Blog - Eva Könnemanns Theaterproben-Film "Ensemble"
Quark auf Probe
von Matthias Weigel
Berlin, 8. Dezember 2010. Die Probe erlebt einen Boom. Als Gegenstand in der Theaterwissenschaft wird sie vielleicht der neue Trend dieses Jahrzehnts, es geht um die "Medialität der Probe" oder die "Diskursgeschichte der Probe". Unternehmen, Schulen und Selbsthilfegruppen haben den pädagogischen Wert des gemeinsamen Probenprozesses schon längst erkannt – ein Brainstorming von Managern ist auch nichts anderes als eine Probe. Über Frank Castorf heißt es ja bekanntlich, er schaue sich seine Premieren nicht mal mehr an, da die eigentliche Theaterarbeit dann schon vorbei ist.
Vierteldokumentarische Quasi-Aufführung
Eva Könnemann hat nun einen Film über die Theaterprobe gedreht, coproduziert vom Theaterkanal, der gestern erstmalig im Hackesche-Höfe-Kino gezeigt wurde. Er ist halbdokumentarisch, vielleicht aber auch nur drittel- oder vierteldokumentarisch, inwieweit man halt überhaupt davon reden kann, wenn eine Gruppe von Darstellern vor der Kamera steht. Die Ausgangssituation wurde (real) gesetzt: Auf Kampnagel in Hamburg wurde im April 2009 tatsächlich eine Vorstellung von Büchners "Dantons Tod" angekündigt (und aufgeführt), ein "Ensemble" – so der Titel des Films – zusammengestellt. Der Film setzt ein, wenn es heißt: Proben.
Normalerweise würde sich wohl kaum ein etablierter Theaterregisseur bei seinen Schauspiel-Proben von einer Kamera begleiten lassen. Denn es macht ja gerade den besonderen Charakter einer Probe aus, dass sie ein "geschützter Raum" ist, eine Noch-nicht-Aufführung, die zwar eine Ahnung der kommenden Premiere schon in sich trägt, aber noch die Möglichkeit bietet, konsequenzlos zu experimentieren, rumzuspinnen: auszuprobieren. Eine Kamera würde aber nun eine Quasi-Aufführungssituation schaffen. Schauspieler würden eher wieder darauf achten, ein gutes Ergebnis für die Linse zu liefern, anstatt unkontrolliert und verletzbar etwas von sich zu zeigen.
Performance-Spielchen und andere Peinlichkeiten
Eva Könnemann hat das Pferd von hinten aufgezäumt und die ganze Theaterproduktion nur für den Film initiiert. Der folgende Probenverlauf, so wird betont, hat sich dann aber ganz von selbst ergeben. Damit der für den Filmzuschauer nicht zu langweilig ist, hat Könnemann natürlich genug Konfliktpotential eingebaut, wenn nicht viel zu viel: Ausgerechnet der Performer Nikola Duric von Showcase Beat le Mot, der "eigentlich was gegen Schauspieler hat", soll Büchners Drama inszenieren, größtenteils mit Stadttheaterschauspielern (Felix Kramer, Vanessa Stern, Michael Rastl, Charalambos Ganotis, Niels Bormann) und einem Tänzer (Jacob Peter Kovner).
Zu sehen bekommt man: einen scheiternden Regisseur, der seine Hilflosigkeit mit immer neuen Performance-Spielchen (mit Kreide in der Hand ein Tafelbild ertanzen) überdeckt und dauernd versichert, seine Stärke wäre das Collagieren und Montieren des erarbeiteten Materials zum Schluss. Außerdem peinliche Schauspieler, die nach einem strengen Führer betteln und, wenn sie mal nicht in Figurenpsychologien denken dürfen, dastehen, als hätte man ihre Teddybären geklaut. Und natürlich einen Intendanten (Tom Stromberg), der vor der Premiere mal kurz reinschneit und als einziger ausspricht, was alle denken: dass das alles gehöriger Quark ist. Nicht viel Neues also.
Theatersoap an der Schmerzgrenze
Vielmehr werden die alten Klischees überhöht, so dass eine Theater-Soap-Opera entsteht, bei der man sich wunderbar über die Paarung von Naivität und Egozentrik amüsieren kann, über die armen Würstchen, die tatsächlich denken, sie wären auf irgend eine Art und Weise relevant. Die Schmerzgrenze wird so oft erreicht, aber dadurch aufgefangen, dass man als Zuschauer immer noch hoffen kann, dass die Schauspieler die Kamera nicht ganz vergessen haben und sich dessen schon bewusst sind, was sie da machen. Denn vom Intendanten über die Kostümbildnerin bis zum Musiker spielt zwar jeder irgendwie sich selbst, aber auch wieder nicht: Wie in einer großen Improvisation gibt es jederzeit die Möglichkeit, sich in eine Rolle zurückzuziehen und in deren Logik – und nicht der eigenen – zu handeln.
Es ist also das Experiment im Experiment, das Ausprobieren des Ausprobierens. Die Regisseurin will mit ihrem Film nun durch deutsche Theater touren. Dem amüsierten Berliner Premierenpublikum, das sich mutmaßlich überwiegend aus Theatermachern zusammensetzte, kam jedenfalls wohl so einiges bekannt vor. Und wer zum Theaterbetrieb keinen Kontakt hat, der wird sich nach dem Film endlich bestätigt fühlen: dass im Theater eben doch nur Steuergelder für Selbsthilfegruppen verschleudert werden.
Ensemble
Theaterfilm von Eva Könnemann
Regie: Eva Könnemann, Kamera/Schnitt: Eva Könnemann, Musik: Carsten "Erobique" Meyer, Ton: Jens Röhm, Redaktion: Bettina Kasten.
Mit: Nikola Duric, Felix Kramer, Vanessa Stern, Michael Rastl, Charalambos Ganotis, Niels Bormann, Jacob Peter Kovner, Carsten "Erobique" Meyer, Jelka Plate, Inga Fridrihsone und Tom Stromberg.
Co-Produktion ZDF-Theaterkanal und Eva Könnemann Produktion, in Zusammenarbeit mit Kampnagel Hamburg
Der Film wurde vorerst einmalig im Kino gezeigt, für Anfang 2011 plant die Regisseurin eine Tour durch deutschsprachige Theater.
Zum Film-Trailer auf vimeo.
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Bin kein Theatermensch und bekenne, dass ich äußerst ungern ins Staatstheater gehe, eben weil dort Regisseure arbeiten, die sich nicht mehr für ihre Stücke interessieren, sobald die Premiere ansteht. Dabei könnte man sie ja auch danach noch verbessern, oder wäre man dann kein Meister mehr?
nichts ist peinlich, nicht der film, nicht die schauspieler, nicht die aufführung. denn alles was uns hier auf feinste humorvolle weise inklusive einer sicheren ästhetik gezeigt wird, ist der wahnsinn, wo das theater inklusive seiner kritiker angekommen ist. dadurch das es durch den film so sichtbar wurde, kann man sich vielleicht über theaterformen unterhalten, aber nicht den film kritisieren.
zum beispiel, liebe kulturfreaks: wenn eva könnemann einen film in der charite gemacht hätte, wie würde dann die kritik von herrn waigel aussehen?
die schauspieler haben mehr als ihren job getan, denn sie haben sich auf fiktion sowie auf dokumentation eingelassen und haben echt mal die hosen runtergelassen.
allein soviel risikobereitschaft in ein projekt mitzubringen, gleichermaßen von regie und schauspieler, sollte angemessen betrachtet werden und nicht durch spiessige, altertümliche und verachtende reden kaputtgemacht werden. denn gleich ist 2011 und es ist schonlange zeit für solche filme. glückwunsch dem team und glückwunsch der filmkunst.
(..)