Hexen an die Macht

von Hartmut Krug

Magdeburg, 2. November 2013. Keine Inszenierung von Volker Lösch ohne Laienchor: Auch in seiner ersten Operninszenierung spielt er eine entscheidende Rolle, was der Regisseur mit einem Satz Giuseppe Verdis zu seinem "Macbeth" begründet: "Die Hexen beherrschen das Drama, alles geht von ihnen aus." So kommen bei Lösch zu den drei Kunst-Hexen von Shakespeare und Verdi noch 15 Magdeburger Sprechhexen mit ihren subjektiven Erfahrungen und Anklagen.

Sie steigen aus den Zuschauerreihen hinauf auf die Bühne und bringen mit ihren Auftritten an der Bühnenrampe eine von männlicher Gewalt in familiärer Kindheit, in der Ehe und am Arbeitsplatz geprägte heutige Frauenwirklichkeit in Verdis alte Oper ein. In Kittelschürzen und mit Pussy-Riot-Masken tun sie sich mit den Gesangshexen auf der Bühne zusammen. Auch Lady Macbeth kommt aus ihrer Mitte, sie wechselt ihre Schürze auf der Bühne gegen ein strahlendes Herrschafts-Outfit.

Lehrstück über Gewalt und Männermacht

Lösch sieht die Hexen als Figuren, die die Gesellschaft verändern wollen – weshalb sie die Männer manipulieren, um sie und ihre Herrschaft in den Untergang zu führen: Danach kann die Welt nur besser werden. Verdis Oper, die immer wieder auch seelische Zustände untersucht, wird bei Lösch zu einem Lehrstück über Gewalt und Männermacht. Doch das Konzept wirkt allzu ausgedacht und einer Vorlage aufgepfropft, die einfacher und klarer ist. Außerdem durchdringen sich heutige Texte und Opernszenen nicht, verbinden sich nicht zu einer neuen, eigenen, inhaltlich-ästhetischen Wahrheit, sondern stehen isoliert nebeneinander und bleiben vor allem dramaturgisch-methodische Behauptung.

macbeth1 560 nilzboehme uLady Macbeth vor dem Chor der Pussy-Riot-Kittelfrauen. © Nilz Böhme

Nur einmal reagiert das Publikum auf die Schilderungen von Übergriffen und Vergewaltigungen und auf die Erfahrung, dass Frauen bei öffentlichem Widerstand in unserer Gesellschaft meist ins Unrecht gestellt werden: Als von einem Fall sexueller Gewalt in der Staatskanzlei berichtet, politisches Handeln kritisiert und Namen genannt werden, bis hin zu dem des Ministerpräsidenten Haseloff, gibt es Proteste, Buh-Rufe, Unmut und, als Reaktion darauf, auch Bravos. Also eine kleine Kontroverse.

Medialer Overkill

Wenn am Beginn Macbeth und Banquo mit Maschinenpistolen und in grellbunten, schön lächerlichen Phantasiekostümen aus siegreicher Schlacht zurückkehren, schiebt sich auf der riesigen, rückwändigen Projektionsfläche ein stilles Meeresufer ins Bild. Dann entdeckt man: Es ist übersät mit Soldatenleichen. So beginnt die Fülle medialer Einspielungen, mit der Stück und Inszenierungsthese zur verdoppelnden Überdeutlichkeit geführt wird. Wo Verdi mit Shakespeares Figuren und seiner Musik schon von Gewalt und Macht erzählt, da möchte Lösch diese noch deutlicher machen und aktualisieren.

Es ist eine Reizüberflutung für den Zuschauer, wenn er über der Oper Bilder, Projektionen, Zeichen, dokumentarisches Material und Comics ausschüttet, die die klare Handlung und das oft an der Rampe auf leerer Bühne ausgestellte Gesangsspiel der Protagonisten fast in den Hintergrund schieben.

macbeth2 560 nilzbhme uMächtige in Grellbunt, dazu Anzugträgergrau © Nilz Böhme

Es sind Bilder, die das gesamte Elend unserer modernen, von Männern bestimmten Welt vortragen. Wenn der Tod des Königs geplant wird, flimmert der Mord an Kennedy vorüber. Später bläht sich zur Nachricht vom Tod der Lady ein Atompilz auf. In Zeitlupe wälzen sich Bilder von Nine-Eleven über die Wand, nachdem Duncan ermordet wurde, während Anzug-Menschen mit Aktenkoffern über die Bühne rasen. Wenn Lady Macbeth sich die Blutflecken des Königsmordes abzuwischen sucht, rollt ein Güterzug in unendlicher Länge über die Leinwand (Auschwitz?!), wenn Macduff seinen toten Sohn in den Armen hält, wird eine Art Nutella-Werbefilm mit glücklicher Familie eingespielt. Das große Mahl findet vor einer Werbetafel mit Logos statt (als sei man beim Fußballer-Interview), und bevor Macbeth der tote Banquo erscheint, wird ein filmisches Bacchanal wie von Fellini gezeigt.

Wenn schließlich Macbeth seine Soldaten zum Kampf aufruft, vereinen sich alle mit Männlichkeitsgehabe zu "Das verratene Vaterland ruft uns" an der Rampe. Dazu oder dagegen läuft auf der Rückwand ein Cartoon, der Soldaten als kleine, komische Phallussymbole zeigt. (Zu Beginn war vor der Ankunft von Macbeth stellvertretend für ihn bereits ein riesiger Strohballen-Phallus auf die Bühne geplumpst.) Und wenn die Lady überlegt, wie sie ihren Mann zum Morden bringt, schweben die Modelschönheiten der "Victoria Secret"-Unterwäsche-Modenschau über die Projektionsfläche.

Faustschläge der Bedeutungseinhämmerung

So wird uns in dieser Inszenierung alles erklärt. Die medialen Fingerzeige wirken wie Faustschläge, die dem Zuschauer Bedeutungen einzuhämmern suchen. Man muss das alles so ausführlich erzählen, weil die Zeichen und Bilder die Inszenierung mehr bestimmen als das eigentliche Geschehen auf der Bühne. Von den Verdeutlichungsbildern wird der Zuschauer in Atem gehalten, nicht von der Geschichte selbst.

Immerhin: Lösch belässt es in der Chor- und Protagonistenführung bei so klaren wie einfachen Tableaus. Es sind scharf gezeichnete Bilder, bei denen es nicht allzu sehr stört, dass die famosen Sänger (vor allem Karen Leiber als Lady, Adam Kim als Macbeth und Iago Ramos als Macduff) nicht geführt, sondern gestellt werden. Und zwar meist für ihre Arien zur oder an die Rampe. Über Grundhaltungen hinaus sind die Sänger nicht weiter gefordert. Auch die Chöre sind nicht wuselig munter, sondern werden jeweils auf eine einzige, formalisierte Gesamtbewegung eingestellt, ob es ein Sektkelchschwenken beim Festmahl oder männliches Posieren beim Doppelchor der Frauen ist.

Am Schluss, während im Hintergrund Raketen, Marschflugkörper oder Drohnen abgefeuert werden, setzt der neue König seinen Fuß auf den toten Macbeth, als sei dieser ein erlegtes Tier. Und alle, deutlich weiter als Krieger zu erkennen, rücken um ihn herum vor. Dann flackert abermals ein wahres Bildergewitter auf, zwischen Konsum und Umweltzerstörung und mit allen Übeln unserer Zeit. Es scheint nicht so, als sei der Plan der Lösch-Hexen aufgegangen. Das letzte Wort allerdings haben sie, noch nach dem von Kimbo Ishii-Eto sensibel forschend geführten Orchester. "Ich lass mich nicht mehr demütigen", verkünden sie. Dann gibt es viel Applaus und manches Buh für den Regisseur.

 

Macbeth
von Giuseppe Verdi
Libretto von Francesco Maria Piave und Andrea Maffei nach William Shakespeare
Musikalische Leitung: Kimbo Ishii-Eto, Regie: Volker Lösch, Sprechchorleitung: Bernd Freytag, Raum/Videokonzeption: Cary Gayler, Kostüme: Carola Reuther, Videogestaltung: Jan Müller, Dramaturgie: Stefan Schnabel, Ulrike Schröder, Choreinstudierung: Martin Wagner.
Mit: Adam Kim, Johannes Stermann, Karen Leiber, Ute Bachmaier, Iago Ramos, Chan Young Lee, Viktor Grottke, Jörg Benecke, Frank Heinecke, Ulrike Bäume, Bo Mi Lee, Gabriele Stoppel-Bachmann; Sprechchor "Magdeburger Hexen": Martina Behnisch, Margit Behrens, Ellie Engel, Annett Fischer, Rita Freudenberg, Angela Kolodziej, Ludmila Konstantinovskiy, Sarah Kowallik, Kirsten Mengewein, Katharina Röhl, Annemarie Römer, Melanie Sokolowski, Uta Volkmar, Ines Wilk, Alexandra Will.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.theater-magdeburg.de

 

Mehr zu den Arbeiten von Volker Lösch im entsprechenden Lexikon-Eintrag. Musikalisch, wenn auch ohne Verdi, näherte sich jüngst auch David Marton dem Macbeth-Stoff, in seinem Schottenstück an der Berliner Volksbühne.

 

Krtikenrundschau

"Die Hexenfrauen im von Bernd Freytag sehr gut einstudierten Chor zuerst sprechend und danach choreografisch in den singenden Chor der Verdi-Shakespeare-Hexen einzugliedern, war die beste und eine dem Genre Oper wirklich entsprechende Regie-Idee Volker Löschs. Leider auch die einzige", schreibt Irene Constantin in der Magdeburger Volksstimme (4.11.2013). Volker Lösch und sein Team müssen ihrer Einschätzung zufolge im übrigen "stocktaub und völlig unmusikalisch sein. Wie sonst könnte man sich erklären, dass keiner von ihnen der Kraft der Musik auch nur im Ansatz vertraute." Die Figuren seien durch lächerliche grellfarbige Kostüme, Fantasieuniformen und schottenkarierte Nachthemden von vornherein denunziert. "Dass derart zu Playmobilmännchen reduzierte Personen dann auch nicht im Ansatz Musik-Theater spielen, verwundert sie dann kaum. Vollends unerträglich ist für die Kritikerin die Plattheit der Assoziationen, die Löschs grelle Bildfolgen dem Publikum aufdrängen würden. Die musikalische Umsetzung durch Orcheser und Sänger unter der Leitung von Kimbo Ishii-Eto allerdings sei großartig. Empfehlung der Kritikerin: "Augen schließen und genießen".

Von Reizüberflutung des Publikums durch die bildhafte Kommentierung der Opernmotive auf einer Leinwand im HIntergrund spricht Boris Michael Gruhl in der Sendung "Figaro" vom Mitteldeutschen Rundfunk (4.11.2013). Allerdings zeige Lösch erstaunliches Talent bei der Komposition großer Opernbilder. Aber weniger wäre hier mehr gewesen. Denn der Musik werde so die Spannung genommen.

Mit Verdis Partitur "kollidieren die unisono oder in Gruppen vorgetragenen Philippika weit weniger als erwartet, weil sie schlicht zwischen die einzelnen Nummern und Akte verteilt werden", berichtet  Christian Wildhagen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (6.11.2013), was dem Abend ein "in seinem Schematismus archaisch anmutendes Form-Korsett" verpasse, das der Oper dennoch Luft lasse. "Die Magdeburger Produktion scheitert gleichwohl am Handwerklichen. So gelingt es Lösch nicht, eine theatralisch wirksame Beziehung zwischen den Sprechchören und dem Operngeschehen herzustellen." Der Rest sei "betuliches Betroffenheitstheater".

"Politisches Musiktheater, ausgerechnet in Magdeburg. Wer hätte das gedacht!", freut sich Joachim Lange in der Welt (8.11.2013). Intendantin Karen Stone könne mit Volker Löschs "Macbeth" "eine Inszenierung vorweisen, die musikalisch stimmt und Frauenmut vor Präsidententhronen beweist." Dem Frauen-Sprechchor ("Gut gebrüllt, Hexen", ruft Lange aus) gelinge unter Bernd Freytag "eine Präzision, die an den letzten großen Sprechchormeister Einar Schleef erinnert." Und auch jenseits dieses Chores hätte Volker Lösch "keinerlei Hemmungen, 'Macbeth' so direkt politisch zu inszenieren, wie Text und Musik klingen."

 

 

 

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