Reden wir über Shakespeare

14. April 2024. Warum nochmal müssen Romeo und Julia sterben? Joanna Praml holt für ihre spezielle Art der Shakespeare-Überarbeitung, oder besser Überredung, immer wieder jugendliche Spieler und Spielerinnen zum Diskutieren auf die Bühne. Beispielhaft auch in ihrer neuen Arbeit in Nürnberg. Sterben muss an dem Abend niemand.

Von Wolfgang Reitzammer

Joanna Pramls "Romeo und Julia" mit jungen Laien-Schauspieler:innen am Staatstheater Nürnberg © Konrad Fersterer

14. April 2024. Schon mehrfach hat Joanna Praml ihre Methode der "Klassikerüberschreibung" an deutschen Theatern erprobt. 2013 wurde zum Beispiel unter ihrer Leitung im Berliner Theater an der Parkaue "Romeo und Julia" – sehr frei nach William Shakespeare – von ambitionierten Jugendlichen filetiert und wenig später zum Berliner Theatertreffen der Jugend eingeladen. Neun Jahre später hat sie am Düsseldorfer Schauspielhaus sieben junge Laien und fünf Profis in ein "Making-Of-Shakespeare"-Format gepackt, in dem bühnenwirksam und spielerisch diskutiert wurde, wie man heute Stücke des britischen Dramatikers präsentieren sollte. Nun also – als Uraufführung – eine weitere Überschreibung zu "Romeo und Julia", die ebenso das Label "Überredung" tragen könnte: Reden wir einfach mal darüber!

Es treffen sich auf der großen Bühne dreizehn von der Dramaturgie (Sabrina Bohl) gecastete Jugendliche aus Nürnberg und Umgebung mit dem erfahrenen Kammerschauspieler Pius Maria Cüppers, der am Staatstheater schon in mehreren Shakespeare-Rollen zu sehen war – etwa auch als Franziskanermönch Bruder Lorenzo.

Happy End oder fünf Todesfälle?

Der Anspruch ist von der ersten Minute an klar ersichtlich: Das hier soll kein amateurhaftes Schülertheater werden, hier wird mit Bühnentechnik, Video, Sound (Hajo Wiesemann) und Licht (Günther Schweikart) geklotzt, hier wollen junge Menschen im Alter von 16 bis 23 Jahren mit sehr unterschiedlichen ethnischen und sozialen Hintergründen die berühmteste Liebes-Tragödie, die vor über 400 Jahren entstanden ist, auf ihre Gegenwartstauglichkeit testen.

Geführt werden sie dabei von Joanna Praml, die zusammen mit Dorle Trachternach zentrale Text-Bausteine für die Probenarbeit vorgegeben hat. Der Rest ist work in progress, bei dem später jeder noch ein bisschen seine eigene Biografie und seine eigenen Emotionen einbringen kann.

Romeo und Julia1 1200 Konrad Fersterer uMuss die Jugend am Ende sterben? Emma Păcurariu und Malek Aldirani in "Romeo und Julia" am Staatstheater Nürnberg © Konrad Fersterer

So entsteht eine turbulente Mischung aus den bekannten Handlungs-Höhepunkten, aus der Text-Befragung im Stuhl-Sitzkreis und aus einzelnen, manchmal verwirrenden Rollen-Dissonanzen. Gleich am Anfang diskutiert die Gruppe – schön aufgeteilt in historisch kostümierte Jung-Veroneser und Schlabber-Look tragende Generation-Z-Hedonisten (Kostüme: Claudia Kalinski)– über die Alternativen Happy End oder fünf Todesfälle, "Give peace a chance" oder ausweglose Tragödie.

Mit chorischem Sprechen artikulieren die Akteure ihre Grundfragen: Muss die Jugend (also die 14-jährige Julia und der 16-jährige Romeo) sterben, damit die Gesellschaft (also die verfeindeten Häuser Montague und Capulet) umdenkt? Wäre eine Überwindung der gespaltenen Gesellschaft das Ende aller Welt-Tragödien?

Verliebt-wie-noch-nie-Gefühle

Es geht aber auch um das Phänomen der Liebe auf den ersten Blick, das erst in Zweier-Aufstellungen, dann unter einem großen Zelt-Tuch erprobt wird – mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Beim Maskenball, der hier eine drogenlastige Techno-Party ist, fällt plötzlich der altmodische Satz: "Ich war noch nie in meinem Leben so verliebt."

Realität schlägt Utopie, daran hat auch Pius Marias Cüppers, der einzige Profi auf der Bühne, einen Anteil. Am Anfang spielt er den beleidigten Premieren-Besucher, der seinen traditionellen Shakespeare sehen will, dann mischt er sich als Fürst, DJ, Pater Lorenzo und auch als Zauberer ins Getümmel. Es gibt noch ein bisschen Einstürzende Balkone in Verona, Klimakleber, die mechanische Tacker verwenden und ein sich zum Choral aufbäumendes "Something" von den Beatles.

Romeo und Julia4 1200 Konrad Fersterer uKompromiss-Suche: Pius Maria Cüppers als Theater-Besucher, der es werktreu will, und das Ensemble in Diskussion © Konrad Fersterer

Am Ende können sich alle auf den Kompromiss einigen, dass es kein Ende gibt, dass es sich lohnt weiterzumachen, dass uns auch ein Magier nicht weiterhelfen wird und dass es manchmal ganz erfrischend ist, im Regen zu – trotz der Warnung von Bob Dylan: "A hard rain is gonna fall".

Das Ende fällt aus

Alle agieren mit großer Körperlichkeit, mit tapferer stimmlicher Präsenz, mit ein bisschen Selbstironie und mit einer ganz großen Theater-Leidenschaft. Eine besondere Würdigung verdient die 11-jährige Frida Bohl, die mit erfrischender Selbstsicherheit für eine weitere Perspektive sorgt: sie kann noch nicht über Liebe mitreden, aber sie weiß schon, dass hier ihre Zukunft verhandelt wird, eine Zukunft, die ein Großteil der Zuschauer nicht mehr erleben wird.

Natürlich dürfte der eine oder andere langjährige Premieren-Besucher darüber mäkeln. Dennoch hat ein solches Projekt seine Berechtigung, weil sich damit eine Öffnung in die kulturferne Stadtgesellschaft denken lässt und möglicherweise nachhaltig neue Besuchergruppen angelockt werden. So viel Beifall und Standing Ovations gab es jedenfalls bei den bisherigen Premieren dieser Spielzeit noch nicht!

Romeo und Julia
nach William Shakespeare
Text von Joanna Praml und Dorle Trachternach
Regie: Joanna Praml, Bühne und Kostüme: Claudia Kalinski, Musik: Hajo Wiesemann, Licht: Günther Schweikart, Dramaturgie: Sabrina Bohl, Künstlerische Produktionsleitung: Greta Călinescu.
Mit: Pius Maria Cüppers, Tina Abbasi, Collyne Achangwa, Malek Aldirani, Senta Beck, Frida Bohl, Aleksandar Bogdanovi, Franz Ehrl, Ben Grund, Stefanos Karamperis-Gatsias, Emma Păcurariu, Lilian Popp, Lea Wößner, Giosuè Zappalà.
Premiere am 13. April 2024
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-nuernberg.de

 

Kritikenrundschau

"Es gibt ein paar Runden Leerlauf. Redundanzen sollten gestrichen werden. Und die Entscheidung zum Finale könnte dramaturgisch stringenter und mit weniger Hin und Her getroffen und vorgeführt werden", so Herbert Heinzelmann von den Nürnberger Nachrichten (15.4.2024). Dessen ungeachtet sei der Abend jedoch unterhaltsam, ansehnlich, stimmungsvoll, amüsant und nachdenklich, kurzum ein "unprätentiöser Bühnen-Erfolg".

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