Segen der Erde - Robert Borgmann schöpft Knut Hamsuns Roman am Schauspiel Köln aus Urwasser und Urschlamm
Entglitscht
von Tilman Strasser
Köln, 29. Mai 2015. Da ist endlich der Nazi: Wenn Miguel Abrantes Ostrowski in der Rolle des Beamten Geissler einmal mehr aufmarschiert, um seine neuesten Pläne für die Kupfergruben kund zu tun, tut er's in Mantel, Mütze, Handschuhen, Stiefeln – nur die Hakenkreuzbinde fehlt noch zur kompletten schwarzen Gestapo-Uniform. Knut Hamsun, Autor der Romanvorlage "Segen der Erde", war ein Bewunderer Hitlers. Könnte ein Grund sein, warum selbst sein Opus magnum nur zögerlich adaptiert wird (Wikipedia weiß von genau einer anderen Bühnenumsetzung, von Sebastian Hartmann), und wenn, muss die schreckliche Verfehlung des Schöpfers mindestens einen Auftritt bekommen.
Heil in der Natur
Es bleibt längst nicht die einzige Referenz auf NS-Kontexte, die Robert Borgmann im "Segen der Erde" findet. Das Buch stammt von 1917 und heimste den Literaturnobelpreis ein, der Regisseur entlockt ihm pflichtschuldig Elemente mittelalterlich-strenger Religiösität wie heutig-flapsiger Sprache. Thematisch allerdings speist es sich aus der Notlage des Ersten Weltkriegs, als Skepsis gegen die entfremdende und todbringende Technik aufzog.
Der Landmann Isak sucht sein Heil in Natur und Selbstversorgung, seine von einer Hasenscharte entstellte Frau Inger teilt das einfache Leben mit ihm. Isaks Land aber birgt Ressourcen (die eingangs erwähnten Kupfergruben), weshalb die Zivilisation (nicht nur in Form Geisslers) die Finger danach streckt. Unheil bringt die Familie allerdings auch selbstständig über sich: Inger ertränkt ihr drittes Kind, weil sie nicht ertragen kann, dass das Mädchen ebenfalls eine Hasenscharte hat. Sie kommt ins Gefängnis und kehrt von der Stadt verdorben zurück – eine Verhängnisspirale in Gang setzend, die die nächste Landluft-Generation gleich mit in den Abgrund reißt.
Mal Moor, mal Meer
Das Luftholen fürs Epos gelingt Borgmann wunderbar: Ein herrlich hilfloser Marek Harloff als Isak tapst zu Beginn durch die von Blitzen erhellte Schwärze. Die Bühne ist eine Wasserfläche, an deren Rändern sich die Zuschauer auf zwei Geraden gegenübersitzen – und staunen, was dieses Wasser im Lauf des Abends alles wird: Mal Urschlamm, mal Fruchtwasser, mal Moor, mal Meer, sogar Kaffee lässt sich bei Einbruch des Bürgertums vom Boden schöpfen. Anfangs ist es hauptsächlich Urschlamm, denn als Isak auf Julia Riedlers rüde Variante der Inger trifft, wird sich erst einmal ausgiebig gepaart. Geboren wird kurz darauf, die Söhne Eleseus (Janis Kuhnt) und Sivert (Justus Maier) entglitschen. Bis hierhin sind vielleicht zehn Worte gefallen, aber ein archaischer Ton etabliert.
Die Kraft aber verliert sich. Es muss schließlich eine Menge erklärt werden: Wem Isaks Land wann eigentlich gehört, was er für wie viel davon kauft und wieder verkauft, und wie nun mit den Kupfervorkommen zu verfahren ist. Da kann schon mal das Tempo stocken. Miguel Abrantes Ostrowskis Geissler, stellvertretend für mehrere Neustartversuche, flüchtet ins Schrille: Er berichtet aus der Stadt in grell überspielten Monologen, die auch live eingespielte Sphärenklänge von Webermichelson nicht atmosphärisch dämmen können.
Dabei reagiert die Inszenierung immer wieder klug auf die Herausforderungen der Vorlage – zum Beispiel, wenn Isak eine herabhängende, na klar: Kupferplatte zum Zeichen vergehender Jahre herumwirbelt, in der sich zuvor noch seine zeitlos verwunderten Kinder gespiegelt haben. Eine Holzplanke wird vom skurrilen Vermessungsinstrument zum tropfenden Dachfirst umfunktioniert, Lena Geyer wandelt sich elegant vom ertränkten Säugling zur auktorialen Erzählerin und gleich weiter zur nächstgeborenen Tochter: Kein Mangel an szenischen Einfällen. Die Crux ist, dass Borgmann die eigenen Ideen erschlägt, indem er unbedingt den ganzen Roman und sein üppiges Personal mitschleppen will. Der Ehrgeiz zwingt zum Auserzählen, wo Aussparungen wirkmächtiger wären.
Konsumgier und Libido
Gespart wird stattdessen an der Figurenentwicklung: Isak ist schon überfordert, bevor er den ersten Satz sagen muss, Inger schon bösartig, ehe sie ihre Tochter ersäuft. Womöglich dem Originaltext geschuldet – aus dem sich die Bearbeitung indes hartnäckig Passagen pickt, in denen erklärt wird, was die Darsteller ohnehin gerade zeigen. Als ob die Botschaft schwer zu verstehen wäre: Die Nachkommen, mit Henriette Nagel als aufreizende Barbro und dem nunmehr erwachsenen Eleseus, wiederholen stumpf die Verfehlungen ihrer Eltern. Kontakt mit dem Städterleben ist nur der Auslöser für in den Charakteren angelegte Liederlichkeit, sofort gehen Konsumgier und Libido eine (übrigens fragwürdige) Symbiose ein, und am Ende wird wieder ein Kind ertränkt. Die Stunden dazwischen wälzt, suhlt und vögelt sich das Ensemble tropfnass in der Wasserschicht, kann aber die dramaturgischen Trippelschritte nicht überspülen.
Es bleiben starke Bilder: Ein zum Sarg umfunktioniertes, über Nebelfäden trudelndes Boot, ein Erzähler, der, während er den Untergang beschwört, vor künstlichen Rauchschwaden überquillt. Es bleibt der Eindruck von hochengagierten Darstellern – und der schale Erkenntnisgeschmack, dass weniger (Plotballast, Textballast, Schreikrampf) mehr Erlebnis gewesen wäre.
Segen der Erde
nach dem Roman von Knut Hamsun
Regie: Robert Borgmann, Bühne: Rocco Peuker, Kostüme: Robert Borgmann und Birgit Bungum, Musik: Webermichelson, Licht: Michael Frank, Dramaturgie: Nina Rühmeier.
Mit: Marek Harloff, Julia Riedler, Janis Kuhnt, Justus Maier, Lena Geyer, Lou Strenger, Jakob Leo Stark, Seán McDonagh, Henriette Nagel, Miguel Abrantes Ostrowski.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.schauspielkoeln.de
Mit seiner Uraufführung von Ewald Palmetshofers die unverheiratete gastierte Regisseur Robert Borgmann in diesem Jahr auf dem Berliner Theatertreffen und bei den Mülheimer Theatertagen. Mehr über die Arbeit von Robert Borgmann finden Sie im nachtkritik.de-Lexikon.
Robert Borgmanns Dramatisierung von Hamsuns "Segen der Erde" sei "viel mehr als bloße Illustration, hat Wucht und herbe Schönheit", schreibt Christian Bos im Kölner Stadt-Anzeiger (1.6.2015). Mit der ersten Szene etabliere Borgmann "einen archaischen, fiebrigen Ton, den Regisseur und Ensemble über weite Strecken des langen Abends aufrechterhalten." Zwar gebe es auch Auftritte, die "allzu offensichtlich dem Stadttheater-Baukasten" entstammten: "Hysterische Selbstgespräche, Fascho-Uniformen, Nebelmaschinen." Doch "trotz kleiner Durchhänger" sei das Ganze "ein zwingender, dichter, empfehlenswerter Abend".
Robert Borgmann habe Hamsuns "markant monolithisches Werk in eigener Fassung mit großer Bildkraft" inszeniert, meint Hartmut Wilmes in der Kölnischen Rundschau (1.6.2014). Und der Regisseur lese "das Werk nicht naiv als Einfachheitsevangelium. Gekämpft und gelitten wird hier wie dort: in der Plackerei des eintönigen Landlebens wie in der neuen Fortschrittswelt." Auf der Marathondistanz von vier Stunden warteten aber laut Wilmes auch "erhebliche Durststrecken. Schon vor der späten Pause flüchtet Borgmann vor dem drohenden Spannungsabfall ins halbstarke Wälz- und Schreitheater, das Intensität vortäuscht statt erzeugt." So würden "irgendwann selbst die magischen Bilder" verblassen.
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"Von Politik verstehe ich nichts", bekannte Hamsun !945, eine Erkenntnis,
die ihn jedoch nicht davon abgehalten hat, in den dreißiger Jahren und
während der deutschen Besetzung Norwegens eine ganze Reihe von Äußerungen
ausgesprochen politischer Natur über Hitler und Nazideutschland von sich
zu geben.
Außerhalb Norwegens - und zum Teil auch innerhalb - hält sich ein weit-
verbreitetes, bequemes Gerücht, diese Äußerungen und die darin zum Ausdruck
gebrachte positive Einstellung seien die Ansichten eines Mannes, der an
Altersdemenz, an Altersschwachsinn, litt. Das ist ein direktes Resultat
der Befunde der beiden Psychiater, die Hamsun auf Verlangen der norwegischen Regierung nach dem Krieg untersuchten und befanden, er leide
unter "nachhaltig geschwächten geistigen Fähigkeiten". Akzeptiert man diesen Befund, so entledigt man sich des moralischen Problems, das sich
ansonsten stellt, wenn man die Werke eines Bewunderers des Faschismus,
der in Hitler eine tapfere und bewegende Gestalt sah, liest und von ihnen
gefesselt ist. Diese Lösung übernahm zum Beispiel der Kritiker und
Musikwissenschaftler Hans Keller, um sich seine Liebe für Hamsun und seinen
Glauben an dessen Genie zu bewahren. In einer Rezension der WANDERER-Romane
im TIMES LITERARY SUPPLEMENT (TLS) erklärte er !975, Hamsuns Nazismus
"bedrückte mich sehr, bis mir neulich ein Kollege, der Musikchef von Radio
Norwegen, erzählte, daß außerhalb Norwegens niemand so recht wisse, wie senil Hamsun geworden war. Nachdem er Nazideutschland besucht hatte, wurde
er in einem Rundfunkinterview gefragt, ob er Hitler getroffen habe.
"Wissen Sie, ich bin so vielen Leuten begegnet, da kann ich mich wirklich
nicht erinnern." Ein, zwei Wochen später schrieb der englische Übersetzer
der WANDERER-Bücher, Oliver Stallybrass, einen Brief an das TLS und erklärte, die Antwort sei in Wirklichkeit ein Musterbeispiel für Hamsuns
versteckten Humor gewesen. Diese Erklärung zog wiederum einen Brief von
Keller nach sich, in dem er mit einigem Erstaunen feststellte, es scheine
"unpassend", daß ein Nazi darüber Witze machte, ob er Hitler getroffen habe oder nicht. Jemand, der dazu fähig war, stellte Keller offensichtlich vor ein Rätsel. Unglückliche Tatsache ist jedoch, daß Hamsun in der fraglichen Zeit keineswegs senil war, und es auch nie wurde.
"niemanden überraschen konnte, der sich an seine Verspottung Victor Hugos und Gladstones erinnerte. Doch was 1895 in ästhetischer Hinsicht ein interessanter Standpunkt war, ein literarisches Paradoxon, wird 1933 zu einer sehr politischen Position und wirft einen dunklen, unglücklichen Schatten über Hamsuns Ansehen als Dichter und Schriftsteller."
(KNUT HAMSUN, "Leben gegen den Strom", Biographie von Robert Ferguson,
1933-1940: Hamsuns politische Ansichten)
Er gab sich für eine kühne Erklärung seines Glaubens an die deutsche
Unbesiegbarkeit her, die am 12. Juni, dem Tag nach der Landung der Alliierten in der Normandie, sowohl im FRITT FOLK als auch in der AFTENPOSTEN erschien, obgleich er nach dem Krieg zugab, daß er zu dieser Zeit über die Entwicklungen nicht auf dem laufenden gewesen sei. Er habe das Gefühl gehabt, die Dinge entwickelten sich schlecht. Mit der Entwicklung des Krieges scheint seine Furcht vor dem Kommunismus immer stärker geworden zu sein, und gegen Ende hatte er vermutlich mehr Angst vor den Russen als vor den Engländern. Ein Brief an Victoria (Anmerkung: eine Tochter) vom 3. Juni 1944 vermittelte diesen Eindruck:
"Von Rußland haben wir jetzt in freimütiger Sprache das Schicksal unseres Landes erfahren. Unser verräterischer König und seine verräterische Regierung in London haben Norwegen an die Kommunisten und Bolschewiken in Moskau verkauft. Du kannst Dich mit dem Gedanken trösten, daß Du nichts mehr mit Norwegen zu tun hast. Uns bleibt jetzt nichts mehr als die Niederlage, wenn es den Deutschen nicht gelingt, uns alle zu retten. Gewiß, Deutschland ist ungeheuer stark, aber es muß leider gegen ganz Europa kämpfen. Alle Nationen sollten jetzt zusammenfinden, zusammenstehen und Deutschland helfen, uns vor dem Bolschewismus zu bewahren. Auch Frankreich.
Vielleicht sollte vor allem Frankreich das Schwert ziehen, denn kein einziges Volk wird der Umklammerung des russischen Oktopus entkommen, sollte Deutschland in der gigantischen Schlacht, die es in diesem Moment führt, versagen. Nun warten wir auf die Invasion, wir setzen große Hoffnungen in sie, gewiß wird Deutschland gewinnen! Wir müssen abwarten.
Vielleicht erlebe ich das Ende des Krieges nicht mehr mit, aber ich hoffe
Tag und Nacht das Beste. Natürlich sorge ich mich um das norwegische Volk, das diese schrecklichen Zeiten erleben muß, und für die kommenden Jahre bange ich um Norwegen, obgleich ich sie selbst nicht mehr erleben werde.
Ich kann nur sagen: Gott bewahre uns vor dem Bolschewismus! Ich sage es jedesmal, wenn ich mitten in der Nacht aufwache."
Im August besuchte Hamsun eine Panzerdivision, und ein paar Wochen später
wurde er auf einem deutschen U-Boot herumgeführt. Beide Besuche wurden für
die Wochenschau gefilmt. In dem U-Boot-Film sieht man, wie er die Seeleute
begrüßt, durch das Periskop schaut und mit dem Kapitän spricht. Auch die
Zeitungen brachten große Bildberichte. Eine Unterschrift unter einem Foto,
auf dem er mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Trostlosigkeit auf seinen Hut
auf einem Tisch vor sich starrt, lautet: "Knut Hamsun grüßt deutsche Panzer=
soldaten."
Sein fünfundachtzigster Geburtstag am 4. August 1944 war für jedermann eine
Gelegenheit zum Feiern, außer für den Jubilar selbst. Er erhielt Telegramme
von Hitler und Quisling, Glückwunschschreiben von Terboven und Goebbels sowie signierte Fotos von Hitler und Goebbels. Eine neue Ausgabe seiner
GESAMMELTEN WERKE wurden aus diesem Anlaß in Norwegen aufgelegt, ein
heroisches Unterfangen angesichts des damaligen Papiermangels. Die Nordische
Gesellschaft schenkte ihm einen Jagdfalken aus Rosenthal-Porzellan, und von
in Norwegen stationierten deutschen Soldaten erhielt er ein kunstfertig
geschnitztes Kästchen, das sie selbst angefertigt hatten. Hans Carossa, der
Vorsitzende des Europäischen Schriftstellerverbandes, verkündete die
Einrichtung eines Knut-Hamsun-Fonds von 6O 000 Reichsmark zur Vergabe von
Stipendien, die es skandinavischen Autoren ermöglichen sollten, nach Deutschland zu reisen. Auf der anderen Seite widmete ihm die Widerstandszeitung KONGESPEILET ihre Ausgabe Nummer 1423 und führte ihm
einige seiner eigenen sarkastischen Bemerkungen über die Gebrechlichkeiten
und Dummheiten des Alters vor. Es gab ja mehr als genug davon. Seine Worte
an Bjornson aus dem Jahr 1904 wurden wieder aufgegriffen: "Sie sind alt geworden, Meister ... wenn Sie doch nur nicht alt geworden wären!"
Sie brachten alte Sünden wieder hervor, wie zum Beispiel die Kampagne für
die Wiedereinführung der Todesstrafe und sogar den Namensprozeß gegen seinen
eigenen Bruder.
Das Objekt all dieser Aufmerksamkeit blieb in seinem kleinen, spärlich
eingerichteten Zimmer im zweiten Stock auf Norholm. Aber selbst wenn Hamsun
versuchte, sich zu verstecken und ruhig zu verhalten, wurde er von der einen
oder anderen Art von Skandal heimgesucht. Erstaunlicherweise erhielt er
wieder anonyme Briefe, in denen er bezichtigt wurde, Geliebte zu unterhalten
verheirateten Frauen Geld zu geben und außereheliche sexuelle Beziehungen
zu haben. Sigrid Stray fand heraus, wer der Absender war, und daraufhin kamen keine Briefe mehr; nicht einmal in ihren Memoiren gab sie jedoch den
Namen des Übeltäters preis.
Der Umgang mit deutschen Militärangehörigen im Herbst stellt nahezu das Ende
von Hamsuns Propagandaaktivitäten dar, und er führte ein stilles Leben auf
Norholm. In den ersten Tagen des neuen Jahres hatte er wiederum einen
leichten Schlaganfall. Während er draußen Holz hackte, fiel er um und blieb
eine Weile liegen, konnte aber schließlich selbst wieder aufstehen und ins
Haus gehen. Ansonsten warteten er, Marie und Ellinor einfach auf das Ende.
Es kam am 2. Mai, und zwar in Form der Nachricht von Hitlers Tod in den
Zeitungen. Einen Hinweis darauf, daß es sich um Selbstmord handelte, gab es
nicht. Es hieß nur, er sei "gefallen im Kampf gegen den Bolschewismus".
Hamsun grübelte eine Weile darüber nach, und dann tat er etwas ganz
Erstaunliches. Um zu zeigen, daß er ein loyaler Mensch war, schrieb er,
unaufgefordert, einen Nekrolog auf Hitler und schickte ihn an die
AFTENPOSTEN. Am 7. Mai, als der Aufmacher eine Geschichte über vier Tote
und eine Anzahl Erblindeter war, die im Hafen von Stavanger Methylalkohol
getrunken hatten, erschien daneben sein achtzeiliger Nekrolog auf Hitler.
Vermutlich läßt nichts von allem, was er je geschrieben hat, die entsetzliche Verbissenheit seines Geistes deutlicher erkennen, dessen
erschreckende und letztlich verhängnisvolle Unschuld:
ADOLF HITLER
Ich bin dessen nicht würdig, mit lauter Stimme über Adolf Hitler zu sprechen
und zu sentimentaler Rührung laden sein Leben und seine Taten nicht ein. Er war Krieger, ein Krieger für die Menschheit und ein Verkünder des Evangeliums vom Recht für alle Nationen. Er war eine reformatorische Gestalt von höchstem Rang, und es war sein historisches Schicksal, in einer Zeit der beispiellosen Rohheit wirken zu müssen, die ihn schließlich gefällt hat. So wird der gewöhnliche Westeuropäer Adolf Hitler sehen, und wir, seine treuen Anhänger, neigen nun unser Haupt angesichts seines Todes.
Knut Hamsun
Wenn es je an der Zeit gewesen ist, daß ein großer Dichter alle seine
Ansprüche aufgab und wie ein gewöhnlicher Narr vor lauter Scham errötete, dann war das an dem Tag, da dies erschien. Natürlich tat er das nicht.
Statt dessen setzte er sich, wie die übrige Familie Hamsun, hin und wartete
auf die vergeltende Gerechtigkeit der Demokratie.
KNUT HAMSUN "Leben gegen den Strom"
Biographie von ROBERT FERGUSON
16 1940-1945: Hamsuns Krieg
ein besonderes Anliegen.
12 1911-1918: Die Segelfoß-Bücher und Segen der Erde:
... daß er im Sommer 1916 mit der Arbeit an SEGEN DER ERDE begonnen hatte,
dem Roman, für den er später den Nobelpreis verliehen bekam. (...)
Der Roman war aber für ihn von besonderer Bedeutung, weil er ihn als
"eine Warnung an meine Generation" beabsichtigt hatte, wie er an Konig
vom Verlag Gyldendal schrieb; er fügte dann aber noch ironisch hinzu:
"Ich weiß, daß die Welt ganz gut ohne mich zurechtkommt - doch wie dem auch sei -" Am Ende erwies er sich als so bedeutend, daß Hamsun bereit war, seinen Hof zu verkaufen, um ihn schreiben zu können.
Die SEGELFOSS-Romane knattern und klappern und pfeifen und poltern einher,
so daß man sie beinahe als Industrieromane bezeichnen könnte. SEGEN DER ERDE
ist ein viel ruhigeres Buch. Wenn er in den früheren Werken versucht hatte,
die Gesellschaft so zu zeigen, wie sie wirklich war, indem er die Veränderungen darstellte, die in der zweiten Hälfte des neunzehnten und zu
Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Norwegen vor sich gingen, dann bemühte er sich in SEGEN DER ERDE, die Gesellschaft so zu zeigen, wie er sie sich wünschte: unveränderlich, stark und sicher, eine solide, auf der
Landwirtschaft basierende Kultur, die nachfolgende Generationen ohne echte Fragen oder Zweifel übernahmen, eine Kultur, die ohne Anstrengungen den
Herausforderungen durch die Stadt und die Industrie widerstand.
Der Eingangsabschnitt schlägt den mythischen Leitgedanken des Romans an:
Der lange, lange Pfad über das Moor in den Wald hinein - wer hat ihn
ausgetreten? Der Mann, der Mensch, der erste, der hier war. Für ihn war noch kein Pfad vorhanden. Später folgte dann das eine oder andere Tier
der schwachen Spur über Sümpfe und Moore und machte sie deutlicher, und wieder später schnupperte allmählich der oder jener Lappe den Pfad auf
und benützte ihn, wenn er von Berg zu Berg wanderte, um nach seinen Renntieren zu sehen. So entstand der Weg durch die weite Allmende, die niemand gehörte, durch das herrenlose Land.
Der Mann kommt in nördlicher Richtung gegangen. Er trägt einen Sack, den Sack, der Mundvorrat und einiges Handwerkszeug enthält. Der Mann ist stark und derb, er hat einen rostigen Bart und kleine Narben im Gesicht und an den Händen - diese Wundenzeichen, hat er sie sich bei der Arbeit oder im Kampf
geholt? Er kommt vielleicht aus dem Gefängnis und will sich verbergen, vielleicht ist er ein Philosoph und sucht Frieden, jedenfalls aber kommt
er dahergewandert, ein Mensch mitten in dieser ungeheuren Einsamkeit.
Isak sucht sich eine Stelle in der Wildnis aus und läßt sich nieder, macht den Boden urbar, bestellt ihn und errichtet eine Hütte. Durch einen wandernden Lappen läßt er verkünden, daß er eine Frau sucht, die bereit ist,
mit ihm zu leben und zu arbeiten, und augenblicklich kommt Inger über die Berge zu ihm. Sie ist etwas entstellt durch eine Hasenscharte, aber eine kräftige und arbeitsame Hausfrau und Helferin, und zusammen errichten sie das Heim mit Namen Sellanraa. Nun ist Hamsun - eher visionär als streng erzählerisch - darauf bedacht, diese Niederlassung zu stärken, den Viehbestand und den Acker zu vergrößern, Kinder aufzuziehen, die Umgebung mit anderen Ansiedlern zu bevölkern, die sich von Isaks Initiative inspirieren ließen - manche erfolgreich wie Axel Strom, andere weniger wie Brede Olsen -, und diese Menschen mit ihren Wertmaßstäben an den Jahreslauf gebunden zu halten, während er ihn, langsam und unerbittlich, über das Ende des Buches hinausrollen läßt in den Gewahrsam einer unantastbaren Ewigkeit.
Innerhalb dieser Vision sind die Hauptrollen, die Hamsun seine Figuren spielen läßt, symbolisch. Axel Strom ist eine Variante von Isak, und Isaks Sohn Sivert ist das Ebenbild seines Vaters. Der andere Sohn, Eleseus, wird auf katastrophale Weise von der Stadt und ihrem Leben angesteckt, was ihn zu einer etwas lächerlichen und gleichzeitig traurigen Figur macht. Er ist weder Bauer noch Dandy, ein Außenseiter, dessen Verbrechen ist: Unzufriedenheit mit seinem Los, der innere Zwang, sich ändern zu wollen. Ein weiteres Opfer der Stadt ist Barbro, die Tochter des erfolglosen Siedlers Brede Olsen. Und noch ein von der Zvilisation verdorbener Mensch ist Isaks Frau Inger. Wegen Mordes an ihrer kleinen Tochter, die mit einer Hasenscharte auf die Welt kam, verurteilt, verbringt sie sieben Jahre im Gefängnis, wo sie ebenfalls von der Stadt und ihrem leeren Schein der Kultiviertheit angesteckt wird, den sie erst lange nach ihrer Rückkehr nach Sellanraa wieder verliert. Dann ist da noch ihre Schwester Oline, eine zähe alte Jungfer, die ein gesegnetes Alter erreicht, weil sie ein feines Ohr für zwischenmenschliche Reibereien sowie das Talent besitzt, in den kleinen Kriegen und Auseinandersetzungen im richtigen Augenblick die Seiten zu wechseln.