Mord im Dunkeln
von Christian Muggenthaler
München, 17. Mai 2018. "Puh!", sagt der Marquis von Posa, nachdem er seine Bitte um Gedankenfreiheit an den König gebracht hat, puh, das immerhin wäre geschafft. In den gut vier Stunden "Don Karlos", die Residenztheaterchef Martin Kušej seinem Münchner Publikum gönnt, ist Posas Rede eine der rhetorischen Spitzen, die aus einem Meer von manischer Dunkelheit und oft gewaltiger Stille hervorragt. Die Totenstille, die im Spanien König Philipps II. dräut und allenthalben beklagt wird, dieser Staatsstillstand hat sich phasenweise auch der Bühne bemächtigt, erzeugt eine bewusste, gewollte, exemplarische Lähmung, lässt Friedrich Schillers ganze dichte, dichterische, schicksalsschwangere Schwere sich ausbreiten.
Schwarz – Weiß, Gut – Böse
Eine Schwere, die auf der Gesamtansicht lastet. Es gibt im Wesentlichen drei einander konstant abwechselnde Bilder, die Abend und Bühne (von Annette Murschetz) bestimmen: ein bis zwei strenge, scharfkantige Lichtsäulen von oben (Licht: Tobias Löffler) im ansonsten unheimlich leeren, vagweiten, nie zur Gänze ausgeleuchtetem Schauspielraum; ein am Schnürboden auftauchendes und verschwindendes Lichtquadrat mit ebenso klarer, pointierter Hell-Dunkel-Definiertheit wie eine Aureole der Macht; und ein submarinblau angestrahlter Raum, der, von der Drehbühne ab und an herbeigefahren, die Assoziation eines schallisolierten Tonstudios bietet. Ein abhörsicheres Gebäudeteil, das vermutlich einzige, das es in einem paranoiden Staat gibt, in dem die Wände Ohren haben. Dort sind Geheimnisse zu Hause.
Dieses Blau ist der einzige Farbklecks in einer Inszenierung, die ansonsten ganz auf die absolutistisch brutalen Kontraste von Hell und Dunkel, Schwarz und Weiß setzt, ganz wie es Schillers Kontrastwelt von Gut und Böse vorgeben mag. Selbst die Kostüme (von Heide Kastler) sind, in barocker Anmutung, samt und sonders schwarz: Hoftristesse. Schattenstaat. Es herrscht tiefste Nacht in Spanien. Nur dort, wo Licht hingerät, wird coram publico Politik gemacht und Liebe verhandelt, aber das Entscheidende, die Intrigen, die Listgespinste, werden im Halbdunkel verhandelt, im Beiseite gemunkelt; all dies fordert dem Publikum hochgradige Konzentration ab.
Dramatisches Grundbrummen
Kušej zieht diese schaurige Schattenkonstruktion gnadenlos durch. Die – natürlich durch Blacks getrennten – Szenen tropfen nacheinander auf die Bühne in einer Regelmäßigkeit, wie die Intrigen-Opfer in jenem See plischplatsch entsorgt werden, der unter der Bühne gluckert. Der tragende Ton des Abends ist wund, schicksalsbehaftet und in dicken Schillerschichten tragisch bis zur Schockstarre.
Aber immer wieder blitzen in diesem Dunkelmeer grandiose schauspielerische Momente auf, die licht herausstechen: Philipps II. Verzweiflung angesichts undurchblickbarer Verschwörungsstricke; Thomas Loibl operiert immer mehr das Wrack im Monarchen heraus. Ein Streit zwischen Don Karlos (aufrecht wie Uferschilf: Nils Strunk) und Alba (Marcel Heuperman in kompakter Fiesheit), der aus höfischem Geplänkel Bestienwut werden lässt. Ein Monolog, in dem Meike Droste als Gräfin Eboli sich von der lieblich Liebenden zur fauchend Rächenden verwandelt: Das rummst.
Dazu ebenso aufrecht im Intrigengewühl Lilith Häßle als Elisabeth von Valois und der großartige Franz Pätzold als hochcharismatischer Posa, glänzender als alles Gold Südamerikas: Spitzen bildend in der statischen Grundhaltung einer Inszenierung, die deutlich mehr zum Freeze neigt als zur Dynamik. Es ist ein – auch von der Musik Bert Wredes dahingehend unterstützter – Abend des dramatischen Grundbrummens. Man kann da durchaus ausgiebig und sehr lange handwerklich bestens herauspräparierte Sprache goutieren. Aber der Konflikt zwischen den Generationen könnte für manche auch die Konsistenz haben von kaltgerührter Polenta, die zwischen altem und jungem Gouda schwankt. Ein bisschen zäh.
Don Karlos
Von Friedrich Schiller
Regie: Martin Kušej, Bühne: Annette Murschetz, Kostüme: Heide Kastler, Musik: Bert Wrede, Licht: Tobias Löffler, Dramaturgie: Götz Leineweber.
Mit: Thomas Loibl, Lilith Häßle, Nils Strunk, Max Koch, Tim Werths, Anna Graenzer, Meike Droste, Franz Pätzold, Thomas Gräßle, Marcel Heuperman, Thomas Lettow, Wolfram Rupperti, Christian Erdt, Manfred Zapatka.
Dauer: 4 Stunden, eine Pause
www.residenztheater.de
"Die klirrend klare Wachheit und die die allgegenwärtige Dunkelheit zersägende Stimme machen Posa zur eigentlich zentralen Figur. Dabei ist das Regiekonzept nicht unbedingt schauspielerfreundlich", schreibt Mathias Hejny in der Abendzeitung München (19.5.2018) und deutet die Stimmung am Premierenabend als "unmissverständlich: Ein vom langen Starren in die Finsternis erschöpftes und von viel schwer lastender Stille genervtes Publikum, das sich mit der unübersichtlichen Komplexität der Handlung im Stich gelassen fühlte, spendete matten, aber freundlichen Beifall. Den Schauspielern galten die Bravos, für den Regisseur gab es einige herzliche Buh-Rufe."
Eine "atemberaubende Inszenierung" hat Ronald Pohl gesehen und schreibt in Der Standard (19.5.2018): "Vom Verfehlen bürgerlichen Maßhaltens, von der Verachtung der Vernunft erzählt, gewohnt unversöhnlich, Martin Kusej." Mit Kusejs Wechsel vom Münchner Residenz- ans Burgtheater stünden den Wienern "nicht so sehr unglückliche als ganz einfach finstere Zeiten bevor". "Üblicherweise hielten Schiller und Konsorten ihren Fürsten Spiegel vor. Von deren Bildern sollten Autokraten die Überlegenheit des bürgerlichen Freiheitsbegriffes ablesen", so Pohl: "In Kusejs faszinierender Anordnung scheint das Prinzip verkehrt: Er zeigt den Bürgern den Schatten ihrer Ordnung, das Zerrbild von Willkür und Gewalt. Wer möchte, darf auch an die demokratiepolitische Verfinsterung Europas denken."
"Schillers Erstfassung mit 'K' ist ungeglättet wortgewaltig, widersprüchlich, triebhaft, modern", schreibt Teresa Grenzmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.5.2018). "In München ist sie gefasst in eine spannend gestraffte Bühnenversion, stets vorgetragen mit Feingespür für die Genialität des Originals."
"Dieser 'Don Karlos' ist nichts für zarte Gemüter. Er überfordert", schreibt Norbert Mayer in Die Presse (19.5.2018). "Nicht nur die Herrschaft des Habsburgers Philipp II. mit streng katholischem Totalitarismus belastet alle, sondern gezwungenermaßen und wohl absichtlich macht das auch die Inszenierung."
"Wenn man sich einmal auf das karge Setting eingelassen hat, wenn man notgedrungen die Sinne scharf stellt, erlebt man danach eine wirklich starke, intensive, fesselnde Aufführung", schreibt Johan Schloemann in der Süddeutschen Zeitung (19.5.2018) und ist am Ende erleichtert: "Trotz der Unerbittlichkeit dieser Inszenierung und der Macht, die sie darstellt, wissen wir ja aber zum Glück, dass die Freiheit doch immer eine neue Chance bekommt."
"Das Resi hat vorzügliche, ja fantastische Sprecher: Nils Strunk (Karlos), Franz Pätzold (Posa) und Thomas Loibl als gequält herrschender Philipp – glasklar und sehr klug durchlebte, nur wegen der dusseligen Akustik oft schwer zu verstehende Sprache!" In der Zeit (24.5.2018) ist Michael Skasa dennoch genervt: "Sire, geben Sie mehr Spielfreiheit, mehr Licht! Über vier Stunden nur nebliges Lichtgeriesel, verworrenes Briefewechseln und Geraune, ein paar Tote und die Frage, wozu das alles – wozu?"
"Dark as night and running late into it, the minimally furnished, starkly lit production provides its many theatrical jolts thanks to a large and committed cast", berichtet A. J. Goldmann in der New York Times (2.11.2018). "With the intense and smoldering Mr. Pätzold in the role (of Posa), our attention is never less than riveted. So much so that Mr. Kusej’s production quickly loses steam in the final half-hour, after Posa’s murder."
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