Am Mittwoch, den 28. November 2007 wurde Tomo Mirko Pavlovic' Der alte Tänzer und ich haben Liebe gemacht am Hessischen Staatstheater Darmstadt uraufgeführt. Pavlovic ist nachtkritik-Mitarbeiter der ersten Stunde. Eine frühere Fassung seines Erstlings war beim Stückemarkt des Theatertreffens 2006 in einer von Sandra Strunz eingerichteten szenischen Lesung vorgetragen worden. Mit freundlicher Genehmigung des Gustav Kiepenheuer Verlages veröffentlichen wir hier eine Szene aus Tomo Mirko Pavlovic' ebenso sarkastischer wie romantischer Komödie.

Der alte Tänzer und ich haben Liebe gemacht 

von Tomo Mirko Pavlovic

Das Stück spielt in der nahen Zukunft, in der niemand mehr weiß, wohin mit den Alten, die nicht sterben wollen. Deshalb regelt ein Gesetz, dass jedes kinderlose Paar, das über ausreichenden Wohnraum verfügt, einen oder mehrere alte Menschen aufnehmen muss.

Björn und Anne, ein klassisches Mittelschichts-Ehepaar, mit leichter Schlagseite zur Drastik, bemühen sich seit längerem ein Kind zu bekommen. Jetzt endlich, hat Anne kürzlich ihrem Mann mitgeteilt, sei sie schwanger. Sehr gut, findet Björn, schon allein deshalb, weil ihnen dann Alte in der Wohnung erspart bleiben.

In der Szene, die wir mit freundlicher Genehmigung des Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebes hier vorab veröffentlichen, ist Björn gerade von einer Dienstreise nach Hause zurückgekehrt. Im Fernseher im Wohnzimmer läuft "Die Sendung mit der Volksmusik". Björn staunt. Seit wann hört Anne, die Literatur-Dozentin, diesen Quatsch? Aber Björn wird im Laufe des Abends noch ganz andere Überraschungen erleben.

 

 

I. KÜCHE

 

Zwei Wochen zuvor. Abends. Anne sitzt an der Theke in der Küche und trinkt einen Kaffee. Sie liest die Tageszeitung. Alles wirkt teuer, stylish und etwas steril, als ob nie gekocht würde. Aus dem Wohnzimmer dringen Fernsehgeräusche. Björn erscheint in der Küche, er kommt von der Arbeit und scheint müde.

 

Björn.    Hi, Schatz.

Anne:    Hallo.

Björn:    küsst flüchtig Anne und setzt sich zu ihr an die Theke. Anne schaut
            nicht auf
  Hi, Schatz.

Anne:    Hallo.

Björn:    Das sagtest du bereits.

Anne:    Ach.

Björn:    Ja.

Anne:    Du aber auch.

Björn:    Was meinst du?

Anne:    Du wiederholst dich.

Björn:    Gott, war das heute ein Tag. Und schwül ist es geworden. nimmt
            einen Apfel vom hübsch arrangierten Obstteller, betrachtet ihn

            Was steht denn so in der Zeitung?

Anne:    Nichts. blättert

Björn:    Nichts. Scheint dich ja sehr zu interessieren, dieses Nichts.
            beißt in den Apfel

Anne:    plötzlich, mit nachdenklicher Miene, ihr Blick bleibt an einer Stelle
            hängen
  Hier. Unglaublich. Was es nicht alles gibt.

Björn:    Komm schon. Du weißt wie ich es hasse, wenn man mir etwas
            vorenthält.

Anne:    weiterhin konzentriert Da steht etwas von einem armen Teufel, der
            seine Frau mit drei jungen Kerlen im Bett erwischt hat. Man hatte ihn
            nicht sofort bemerkt, also schaute er den vieren einfach noch bis zum
            Ende zu. Danach ist er ins Zimmer und hat sich vor den Augen seiner
            Frau erschossen. Nach dreißig Jahren Ehe . . . wie elegant.

Björn:    So eine Schlampe. reißt Anne die Zeitung aus den Händen Wo steht
            das geschrieben? Was ist das überhaupt für ein boulevardesker
            Quatsch. Mein Gott, diese arme Sau.

Anne:    geht zum Kühlschrank und holt sich eine Plastikflasche Wasser, setzt
            sie an den Mund
Du hast Recht, es ist heiß.

Björn:    Finde ich nicht.

Anne:    Was hättest du in seiner Situation gemacht?

Björn:    Wo hast du das gelesen? Ich sehe es nicht.

Anne:    Ich glaube, er hat das einzig Richtige getan.

Björn:    Selbstmord ist etwas für Feiglinge.

Anne:    Er hat sich aus Liebe getötet.

Björn:    Ich hätte die vier kalt gemacht. Nacheinander. Wischt sich über
            die Stirn.
Gott, ist das heiß. Zuerst die Liebhaber, dann die Alte.
            Aber so, dass sie noch lange leidet. Ein Schuss ins Knie vielleicht.
            Ich hätte sie spüren lassen, was Leid bedeutet.

Anne:    Und die Polizei? Irgendjemand hätte die Schüsse gehört. Die Nachbarn.

Björn:    Stimmt. Na, dann hätte ich sie gleich umgebracht. Die Schlampe.

Anne:    Und wenn du sie liebst?

Björn:    Wen?

Anne:    Deine Frau.

Björn:    Ich könnte keine Frau lieben, die mich mit drei Typen gleichzeitig
            betrügt. sucht weiter Verdammt, ich finde hier nichts.

Anne:    Vergiss‘ es. Ich habe die Geschichte erfunden. trinkt noch einen
            großen Schluck
Wie war deine Dienstreise?

Björn:    etwas verstört, faltet die Zeitung säuberlich Nichts Aufregendes.
            Außer, dass ich Hotels jetzt endgültig hasse. Zwei Wochen den
            Schlagersender zum Frühstücksbüffet - das macht dich fertig.
            Aber die Anlage steht wenigstens. Ich bin dann noch eben vom
            Flughafen noch ins Büro. Beinlich hat seinen Ausstand gefeiert.
            Vorgezogener Ruhestand. Käse, Wein, zwei, drei Reden. Das Übliche.
            War auch Zeit für ihn. Vierzig Jahre im Betrieb. Von der Pike auf und
            so weiter. Schlosserlehre. Abendschule und Fachabitur.
            Betriebsstipendium. Abteilungsleiter in der Aluminium-Gießerei.
            unterbricht seinen Redefluss, lauscht Hast du das gehört?

Anne:    Was?

Björn:    Im Wohnzimmer. Eine Blaskapelle. Und jetzt ein Kanarienvogel.
            Nein, eine Art Jodeln.

Anne:    Ein jodelnder Kanarienvogel? Glaube ich nicht. Ich habe den Fernseher
            laufen. Die Sendung mit der Volksmusik, wahrscheinlich ist es die.

Björn:    Seit wann tust du dir so was an? Schöne Maid, hast du heut wieder
            Zeit? Na ja, du bist die Germanistin. Das Volkslied oder Der subversive
            Illusionismus der Kännchenbesteller südlich der Benrather Linie. So
            heißen doch deine staatlich subventionierten Seminare für arbeitslose
            Aquarellmaler, nicht wahr? kichert, beißt wieder kraftvoll in den Apfel,
            spricht mit vollem Mund.

Anne:    Ist ja gut, Prinz Gusseisenherz. Ich kenne deine differenzierte
            Einstellung zu meiner Arbeit.

Björn:    Arbeit? Wo war ich stehen geblieben? Genau, Beinlich. Ich nannte ihn
            immer „Peinlich". Er beschwerte sich aber nie. Herr Peinlich, könnten
            sie mir bitte die quadratischen Mittenrauhwerte des neuen Träger-
            Profils durchgeben? Richtig lustig war das, ich werde ihn wirklich
            vermissen. Peinlich, den Kämpfer. Den Emporkömmling. Wurde immer
            gehänselt. Wischte Soßenreste immer mit dem Brot auf. Seine
            Krawatte hing ihm immer bis zum Gemächt. Einfach zu verkrampft,
            trotz der völlig lächerlichen, aufgeblasenen Bundfaltenhosen.
            lauscht wieder
Waren das nicht Stimmen? Und so ein Knistern?
            Essen die bei dieser Dudelei auch Chips? Hörst du das nicht?

Anne:    Wahrscheinlich der Werbeblock.

Björn:    Auf jeden Fall . . . Peinlich hatte einen Block, in den er sich
            Fremdworte notierte, die er bei einer Besprechung oder in einem
            Gespräch nicht verstanden hatte. Mensur und Bourgeois. Oder summa
            cum laude. Ich hab‘s mal durchgeblättert, als ich alleine in seinem
            Büro war. In der Schublade unten rechts. Ein Trottel. Zum Schluss
            hat er es dann nicht mehr gebracht. Ein alter Sack, der lieber faxte
            als mailte. Ein langer Sinkflug bis zur Rente. Er ging allen nur noch
            auf die Nerven.

Anne:    Was habt ihr ihm geschenkt?

Björn:    Einen Tauchkurs in Ägypten.

Anne:    Ist er denn sportlich?

Björn:    Natürlich nicht. Peinlich schiebt eine ordentliche Pilsplauze vor sich her
            und geht höchstens mal mit seiner Alten im Wald spazieren. Die war
            auch bei der Verabschiedung. Hat geweint, ihn gestreichelt und
            umarmt. Der zärtliche Witz am Ende eines erfüllten Arbeitslebens.

Anne:    Ist doch rührend. Sie lieben sich nunmal.

Björn:    Das Leben ist leider kein Roman, Anne. Die Geschichte eines Mannes,
            der seine Krawatte nicht binden kann und seiner Frau mit der
            ausgewaschenen Dauerwelle an den Hüften herumtatscht ist kein
            rührender Stoff, sondern einfach nur abgeschmackt.

 

Maier betritt die Küche. Er kommt aus dem Wohnzimmer und schlurft gleichmäßig und wie in Trance am konsternierten Björn vorbei. Anne ist nicht überrascht. Maier geht zum Kühlschrank und öffnet ihn, dreht sich dann zu Björn um. Er hat den Bademantel von Björn an.

 

Maier:    zu Björn Gibt's kein Bier?

Björn:    erregt, zu Maier Teufel, wer sind Sie? zu Anne Anne, verdammt noch
            mal, was ist hier los. Wer ist dieser Penner? Und warum trägt er
            meinen Bademantel?

Maier:    Gibt's hier kein Bier? er zeigt auf den Kühlschrank, schaut wieder
            hinein.
Was ist das: "Sojamilch"?

Anne:    zu Björn Das ist Herr Maier. Seinen Vornamen kenne ich noch nicht.

Björn:    Es ist mir egal wie dieser Kerl heißt. Vorwurfsvoll Es ist mir scheißegal.

Anne:    Du hast mich doch gefragt.

Maier:    nippt am geöffneten Tetrapack Sojamilch, kostet Bäh, aber wenn's
            kein Bier gibt, muss es auch diese Plörre tun. Ich habe so einen Durst
            von diesen Kartoffelschnitzen. wischt sich die Stirn Und heiß ist es in
            dieser Wohnung. Im Krieg haben wir mal Pferdeknochen ausgekocht
            und getrunken. War ja nichts mehr zu trinken da. Im Krieg. Da trinkst
            du auch deine eigene Galle.

Björn:    Ich rufe jetzt die Polizei an. sucht sein Mobiltelefon in den
            Innentaschen seines Sakkos
. Mir reicht's. heftig, zu Maier Und
            ziehen Sie gefälligst meinen Bademantel aus. Sonst gibt es hier
            Krieg. zu Anne. Woher weißt du überhaupt, wie dieser
            Knochenschlürfer heißt?

Maier:    Ich bin unbewaffnet. setzt das Getränk ab, löst den Bademantel
            und lässt ihn zu Boden gleiten

Anne:    starrt auf den nackten, alten Körper Oh Gott, Herr Maier!

Björn:    ebenso entsetzt Shit. Wann hat der Typ eigentlich das letzte Mal
            seine Unterwäsche gewechselt? Vor dem Russland-Feldzug?

Maier:    Korrigiere: War an der Westfront.

Björn:    Bitte verschonen Sie mich mit Details. angeekelt Den Bademantel
            können Sie behalten.

Maier:    bückt sich, entdeckt neben der Anrichte Weinflaschen, zieht den
            Bademantel an, nimmt eine Flasche hoch
Ah, ein Bordeaux. Wie
            damals. Und im Rücken unseren schönen Rhein. sieht einen
            Flaschenöffner und entkorkt die Flasche, lachend
Jeder Stoß
            ein Franzoß. zu Anne Annchen, ich geh‘ wieder rüber, zu den
            anderen. Jetzt kommen nämlich die Marschkapellen. schlurft
            mit der Sojamilch und dem Bordeaux an Björn vorbei ins entfernte
            Wohnzimmer

Börn:    wollte gerade anrufen; zu Anne Welche anderen? Was meint er
           damit: die Anderen? Anne!

Anne:    Alfons und Trude.

Björn:    Alfons und Trude.

Anne:    Ja. Sie sind zu dritt.

Björn legt das Handy - ohne telefoniert zu haben - auf die Theke vor sich und schaut schweigend seine Frau an

 

 

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