Das Erbe der Bayreuth-Sisters

25. Juli 2012. Heute werden die Bayreuther Festspiele eröffnet und zur Premiere von Der Fliegende Holländer schreiben die Tageszeitungen darüber, wie Jan Philipp Gloger es mit Wagner hält und die Festspielleiterinnen nach dem Abflug des Sängers Evgeny Nikitin wegen eines Hakenkreuz-Tattoos an allen Fronten kämpfen. Mehr hier.

Die Süddeutsche Zeitung hat die komplette Seite eins des Feuilletons mit insgesamt vier Texten für Bayreuth reserviert. "Ende vom Gründer-Mythos. Die Wagner-Schwestern müssen nun Leistung vorweisen", ist Reinhard Brembecks Analyse übertitelt, die Bayreuth nicht nur seit Jahrzehnten, sondern bereits seit dem ersten "Ring" 1876 in der Krise sieht. "Misswirtschaft, allzu große Nähe zur Politik, Patriarchalismus sowie die Begeisterung für rechtes Gedankengut und Intoleranz haben Tradition an diesem Haus." Dass Bayreuth Wagners Haus gewordener Künstlertraum sei, genügte, um es als Sehnsuchtsort nicht nur der Wagnerianer zu erhalten. Die Zeiten seien jedoch vorbei, in denen Bayreuth noch unbeschwert vom Gründer-Mythos leben konnte. Die draufgängerische Katharina und ihre dauer-schweigende Halbschwester Eva verwalten anders als ihr Vater kein Privatfestival, sondern ein Haus der öffentlichen Hand. "Der Abschied vom Ein-Mann-Regiment fällt schwer und provoziert beständig Verwerfungen (...). Dass die Bayreuth-Sisters gerade ihren 'Holländer' Evgeny Nikitin wegen dessen Nazi-Tattoos von Bord gehen ließen, mag in der einstigen Nazi-Hochburg Bayreuth unvermeidlich gewesen sein." Die Kritik am Management der beiden wurde dadurch befeuert: Hätte es nicht eine weniger brachiale Lösung gegeben? "Die Schwestern müssen jetzt Leistung vorweisen. Da wirken sich Skandale und Streitereien eher negativ aus. Bisher haben sie erst zwei Premieren betreut, Hans Neuenfels" Ratten-'Lohengrin' mit dem zur Genialität neigenden Dirigenten Andris Nelsons, und einen szenisch wie musikalisch eher schwachen 'Tannhäuser'."

Und Egbert Tholl porträtiert den Regisseur Jan Philipp Gloger, dessen "sonst sorgsam gewählten Worte in Unordnung geraten, geht es um seine Sicht auf die Geschichte von Wagners 'Fliegendem Holländer', darum, was die uns heute noch zu sagen hat." Darum, ob die Rastlosigkeit des Holländers wirklich als Metapher auf unsere beschleunigte Lebensrealität tauge. "Gloger, der einem Konzept alles andere unterordnet meinte einmal, mehr als die pure Darstellung von Gefühlen interessiere ihn der Umgang mit ihnen. Das er den beherrscht, hat er wiederholt bewiesen." Allerdings bislang weniger auf der Opernbühne, sondern im Sprechtheater. Das Gespräch mit Gloger fand zwei Wochen vor der Premiere statt, "zu diesem Zeitpunkt", so Tholl, "konnte er über Evgeny Nikitin nur sagen, dass er diesen mit seiner Rocker-Attitüde als sehr passend für seine Idee von einem Holländer empfand."

"Das Neue lässt auf sich warten", ist der Süddeutsche-Text von Olaf Przybilla überschrieben, der konstatiert, dass dem Haus mit dem Nazi-Tattoo der größte anzunehmende Unfall passiert sein müsste. "Dem aber ist nicht so. Die innere Krise des Hauses, die den beiden Leiterinnen deutlich mehr zu schaffen macht, konnte man in der letzten Festspielsaison viel klarer besichtigen." Und Michael Stallknecht fragt sich in der Randspalte rechts, ob die allgemeine Präsenz durch Kino und Fernsehen, die Bayreuth nun auch andernorts verfügbar machte, nicht auch durchaus am Mythos kratzen könnte.

"Muss es unbedingt Bayreuth sein?" Diese Frage aus Stephen Frys Film "Wagner and me" greift Eleonore Büning in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf und antwortet "Nein, überall auf der Welt wird heute Wagners Musik gespielt, und zwar sehr gut, von Los Angeles bis Tokio, von Rostock bis Mannheim." Bayreuth sei ein Ort der Identifikation geblieben, "es ist kein Ort der Reflexion. Hier gehen Kritik und Selbstkritik an Krücken, und die Verhältnisse pflegen sich hinter dem Rücken der Beteiligten durchzusetzen." So komme es, dass die entscheidenden Argumente zum Fall Wagner seit Jahrzehnten anderswo ausgetauscht werden. "Diese kleine Stadt liegt, was die Auseinandersetzung mit Wagners Musik anbelangt, die man von Wagners Schriften und von Wagners Wirkung nicht trennen kann, gespenstisch isoliert da." Wagners Urenkelin Katharina Wagner war die Erste, die auf dem Grünen Hügel das Schweigen gebrochen habe und in ihrer "Meistersinger"-Inszenierung von 2007 die Bücherverbrennung zitierte. Ob man diese Musik lieben, ihr ohne ein schlechtes Gewissen verfallen dürfe? Das werde umso entspannter gesehen, je weiter weg man sich von Bayreuth entferne.

 

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Presseschau bayreuth: noch ein Link
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/startseite#/beitrag/video/1692784/Der-fliehende-Holländer
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