alt

Am Rand immer groß

27. Januar 2012. Vadim Glowna ist gestorben und in den Medien wird noch einmal daran erinnert, wie er als junger Mann nach Paris abhaute, dann doch zum Schauspielstudium nach Hamburg zurückkam, mit Gründgens, Zadek, Oskar Roehler arbeitete und nicht zuletzt selbst teils großartige Filme drehte.

"Bei all den verschlossenen, zwiespältigen Charakteren, die Vadim Glowna in fünf Jahrzehnten gab, hatte man immer das Gefühl, nicht einem brillanten Schauspieltechniker zuzusehen, sondern jemandem, der aus Erfahrung schöpft und Schuldbeladene spielt, keine Bösen", so Hanns-Georg Rodek in seinem lesenswerten Nachruf in der Welt (27.1.2012). "Zunächst schrie er seinen Zorn noch heraus. Peter Zadek erinnerte sich an ihn als wilden, undisziplinierten Halbstarken, als Gegenpol zu dem ordentlichen Bruno Ganz." In seinem Film "Desperado City" sah St. Pauli wie manches bei Peckinpah aus, eine Welt von Schmutz und Tod. Von den drei Hauptfiguren lebt am Ende keine mehr. "Es war ein Film, der in Cannes die Camera d'or gewann und seinen Regisseur, Autor und Produzenten zugleich in Deutschland als Außenseiter markierte". Von da an sei Glowna nur noch gern gesehener Gast bei 'Derrick' und 'Dalli-Dalli' gewesen und inszenierte selbst mehrere Folgen von 'Der Alte' und 'Siska' - immer mit dem Ziel, genug Geld für den nächsten eigenen Film zusammenzubekommen.

Daniel Kothenschulte schreibt in der Frankfurter Rundschau (27.1.2012), dass ihn seine "sichtbare Lebensverbundenheit zu einem der gefragtesten Charakterdarsteller" machte. In den 70er Jahren wechselte er ins Regiefach, und "obwohl sein bemerkenswertes Debüt 'Desperado City', das von der intimen Kenntnis des Milieus von St. Pauli lebt, 1981 in Cannes eine Goldene Kamera erhielt, ist es heute fast vergessen: Als Regisseur blieb Glowna ein Einzelgänger ohne Lobby. Manchmal schienen die Filme des Kosmopoliten zu international fürs Neue Deutsche Kino, mal zu individualistisch oder einfach wie er selbst zu unangepasst."

"Für das breite Publikum war Vadim Glowna der Fernseh-Bösewicht. Über Jahrzehnte hinweg bestach er aber durch die Vielseitigkeit seiner Rollen und Regiearbeiten", würdigt Dieter Bartetzko in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (27.1.2012). Was Glowna mit "Desperado City" auf die Leinwand geschleudert habe, sei "imponierend und stark", urteilte damals die Kritik. Einen vergleichbar großen Erfolg gab es nicht mehr, dafür aber eine stattliche Reihe von Spiel- und Fernsehfilmen, in denen er teils als Regisseur, teils als Schauspieler glänzte, so neben Hannelore Elsner in "Die Unberührbare", was ihm 2000 den Preis der deutschen Filmkritik als Bester Darsteller eintrug. Auch zur Bühne kehrte Vadim Glowna 2003 nach langer Abwesenheit zurück: Im Berliner Deutschen Theater spielte er unter Peter Zadek den von Kriegs- und vom Sexfuror getriebenen Koch in Brechts "Mutter Courage". "Zuletzt sah man ihn als Kardinal im Fernsehspektakel 'Die Borgias', bannend selbst in diesem Massenaufgebot."

Und auch Christopher Keil schreibt in der Süddeutschen Zeitung (27.1.2012) einen schönen Nachruf, mit großem Bild aufgemacht auf der Seite drei des Feuilletons: "Vadim Glowna war einer, der nicht wartete, bis sich etwas in seine Richtung bewegte, sondern sich bewegte, nach allen Seiten. Auf ihn traf die Einschätzung zu, dass die Arbeit sein Leben war. Er war Schauspieler aller Bühnen, Drehbuchautor, Regisseur, und er unterrichtete an der Düsseldorfer Kunstakademie." Seine Familie stammte aus Polen, geboren wurde er in Schleswig-Holstein, in Hamburg wuchs er auf. "Er studierte nicht an Universitäten, sondern auf der Straße. Als Junge war er ein Herumtreiber, einmal kam er mit gebrochener Nase nach Hause, seither stand sie ihm gut." Es waren kaum große Rollen gewesen, die man ihm gab. "Es machte ihm keine Probleme, das so auszusprechen. Doch er war ein wichtiger Standard im deutschen Film, ein Charakterdarsteller, der mit seinen Figuren auf der dunklen Seite oder am Rand stand. Dort war er groß."

 

Kommentar schreiben