Presseschau vom 20. August 2012 - Alvis Hermanis kritisiert Frie Leysens Berufung in die Schauspieldirektion der Wiener Festwochen
Profanierung des Theaters
20. August 2012. Wenige Tage nach der Berufung der belgische Festivalkuratorin Frie Leysen zur Schauspieldirektorin der Wiener Festwochen ab 2014 erhebt ein erster prominenter Kritiker seine Stimme gegen die Entscheidung. "Diese Obsession für Multikulti-Theater aus exotischen Ländern mit postimmigrantischem Pathos erinnert mich an die Sowjet-Ära in kommunistischen Ländern, wo Politiker nur proletarische Ideologie unterstützten, der Kunst und Professionalität geopfert wurden", wird der lettische Starregisseur und regelmäßiger Burgtheater-Gast Alvis Hermanis im Wiener Standard (online 19.8.2012) zitiert.
Hermanis, der nach eigenen Aussagen selbst für die Intendanz der Wiener Festwochen im Gespräch gewesen sei, den Posten aber abgelehnt habe, weil er seine "künstlerische nicht einer Manager-Karriere opfern" wollte, wendet sich auch gegen Leysens Vorliebe für postdramatische Theaterformen. Es gäbe eine "globale Tendenz bei internationalen Theaterfestivals, sich zunehmend vom Theater selbst abzulösen", die letztlich einer "Profanierung des Theaters" gleichkomme. "Auf lange Sicht bedeutet Theater vor allem Theaterspiel und hohe Darstellkunst", so Hermanis.
(standard.at / chr)
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(...) "Theater ist Theaterspiel und hohe Darstellkunst"
Ein Torbogen, ein Schwert und sonst nur Theaterspiel und höchste Darstellkunst. Was soll Theater mehr sein???
Da Geschichte in Pendelbewegungen verläuft, ist es gut, dass das heute auf dem Theater Etablierte und Dominierende wieder einmal in Frage gestellt wird.
Dass ein Regisseur sich nicht wochenlang hinsetzt, um eine unhandliche, aber theoretisch wasserdichte Formulierung zu ersinnen, muss man ihm nachsehen. Sicher besteht Theater aus mehr als nur Spiel. Aber manchmal, wie oft bei Chéreau oder Hermanis, ist dieses "Mehr", das nicht unbedingt im Hirn des Machers entstehen muss, sondern auch in dem des Betrachters entstehen kann, eben im "Spiel" enthalten.
Niemand braucht Multikulti-Afro-Performances a la Andre Heller um sich zeitgemäß weiterzuentwickeln.
Sehr geehrte Inga, Ihr Kommentar begegnet dem Einwurf von Grab mit sehr gelenkiger Ironie, jedenfalls glauben wir das nach längerer Lektüre und Diskussion.
Wir nehmen ihn als ironisch wahr, weil wir auch Ihre andernorts in diesem Forum vertretenen Positionen kennen.
Aber da eine solche Ironie an dieser Stelle in einem offenen Thread - jenseits des Kreises von Dauer-Usern - leicht missverstanden werden kann, haben wir uns für die Einkürzung Ihres Beitrags entschieden.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Rakow und Nikolaus Merck für die Redaktion)
1) Was meinen Sie mit der Formulierung "die Geschichte verläuft in Pendelbewegungen"? Wie kann ich mir das bildlich vorstellen? Geht es nicht vielmehr um eine räumliche Spiralbewegung, welche nicht allein ein unproduktives, synchrones Hin und Her, sondern vielmehr ein produktives, diachrones Graben ("Archäologie des Wissens", Foucault) impliziert? Das heisst, ein Zurückgehen von der Gegenwart in die Vergangenheit, um mögliche Parallelen zu erkennen und basierend darauf qualitativ nach vorn zu gehen? Ganz im Sinne des Benjaminschen "Tigersprungs in die Geschichte"? Zitat:
"Vergangenes historisch zu artikulieren heißt nicht, es erkennen 'wie es denn eigentlich gewesen ist'. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick der Gefahr aufblitzt. Dem historischen Materialismus geht es darum, ein Bild der Vergangenheit festzuhalten, wie es sich im Augenblick der Gefahr dem historischen Subjekt unversehens einstellt. Die Gefahr droht sowohl dem Bestand der Tradition wie ihren Empfängern. Für beide ist sie ein und dieselbe: sich zum Werkzeug der herrschenden Klasse herzugeben. In jeder Epoche muß versucht werden, die Überlieferung von neuem dem Konformismus abzugewinnen, der im Begriff steht, sie zu überwältigen. Der Messias kommt ja nicht nur als der Erlöser; er kommt als der Überwinder des Antichrist. Nur DEM Geschichtsschreiber wohnt die Gabe bei, im Vergangenen den Funken der Hoffnung anzufachen, der davon durchdrungen ist: auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört."
2) Was kommt zuerst: Der geschichtliche Prozess bzw. historische Diskursformationen oder das Theater? Ist es nicht vielmehr so, dass das Theater sich zu den Entwicklungen des jeweiligen historisch-politischen Kontexts verhalten muss, sich also nicht heraushalten kann und genau diesen gesellschaftlichen Bezug in der und über die Kunst bearbeiten muss? Es geht doch nicht darum, sich allein auf die Entwicklungen im Theaterbereich zu beschränken und also das historische Theater rein museal auszustellen. Nein, das Theater existiert nur aufgrund seiner dringlichen Bezüge zum gegenwärtigen Kontext. Auch ein alter Stücktext wird ja im Hinblick auf aktuelle und historische Bezüge zugleich gelesen, oder etwa nicht?
Interessante Thesen, aber auch nicht ganz neu. Erzählen sie das alles mal Matthias Heine von der Welt. Zur Zeit dreht sich das herkömmliche Theater in einer Art zeitlichem Spiralnebel um sich selbst, und mit ihm die geneigte Kritikergilde, bereit zum Tigersprung ins Vergangene, um da die Bröckchen für derlei Glossen heraus zu schlagen, wie sie Heine jetzt zum Thema Hermanis contra Leysen abgeliefert hat. Und dann nennt er diese lauwarme Brühe auch noch „Kalter Krieg in Wien“. Kalter Kaffee wäre passender. Inhaltlich hat Heine nicht viel dagegen zu halten. Er arbeitet sich nur süffisant am Text eines Programmheftes ab. Für einen wirklichen Tigersprung reicht es da leider nicht. Was Heine da von sich gibt, ist nicht nur einer Aufwallung postkolonialistischen Hochmuts entsprungen, sondern auch von hochmotiviertem postdramatischem Unmut geprägt. Die Impulse der Verweigerung unserer Gesellschaft, das zu sehen, was sie unmittelbar umgibt, setzen sich fort in der heilen Wohlfühl-Welt der Hochkultur-Festivals mit ihrem Eventtheater und Namedropping. Dieses sich künstlerisch Nicht-Zuständig-Fühlen für aktuelle Probleme ist in den meisten Aufführungen bei den diesjährigen Salzburger Festspielen zu spüren. Und nun fühlt man sich durch die freie Szene bedroht und eine Kuratorin, die sich politische Kompetenz bei der Auswahl für ein kleines Festival in Berlin erlaubt. Etablierte Regisseure geraten fast in Panik, Intendanten springen schnell mal eben noch auf einen vorbeifahrenden Zug auf und greifen gleich nach der Trillerpfeife, ohne ein Stückchen Kohle für ihren Dampf mitgebracht zu haben.
Wer letztendlich als Tiger gesprungen ist und als Bettvorleger landen wird und ob nicht die Konkurrenz der Freien Szene die behäbigen Stadttheaterkreuzer in Berlin etwas beflügeln kann, wird man spätestens in einem Jahr sehen können, wenn sich 2013 von Anfang Mai bis in den August die Festivals in Berlin sozusagen die Klinke in die Hand drücken. Nach dem Theatertreffen im Mai und den Autorentheatertagen im Juni, bei denen sich die Creme des deutschsprachigen Sprechtheaters und der Gegenwartsdramatik feiern, wird im Juli der bekennende Verächter des konventionellen Stadttheaterbetriebs Matthias von Hartz mit seiner ersten Version der „Foreign Affairs“ für die Berliner Festspiele ins Rennen gehen. Ihm folgt das bis dahin hoffentlich ebenfalls mit einem erfrischenden Update versehene Festival „Tanz im August“. Wien wird ja erst 2014 von Frau Leysen profitieren können. Das fließt noch viel Wasser die Spree und Donau herunter. Im Oktober kann man erst einmal ihren Versuchsballon im Rahmen der Berliner Festspiele verfolgen. Man muss wohl jetzt schon Angst haben, wenn man Matthias Heine Glauben schenken will. Wir werden Monster sehen, denn es heißt vielerbrechend, „Masturbation, Travestie, Nacktheit, Inzest, Folter und Selbstzerstörung“. Schade das er nicht gleich noch den Antichrist mit ins Spiel gebracht hat. Eins ist aber Fakt, auf Heines postkoloniale Aufwallungen folgt lediglich ein postkoitaler Müdigkeitsanfall.
Ansonsten trägt der Heine-Artikel, welchen ich im Übrigen ebenfalls als unterirdisch platt und populistisch formuliert empfinde, nichts zu einer tatsächlichen Reflexion des Themas "Postkolonialismus" bei.
Ich persönlich würde dazu sagen, dass es nicht um eine Trennung, sondern um eine Zusammenführung der Kämpfe gehen sollte, sprich, dass wir uns in einem Tigersprung mal wieder die Worte von beispielsweise Martin Luther King durch den Kopf gehen lassen könnten:
"I have a dream that one day this nation will rise up, and live out the true meaning of its creed: 'We hold these truths to be self-evident: that all men are created equal.'
I have a dream that one day on the red hills of Georgia the sons of former slaves and the sons of former slave owners will be able to sit down together at a table of brotherhood.
I have a dream that one day even the state of Mississippi, a state sweltering with the heat of injustice and sweltering with the heat of oppression, will be transformed into an oasis of freedom and justice.
I have a dream that my four little children will one day live in a nation where they will not be judged by the color of their skin but by the content of their character.
I have a dream today."
Das aktuelle Magazin zum Festival "Foreign Affairs" liest sich in meiner Wahrnehmung gut. Es macht Lust auf Auseinandersetzung. Der thematische Ausgangspunkt ist für mich nach wie vor folgender: Es gibt keine rassisch höherwertigen Menschen. Und Schuld ist auch nicht vererbbar. Sondern es geht um eine differenziertere Betrachtungsweise auf das vermeintlich "Eigene" bzw. "Fremde". Vielleicht funktioniert das tatsächlich besser über die Form der Ironie, siehe das Stück von Fertacz. Auch Schlingensief hat mit seiner Inszenierung "Via Intolleranza" schon einiges zum Thema "Postkolonialismus" beigetragen.
Aber öde ist auch, dass Frie Leysen jetzt immer ausgepackt wird, wenn es darum geht eine Reihe von Gastspielen zusammenzustellen, schon ihr Theater der Welt bestand ja zu sehr aus alten Produktionen. Es zeugt doich von arger Gedankenlosigkeit von Oberender, Hinterhäuser usw. Aber klar, es ist ja so viel Arbeit sich um die Finazne zu kümmern ...
Ich habe mir einen Scherz erlaubt, wie Matthias Heine auch. Es hat keine tiefere Bedeutung. Sie müssen da also auch nichts hineininterpretieren. Träumen und Hoffen kann man aber immer, Inga.
Es reden und träumen die Menschen viel
Von besseren künftigen Tagen,
Nach einem glücklichen gold'nen Ziel
Sieht man sie rennen und jagen,
Die Welt wird alt und wieder jung,
Doch der Mensch hofft immer Verbesserung.
Friedrich Schiller
"Unsere Blindheit für die Folgen des 'systematisch Bösen' läßt sich vielleicht am besten an den Debatten über kommunistische Verbrechen ablesen. Hier läßt sich die Verantwortung leicht zuweisen; wir haben es mit subjektiv Bösem zu tun, mit Handelnden, welche die Taten begangen haben, und wir können sogar die ideologischen Ursprünge der Verbrechen ausmachen (Totalitarismus, das Kommunistische Manifest, Rousseau...). Richtet man die Aufmerksamkeit dagegen auf die Millionen Todesopfer der kapitalistischen Globalisierung - die Tragödie Mexikos im 16. Jahrundert, der Völkermord in Belgisch-Kongo vor hundert Jahren usw. -, wird die Verantwortung abgelehnt: Diese Dinge geschehen einfach infolge eines 'objektiven' Prozesses, sie wurden von niemandem geplant oder ausgeführt, es gab kein Kapitalistisches Manifest (am ehesten wurde ein solches von Ayn Rand verfaßt!)..."
(Slavoj Zizek, "Auf verlorenem Posten")
Es zeuigt do-ich voin a-irger Gedainkeinloisigkeut...
Sie schreiben: Aber klar, es ist ja so viel Arbeit sich um die Finazne zu kümmern...
Mir ist nicht ganz klar was Sie damit meinen...
also schiller pessimistisch danebengesagt(das schopenhauerische Alles Leben ist Leiden,
entgegen haltend):
es brabbeln und faseln die leute viel
von immer schlechter werdenden tagen.
nach einem unglücklichen goldenen kalb
sieht man sie rennen und jagen.
die welt wird alt, die welt wird alb,
und der mensch hofft nimmer besserung!
(Theater + Oper + Ballet ) x Multikulti ist (Wiener Kaiser)Schmarrn.