Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben
Esther Slevogt
Esther Slevogt ist Chefredakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
Esther Slevogt
Esther Slevogt ist Chefredakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?
Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben – Esther Slevogt über einen besinnungslos von der Gegenwart absorbierten Betrieb
Theater ohne Gedächtnis?
von Esther Slevogt
17. August 2021. Am 20. Mai starb der Regisseur Jarg Pataki, noch nicht einmal sechzig Jahre alt. Wie immer versuchte die Redaktion, für die Meldung auf nachtkritik.de Informationen zusammenzutragen, nicht zuletzt zum genauen Ort und Datum seines Todes. Damit die konkreten Lebensdaten als Spuren eines Künstlerlebens hier im Archiv aufbewahrt sind. Einige von Patakis wichtigsten Arbeiten entstanden am Theater Freiburg, wo er am kontinuierlichsten gearbeitet hat. Dort freilich waren nähere Informationen nicht zu bekommen. Denn in Freiburg arbeitet schon seit 2017 eine neue, von Intendant Peter Carp geleitete Truppe.
Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben – Esther Slevogt zum Streit von Ersan Mondtag und Olga Bach mit der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung"
Die Last der Vergleiche
von Esther Slevogt
10. Februar 2021. Wann kommt es heute noch vor, dass Theater einmal heraustritt aus seinen geschützten Räumen und Meinungsblasen? Im September 2020 nahm der Regisseur Ersan Mondtag das Angebot der Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" an, im noch leeren Haus in Berlin eine Performance zu inszenieren. Die Neugestaltung des ehemaligen Deutschlandhauses, das künftig das Dokumentationszentrum der Stiftung beherbergen wird, war abgeschlossen. Bevor dort mit dem Innenausbau begonnen werden sollte, wollte sich die neugeschaffene Institution mit einer kräftig ausstrahlenden Kulturveranstaltung ins öffentliche Bewusstsein katapultieren. Samt ihrer Aufgabe, "die letzte Lücke in der deutschen Erinnerungskultur" zu schließen, wie es seit Gründung der Stiftung in öffentlichen Erklärungen immer wieder heißt. Diese Lücke meint das Schicksal der etwa 12 Millionen Deutschen, die nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg ihre Heimat in Ostpreußen, Schlesien oder Pommern verlassen mussten.
Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben – Esther Slevogt über das Geschichts- und Gesellschaftsbild des Berliner Humboldtforums
Nationalneurotisches Konstrukt
von Esther Slevogt
22. Dezember 2020. Die Bauzäune sind weg, das vergiftete Weihnachtsgeschenk ist ausgepackt. Da steht es also jetzt, das funkelnagelneue Schloss, das kein Schloss sein darf, sondern Humboldtforum sein soll. Humboldt, das schmeckt nach Wissenschaft, nach Weltläufigkeit und Universalgelehrtentum. Und klingt natürlich besser als Hohenzollern, fängt aber trotzdem mit H an. Weil um Gotteswillen keiner den Deutschen nachsagen soll, sie hätten aus ihrer Geschichte nichts gelernt, wenn sie jetzt die Residenz der kriegerischen preußischen Könige und deutschen Kaiser wieder aufgebaut haben, die (bombengeschädigt, aber durchaus rekonstruierbar) 1950 von der jungen DDR als Symbol des fehlgeleiteten, imperialistischen Deutschland geschleift worden war. Und nun als Symbol für die allerbesten Absichten dieses wieder mal neuen Deutschlands wiederaufgebaut worden ist. Auch, um der DDR nicht das letzte Wort auf diesem Ground Zero der deutschen Geschichte zu überlassen. Die hatte hier 1976 ihren Palast der Republik eingeweiht.
Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben – Esther Slevogt über den Appell von Berliner Theatern, trotz steigender Covid-Zahlen zu spielen
Weitermachen, als wäre nichts?
von Esther Slevogt
10. November 2020. Zeitungen berichten, dass erstmals mehr Menschen mit schweren Corona-Verläufen auf Intensivstationen behandelt werden, als beim Ausbruch der ersten Welle. Auch an Tag 10 des zweiten Shutdowns steigen die Zahlen noch immer. Doch die Theater wollen wieder spielen. Wichtige Häuser in Berlin haben gemeinsam einen Brief an den Regierenden Bürgermeister geschrieben und auf ihre Hygienekonzepte verwiesen. Die nämlich würden auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und maximalen Schutz bieten. Die Theater in den folgenden Monaten wieder bespielen zu können, eröffne also mehr Chancen als Risiken. "Die demokratische Gesellschaft nährt und bildet sich durch kulturelle Teilhabe", heißt es auch. Der Besuch dieser öffentlichen Räume sei für viele Menschen existentieller Teil des gesellschaftlichen urbanen Lebens und für dessen Zusammenhalt substantiell.
Kolumne: Aus dem bürgerlichen Heldenleben – Esther Slevogt denkt über biografische Verstrickungen mit der deutschen Geschichte nach und fordert Gerechtigkeit für Christa Wolf
Selbstbefreiung aus der Geschichte
von Esther Slevogt
29. September 2020. Als Helga Schubert in diesem Sommer achtzigjährig den Bachmannpreis erhielt, habe ich mich gefreut: über die späte Gerechtigkeit für diese Autorin, die 1980 schon einmal zum Bachmannpreis eingeladen war. Damals stand die Mauer noch, auf deren Ostseite die 1940 Geborene lebte und dann nicht nach Klagenfurt reisen durfte. Umso unangenehmer haben mich wenige Wochen nach der Preisvergabe Helga Schuberts verächtliche Bemerkungen über die 2011 verstorbene Schriftstellerin Christa Wolf berührt: erst in der FAZ, wo sie in einem Porträt entsprechend zitiert wird. Kurz darauf legte Helga Schubert im Deutschlandfunk noch einmal nach. Christa Wolf sei erst eine "glühende Anhängerin des Hitlerreichs" gewesen, später "eine glühende Anhängerin der Stalin-Zeit". Eine Kandidatin des ZK der SED sei sie gewesen und habe für die Stasi gespitzelt. Selbst nach dem Mauerfall habe sie die DDR erhalten wollen. "Bis zuletzt hat sie eigentlich immer noch totalitäre Ideen gehabt."