Zum Stand der Berliner Theaterszene

Das Wagnis

25. April 2024. Der Tod von René Pollesch reißt eine tiefe Lücke. An der Volksbühne und in der Theaterlandschaft überhaupt. Wie weiter in Berlin? Ein Streifzug durch die Ensemble-Bühnen der Hauptstadt zeigt, was da ist – und was schmerzlich fehlt.

Von Christine Wahl

Essay Berliner Theaterlandschaft: Die Wagnisse
Das Wagnis in Berlin im Stadttheater zu suchen, ist ein Wagnis an sich oder ist Christine Wahl konservativ geworden? Ich empfehle als Gegengift BAUCHGEFÜHL im Theater Thikwa mit hannsjana. Großartig!
Essay Berliner Theaterlandschaft: Freie Radikale
Christine Wahls Diagnose dessen was fehlt, muss man zustimmen, und ich würde gern hinzufügend aus dem Kommentar von 'commedia' unter Fabian Hinrichs' Abschiedsbrief an Pollesch zitieren: "Würdigt, ermöglicht, riskiert künstlerische Freiheit im Geiste und im Tun, für das Polleschs Wirken einen Maßstab bildet! Überdenkt, inwiefern Ihr als Theaterschaffende Theater als Funktionäre für Funktionäre macht! (...) Schaut, ob Ihr nur ein Fünkchen des Muts zum Randständigen habt (...)!"
Vermutlich wird man Positionen, die derartige Kriterien erfüllen, nicht bereits prominent im Getriebe des Kopie-der-Kopie-Betriebs finden, man muss den Blick richten auf freie, möglichst unideologische Radikale, die für hohe künstlerische Qualität stehen. Um einmal zu beginnen: Das Team des Ballhaus Ost, Sahar Rahimi, Sebastian Blasius, Anta Helena Recke.
Essay Berliner Theaterlandschaft: Zweifel
Die Volksbühne, der Mutterkuchen künstlerischer Radikalität? I doubt it. Der Nimbus der frühen 90er Jahre strahlt offenbar immer noch hell.
Essay Berliner Theaterlandschaft: Zwei andere Akzente
Vielen Dank für den kenntnisreichen Überblick über die Berliner Häuser.

Zwei Akzente würde ich anders setzen:

1.) In Iris Laufenbergs Eröffnungssaison sehe ich als roten Faden, dass sie auf Komödie gerade in Zeiten der Krise setzt. Das war für mich auch die Message ihrer Antritts-PK. Stoffe wie Heiner Müllers "Auftrag" werden ganz bewusst auf ihr komödiantisches Potenzial abgeklopft und überschrieben. Hinzu kommt der Versuch, jüngere, weibliche Zielgruppen anzusprechen.

Gerade bei den jüngsten Premieren fiel mir die Schwierigkeit auf, dass Größen wie Uli Matthes oder Almut Zilcher, die schon bei Bernd Willms/Oliver Reese am Haus waren, wie Fremdkörper in diesen Konzepten wirken. Im besten Fall wird ein Abend wie "Penthesilea" so auf Zilcher zugeschnitten, dass sie ihn prägen kann, im schlechteren Fall fühlt man sich wie in der "hildensaga" im falschen Film, wenn die Nornen-Sprechkunst von Matthes neben dem Klamauk der Nibelungen-Karikaturen steht. Die Intendanz von Iris Laufenberg ist ja noch jung, so dass hier vielleicht aus den verschiedenen Theater-Welten, die aufeinander treffen, noch mehr produktive Reibung entsteht.

2.) Ich würde schon sagen, dass Oliver Reeses BE momentan die ungewöhnlichste Bandbreite hat. Christian Rakow beschrieb es in einer Breth-Nachtkritik als "Wundertüte". Man weiß nie so genau, was man als nächstes bekommt. Ein entscheidender Maßstab in der Spielplanpolitik ist der Erfolg beim Publikum, den hat Reese offensichtlich, angesichts der Auslastungszahlen.

Das führt dann dazu, dass man am selben Haus so - auch aus meiner Sicht - furchtbar altmodisches, aus der Zeit gefallenes Theater wie "Die schmutzigen Hände" von Koleznik durchsteht, es aber auch Freiräume wie für die "Hedda"-Drag-Version im Werkraum oder den Überraschungs-Hit "It's Britney, Bitch!" von Sina Martens/Lena Brasch gibt, die erst mal unter dem Nachtkritik-Radar blieben, aber nun regelmäßig das große Haus füllen.

PS: Harzer/Galic/Zimmler kommen erst im Herbst 2025 nach der Lux-Intendanz aus HH ans BE

PPS: Der Empfehlung für "Bauchgefühl" schließe ich mich an!
Essay Berliner Theaterlandschaft: Die raren absoluten Ausnahmen
Sehr dankbar über diesen klugen, genau hinschauenden Kommentar von Christine Wahl, auch wenn ich ihm nicht in jedem Punkt zustimme. Aber passend zu dem von ihr beschriebenen Sujet tut es gut, eine wohlüberlegte, begründete und mit Beispielen belegte Meinung zu lesen als wie so oft nur Thesen, Thesen, Thesen.

Davon ab ist es mir aber noch ein Anliegen, die erwähnten, jüngeren Regiepersonen vor dem Vorwurf der Epigonalität zumindest teilweise in Schutz zu nehmen: Erstens kann die Kopie der erstw Schritt zur eigenen Originalität sein und niemand weiß, wie sich künstlerische Laufbahnen noch entwickeln. Zweitens sind und waren Leute wie René eben absolute Ausnahmekünstler, wenn es die an jeder Ecke gäbe, wären sie ja keine Ausnahmen.
Essay Berliner Theaterlandschaft: Vielen Dank!
Eine solche Analyse vermisste ich seit Jahren! Vielen Dank!
Auch wenn mein Blick ein etwas Anderer ist: Der des zahlenden Besuchers/Kunden, für den ein Theaterbesuch ein Teil der Freitzeitgestaltung ist - und der der Ansicht ist, dass seine Bedürfnisse bei den Berliner Inszenierungen in vielen Fällen unberücksichtigt bleiben.
Geschrei und Identitätsgewusel - verbunden mit der Zerstörung von Inhalt, Form und Sprache. Da fühle ich mich nicht angesprochen. Es bleibt dann noch der Besuch des Staatsballetts; da gibt's zwar keine Sprache, aber noch einen künstlerischen Anspruch an Form und Inhalt.
Auch wenn das als "Mainstream" (Ich sehe da höchstens noch ein Rinnsal.) bewertet wird, würde ich mich einfach freuen, wenn (auch) künftig (und vermehrt) versucht würde (auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Weitergabe an "nachwachsende" Besucher-/Kundengenerationen) herausragende Inszenierungen aus der Vergangenheit einfach zu reproduzieren (z.B. das Antikenprojekt von Peter Stein).
Essay Berliner Theaterlandschaft: Radikal gute Idee!?
Echt jetzt, wird in Berlin an allen großen Theatern nur gestümpert? Aber mal ehrlich: die neunmalkluge Empfehlung der Nachtkritikerin, jetzt endlich mal ein "radikal künstlerisches Theater" zu erfinden ist nach der ganzen Besserwisserei vorher schon beachtlich banal. Klar, kann man ja mal fordern. Fordert z.B. Claus Peymann ja auch.
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Das Wagnis

25. April 2024. Der Tod von René Pollesch reißt eine tiefe Lücke. An der Volksbühne und in der Theaterlandschaft überhaupt. Wie weiter in Berlin? Ein Streifzug durch die Ensemble-Bühnen der Hauptstadt zeigt, was da ist – und was schmerzlich fehlt.

Von Christine Wahl

Essay Berliner Theaterlandschaft: Die Wagnisse
Das Wagnis in Berlin im Stadttheater zu suchen, ist ein Wagnis an sich oder ist Christine Wahl konservativ geworden? Ich empfehle als Gegengift BAUCHGEFÜHL im Theater Thikwa mit hannsjana. Großartig!
Essay Berliner Theaterlandschaft: Freie Radikale
Christine Wahls Diagnose dessen was fehlt, muss man zustimmen, und ich würde gern hinzufügend aus dem Kommentar von 'commedia' unter Fabian Hinrichs' Abschiedsbrief an Pollesch zitieren: "Würdigt, ermöglicht, riskiert künstlerische Freiheit im Geiste und im Tun, für das Polleschs Wirken einen Maßstab bildet! Überdenkt, inwiefern Ihr als Theaterschaffende Theater als Funktionäre für Funktionäre macht! (...) Schaut, ob Ihr nur ein Fünkchen des Muts zum Randständigen habt (...)!"
Vermutlich wird man Positionen, die derartige Kriterien erfüllen, nicht bereits prominent im Getriebe des Kopie-der-Kopie-Betriebs finden, man muss den Blick richten auf freie, möglichst unideologische Radikale, die für hohe künstlerische Qualität stehen. Um einmal zu beginnen: Das Team des Ballhaus Ost, Sahar Rahimi, Sebastian Blasius, Anta Helena Recke.
Essay Berliner Theaterlandschaft: Zweifel
Die Volksbühne, der Mutterkuchen künstlerischer Radikalität? I doubt it. Der Nimbus der frühen 90er Jahre strahlt offenbar immer noch hell.
Essay Berliner Theaterlandschaft: Zwei andere Akzente
Vielen Dank für den kenntnisreichen Überblick über die Berliner Häuser.

Zwei Akzente würde ich anders setzen:

1.) In Iris Laufenbergs Eröffnungssaison sehe ich als roten Faden, dass sie auf Komödie gerade in Zeiten der Krise setzt. Das war für mich auch die Message ihrer Antritts-PK. Stoffe wie Heiner Müllers "Auftrag" werden ganz bewusst auf ihr komödiantisches Potenzial abgeklopft und überschrieben. Hinzu kommt der Versuch, jüngere, weibliche Zielgruppen anzusprechen.

Gerade bei den jüngsten Premieren fiel mir die Schwierigkeit auf, dass Größen wie Uli Matthes oder Almut Zilcher, die schon bei Bernd Willms/Oliver Reese am Haus waren, wie Fremdkörper in diesen Konzepten wirken. Im besten Fall wird ein Abend wie "Penthesilea" so auf Zilcher zugeschnitten, dass sie ihn prägen kann, im schlechteren Fall fühlt man sich wie in der "hildensaga" im falschen Film, wenn die Nornen-Sprechkunst von Matthes neben dem Klamauk der Nibelungen-Karikaturen steht. Die Intendanz von Iris Laufenberg ist ja noch jung, so dass hier vielleicht aus den verschiedenen Theater-Welten, die aufeinander treffen, noch mehr produktive Reibung entsteht.

2.) Ich würde schon sagen, dass Oliver Reeses BE momentan die ungewöhnlichste Bandbreite hat. Christian Rakow beschrieb es in einer Breth-Nachtkritik als "Wundertüte". Man weiß nie so genau, was man als nächstes bekommt. Ein entscheidender Maßstab in der Spielplanpolitik ist der Erfolg beim Publikum, den hat Reese offensichtlich, angesichts der Auslastungszahlen.

Das führt dann dazu, dass man am selben Haus so - auch aus meiner Sicht - furchtbar altmodisches, aus der Zeit gefallenes Theater wie "Die schmutzigen Hände" von Koleznik durchsteht, es aber auch Freiräume wie für die "Hedda"-Drag-Version im Werkraum oder den Überraschungs-Hit "It's Britney, Bitch!" von Sina Martens/Lena Brasch gibt, die erst mal unter dem Nachtkritik-Radar blieben, aber nun regelmäßig das große Haus füllen.

PS: Harzer/Galic/Zimmler kommen erst im Herbst 2025 nach der Lux-Intendanz aus HH ans BE

PPS: Der Empfehlung für "Bauchgefühl" schließe ich mich an!
Essay Berliner Theaterlandschaft: Die raren absoluten Ausnahmen
Sehr dankbar über diesen klugen, genau hinschauenden Kommentar von Christine Wahl, auch wenn ich ihm nicht in jedem Punkt zustimme. Aber passend zu dem von ihr beschriebenen Sujet tut es gut, eine wohlüberlegte, begründete und mit Beispielen belegte Meinung zu lesen als wie so oft nur Thesen, Thesen, Thesen.

Davon ab ist es mir aber noch ein Anliegen, die erwähnten, jüngeren Regiepersonen vor dem Vorwurf der Epigonalität zumindest teilweise in Schutz zu nehmen: Erstens kann die Kopie der erstw Schritt zur eigenen Originalität sein und niemand weiß, wie sich künstlerische Laufbahnen noch entwickeln. Zweitens sind und waren Leute wie René eben absolute Ausnahmekünstler, wenn es die an jeder Ecke gäbe, wären sie ja keine Ausnahmen.
Essay Berliner Theaterlandschaft: Vielen Dank!
Eine solche Analyse vermisste ich seit Jahren! Vielen Dank!
Auch wenn mein Blick ein etwas Anderer ist: Der des zahlenden Besuchers/Kunden, für den ein Theaterbesuch ein Teil der Freitzeitgestaltung ist - und der der Ansicht ist, dass seine Bedürfnisse bei den Berliner Inszenierungen in vielen Fällen unberücksichtigt bleiben.
Geschrei und Identitätsgewusel - verbunden mit der Zerstörung von Inhalt, Form und Sprache. Da fühle ich mich nicht angesprochen. Es bleibt dann noch der Besuch des Staatsballetts; da gibt's zwar keine Sprache, aber noch einen künstlerischen Anspruch an Form und Inhalt.
Auch wenn das als "Mainstream" (Ich sehe da höchstens noch ein Rinnsal.) bewertet wird, würde ich mich einfach freuen, wenn (auch) künftig (und vermehrt) versucht würde (auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Weitergabe an "nachwachsende" Besucher-/Kundengenerationen) herausragende Inszenierungen aus der Vergangenheit einfach zu reproduzieren (z.B. das Antikenprojekt von Peter Stein).
Essay Berliner Theaterlandschaft: Radikal gute Idee!?
Echt jetzt, wird in Berlin an allen großen Theatern nur gestümpert? Aber mal ehrlich: die neunmalkluge Empfehlung der Nachtkritikerin, jetzt endlich mal ein "radikal künstlerisches Theater" zu erfinden ist nach der ganzen Besserwisserei vorher schon beachtlich banal. Klar, kann man ja mal fordern. Fordert z.B. Claus Peymann ja auch.
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