Diese Firma ist Scheiße

21. April 2024. Einer kommt immer zu spät, eine ist hartnäckig gemutet, und natürlich findet sich auch jedesmal jemand, der glaubt, eine Hose sei in Videokonferenzen überflüssig: Wer kennt sie nicht, die Niederungen des digitalen Arbeitslebens? Der japanische Theatermacher Toshiki Okada entdeckt in ihnen jetzt das Musical-Potenzial. 

Von Cornelia Fiedler

Toshiki Okadas "Homeoffice" am Düsseldorfer Schauspielhaus © Thomas Rabsch

21. April 2024. Das Glücksversprechen hat einen Shitstorm ausgelöst. Und wer soll den nun ausbaden? Der Werbetexter in seiner mit Spielzeug übersäten Einbauküche? Die etwas zu hilfreiche Künstliche Intelligenz im schicken Café in kühler Industrial-Optik? Die verantwortungsabstinente CEO in ihrem Yoga-Retreat?

Toshiki Okada schickt für sein neues Stück "Homeoffice" sieben Bullshit-Jobber:innen in einen Zoom-Call mit offener Flanke zur existenziellen Krise. Verteilt auf sieben Räume, die Bühnenbildner Ansgar Prüwer über zwei Etagen angeordnet und detailgenau ausgestattet hat, trudeln die Figuren nach und nach im Online-Meeting ihres Start-ups ein. Recht erwartbar folgen Ton- und Verbindungsprobleme, Verrenkungen, um außerhalb des Bildausschnitts schnell noch Dinge zu erledigen, sowie die Frage, ob es noch losgeht oder schon längst -gegangen ist. Und natürlich gibt es Menschen, die denken, eine Hose sei in Videokonferenzen überflüssig.

Entlarvende Dauerschleife aus Banalitäten und Phrasen

Signifikant für die Inszenierungen von Toshiki Okada, der 2020 mit "The Vakuum Cleaner" und 2022 mit "Doughnuts"zum Berliner Theatertreffen eingeladen war, ist ein Humor, der mindestens zwei Ebenen benötigt: Zum einen den Text, eine entlarvende Dauerschleife aus Banalitäten, unausgereiften Überlegungen und groß tönenden New-Work-Phrasen. Zum anderen die unglaubliche Körperarbeit der Spieler:innen, die das gesprochene Wort beständig konterkariert.

Home Office 3 CThomasRabsch uGeht es noch los – oder läuft es längst? Thomas Hauser, Claudius Steffens, Belendjwa Peter in den Abgründen des Zoom-Call-Alltags © Thomas Rabsch 

Da ist zum Beispiel Tsubasa (Kilian Ponert), der ganz sorgenvoll spricht, dabei aber, breitbeinig wie ein Weberknecht wippend, mit nackten Beinen und baumelnder Krawatte über dem Laptop hockt; oder Hajime (Belendjwa Peter), der:die beim Reden mit geschmeidigen, weit ausholenden und zugleich detailversessenen Dirigent:innengesten kryptische Botschaften in die Luft zu zeichnen scheint. Die ins Absurde vergrößerten Alltagsbewegungen und ritualhaften Verrenkungen erzählen immer vor allem eines: wie entfremdet die Menschen sind – von ihrer sinnfreien Arbeit, von sich selbst, vom Rest der globalisierten Welt, in dem durchaus Relevantes passiert.

Jede:r eine Welt für sich

Das Problem mit dem besagten Glücksversprechen, konkret dem "Abo auf ein kleines Glück", das der Werbeslogan der Firma "sogar für dich" garantiert und womit er jede Menge wütender Kund:innenreaktionen generiert hat, gerät im Meeting ständig aus dem Blick. Alle Beteiligten reden und performen aneinander vorbei, jede:r in einer anderen, sinnfreien Stream-of-Consciousness-Mission. Der Form halber wird kommuniziert, während alle nur um sich und ihre Befindlichkeiten kreisen. Diese digitalen Nomaden sind digitalen Monaden, jede:r eine Welt für sich.

Dass sich zwei der Figuren selbst als Autor:innen des gesamten Stücks – und das Schreiben als eine Form der Rache – beschreiben, ploppt hier ebenso beiläufig auf wie der Ärger der Chefin über die Krähen vor ihrem Fenster oder die Angst der Programmiererin vor einem Geist, der im Videokonferenzbild durch ihre Wohnung huscht.

Home Office 1 CThomasRabsch uDigitale Monaden: Rainer Philippi, Kilian Ponert und Blanka Winkler auf Ansgar Prüwers Bühne in Kostümen von Tutia Schaad © Thomas Rabsch

Etwa ab der Hälfte mutiert der Abend stark in Richtung Musical. Das ist irgendwie konsequent: Die eigenen Alltagsgedankenschleifen auch noch in Songs zu gießen, scheint die logische Fortsetzung der Deprivation im mobilen Arbeiten. "Bin ich jetzt schuld?", singt beispielsweise Tsubasa inbrünstig zu Musik von Kazuhisa Uchihashi. Das hat Hitpotenzial, ebenso wie "Diese Firma ist Scheiße" von Tamachan (Blanka Winkler).

Bei aller Freude über das präzise Spiel und die skurrilen Ideen – "Homeoffice" erinnert auf Dauer zu sehr an die Pandemie-Stücke des ersten Corona-Jahres. Das mag am Titel liegen, der keinen Interpretationsspielraum lässt und außerdem mehr Zeitdiagnose verspricht, als Okada liefern will. Aber auch daran, dass die Form – Darsteller:innen spielen isoliert in abgeteilten Guckkästen – nach Jahren der Abstandsregel-Experimente auf der Bühne schlicht nichts Neues mehr erzählt.

Es ist nicht schlimm, ein Geist zu sein

Eine charmant verstörende Lebensweisheit zum Umgang mit der digitalen Arbeitswelt gibt es am Ende dann doch noch. Sie kommt vom lederjackigen Mitarbeiter-Outlaw Joe (Rainer Philippi), zugeschaltet aus einem selbstgebauten Tonstudio mit Eierkartons an den Wänden. Gerade versuchen seine Kolleg:innen, sich gegenseitig zu beweisen, dass sie echt und keine KIs sind. Joe dagegen erklärt, man könne durchaus damit leben, nur ein Bild auf dem Monitor der Anderen zu sein. Oder nicht? "Deshalb möchte ich vorschlagen", singt er aufmunternd, "dass Sie, wenn es soweit ist, einfach akzeptieren, dass Sie ein Bild sind. Es ist nicht schlimm, ein Geist zu sein."

 

Homeoffice
von Toshiki Okada
Aus dem Japanischen von Andreas Regelsberger
Regie: Toshiki Okada, Bühne: Ansgar Prüwer, Kostüm: Tutia Schaad, Musik: Kazuhisa Uchihashi, Licht: Jean-Mario Bessière, Dramaturgie: Matthias Lilienthal, Makiko Yamaguchi, Robert Koall.
Mit: Sonja Beißwenger, Thomas Hauser, Belendjwa Peter, Rainer Philippi, Kilian Ponert, Claudius Steffens, Blanka Winkler
Premiere am 21. April 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.dhaus.de

Kritikenrundschau

"Auf den ersten Blick wirkt das alles wie ein Flashback in Corona-Zeiten", schreibt Alexander Menden in der Süddeutschen Zeitung (22.4.24). "Doch gerade, weil wir akzeptiert haben, dass Privat- und Arbeitsraum nicht mehr zu trennen sind, gerade weil dieses seltsame Leben des Individuums als einer von Abermillionen Andockpunkten der Glasfaser-Pipeline zum Alltag geworden ist, vermögen wir umso besser zu erkennen, dass Toshiki Okada in "Homeoffice" ein kluges, komisches Bühnenkonzentrat der technisierten Gegenwart geschaffen hat, einen luziden Blick in unsere Welt der Laptop-Monaden."

Der Abend werde "von teilweise virtuosen Schauspielern glanzvoll über die Rampe gebracht", findet Michael Georg Müller in der Westdeutschen Zeitung (22.4.24, €). "Ingesamt erheitern und unterhalten die Szenen, die meist grotesk überspitzt gespielt werden. Aber inhaltlich ginge es um wenig. "Die Schauspieler übertünchen (…) mit ihrer Bühnenpräsenz die Schwäche des Textes."

"'Homeoffice'" ist ein gesellschaftliches Psychodrama, das an Kafkas unheimliche Erzählung "Der Bau" immer mal wieder erinnert", schreibt Lothar Schröder in der Rheinischen Post (22.4.24, €). Geändert habe sich seither offenbar nichts. "Und so ist "Homeoffice" keine Ursache von existenzieller Vereinsamung und Bedrohung, sondern lediglich ihr Symptom. Muss man gesehen haben."

Formal, hochgradig artifiziell, dabei jedoch zugleich ziemlich vergnüglich, so die Einschätzung von Christoph Ohrem auf Deutschlandfunk Kultur (20.4.2024). Der Kritiker erkennt auf der Bühne "eine ganz eigene anarchische Energie". Allerdings vermisst er am Ende dann doch ein wenig eine Handlung.

Das Thema selbst – die digitale Arbeitswelt – sei zwar ziemlich dünn und klischiert, doch bekomme es in Kombination mit Okadas japanisch-spiritueller Fantasie überraschend absurden Charme, findet
Nicole Strecker von WDR5 (22.4.2024). "Was unterscheidet Menschen und Geister überhaupt noch, wenn durch den virtuellen Raum nur Identitäten ohne Körper spuken? Ja, was heißt Menschsein im digitalen Zeitalter? Große Fragen, die Toshiki Okada mit leisem schrägem Humor formuliert."

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