Zum großen Wurstel

11. Oktober 2012. Der Feuilletonaufmacher der in München erscheinenden Süddeutschen Zeitung gehört heute dem großen Geburtstagskind der Stadt, den Münchner Kammerspielen, deren 100. Gründung sich in diesem Jahr zum hundersten Mal jährt.

Christine Dössel zeichnet noch einmal den Weg der einstigen Komödienbühne mit dem schönen Namen "Zum großen Wurstel" zu einer der ersten Bühnen des Landes nach: schweift über frühe Skandale wie die Uraufführung von Frank Wedekinds Monstretragödie "Lulu" bis hin zur fast vergessenen Intendanz von Hans Reinhard Müller in den Jahren 1973-1983, der immerhin, so Dössel den "klugen, durchgeknallten Ernst Wendt und dem sinnlich-seriösen Textbefrager Dieter Dorn" an die Kammerspiele verpflichtete.

Natürlich werden auch die allergrößten Namen der Geschichte dieses Hauses gestreift: Namen wie Otto Falckenberg, Hans Schweikart, Fritz Kortner und Dieter Dorn, der Müller auf den Intendantensessel folgte und den Kammerspielen dann ein viertel Jahrhundert vorstand. O-Ton Dössel: "Ein gewaltiger Mythos. Eine ganz besondere Erfolgsgeschichte. Eine Liebesgeschichte auch mit dem Ensemble, dem berühmten - und mit dem Publikum, das dieses Theater so verehrt."

In einem eigenen Beitrag kommt auch Frank Baumbauer zu Wort, Dorns Nachfolger und Kammerspielintendant von 2001 bis 2009. Baumbauer würdigt darin die besondere Intimität der Bühne: "Die Kunst der Schauspieler und Schauspielerinnen entfaltet sich in den Kammerspielen so auf das Wunderbarste. Ein Monolog ist hier ebenso verdrängend und den Gesamtraum durchdringend wie das große Schauspiel. Auch neue, noch nicht bewährte Texte finden durch die Konzentration im Raum eine leichtere Aufnahme als anderswo. Es genügt, wenn der Schauspieler richtig denkt, er muss uns das nicht noch mit großem Aufwand verdeutlichen. Daher bleiben uns auf dieser Bühne auch immer zuerst die Schauspieler in Erinnerung." Denn er könne seine Mittel auf dieser Bühne verfeinern statt zu vergröbern. Auch miteinander, so Baumbauer weiter, konnten die Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne "eine besondere Spielkultur entwickeln und sich so zu einem Ensemble vereinen. Die Ensembles der Kammerspiele waren stets hervorragende und das haben sie immer auch dieser Bühne zu verdanken."

Der Wechsel zu Baumbauer sei 2001 "erst mal ein Schock" gewesen, so Christine Dössel in ihrer Geburtstagseloge. "Phantomschmerzen durch radikal neue Sichtweisen, Spielweisen. Zwölf Stunden 'Schlachten!' von Perceval im Ausweichquartier Jutierhalle: ein Wahnsinns-Parcours." Dann der Wiedereinzug ins sanierte Schauspielhaus 2003 "mit dem Perceval-'Othello', erst skandalisiert, dann Kult." Doch der ästhetische Wandel sei gelungen und werde seit 2010 "von dem Niederländer Johan Simons noch weitergetrieben: Richtung Europa, Internationalisierung, Welt."

(sle)

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