altPlädoyer gegen das Zimmerwarme

11. April 2012. Oft wird in Deutschland geklagt, dass es Politiker und nicht die Künstler seien, die Entscheidungen treffen, die tief in die Kultur wirken. Johan Simons beschreibt nun in der Süddeutschen Zeitung, welche Vorteile dieses Procedere habe, nämlich eine kontinuierliche gesellschaftliche Legitimierung. "In den Niederlanden, wo man diese Verbindung einst gekappt hatte, habe dagegen eine fatale Entfremdung zwischen Kunst und Politik stattgefunden", so der Intendant der Münchner Kammerspiele.

"Niederländische Künstler konnten seit den 60er Jahren in selbstverwalteten Gremien entscheiden, nach welchen Qualitätskriterien beurteilt wird, ob etwas subventioniert wird oder eben nicht. Das wurde als ein großes Verdienst betrachtet. Die Entscheidung über Subventionen wurde fortan unabhängig von der Politik getroffen", schreibt Simons, "die Politiker unterzeichneten Zuwendungsbescheide, ohne weitere Diskussion über Inhalt und Ästhetik von Kunst, oder ihre Verbindung zur Gesellschaft".

Heute zeige sich, dass das fatal gewesen sei, so Simons, "weil die Politiker sich nicht mehr starkmachten für die Sache der Kunst, das mussten die Künstler schon selbst tun". Die Gesellschaft habe aufgehört, sich über Kunst und deren Notwendigkeit auseinanderzusetzen. Stattdessen entstand eine polemische Debatte über die Mittel: Ist es notwendig, so viel öffentliches Geld für die Kunst auszugeben? Sollte die Kunst sich nicht besser dem Markt unterwerfen? Während also die Künstler ihre Autonomie feierten, stellte man immer lauter die Frage nach ihrem Finanzbedarf und "der einst idealistische, befreiende Gedanke mutierte zu einer Losung des Neoliberalismus". Künstler wurden suspekt, sie wurden als Profiteure, linke Hobbyisten und Subventionsjunkies bezeichnet. Der Kahlschlag ab 2013 sei eine direkte Folge dieser Entwicklung.

Simons bewundert am deutschen System der Kulturförderung die starke Verbindung zwischen Kunst und der demokratisch legitimierten Politik. "Meine Ernennung zum Intendanten der Münchner Kammerspiele ist eine politische Berufung. Ich schulde zunächst der Stadt, die mich ernannt hat, Verantwortung." Wenn er seinen Job nicht mehr gut mache, werde er gehen müssen, "ein neuer Intendant wird mich ablösen, aber die finanzielle Existenz des Hauses, der Institution bleibt gesichert. In den Niederlanden ist es anders, da ist die Zuerkennung von Subventionen oft an Individuen verbunden."

Jährlich müsse er in München seinen Spielplan den Politikern vorlegen, bevor er ihn der Öffentlichkeit vorstelle. "Das heißt nicht, dass die Politik in den Spielplan eingreift und diktiert, welche Stücke wir spielen sollen." Der Spielplan sei zum Teil unwirtlich, irrational, risikoreich, eiskalt, dämonisch ist, zum Teil aber auch liebevoll und trostreich. Würde nur der Markt entscheiden, hätte das Unwirtliche hätte keine Chance mehr. "Der Behauptung, die Unterwerfung der Kunst unter die Gesetze des freien Marktes erzeuge stärkere, kompetitivere und vielfältigere Kulturprodukte, kann ich also nicht folgen."

Simons' Fazit: "Jede Institution, auch in den Künsten, sieht sich in Gefahr, selbstreferenziell zu werden. Es ist meine Überzeugung, dass es auch möglich ist, das Zentrum der Referenz außerhalb anzulegen, nämlich in der Gesellschaft, zu der wir Künstler einen Beitrag liefern möchten."

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