Redaktionsblog - Putin und die Unbroken Hearts in Leipzig
Wer zu spät kommt, den bestraft die Perspektive
17. Januar 2009. Die Technikebene 2.0 wäre noch eine Möglichkeit gewesen. Allerdings war die Perspektive unmöglich: Zuschauer, die wie mit dem Lineal gezogen im Quadrat saßen, eine seltsame Ordnung aus Köpfen und Gliedmaßen, in der Mitte etwas wie ein riesiger Pilz, unter dessen Schirm nun der halbe Alexander Gamnitzer hervor ragte, bestehend aus Beinen und etwas Bauch, dazu seine erregte Stimme. Von oben machte das Ganze den Eindruck, als würde ich aus dem vierten Stock eines Hauses in eine Gasse hinunter schauen, in der Theater unter einem Sonnenschirm gespielt wird.
Mit dem Unterschied allerdings, dass ich schon oben keine freie Sicht hatte, sondern allerlei Zeugs vor der Nase, Kabel und Scheinwerfer vor allem, die Technik der Technikebene 2.0 eben, die ordnungsgemäß ihren Dienst tat, mir aber alle Illusion raubte. Es hatte keinen Sinn. Es ging einfach nicht.
Auf Zehenspitzen zogen wir uns wieder zurück, ich und die beiden Theatermitarbeiter, die mich auf die Beleuchterbrücke geführt hatten in der Hoffnung, ich könnte doch noch etwas über die Deutsche Erstaufführung von Henry Adams Junkie-Melodram "Unbroken Hearts" schreiben. Wer zu spät kommt, den bestraft die Perspektive, dachte ich mir auf der Rückfahrt nach Leipzig, meinem Wohnort. Und dann dachte ich, dass Gorbatschow-Variationen eigentlich verboten gehören, zumal wenn sein Nachnachfolger die Hand im Spiel hat, irgendwie.
Aber was kann Putin schon dafür! Die Dresdener haben ihm einen Orden aufgedrängt, da hätte er schlecht nein sagen können. Und sein Erscheinen in der Semperoper war ja nun auch das Topereignis des Abends. Das Verkehrschaos, das seine Security, eine vermutlich übereifrige sächsische Polizei und überhaupt dieser ganze aufgeblasene, limousinenselige Opernball-Zirkus verursacht haben, mittendrin ich, der Mann auf dem Weg ins Theater, blieb die Randerscheinung. Wer in deutschen Bühnenlanden unterwegs ist, muss offenbar mit der Weltpolitik rechnen, zumal mit der schwoofenden.
(Ralph Gambihler)
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