Wider die feindliche Übernahme

9./10. Juni 2010. Der Chefdramaturgensessel der Volksbühne ist wieder leer. Nach nicht mal einem Jahr hat Frank Castorf seinem erst zum Saisonstart 2009/10 engagierten Dramaturgen Stefan Rosinski gekündigt, wie einem Interview mit dem Volksbühnen-Chef im Berliner Tagesspiegel (9.6.2010) zu entnehmen ist.

Grund dafür ist laut Castorf ein gestörtes Vertrauensverhältnis und die Tatsache, dass Rosinski, der vormalige Chef der Berliner Opernstiftung, wenige Wochen vor Saisonende für die kommende Spielzeit "keine auch nur annähernd brauchbare Spielzeitplanung" vorgelegt habe. Immerhin seien dadurch auch noch "keine falschen Projekte" vereinbart.

"Was Rosinski versucht hat, war eine feindliche Übernahme", so Castorf in dem Interview. "Leider hatte er überhaupt keinen Schimmer davon, was er als Chefdramaturg in einem Theater zu tun hat." Durch sein Auftreten in der Öffentlichkeit, habe er das Vertrauensverhältnis und den Betriebsfrieden gestört. Nach außen, etwa gegenüber Luc Bondy, sei er bisweilen so aufgetreten, "als wäre er die Volksbühne". Er habe den Eindruck gehabt, dass Rosinski "Projekte, die nicht von ihm sind, zu behindern versuchte".

Der Entlassene äußerte sich kurz darauf in verschiedenen Berliner Medien (10.6.2010) zu den Vorgängen: "Die Vorwürfe von Castorf gegen mich sind unhaltbar", sagte er der Berliner Zeitung. "Ich habe alles gegeben, um die Volksbühne wieder auf Kurs zu bringen", verteidigt er seinen Kurs.

Über eine/n NachfolgerIn für Rosinski ist derzeit noch nicht entschieden. Er sei "mit vielen Leuten, die hier was machen wollen, im Gespräch", so Castorf, auch mit "jüngeren Leuten, die gut sind". Nachdem Matthias Lilienthal (bis 1998) und Carl Hegemann (bis 2006) die Volksbühnen-Chefdramaturgie verlassen haben, ist dort wenig Ruhe eingekehrt. Wie Rosinski waren zuvor bereits Stefanie Carp (2006/07) und Gabriele Gysi (2007/08) nur für jeweils eine Saison an der Berliner Volksbühne.

(Tagesspiegel / ape)

 

Mehr zu Stefan Rosinski im Glossar von nachtkritik.de. Und hier ein Interview mit Rosinski vom Juli 2009, kurz vor Antritt seiner Dramaturgenstelle an der Volksbühne.

 

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