlabbriger Cargohose. Die beiden sprechen von Flucht und dass sie nirgends Aufnahme finden. Allerdings weiß man nach dem lockeren Vorspiel nicht wirklich, wovor sie eigentlich fliehen. Und auch nicht, worin das Verhängnis oder gar die Verwerfungen bestehen, die hier offensichtlich zu einem enormen sozialen Absturz geführt haben. Jason will es nun bei König Kreon versuchen, allerdings fürchtet er, dass der nur ihm selbst und den Kindern, nicht aber ihr, der Barbarin, Zuflucht gewähren wird. Und kann dann doch auch für sie Asyl erwirken, wenn auch nur kurz.
Das Tragische lässt sich nicht herunterrechnen
Der einunddreißigjährige Regisseur David Bösch hat in seiner ersten Berliner Regiearbeit das Stück im Kontext der Spielzeitauseinandersetzung des Deutschen Theaters mit dem Fremden inszeniert und das Fremde nicht ethnisch, sondern sozial interpretiert. Seine Medea (Katrin Wichmann) ist, wie es scheint, ein komplexes Unterschichtskind, das nun dem Gatten (Alexander Khuon) die Rückkehr in den Mittelstand unmöglich macht; der dann kaum, dass er sich zur Entscheidung durchgerungen hat, Medea zu verlassen, die schmuddeligen Cargohosen in spießiges Flanell eintauscht. König Kreon (Sven Lehmann) ist ein aasiger Unternehmertyp, der sich anfangs nur schwer dazu durchringen kann, den verlorenen Sohn seines einstigen Geschäftspartners wieder aufzunehmen. Dann aber doch das adrette Töchterchen Kreusa (Claudia Eisinger) mit ihm verheiraten will.
Aber all das wird nicht sehr plausibel, denn die Figuren sprechen, wenn auch radikal gekürzt, immer noch den Text von Grillparzer, der vom Fremdsein, der Gier nach Glück, Schuld und Verhängnis, von Königen und Königreichen handelt, nicht von Unternehmern und ihren abtrünnigen Söhnen. Vom Goldenen Vließ und nicht von einem Bausparvertrag. Das Drama von 1821 lässt sich auch in seiner Rumpffassung nicht einfach auf das Format einer Beziehungsgeschichte zwischen Strindberg und Vorabendserie herunterrechnen. Weil den Figuren mit dieser Umwidmung die Fallhöhe abhanden kommt, aus der die tragischen Konflikte resultieren.
Klassische Theaterzimmerschlacht
Die Beziehungsgeschichte ist allerdings packend und voller Empathie für beide Figuren, für Jason und Medea, inszeniert und wird von Khuon und Wichmann mit großem emotionalen Einsatz gespielt – eine klassische Theaterzimmerschlacht mit hochkarätigen Boulevardtönen: wenn das Paar im Ehekrieg unvermittelt von der physischen Aggression in den Austausch alter Zärtlichkeit verfällt, weil sich ihre Körper erinnern, dass sie sich einst liebten. Wie Alexander Khuon seinen Jason als Zerrissenen zwischen den wilden Jugendträumen von einst, für die noch Medea steht, und seiner Sehnsucht nach dem Establishment, einem anständigen Job und geregeltem Einkommen spielt. Und Katrin Wichmann die Medea als gnadenlos verzweifelte, aber auch hilflose Frau, die sich schließlich der männlichen Macht fügt.
Selbst dem Schluss kann man etwas abgewinnen. Dass Bösch offen lässt, ob Medea die Kinder wirklich ermordet und nicht nur in ihrer Phantasie mit diesem mörderischen Gedanken gespielt hat, ist in seinem Realismus fast berührender, als der Schrecken der Tragödie es gewesen wäre: Medea, die am Ende resigniert vor dem Fernseher hängen bleibt, während Jason mit zwei Koffern und zwei Paar Stiefeln kommt – offenbar gewillt, der Ex nun doch beide Kinder statt nur eins zu überlassen. Trotzdem bleibt der Versuch, dem schwerblütigen Grillparzer-Drama nicht nur den Grillparzer sondern auch die mythische Wucht auszutreiben, ein Verlust.
Das Goldene Vließ
von Franz Grillparzer
Regie: David Bösch, Bühne, Patrick Bannwart, Kostüme: Falko Herold, Musik: Karsten Riedel, Dramaturgie: John von Düffel. Mit: Katrin Wichmann, Alexander Khuon, Tino Mewes, Sven Lehmann, Claudia Eisinger, Stephan Richter.
www.deutschestheater.de
Weitere Inszenierungen der Grillparzer-Trilogie Das Goldene Vlies (manchmal mit "s", manchmal mit "ß" geschrieben) hatten unter der Regie von Karin Beier im Mai 2008 in Köln und unter der von Robert Schuster im Mai 2007 in Leipzig Premiere.
Kritikenrundschau
Mit Franz Grillparzers "Das Goldene Vließ" habe es gegolten, das Deutsche Theater in Berlin zu erobern, schreibt Ulrich Weinzierl in der Welt (19.10.2009) und vermeldet ernüchtert: "Der Angriff ist fehlgeschlagen, und zwar auf denkbar läppische Weise." Da radikal gestrichen worden sei – "ratz-fatz: alles hin" – benötige Regissuer David Bösch lediglich eineinhalb Stunden: "Leider wirkt selbst das zu lang." Im "kruden Vernichtungsdrama" um Medea stecke "unbändige, abgründige Gewalt – und dank Grillparzer, der ein literarischer Vorläufer Sigmund Freuds war, verblüffend genaue Seelenanalyse. Durch sie, eine Art poetischer Gerechtigkeit, wird selbst das Unfassbare erschreckend begreiflich. Nichts davon bei David Bösch. Katrin Wichmann ist, vom Bloßfuß bis zum Blondschopf, keine Medea. Die Wildheit der Fremden zeigt sich einzig und allein daran, dass sie ihre hausfraulichen Pflichten vernachlässigt, die Wäsche schlampig aufhängt." Diese "sterbensmatte Produktion" sei "nicht Hauptstadttheater, eher tiefste Provinz".
Die im "Goldenen Vließ" eingesetzten DT-Schauspieler haben bei Irene Bazinger (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.10.2009) "hauptsächlich Mitleid" erregt, "weil David Bösch mit ihnen und Grillparzers Stücken offensichtlich rein gar nichts anzufangen wusste. Medea und Jason ziehen sich – ratlos, heillos, mutlos – auf den kleinsten Nenner ihrer großen Leidenschaftstragödie zurück: Sie küssen und sie schlagen sich ein bisschen, und dann zanken sie um die Kinder. Das wirkt, als wäre eine moderne Durchschnittsfamilie in die Krise geraten, die Suppe versalzen und das Konto gesperrt." Katrin Wichmann als Medea gelängen "mitunter Momente nüchterner Härte, in denen die Erinnerung an das vergangene Glück mitschwingt", Alexander Khuon als Jason sei dagegen "von Anfang an ein Waschlappen, dem niemand den kühnen Abenteurer glaubt, der in der Ferne das goldene Vließ geraubt hat".
Das Bühnenbild von Patrick Bannwart sei wunderbar, konzediert Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (19.10.2009): "eine Schutt- und Staublandschaft mit Plastikstühlen, Staubsauger, Kühlschrank, alles weißlich überzogen. Hervorragend würde es sich zum Beispiel für ein post-realistisches Stück wie Sarah Kanes 'Zerbombt' eignen. Hier aber ist es die Kulisse für die verstiegene Behauptung einer Tragödie. Denn Bösch lässt seine Darsteller zwar den Grillparzer-Text aufsagen, lässt sie also Worte wie 'Frevel', 'Bann', 'Götter' sprechen, aber sie klingen bei ihnen wie 'Mutti', 'Aua' und 'Hallöchen'." Die Schauspieler seien in einem Dauerdilemma: "Sie müssen hochtrabende Worte abwickeln, jede Fallhöhe ist ihnen aber genommen. Die Folge ist hohles, ratloses Illustrieren: Geht die Stimme in die Höh', werden die Arme in die Luft gestreckt, ist von Leid die Rede, werden die Schulten eingezogen." Überhaupt sei die ganze Inszenierung "ein einziges Achselzucken vor dem Stück, dem Fremden, den Figuren." Der Abend habe "keine Bilder, keine szenische oder psychologische Logik, keine in welche Richtung auch immer weisende künstlerische Dimension".
In David Böschs Inszenierung sei Medea "viel mehr zermürbte Ehefrau als dämonische Fremde", schreibt Simone Kaempf in der Berlin-Ausgabe der tageszeitung (19.10.2009). "Verletzt von ihrem Schicksal in der Vergangenheit und jetzt vor allem von ihrem Mann Jason, der Belehrungen parat hat, aber keine Gefühle mehr hegt. Alexander Khuon spielt ihn voller Zerrissenheit, halbherzig ringt er sich zur Trennung durch, die im Stil einer klassischen Wohnzimmerschlacht ausgetragen wird. (...) Aus den Liebenden sind Hassende geworden, und wie Khuon und Wichmann das spielen, ohne Overacting, mit nach innen gerichteten Gefühlen, erwecken sie die Schmerzen dieser Trennung eindringlich zum Leben." Das Drama der Entzweiung mache "die Qualität von Böschs Inszenierung aus", es überdecke "allerdings auch Medeas und Jasons Vergangenheit, in der ihre Trennung doch erst begründet liegt".
Ein "Abend der leeren Begierden" schreibt Patrick Wildermann im Berliner Tagesspiegel (18.10.2009). Bösch zeige eine Paarbeziehung in der Krise, nicht den Clash der Kulturen, auf den in Grillparzer-Deutungen gern abgehoben werde. Aus gutem Grund gelte Bösch als Regisseur, der sich auf große Emotionen verstehe und weder Kitsch noch Pathos fürchte. Hier aber vermittelt er "kaum ein Gefühl für die Tragik der beiden, weil ihre Fremdheit in der Fremde keine Restvertrautheit spüren lässt". Die stärksten Szenen gehören aus seiner Sicht "der hervorragenden Katrin Wichmann als Medea, der Jasons Jugendliebe Kreusa als Nebenbuhlerin vorgesetzt wird (zum netten Mädchen verharmlost: Claudia Eisinger), die von König Kreon verleumdet wird (eine Karikatur der Machtarroganz: Sven Lehmann), und die schließlich isoliert und abgeschoben von der duldsamen Strickjackenmutti zur tödlich Verletzten wächst." Nur bleibe sie damit in jeder Hinsicht einsam. Es ist ein Abend der leeren Begierden, so ungreifbar wie das titelgebende Vlies."
Angesichts der pathetischen Möglichkeiten des Stoffs zeigt sich Daniel Stender in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (18.10.2009) grundsätzlich dankbar, dass David Bösch und sein Dramaturg John von Düffel auf das volle Grillparzer-Programm verzichtet haben und sich ganz auf die Trennung von Medea und Jason konzentrierten – "auf ein zeitloses Scheidungsdrama mit griechischen Vornamen also." Medeas und Jasons scheiternde Ehe wirke "ganz gegenwärtig als große Koalition der Gefühle: Keiner ist ganz böse, keiner ist ganz gut, jede Seite hat solide Gründe für ihre Verzweiflung. Auch bei letzten Fragen ("Wer bekommt die Kinder?") könnte ein gütiger Scheidungsrichter sicher eine Einigung erzielen, wenn es nicht Grillparzers Stück wäre, das hier gespielt werden muss."
Jürgen Otten, in der Frankfurter Rundschau (20.10.2009) enthält sich einer deutlichen Wertung. Er schreibt: Bösch interessiere sich vor allem dafür, wie "die Liebe, die zunächst als Monument erscheint, zerfällt". Die Blicke, die Katrin Wichmann und Alexander Khuon "mehr aneinander vorbei werfen denn füreinander übrig haben", seien "anämisch und grauweiß wie das Interieur" der Bühne. Es handele sich um ein "bürgerliches Trauerspiel", in das Sven Lehmann als Kreon hineintrete, "ohne auch nur den Hauch an Verständnis, geschweige denn Sentimentalität mitzubringen". Seine "verrucht-knarzige Stimme" schneide in die "karstige Szene hinein wie ein Schwert. Noch schlimmer aber ist sein mokantes Schmunzeln. Das vernichtet alles und jeden." Lehmann spiele mit "einer Kaltblütigkeit, die nicht anders als grandios zu nennen" sei. Es verwundere wenig, dass Medea angesichts diverser "Demütigungen" zu einem "wilden Tier" werde. Und je länger je stärker wachse die Gewissheit, dass Jason ein "mediokrer Feigling" sei.
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Oder der raspelkehlige Brüller Sven Lehmann als cooler Geschäftsmann-König, der spöttisch die Augenbraue lupft, wenn von den Göttern die Rede ist - kein Klischee?
Am ärgsten aber die komplette Hilflosigkeit der beiden Hauptdarsteller, schniefend und heulend Katrin Wichmann, und beide, Wichmann und Khuon, Arme schlenkernd an der Rampe, bei Aufregung stereotyp die Arme hoch reißen, Modulationsfähigkeit der Stimmen gegen Null gehend, obwohl beide nachweislich besser können - was war denn das? Berührendes Spiel schreiben einzelne KritikerInnen, was haben sie gesehen? Wie Herr Roland oben so schön schreibt: vielleicht eine andere Aufführung in einem anderen Berlin?
Man muss kein konservativer Kritiker sein, man muss auch nicht darauf pochen, Bösch habe sich dem Übergroßen, der Tragik gefälligst stellen sollen oder aber eben zu Thomas Jonigks Stücke greifen, denen von Albee oder meinetwegen Schwab, statt den Grillparzer zu streichen; man muss der Dramaturgie kein Versagen vorwerfen, weil sie Medea spielen lässt, aber behauptet, hier ginge es ums Goldene Vlies, das alles muss nicht sein, aber man kann schwerlich übersehen, dass David Bösch die Schauspieler ziemlich alleine gelassen hat und dass ihnen das gar nicht gut bekam.
Mit gutem Gruß
Buteiro
entschuldigen Sie bitte meine Unachtsamkeit im Auffassen Ihres Namens.
Aber wenn Sie nun schreiben, Sie hätten das von mir und einzelnen Kritikern Beschriebene nicht gesehen, und sich stattdessen mit meinem angeblichen Vortragston aufhalten, entziehen Sie sich schlicht einer Auseinandersetzung. Was haben Sie denn, was die Spielweise und Ausdrucksmittel der SchauspielerInnen betrifft, gesehen?
in der Tat teile ich recht weitgehend die Auffassung des Kritikers der Berliner Zeitung.
Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen und stelle fest, dass nun wiederum ich nicht gesehen habe, wie Katrin Wichmann ihre trockene Wut zeigte und unaufgeregt verzweifelt war. Vielleicht drang es nicht bis zur 11. Reihe vor, dieses Staunen und die Wut, vielleicht saßen Sie besser, dass Sie erkennen konnte, wie die Schauspielerin den Wahn der Figuren um sie herum spiegelte. Und, entschuldigen Sie, aber Khuon war auch bei Gosch nicht gerade eine das Spiel tragende Figur, Sie erinnern sich sicher noch an die groteske Ringkampfszene mit Harfouch in der Möwe, wo die Dame raste und man doch immerzu Angst haben musste, sie würde den Trigorin gleich auffressen. Ähnlich lasch, Sie nennen das Softietum, kommt er als Jason daher. Ein Kriegsheld mit großen, brutalen Erfahrungen soll er sein. Und da die Aufführung ja nicht aus disparaten Rollenauffassungen gebaut ist, sollte er als solcher wohl auch glaubwürdig sein. War er glaubwürdig als griechischer Krieger? Als Krieger überhaupt? Oder eben doch nur ein sehr friedlicher Angestelltentypus? Vielleicht werden Sie sagen: genau, gerade das sollte er ja auch sein, das ist doch die Konzeption der Aufführung. Dann würde ich antworten: ja aber muss denn alle Differenziertheit der Figur, muss die Brutalität des Mannes abgeschliffen werden und dieses laue Spiel dabei herauskommen. Nochmal weise ich auf die ausgestreckten oder hochgereckten Arme hin bei Aufwallungen. Das war ebenso stereotyp wie hilflos.
Und von wegen Schniefen: erinnern Sie sich doch bitte, Medea klettert ins Zelt am Ende uind was hören wir? Regelmäßiges Schniefen? Oder sollte das mein Nebenmann gewesen sein? Aber o.k., darauf kommt es vielleicht nicht an. Ich war halt doch ziemlich schockiert, dass Bösch und Wichmann dieses doch für uns auch Unbegreifbare der Medea, die ihre Kinder tötet (oder auch nur darüber nachdenkt), in eine hundsordinäre Ehestreiterei überführen, mit der dazu vielleicht auch passenden, sehr neutralisierten Spielweise. Ich verstehe das eben nicht, wenn jeweils das Naheliegendste getan wird. Ich lese den Text oberflächlich, finde Wut oder Kränkung oder Ähnliches, also wird gebrüllt. Das ist doch naiv.
Gruß
Buteiro
die lakonie und das beiläufige traf das realitätsfremde,gourmethafte von trigorin so genau und auf so wenig effektheischende weise dass einem blinden wie ihnen die brillanz dieser darstellung völlig entgeht.
Hochachtungsvoll
B.
Ich kann es gar nicht ausdrücken und zitiere deshalb den von Ihnen geschätzten Kritiker der Berliner Zeitung, der hier auf Nachtkritik seinerzeit schrieb: "Alexander Khuon, schreit und tobt bis ihr (Irina/Harfouch) die Knie schmerzrot gefärbt sind und er überrumpelt am Boden liegt – das ist kein Rollenspiel mehr, das ist nacktes Existenz-Vorführen."
Ich denke man sollte die Schwächen dieser Inszenierung, wenn überhaupt, dann weniger bei den Schauspielern als bei Regie und Dramaturgie suchen. Wieso musste Alexander Khuon hier überhaupt als Jason einspringen? Hat das schon mal jemand geklärt? Da war doch eigentlich Andreas Döhler vorgesehen. Wieso die Umbesetzung?
und: im foyer hörte ich raune, daß khuon erst eine woche vorher übernommen hätte? stimmt das? wenn ja: hut ab. alles klar. gut gerettet. wunderbar. ansonsten: etwas schwächlich auf der brust, der gute. mehr power bitte. nicht so viel sitzfleisch, sondern mehr bewegung im hintern. - doch hoffen wir mal ersteres...
(Dramaturg war John von Düffel, die Red.)
Nun mach mal halblang. Wilms hat fünf Jahre gebraucht, bis das Haus mal "Theater des Jahres" wurde. Die ersten Spielzeiten haben vom Ruf einer einzigen Aufführung ("Emilia Galotti") gezehrt. Und auch in den letzten Jahren war jenseits von Gosch, Thalheimer und (manchmal) Gotscheff nicht alles Weltniveau.
Das eine ein bisschen in diese, das andere ein wenig in jene Richtung gerückt, so entsteht vielleicht ein wenig Raum.
Um über eine Inszenierung zu sprechen, die nicht umwerfend angelegt ist, und dennoch, auch kopfschüttelndes, Interesse zu erregen vermag.
Die sicher nicht die brennendste Deutung dieses Stücks geliefert , aber sich eben auch nicht für ein vollkommen redundantes Thema entschieden hat.
Und zumindest mir keinen Anlass zu Verriss oder flammender Verteidigung bietet.
Nenn es unaufgeregt, nenn es fokussierend, nenn es ängstlich, nenn es mittelmäßig, nenn es ausweichend, nenn es feministisch - ich habe im Deutschen Theater vor allem ein Sowohl-Als Auch auf der Bühne gesehen.