Mackie Messer. Brechts Dreigroschenfilm - Nicht immer hat der größte Fan das beste Händchen
Einmal in dem tristen Leben einem Mann mich hinzugeben
von Gabi Hift
11. September 2018. "Siehst du den Mond über Soho?"– "Ich seh ihn, Lieber". – Keinen Pappmond, der von oben herunterfährt, sondern einen, der über dem Wasser aufsteigt, denn wir sind nicht im Theater sondern im Kino. Die Liebesleute, Mackie Messer und seine minderjährige Braut Polly, fahren Boot. Von einer Brücke schaut Brecht, gespielt von Lars Eidinger, auf seine Geschöpfe hinunter und erklärt seinem Begleiter, dem Filmproduzenten Nebenzahl, wie er sich die Szene vorstellt: "Am Ruder: sie", sagt er, und: "Ein oder zwei Monde genügen." Sofort geht pflichtschuldig ein zweiter Mond auf – da ist also hinter der Kamera jemand am Werk, dem dran liegt, Brechts Phantasien akkurat umzusetzen. Man kann ja dran zweifeln, ob Brecht das mit den zwei Monden so wortwörtlich gemeint hat, aber als gleich drauf eine Balletttruppe in weißen Gewändern auf dem Gehweg auftaucht und eine schreckliche Verliebt-im-Mondlicht-Choreographie aufs Pflaster zuckert, gibts nichts mehr zu zweifeln: das kann Brecht nie und nimmer gewollt haben!
Soziologisches Experiment
1930 hatte Brecht, angeheuert von einer Filmproduktionsfirma, am Drehbuch für eine Verfilmung der "Dreigroschenoper" gearbeitet, wurde aber gefeuert, weil er sich zu weit von der Bühnenfassung entfernen wollte. Der Film wurde ohne ihn gemacht, Brecht, der manische Allesverwerter, klagte gegen den Rausschmiss, deutete den Prozess in ein vom ihn initiiertes soziologisches Experiment um und schrieb einen Text darüber, nach Art seiner späteren Lehrstücke. Diese Schrift, "Der Dreigroschenprozess", ist die Grundlage der Rahmenhandlung von "Brecht – der Dreigroschenfilm".
Eingebettet in diese Erzählung ist der Versuch, "Die Dreigroschenoper" so zu verfilmen, wie Brecht es sich damals vorgestellt haben könnte. Für den Regisseur und Autor Joachim A. Lang ist das ein Lebensthema, er hat über den Prozess schon seine Dissertation geschrieben, hat eine Dokumentation über Brecht gedreht, war Leiter der Augsburger Brechttage und hat sich viele Jahre auf das Projekt vorbereitet.
Vor lauter Respekt legt er Brecht kein einziges Wort in den Mund, das nicht von ihm stammt, aber naturgemäß sind die Sätze, aus denen er auf die Art Dialoge zusammen puzzelt, geschriebene, nicht gesprochene. Sie stammen aus der Dreigroschenprozessschrift, aus Zeitungsartikeln und Interviews. Geschichte lässt sich damit keine erzählen, denn es gibt ja nur eine einzige Position, die von Brecht, und zwar die offizielle, in der er es so darstellt, als habe er eine perfekte, politisch zugespitzte Fassung erarbeitet, die der Produktionsfirma zu radikal gewesen sei. Die einseitige Polemik ohne Widerpart ist aber noch nicht das Schlimmste, sondern wie die Texte als völlig unwahrscheinliche Dialogzeilen in rudimentäre Spielfilmszenen eingebaut sind.
Brechtsches Mansplaining
In Interviews hat Lang erklärt, er verspreche sich davon einen interessanten, irgendwie brechtschen V-Effekt. Tatsächlich sind diese Szenen eine Qual. Es muss schauspielerische Schwerstarbeit für Lars Eidinger gewesen sein, die Sätze so klingen zu lassen, als würde er sie tatsächlich in einem Gespräch mit vertrauten Menschen sagen. Leider schafft er es tatsächlich – guter Schauspieler, der er ist – und wird dadurch zu einer Person, die selbst mit Freunden und Geliebten immerzu in absurd geschliffenen Sentenzen spricht und alle anderen zu Stichwortgebern degradiert – attraktiv wirkt das nicht. All die Frauengestalten, die diesem Mansplaining im Film gläubig zuhören müssen, hätten Brecht wohl nicht einmal mit der Zuckerzange angefasst, wenn er so einer gewesen wäre.
Auch ich habe das sichere Gefühl, Dinge über Brecht zu wissen, nur sind das ganz andere als die, die Joachim Lang weiß. Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass Brecht sich total gewünscht hätte von Lars Eidinger gespielt zu werden, von diesem normalerweise vor Energie und Sex strotzenden Kraftpaket, mit seinem offenen Ausdruck – genau so wollte B.B. sein, mit seinem "deshalb bitt' ich Gott früh und spät – um Vitalität". Und jetzt merzt ausgerechnet der Schauspieler, der B.B.'s Ideal von sich selbst im Naturzustand so nahe gekommen wäre, gerade das aus, was dem armen B.B. so gefallen hätte – nur um dann in seinem Ledermantel mit seiner Schiebermütze hölzern dazusitzen, säuerlich, wahrscheinlich auch noch stolz darauf , dass er sich für eine Rolle so verändert hat. Gut, dass Brecht das nicht mehr erleben musste: zuerst die Freude drüber, was für ein toller Kerl ihn spielen wird – und dann dieser Absturz. Trübe Ironie der Geschichte.
Gott sei Dank machen diese Rahmenszenen nur einen kleinen Teil des Films aus und münden immer bald in Szenen aus der "Dreigroschenoper", die wiederum durchaus Spaß machen. Zwar sind die Kanäle zwischen den Ebenen von einem völlig unironischen Double-history-Ausstattungsoverkill verstopft – man rauscht ständig zwischen den üppigst aufgedonnerten Berliner Dreißiger Jahren und dem noch opulenteren Dickensschen Armuts-London des 19. Jahrhunderts hin und her – auch brechen immer mal wieder unmotivierte Ballettszenen in die biedere Inszenierung ein (kann sein, dass der Regisseur da an die Tanzszenen in der Romeo und Julia-Verfilmung von Baz Luhmann gedacht hat – nur dass sie nichts von deren Stil und Schwung haben), aber egal, die "Dreigroschenoper" verkraftet mehr oder weniger alles, solange sie, wie hier, von guten Schauspielern gespielt wird.
Und plötzlich singen die Leut' – V-Effekt, V-Effekt
Tobias Moretti ist ein sehr ordentlicher Mackie Messer, elegant und gefährlich, er hat sich Brechts Anweisungen, wie bürgerlich die Verbrecher zu spielen seien, vielleicht ein bisschen zu sehr zu Herzen genommen, aber das sind Kleinigkeiten, jede*r hat eigene Idealvorstellungen von den ikonischen Figuren der "Dreigroschenoper" im Kopf, an die die Schauspieler, die man grade sieht, nie ganz herankommen. Das trifft natürlich immer besonders auf die Darstellerin der Jenny zu, die in den meisten Zuschauerköpfen gegen die vielgeliebte Lotte Lenya antreten muss. Britta Hammelstein versucht angenehmer Weise nicht, es irgendwie ganz anders zu machen und kommt dadurch auch stimmlich ziemlich nah an sie heran. Joachim Król ist ein verschmitzter Peachum, Hannah Herzsprung als Polly für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr 'reine Unschuld' (ich bitte Sie!, als Tochter des Bettlerkönigs!), überhaupt liegt über den meisten ein dünner Schleier psychologischen Spiels, der Glanz wegnimmt. Am wenigsten gilt das noch für Claudia Michelsen als Frau Peachum, die hat einen angenehm scharfen, ordinären Brechtton drauf, der Freude macht.
Das Südwest-Rundfunkorchester unter der Leitung von HK Gruber klingt gut, aber schaumgebremst. Der Film findet keine taugliche Form für die Songs (genauso wenig wie alle anderen Verfilmungen vor ihm, inklusive derjenigen von G.W. Pabst von 1931 mit der Brechtschen Premierenbesetzung, sowenig wie Brecht selbst in seinem Exposé). Auf der Bühne treten die Schauspieler bei den Songs aus den Szenen heraus an die Rampe, und bringen die Zuschauer seit 90 Jahren dazu, aufzuspringen und begeistert mitzusingen. Das wird oft als eine Art Ausrutscher von Brecht und Weill gesehen, denen die als kritisch gedachten Songs zu mitreißend geraten seien. Nichts davon im Film, da klingen die Songs allesamt verhalten. Tatsächlich wollte Brecht nicht, dass sein Publikum sich sentimental mit den Gefühlen der Figuren in den Szenen identifiziert. Aber in dem Moment, in dem die Darsteller an die Rampe treten, steigen sie aus den privaten Interessen der Figuren und aus den Szenen heraus, sie werden zu Trägern der ganz großen Wünsche, "einmal in dem tristen Leben einem Mann mich hinzugeben"; oder die Feinde zu Beefsteak Tartar zu verarbeiten; ein guter Mensch zu sein; hundert Seeräuber für die eigenen Rachegelüste einzusetzen; im Licht zu stehen. Davon singen sie dann an der Rampe, und das reißt das Publikum mit. So werden durch die Verfremdung die Leute nicht weniger ergriffen sondern mehr, nur durch andere Kräfte.
Wer im Song gemeint ist
Joachim Lang versucht der Crux, dass da Leute plötzlich singen sollen statt zu sprechen, teilweise in klassischer Musicalmanier zu begegnen, zum Beispiel geht Joachim Król als Peachum singend durch sein Kontor, schaut Leuten bei der Arbeit über die Schulter und die spielen, dass sie ihn zwar sehen, aber nicht bemerken, dass er singt. Das widerspricht dem Brechtschen Wirkungsmechanismus völlig, weil der Eindruck entsteht, der Song drücke aus, was im privaten Inneren der Figur vorgeht. Gerade mit diesem Inneren hatte Brecht nichts am Hut und natürlich kann man sich nicht von den Gefühlen des widerlichen Herrn Peachum anstecken lassen. Auf die Art gibt's für Król weder aus der Szene noch aus der Figur ein Entkommen.
Die andere Methode, mit der Lang es versucht, ist, dass er Darsteller*innen direkt in die Kamera schauen lässt, "hinaus" aus dem Film. Das sagt aber zum Zuschauer als Einzelnem: "Du! Ich rede jetzt direkt zu dir!" und macht ihn zum isolierten Individuum (sehr schön ist das in Woody Allens Purple Rose of Cairo zu sehen, wo der romantische Held einer Seifenoper von der Leinwand herunter plöttzlich direkt zu Mia Farrow hinsieht – die sich darauf erschrocken umschaut, weil sie wissen will , ob sie die Einzige ist, die auf diese Weise angesprochen wird). Das ist das nackte Gegenteil des An-die-Rampe-Tretens, oft verbunden mit einem Hochfahren des Lichts im Zuschauerraum: da sprechen die Schauspieler*innen alle im Raum an und machen die Zuschauer*innen zum Kollektiv. Die Gefühle in der Szene sind die kritisch zu betrachtenden privaten Sentimentalitäten und Schweinereien der Figuren, die Gefühle in den Songs an der Rampe die großen Gefühle, die alle antreiben, Figuren ebenso wie Schauspieler wie auch die Zuschauer.
Es ist keine Schande, dass Joachim Lang keine Methode gefunden hat, die Bühnenwirkung der Songs im Film zu reproduzieren, schließlich hat Brecht, wie's aussieht, auch nie eine Lösung dafür gefunden. Was aber ärgerlich ist, ist, dass er zu glauben scheint, Verfremdung sei ein Selbstzweck, ein schicker Trick, den man solange probiert, bis man ihn kann, weil man dann in die In-Group aufgenommen wird.
Brechts Vorschläge
Für das Glücksgefühl, das die Songs der "Dreigroschenoper" auf einer Bühne auslösen, ist also weiterhin keine filmische Umsetzung in Sicht. Man muss immer noch ins Theater um es zu erleben, zu einer der unzähligen "Dreigroschenoper"-Aufführungen, die landauf landab gespielt werden (in Berlin zum Beispiel die schöne von Robert Wilson, die seit elf Jahren am Berliner Ensemble läuft). Oder zu einer Aufführung von Castorf oder Vinge gehen, die an ähnlichen Projekten mit innen und außen, Video und Rampe, Verfremdung und großem Gefühl arbeiten – und da schon sehr weit gekommen sind.
Brecht, der gleich dahinten auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof liegt, wollte, dass auf seinem Grabstein steht: "Er hat Vorschläge gemacht, wir haben sie angenommen." Die DDR hat drauf gepfiffen, es steht nur der Name drauf. Joachim A. Lang, dessen Verehrung für Brecht man den ganzen Film über spürt, wollte wohl derjenige sein, der Brechts Wunsch folgt, aber es ist nichts Rechtes geworden. Der Film ist überambitioniert und doch viel zu wenig mutig geraten. Lang hat scheinbar keine eigenen Visionen, er will nur musterschülerhaft beweisen, dass er Brechts Absichten bis in die kleinsten Verästelungen kennt, er will ihn "rehabilitieren" – aber wovon eigentlich? Lang hätte etwas Eigenes wollen müssen, dann hätten Brechts Vorschläge ihm wohlmöglich genützt. Als Selbstzweck taugen sie nicht.
Mackie Messer- Brechts Dreigroschenfilm
Regie: Joachim A. Lang, Bildgestaltung: David Slama, Musiker des SWR Symphonieorchesters, der SWR Big Band und des SWR Vokalensembles unter der Leitung des Dirigenten HK Gruber, Choreographie: Eric Gauthier (Gauthier Dance Company), Redakteurin im SWR: Sandra Maria Dujmovic.
Mit: Lars Eidinger, Tobias Moretti, Hannah Herzsprung, Joachim Król, Claudia Michelsen, Robert Stadlober, Peri Baumeister, Britta Hammelstein, Meike Droste, Godehard Giese, Christian Redl, Max Raabe u.v.a.
Dauer: 2 Stunden und 10 Minuten, keine Pause
Produktionsfirma / Verleih: Zeitsprung Pictures, SWR / Wild Bunch Germany
Kinostart: 13. September 2018
www.wildbunch-germany.de/movie/brechts-dreigroschen-film
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Nach einigen verschwendeten Minuten mit dem Text von Gaby Hift weiß ich nun, dass sich die (...Rezensentin) vermutlich für die größte Autorin und härteste Kritiker*in auf Gottes Erden hält, aber immer noch nicht, ob ich nun in diesen Film gehen soll oder nicht.
Das liegt weniger daran, dass Frau Hift mit ihrer Meinung keineswegs hinter dem Berg aus subjektiven Phrasenanhäufungen verborgen bleibt, sondern eher daran, dass ich bei all der Subjektivität der Selbstaufgeilung an ihren eigenen Worten Angst habe, dass hinter all diesem Schmonz vielleicht nur das stecken könnte, was sich als erster Eindruck einstellt: Die unbändige Lust an einem Verriss.
"Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass Brecht sich total gewünscht hätte von Lars Eidinger gespielt zu werden, von diesem normalerweise vor Energie und Sex strotzenden Kraftpaket, mit seinem offenen Ausdruck – genau so wollte B.B. sein, mit seinem 'deshalb bitt' ich Gott früh und spät – um Vitalität'". (Gabi Hift)
Was sind denn das für Sätze? (Liebevolle) Ironie oder bitterer Sarkasmus?
Der Film wollte sicher viel, vielleicht zuviel, ist aber in seiner wirklich nicht alltäglichen Machart ein Hingucker und -hörer.
Diese Geschichte ist ein hervorragender Filmstoff. Da Lang neben dem Orchester des koproduzierenden SWR eine erlesene Riege von Schauspieler*innen zusammentrommelte, durfte man bei „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ auf ein großes Kinovergnügen hoffen: Schaubühnen-Star Lars Eidinger als Zigarren paffender Brecht, ganz naturalistisch in Lederjacke und Schiebermütze, Robert Stadlober als Kurt Weill, Tobias Moretti als Ganove Mackie Messer, Joachim Król als Bettlerkönig Peachum und Claudia Michelsen als seine Frau.
Dass die beim Filmfest München uraufgeführten 130 Minuten dennoch über weite Strecken langweilen, liegt daran, dass der Film unter der schweren Last des demonstrativ zur Schau gestellten Wissens des Regisseurs und Drehbuchautors Lang und des zu penetrant eingesetzten Brecht-typischen V-Effekts ächzt.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/09/18/mackie-messer-brechts-dreigroschenfilm-film-kritik/
Lieber Herr Kögler,
Dass dem Filmproduzenten Seymour Nebenzahl, also dem Gegenspieler von Brecht, eine Dreigroschenoper "zum Schenkelklopfen und Mitschunkeln" vorgeschwebt hat, bezweifele ich doch sehr. Nebenzahl war keineswegs der Idiot, als den ihn die Brechtianer und leider auch "Mackie-Messer"-Regisseur Joachim A. Lang darstellen. Nebenzahl, der vor dem Streit mit Brecht, die Wedekindverfilmung "Büchse der Pandora", den Antikriegsfilm "Westfront 1918" und später "Menschen am Sonntag" und die Fritz Lang Filme "M" und "Das Testament des Dr.Mabuse" produziert hat, wären solche Dummsprüche wie "Das versteht unser Publikum nicht" kaum über die Lippen gekommen. Anders als bei heutigen Fernsehnasen und ARD-Programmmachern reichte sein Verstand völlig aus, Brechts berühmte V-Effekte intellektuell nachzuvollziehen.
Das Elend der aktuellen Verfilmung liegt m.E. darin, dass sich Lang eben nicht - wie Sie schreiben - "eine erlesene Riege von Schauspieler*innen zusammentrommelte" - sondern sich jenseits von Lars Eidinger, dann doch nur ein typisches DEGETO-Cast hat zusammenstellen lassen. Wem statt Ernst Busch als Moritatensänger Max Raabe einfällt, wer die Rolle von Valeska Gert als Mrs. Peachum mit Claudia Michelsen besetzt und sich weigert in der weiten deutschen Theaterlandschaft nach geeigneteren Darstellern umzusehen, dessen Filme werden eben nicht durch V-Effekte getrübt, sondern durch F-Effekte (wobei F für Fernsehen, aber auch noch für etwas ganz anderes steht).
PS: Der Film wurde in den meisten Zeitungen, die ich gelesen habe, mehr oder weniger positiv besprochen.
In der "jungen Welt" ist man nicht ganz zufrieden, es hapert an der dazu komponierten Filmmusik und, das ist eine seltsame Kritik am Kino: er setzt zu viel auf Schauwerte; auch stört deren Filmkritiker ein als funktionslos betrachtetes Ballett, das freilich, im Kontrast zu den Szenen, diese vielleicht in eine besondere Funktion/Licht setzen. Sei's drum
Die interessanteste Kritik stand in der FAZ. Sie wirf ein bezeichnenden Schlaglicht auf den geistig-kulturellen Zustand der Bourgeoisie, über den wir uns keine Illusionen machen sollten. Er ist, das sieht man schon an ihrem geschäftsführenden Personal (Parlament) eher bescheiden, um nicht weiter zu übertreiben. Der Filmkritikerin ist der Film des Guten zu viel. Da wird dann die Leichtigkeit vermisst, die einen doch über die immer noch und mehr denn je aktuelle Kapitalismuskritik hinweg gleiten lassen sollte. Und es gibt der Dame nach zu viel Brecht, da alles was Brecht in dem Film sagt, von diesem auch tatsächlich gesagt und geschrieben wurde... Sagen wir es in unseren Worten, Frau Scheer vermisst die Fantasie im Umgang mit dem immer noch unbequemen B.B. Und deshalb überfordert der Film leider die guten FAZ lesenden Bürger.- Nun, die wissen ohne hin schon das, was uns Brecht mitteilen will, dass der Unterschied zwischen einem Bürger und einem Räuber höchstens eine Frage des Mutes ist.
Wir haben den Film in Stuttgart gesehen, wo vor nicht all zu langer Zeit "erfolgreich" die Dreigroschenoper aktualisiert und also vernichtet wurde.- Der Film ist Unterhaltung auf hohem Niveau, das uns wieder mit diesem Werk versöhnt. Da das, was sich Brecht in dieser Oper zu zeigen vornahm, aktuell bleibt, bleibt es wohl auch seine Oper. Wir hoffen auf Neuinszenierungen und neue Opern und eine neue Musik, die einen von den Stühlen reißt und trotzdem oder deswegen neue Horizonte eröffnet. (Und auf mehr solche Filme!) Brecht wollte Vorschläge machen, wir hoffen auf weitere.
Und einen, den, der so schwer zu machen ist, sollten wir auch beherzigen.
PPS: Für die Stuttgarter: Der Schluss des Films spielt im sogen. Herzen der Stadtbibliothek. Es scheint, als wäre in dieser Szene der Geist des Gebäudes zu sich gekommen.
Dem Regisseur ist trotz vieler Widrigkeiten und der geringen Anzahl an Drehtagen (nur 35 für ein derartig opulentes Werk!) alles in allem ein großartiger und für die deutsche Kinolandschaft einzigartiger Film gelungen. Dass Frau Hift sich anmaßt, genau zu wissen, was Brecht sich von Lars Eidinger gewünscht hätte, grenzt schon an Hybris und spricht für die polemische Qualität ihrer Kritik.
Die Tatsache, dass Brecht im Film nur in Zitaten spricht, mag dem ein oder anderen Brechtianer nicht gefallen. Doch das Ganze wirkt nicht hölzern, sondern fließt. Der Zitateinsatz ist äußerst geschickt und funktioniert, ja dient der Figurenzeichnung Brechts, der auf diese Weise zu einer Art intellektuellem Godfather des deutschen Theaters wird, der alles andere als sympathisch ist und eher arrogant herüberkommt.
Ob er so wirklich so war - bleibt trotz unzähliger Brechtbiografien Spekulation. Schließlich ist Brecht eine Art Mythos der deutschen Kulturgeschichte geworden, was Raum für Interpretationen lässt - und Jochaim A. Lang - nebenbei bemerkt der Brecht-Kenner Deutschlands! - arbeitet mit diesem Mythos. Was als Filmschaffender sein gutes Recht ist.
Gelungen sind auch die vielen bildlichen Übergänge/Transitionen, also die Verquickung der einzelnen Erzählstränge. Gut, es wird vielleicht etwas zu viel getanzt, gesungen .. aber der Film ist nun mal das Theater im Theater bzw. Film im Film und handelt von der Dreigroschenoper, die nun mal voller Smash Hits ist. Dass diese zeitgeistig mit einigen Choreographien angereichert wird, liegt heute in der Natur der Sache.
Erzähltechnisch kriegt Joachim A. Lang immer wieder die Kurve, wenn auch der Film zum Schluss einige Längen hat. Meine Kritik wäre, dass er fast kein Ende findet und vielleicht den Film mit gutgemeinten gesellschaftlichen Botschaften etwas zu überfrachtet hat. Wobei diese dem Film wiederum erst die politische Relevanz und Tiefe geben.
Aber alles in allem ist dies ein einzigartiger, gut produzierter, gedrehter und mit hervorragenden Schauspielern besetzter Film, der für die deutsche Kinolandschaft einmalig und ungewöhnlich ist - und somit vollsten Respekt verdient. Tolle Bucharbeit und Regieleistung!
Das spürbare Bemühen um Einbindung der Musik, branchenunüblich ernstgenommen und durchweg stilistisch überzeugend wie auch sängerisch angemessen ausgeführt, verspielt dazu eine wichtige Qualität mancher Bühnenaufführung, historisch eine Haupterrungenschaft des Stücks: dass die Songs Songs bleiben, an der Rampe gesungen und gerade dadurch den bloßen Plot transzendieren.
Die Rezensentin bemängelt das völlig zu Recht.
Der Film springt auf den mit Babylon Berlin deutlich gemachten 20er Jahre Hype auf - ohne aber erfahrbar eine politische Spannung oder Armut und Hunger zu transportieren.
Heute Abend fand in München nach einer Vorstellung eine Diskussion mit Regisseur J. Lang und Volkstheater-Intendant C. Stückl statt. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen kamen deutlich raus. Ich persönlich empfinde den Film als gefallsüchtig, unpolitisch und nicht recht aus einem Guß.
Irgendwie nett , dass hier soviel inhaltlich über das Ziel des Filmes und die Intention gesprochen wird . Aber abgesehen davon , dass nichts von dem Angestrebten erreicht wird , ist er technisch , also filmtechnisch ,misslungen . Kein Timing , keine Bögen , schlechter Schnitt , zu lang und dafür zu langweilig, etc .
So groß der inhaltliche Anspruch gewesen sein mag , zunächst einmal sollte das beherrscht werden denke ich .
Dem Dreigroschenfilm von Joachim A. Lang geht es wie manch anderem großen Gedicht: Es hat wohl Anfang, hat ein Ende, / Allein ein Ganzes ist es nicht.
Dabei sind einige Dinge hervorragend persifliert und aktualisiert: Die mit heutigem Marketing-Gespür betriebene Ausbeutung des Mitleids in der Bettelindustrie von Joachim Krols Peachum, die Usurpation der Macht durch die Geschäftsleute, die ihre unreine Herkunft nicht mehr zu verbergen brauchen, weil sie alle(s) kaufen.
Aber insgesamt kann der Film wohl auch deshalb nicht überzeugen, weil er Brechts Unbeugsamkeit gegenüber dem vom Produzenten wiederholt angemahnten Tribut an den Massengeschmack mit eben solch einer Anbiederung vorträgt.
Dennoch, mir hat der Dreigroschenfilm wieder Lust auf Brecht gemacht und das ist doch was.
Dabei gefällt mir der späte, auch durch den Stalinismus belehrte Brecht doch insgesamt besser als der junge Zyniker im Erfolgsrausch, der sich für unverletzlich hielt:
„Nicht im Finden und Aussprechen der Wahrheit zeigt sich das, was Klugheit genannt wird, sondern im Finden der Unwahrheit und der größeren oder geringeren Feinheit des Verschweigens.“
Also mehr Brecht!