Blackface, Whiteness and the Power of Definition in German Contemporary Theatre - Eine Tagung von Bühnenwatch
Durchs Goldfischglas gesehen
von Nikolaus Stenitzer
Berlin, 18. Oktober 2012. Kritik vermag zu überraschen. Oft genug sind es die von Kritik betroffenen, die überrascht sind. Aber manchmal werden KritikerInnen selbst sogar noch mehr überrascht. Etwa, wenn sich herausstellt, dass ihre Werkzeuge, in manchen Bereichen seit Jahrzehnten etablierte Begriffe, in der Anwendung auf völliges Unverständnis stoßen.
So geschieht es gerade in Folge der Diskussion um "Blackfacing" am Theater – das Bemalen hellhäutiger Schauspieler mit schwarzer Farbe, um kenntlich zu machen, dass sie "Schwarze" darstellen – die in den letzten Monaten in Deutschland so intensiv geführt wurde (auf nachtkritik.de u.a. in Beiträgen von Ulf Schmidt , Lara-Sophie Milagro und Nikolaus Merck).
Unzureichender Rassismus-Begriff
Ihre jüngste Fortsetzung hat die Debatte in der Kontroverse um Brett Baileys Arbeit "Exhibit B" beim Festival "Foreign Affairs" gefunden (nachtkritik.de berichtete) – die zeigte, dass hier keine Diskussion um schwarze Farbe oder verletzte Gefühle geführt wird. Der Gegenstand ist vielmehr ein unzureichender und überkommener Begriff von Rassismus, der es manchen Theatermachern schwer macht, die Problematik in den eigenen Produktionen zu begreifen.
Die Gruppe "Bühnenwatch", 2011 gegründet und bekannt geworden durch politische Aktionen bei Aufführungen von Dea Lohers Unschuld am Berliner Deutschen Theater, nahm sich nun auf dem Symposium "Blackface, Whiteness and the Power of Definition in German Contemporary Theatre" Zeit für die Klärung von Begriffen.
Gegenpositionen waren nicht geladen
Anders als zuletzt auf dem "Foreign Affairs"-Symposium "Stages of Colonialism / Stages of discomfort" (Elena Philipp berichtete) ging es nicht um Kontroverse, sondern um Standortbestimmung, was sich schon an der Zusammensetzung des Podiums zeigte. Dort präsentierten und diskutierten diesmal nicht die in Kritik geratenen Theatermacherinnen, sondern Autorinnen, Wissenschaftlerinnen und Teilnehmerinnen an Bühnenwatch-Aktionen über historische Voraussetzungen und sprachliche Bedingungen des vielfach immer noch Verwunderung hervorrufenden Umstandes, dass auch antirassistisch intendierte (Theater-)Produktionen durchaus rassistische Grundlagen haben können.
Ein Goldfischglas diente im Vortrag der Autorin und Schauspielerin Sharon Otoo als Metapher, um die Verwunderung der Theatermacher über die Debatte zu analysieren: Wie bei der Betrachtung eines Fisches im Glas würden bei der Betrachtung des Diskurses über Blackfacing nur einzelne Elemente wahrgenommen, während der Gesamtzusammenhang wie das durchsichtige Glas unsichtbar bleibe.
Schwarz-weiß-Denken bei Dea Loher
Deswegen falle es etwa im Zusammenhang mit Dea Lohers Stück "Unschuld" so schwer zu begreifen, dass das Problem nicht bloß im Detail einer Aufführung liege, sondern schon in der unausgesprochenen, postkolonial geprägten Übereinkunft angelegt sei, die bereits am Text des Stückes gezeigt werden könne: Wenn Dea Loher etwa in den Regieanweisungen schreibe, man solle nicht "um der Authentizität willen" schwarze Schauspieler besetzen, wenn diese nicht ausgezeichnet" seien, sei das ein signifikantes Kennzeichnen der allgemeinen postkolonialen Praxis, in deren Denkzusammenhang von einer "weißen" Normalität (Whiteness) ausgegangen werde, in der "Schwarze" die Ausnahme darstellten, weswegen sie als "Schwarze" thematisiert und überhaupt problematisiert werden müssten (siehe zu dieser Position der "weißen Normalität" auch den Beitrag von Lara-Sophie Milagro auf nachtkritik.de). So würde es weder der Autorin noch sonst irgendjemandem einfallen, etwa umgekehrt den Vorschlag zu machen, die "weißen" Rollen lediglich mit "außergewöhnlichen" Schauspielern zu besetzen und für den Fall, dass solche nicht zu haben seien, auf weiße Masken zurückzugreifen.
Die gute Absicht neutralisiert nichts
Die Differenz zwischen Selbstwahrnehmung bzw. eigener Intention und den historischen Bedingungen des eigenen Handelns war auch Gegenstand des Vortrages der Künstlerin Sandrine Micossé-Aikins. Vor allem KünstlerInnen, so ihre These, würden von der Annahme geleitet, dass eine antirassistische Intention ausreiche, um rassistische Stereotypen im eigenen Werk zu neutralisieren bzw. dass etwas, das aus liberaler oder linker Gesinnung erzeugt werde, per se nicht rassistisch sein könne (wie in den eingangs erwähnten Positionen).
In Absetzung von solchen Annahmen präsentierte Micossé-Aikins einen Abriss über die historischen Grundlagen rassistischer Stereotypen in Deutschland. So sei etwa die zur Zeit des deutschen Kolonialismus entstandene Darstellung von dunkler Hautfarbe als abwaschbar, also schmutzig, in positiv intendierter Verwendung einer schwarzen, maskenhaften Bemalung auf der Bühne, unter der "alle gleich" seien, wiederzufinden. Hier zeige sich einmal mehr, dass auch hinter besten Absichten der Ausgangspunkt eines kolonialistischen "Wir" dechiffriert werden könne.
Daniele Daudes Vortrag mit dem Titel "The (Un)Chosen Bodies of Myths. Performing Race on Opera Space" setzte sich dann mit der Entstehung des Mythos der "Femme fatale of colour" anhand der Figur der Salome in Richard Strauß' gleichnamiger Oper auseinander – und ließ erkennen, dass die theoretische Forschung zur theatralen Repräsentation von People of Colour der Aufführungspraxis oft deutlich voraus ist.
Ballhaus Naunynstraße als Ort der Gegenerzählung
Die Nachmittagsvorträge boten im Wesentlichen Erläuterungen und Illustrationen des am Vormittag Gesagten: Azadeh Sharifi thematisierte unter dem Titel "Black Artists in German Theatre" vor allem die Abwesenheit derselben und positionierte das Ballhaus Naunynstraße als einen Ort von Self Empowerment und Gegenerzählung. Julia Lemmle zeigte im Rahmen einer Medienanalyse noch einmal auf, wie die Annahme der "weißen" Perspektive als universell und das Beharren auf den eigenen guten Absichten zu einer Kontinuität rassistischer Stereotypen führten.
Die abschließende Diskussion verlief sehr harmonisch – was wohl vor allem daran liegen dürfte, dass VertreterInnen der von den Vortragenden problematisierten Positionen nicht anwesend waren. Das muss man den Veranstaltern des Symposiums nicht anlasten – "Blackface, Whiteness and the Power of Definition in German Contemporary Theatre" stellte sich eben weniger als weiterer Beitrag zur Blackfacing-Debatte, sondern vielmehr als Bestandsaufnahme und Verortung derselben in der allgemeinen Auseinandersetzung mit der postkolonialen Realität dar.
Blackface, Whiteness and the Power of Definition in German Contemporary Theatre
A Symposium with Bühnenwatch.
Initiiert vom Internationalen Forschungszentrum "Interweaving Performance Cultures" in Kooperation mit dem International Theater Institute und dem Mime Centrum Berlin.
Alles über die Blackfacing-Debatte finden Sie im entsprechenden Lexikon-Eintrag, auch eine Presseschau zu diesem Symposion.
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Jedes Volk hat das Theater, das es verdient.
Ich empfehle folgende Seite zur Vertiefung der Debatte:
http://www.blablameter.de/
Vertragen Sie keinen Widerspruch? Wünschen Sie Zensur? Welchem Gesinnungsverein sind Sie zuzuordnen? Sind Sie überzeugter Pro-Intellektualist? In welcher muffigen Höhle hausen Sie?
Lauter trostlose Fragen...
Author fury at blackface casting at German theatre
The author of the award-winning play Clybourne Park has refused permission to a Berlin theatre company to perform the play after learning that a lead character would appear blacked up.
Managers at the Deutsches Theatre said a female African-American character in the play was being performed by a white actress and producers would "experiment with make-up".
(Hier ein Link zum ganzen Artikel, den wir aus rechtlichen Gründen hier vollständig wiedergeben. Anm. der Red.)
http://www.bbc.co.uk/news/entertainment-arts-19990799
Glückwünsch Bruce Norris.
http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=7368&catid=242&Itemid=115#guardian
"Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?"
Tja. So blöd, wie sie's gern hätten, ist das Volk vielleicht gar nicht. Und ausserdem: Alternativen sind was anderes als Chaos.
Von Julia Lemmle hätte ich gern noch eine kurze Analyse bezüglich Schlingensiefs "Via Intolleranza" bzw. eine kurze Antwort auf die Frage, warum Bühnenwatch C.S.' Umgang mit den "Schwarzen" bzw. Afrikanern aus Burkina Faso auf der Bühne kritisiert. Danke.
1. Wer kennt dieses angeranzte Gedicht eigentlich nicht?
Musste es irgendwann in der neunten Klasse durchkauen.
2. Was hat das mit meinem Posting (nr.5) zu tun?
3. Warum reagieren alle so gereizt, wenn man ihren Mainstreamgesinnungsmist nicht abnickt?
4. Fühle mich (fast) diskriminiert.
5. Der "blog" "bühnewatchcom" ist das Dümmste, Überflüssigste und in jeder Hinsicht Spießbürgerlichste, was mir seit langem untergekommen ist. Echt jetzt.
6. Verstehe das olle Brechtgedicht noch immer nicht in diesem Zusammenhang. Bin ich die DDR oder was?
7. Ich mag Sieben, also gibt es auch 7.
ENGLISH THEATRE BERLIN - Monday, October 22, 8pm: COLORBLIND? - INNOCENCE by Dea Loher, translated and directed by Daniel Brunet, a staged reading with Dylan Bandy, Priscilla Bergey, Carrie Getman, Ernest Allan Hausmann, Kristi Hughes, Moses O. Leo,
Helena Prince, Tomas Spencer, Julie Trappett and others.
The post-performance discussion will feature Julia Lemmle and Sithembile Menck of Bühnenwatch and John von Düffel, dramaturg of the Deutsches Theater production of Unschuld
Die Reihe COLORBLIND? am English Theatre Berlin, kuratiert von Daniel Brunet, präsentiert seit August und noch bis Dezember 2012 szenische Lesungen neuer Stücke zum Thema RACIAL IDENTITY mit Diskussionen im Anschluß.
alles dazu hier: http://www.etberlin.de/program-mainmenu-32/372-colorblind
Ich habe nicht verstanden, was Sie mit dem Satz "Jedes Volk hat das Theater, das es verdient." eigentlich meinen. Können bzw. wissen Sie es denn besser? Wollen Sie derjenige sein, welcher dem Volk sagt, welches Theater es verdient habe? Warum diese Hybris? Deswegen das Brecht-Gedicht. Dann sagen Sie doch mal, wie das Theater aussehen soll, welches das Volk Ihrer Meinung nach verdient hat.
Was wollen Sie eigentlich mit dem Begriff des "Gesinnungsvereins" aussagen. Können Sie das näher erläutern? Und was haben Sie eigentlich gegen Intellektuelle? Besser Pro-Intellektuell als Pro-Deutschland, stimmt's?
Können Sie Argumente dafür finden, warum Sie Bühnenwatch skeptisch gegenüberstehen? Ich zum Beispiel frage mich auch, ob man wirklich etwas erreicht, wenn man die Adressaten seiner Kritik (wie auch hier bei dieser Tagung geschehen) aussen vor lässt. Das ist ja nun auch kein offener Dialog. Da verhält sich Bühnenwatch leider auch nicht besser als die, welche von Bühnenwatch kritisiert werden.
Was heisst "Ich mag Sieben, also gibt es auch 7."?
"Die blonden Haare geben eigentlich Gescheitheit. Geradeso wie sie wenig in das Auge hineinschicken, so bleiben sie im Gehirn mit ihren Nahrungssäften, geben ihrem Gehirn die Gescheitheit. Die Braunhaarigen und die Schwarzhaarigen und die Schwarzäugigen, die treiben das, was die Blonden ins Gehirn treiben, in die Augen und Haare hinein."
Och nö. Mit Bezug darauf kann hier jede/r etwas dazu lernen, inwieweit er/sie selbst in Klischees denkt und lebt. Und was das u.a. auch mit den Begriffen und Kategorien der Sprache zu tun haben könnte. Vielleicht sollten wir wirklich farbenblind werden? Und zwar in dem Sinne, dass wir einen Menschen nicht allein über sein Äußeres (Hautfarbe, Haare/ohne Haare, Kleidung) beurteilen? Wolfgang Herrndorf schreibt in seinem Roman "Sand" etwas von einem "Mann in sonnengebräunter Kleidung und karierter Haut." Na, das muss man sich erstmal vorstellen. Oder: Über Bilder, welche die Welt be-deuten.
1. Sylvia Kristel war eine wunderschöne Schauspielerin, die kürzlich verstorben ist.
2. Der Satz mit dem Volk ist selbsterklärend.
3. Ich habe überhaupt nichts gegen Intellektuelle. Ich habe etwas gegen […], die mir "anti-intellektualismus"[sic!] vorwerfen.
Es hat i.ü. nichts mit Intellekt zu tun, fremdwörterverseucht über Pseudothemen wie "Blackfacing" oder "Postkolonialismus" zu schwadronieren. Das sollte man an der Uni machen, nicht im Theater.
Dramaturgen, Kritiker und unbegabte Regisseure werden das anders sehen.
4. Der Satz "Besser Pro-Intellektuell als Pro-Deutschland" ist in diesem Zusammenhang vollkommen idiotisch.
5. Der letzte Absatz über bühnenwatschcom ist sicher ein richtiger Gedanke und entschuldigt 4.
6. Ich schreibe in Aufzählungen, weil ich zu faul bin.
7. Cool, jetzt sind es wieder sieben Punkte geworden!
Genau, welche Thesen? Wenn Sie schon zu faul zum Denken sind, dann stellen Sie es doch lieber gleich komplett ein und schalten dafür den Fernseher an.
Die Wutbürger im Forum dulden keinen Widerspruch. Jemand äußert eine abweichende Meinung und schon verliert der Gesinnungsmob die Contenance. Man möge die Klappe halten ("verzieh dich in Höhle", "warum wird das überhaupt freigegeben", "stellen sie es komplett ein") oder man bedient Godwin's law ("Pro-Deutschland").
Was haben denn die - im Gegensatz zu mir Denkfaulem - engagierten Denker und "Intellektualisten" hier für diskussionswürdige Thesen?
In dem Artikel steht was von einer Debatte, "die in den letzten Monaten in Deutschland intensiv geführt wurde".
Falsch. In den letzten Monaten wurde in Deutschland KEINE Debatte über die Frage, ob irgendwo beispielsweise ein "kolonialistisches "Wir" dechiffriert werden könne" intensiv geführt.
Genausowenig wie sich die Republik die brennende Frage gestellt hat, was denn wohl die "Differenz zwischen Selbstwahrnehmung bzw. eigener Intention und den historischen Bedingungen des eigenen Handelns" sei.
(...)
Der Satz in Bezug auf das Volk ist nicht selbsterklärend. Sie wissen es also selbst auch nicht besser. Schade.
Wenn man sich im Theater mit bestimmten Themen auseinandersetzen will, dann darf man das auch tun. Vielleicht wäre es aber tatsächlich sinnvoller, Stücke darüber zu schreiben bzw. Inszenierungen dazu zu entwickeln, anstatt sich bloß theoretisch damit auseinanderzusetzen. Ich verweise z.B. auf "Kalibans Tod" von Magdalena Fertacz. Oder auf den gerade erst angelaufenen Film "Der Fluss war einst ein Mensch" von Jan Zabeil.
John von Düffel und Dea Loher verließen unmittelbar nach Ende der Lesung von Lohers Stück (englische Übersetzung) das Theater. Ein Gespräch mit ihnen (gleichwohl angekündigt) gab es bedauernswerterweise nicht.
Kontrolle: deutsche Ureigenschaft (...)
Dialektik: unerwünscht. Das Ergebnis der Verhandlung steht vorab fest. Es geht lediglich um die Durchsetzung, Festigung der eigenen Position. Entsprechend werden - analog zu den sog. Intergrationsveranstaltungen -lediglich "Betroffene" und Sympathisanten geladen
Ergebnis: Entfremdung statt Verstehen
Haben Sie nicht gelesen, dass Bühnenwatch und das Deutsche Theater über Stunden eine intensive Diskussion führten, die für alle anstrengend war?
Wovon sprechen Sie?
such much?!
@Inga: "Argumente, warum manche(r) Bühnenwatch skeptisch gegenübersteht" - finden sie in posts a la #24 genügend, für mich z.b. reicht schon die aggressiv-exkludierende gesprächsführung
@tagungs-teilnehmer: gab es denn jetzt einen grund für den rückzug von jvd & dea loher? - (...)
Es geht aber um die Kunst im öffentlichen Raum: Nur die Kunst kann auf gesellschaftliche/globale Probleme aufmerksam machen, also sollte man sie auch nicht vorher schon zensieren. Erst die Debatte bzw. die Kommunikation über Kunst schafft Bewusstsein. Letztlich zählt also das Machen, egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe/Gruppe/Kultur oder welchem sozialen Milieu ein Mensch angehört. Bereits Gemachtes nur zu kritisieren/zu kontrollieren, das reicht in meiner Wahrnehmung nicht.
es ist einfach eine Frage der Aufgabe, die man sich stellt. Bühnenwatch ist kein Theater und wird auch nichts zur Aufführung bringen, so wenig wie Nachtkritik ein Theater ist oder sein will.
Bühnenwatch sieht die Bühne hier, wie sie selbst gesehen werden will, als Kristallisationspunkt. Was hier geschieht, ist Ausdruck gesellschaftlicher Ereignisse und zugleich Motor. Wir nehmen die Bühne ernst und konzentrieren uns deshalb auf sie.
Zensur wird nicht angestrebt, sondern ein Bewusstsein für Herkunft und Wirkung theatralischer Mittel. Das Theater kann keine positive = aufklärerische oder wahrhaft provokante Wirkung entfalten, wenn die Mittel vergiftet sind.
Darin will der Prinz seinem Vater seine Braut vorstellen. Die wurde aber in der Zwischenzeit vertauscht. Der Prinz weigert sich, die falsche zu heiraten, der Vater zwingt ihn dazu.
"Prinz: Wie? Eine Negerin?
König: Ich befehle es dir.
Leander: Die Orange war verdorben. Die Prinzessin ist ihr als Schwarze entstiegen."
Was sagt Bühnenwatch dazu?
Sollte man das Stück verbieten?
Sollte die Regie kritisch Stellung dazu beziehen?
Und eine ähnliche Szene lässt sich auch in Wolfgang Herrndorfs "Sand" nachlesen. Es geht da um einen "Hakim von den Bergen" bzw. "den König von Afrika" bzw. um "Hakim III, den letzten großen Bergarbeiter im Kangeeri-Massiv" und die "Frau" eines Carls, welche laut Hakim ein "stinkender Haufen Kameldung!" sei. Hier zeigt sich für mich folgendes:
Erstens, wie Metaphern funktionieren. Sie dienen dazu, über eine Abbild- bzw. Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Bildspender und -empfänger zu differenzieren. Eine Metpaher ist eben ganz schön vertrackt, weil ich mir auf der Empfängerseite aussuchen darf, kann, soll, muss, wie diese Metapher eigentlich aufzufassen ist - zum Beispiel positiv oder negativ, komisch oder abwertend konnotiert.
Zweitens zeigt sich hier für mich, wie gender, race und class zusammenspielen bzw. wie hier die Klischees dieser drei Kategorien gegeneinander ausgespielt werden. Dabei müssten sie doch zusammengedacht werden. Carl, ein "Scheißamerikaner!", wird nämlich von Hakim erschossen, wegen Carls "Frau"(?), einer amerikanischen Kosmetik- und/oder CIA-Agentin.
Wusste nicht, ob ich lachen oder weinen, es subversiv oder ernst gemeint verstehen sollte.
Komischerweise reagiere ich auch immer übersensibel (Übelkeit) auf Metzgereien, die mit Schweinchen werben, die fröhlich die Messer in den Pfoten wetzen.
Offenbar habe ich den Eulenspiegel-Komplex, manche Metaphern wörtlich zu nehmen, noch nicht überwunden.
Und selbst "Die Grünen" sind ja offenbar nicht davor gefeit. Peinlich peinlich, diese unreflektierte NRW-Plakat-Werbung, welche Sie sicherlich auch bereits kennen:
http://www.sueddeutsche.de/politik/kritik-am-wahlplakat-gruene-wollen-popo-poster-wieder-abhaengen-1.171517
Übrigens, auch die Vorstellung, Sex & Liebe seien per se "dreckig", ist ein (christlich-religiös konnotierter) Mythos. Sprachliche Begriffe be-deuten und prägen unsere Vorstellung von den Dingen - und darüber entstehen Ideologien und Welt-Bilder, welche man aber auch wieder dekonstruieren kann. Darauf kommt es an. Und genau da liegt die Chance der Literatur und des Theaters. Ich erinnere mich gerade absurderweise an Constanza Macras' "Matratzensport" in "Berlin Elsewhere", und zwar auf einem aufgeblassenen Schaubühnenmodell, wobei der Tänzer Ronni Maciel ausrief, er langweile sich, inmitten einer Horde von (lesbischen und/oder bisexuellen?) Frauen. Dazu wurde ein Bach-Choral gesungen/eingespielt. Tja. Komisch und traurig zugleich. Hätte ich, statt dieser ästhetischen Verfremdung, ein Live-Pornovideo sehen müssen, und wären die Darsteller nicht - wie bei Macras - angezogen, sondern nackt gewesen, ich hätte es vielleicht nicht mehr als lustig empfunden. Verkehrsunfälle geht nur als Metapher, nicht psychologisch-realistisch.