Sag mir, wo Du stehst!

7. November 2023. Ein Monat seit dem Hamas-Angriff auf Israel. Heute auf diesen Tag. Theatern werden Bekenntnisse abverlangt. Sie straucheln. Aus Gründen. Wer glaubt, Kunst und Politik wären übereinanderlegbar, wird immer in dieselbe Falle tappen.

Von Atif Mohammed Nour Hussein

7. Oktober – 7. November 2023. Israel/Gaza. Ein Monat des Töten und Sterbens. Kein Ende in Sicht.

7. Oktober – 7. November 2023. Deutschland. Ein Monat des Streitens, wer was sagen darf, wer sich mit wem solidarisieren darf, wer sich wie zu positionieren hat. Irgendwo dazwischen deutsche Theater- und Kulturinstitutionen. Meistens schweigend. Und doch massiv von einer diffusen Öffentlichkeit unter Druck gesetzt, sich zu äußern.

Woher kommt dieses an Kunstbetriebe gerichtete, ungehaltene Drängen nach einem Solidaritäts- oder Gesinnungsbekenntnis? Und vor allem wer genau soll da sprechen? Die Intendantin, die Ensemblesprecher*innen, der Betriebsrat, Pressereferent*innen? Wer muss, wer darf?

Die Toten bleiben tot

11. Oktober. Abends. Berlin. Haus der Berliner Festspiele. Anlässlich der Vergabe der Theaterpreise des Bundes wusste eine laudatierende Jurorin sofort, da der erste Angriff der Hamas-Terroristen einem "Kulturfestival galt – einem Angriff auf die Kultur – ist das also ein Angriff auch hier auf uns." Ernsthaft?!

7. Oktober. Früher Abend. Nahe des Kibbuz Re'im – Region Eschkol/Israel. Am Ort des Festivals "Supernova Sukkot Gathering" (ein Augenzeugenbericht).

ich habe hier tote eins zwei drei vier fünf tote

hier ist jemand

ich habe hier eine polizistin eine ermordete polizistin

hier drinnen sind oh nein oh nein alle hier wurden ermordet alle ermordet

kann mir jemand hier ein lebenszeichen geben gebt uns ein lebenszeichen jemand der uns ein lebenszeichen geben kann jemand mit einem lebenszeichen

kein lebenszeichen

nein

sie ist tot sie ist tot sie ist tot

irgendjemand

bitte

kann jemand antworten

Oktober 2023. Irgendein Theater in Deutschland. "Mit den Opfern des Vernichtungswillens in Israel erklären wir uns aufrichtigst solidarisch."

Sich mit den Opfern, also den Toten zu solidarisieren – hier fehlt mir das Vorstellungsvermögen, wie, um alles in der Welt, das gehen sollte. Diese Vereinnahmung, wenn auch aus Hilflosigkeit, vielleicht Verzweiflung entstehend, ist höchst irritierend, folgt doch direkt darauf die Ankündigung für die nächste Komödie, den nächsten charmanten Liederabend. Und die Toten bleiben tot.

Zerrissen

Man müsse "gar nicht die besondere Verantwortung Deutschlands bemühen, um den Überfall auf Israel zu verurteilen", heißt es von anderer Stelle. Warum dieser Versuch, auf Abstand von sich selbst zu gehen? Weil wir nicht schuldig, nicht betroffen sein wollen? Oder geht es nur darum die Hoheit über die eigene Position nicht zu verlieren? Statements wie das folgende lassen es vermuten: "Mehr denn je gilt es, sich mit den Mitteln der Kunst und Kultur für den Respekt vor kultureller Vielfalt einzusetzen: weltweit, aber auch in Deutschland (…) im Kreis der Mitmenschen, in der eigenen kulturellen Praxis. Da droht gerade etwas zu zerreißen."

Zerrissen ist bereits einiges …

13. Oktober. Berlin. Die Leitung des Maxim Gorki Theaters schreibt im Zusammenhang mit der Aussetzung der Vorstellungen des Stückes "The Situation" von Yael Ronen & Ensemble: "Vielleicht ist Zweifel gut, aber hüten wir uns vor Verzweiflung. Sie lähmt. Es gilt: Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben."

Zwei Tage später …

15. Oktober. Berlin. Die Regisseurin Yael Ronen schreibt, angesichts des andauernden Tötens und Sterbens, "brauche ich einen Moment Zeit, um zu zerbrechen, mich aufzulösen."

Warum dieser Versuch, auf Abstand von sich selbst zu gehen? Weil wir nicht schuldig, nicht betroffen sein wollen? Oder geht es nur darum die Hoheit über die eigene Position nicht zu verlieren?

15. Oktober. Berlin. Maryam Abu Khaled, seit 2016 Ensemblemitglied des Gorki und an "The Situation" beteiligte Künstlerin/Schauspielerin reagiert auf die Entscheidung der Theaterleitung via Instagram: "Ich habe mit euch meine Lebenserfahrungen geteilt, die Erfahrungen eines Kindes, das versuchte, trotz der Kriege, Angriffe und Traumatisierungen in meinem Land Palästina zu überleben. Ich teilte meinen Schmerz und die psychischen Probleme, die mir die Okkupation hinterlassen hat. Ich habe mit euch die harten Bedingungen, denen das Leben mich ausgesetzt hat, geteilt. In meinem verletzbaren Zustand brauchte ich, um meine Gefühle zu vermitteln und mich für freie Meinungsäußerung einzusetzen, eure Bühne. Ich glaubte fest an die Kunst und die transformative Kraft des Theaters."

15. Oktober. Berlin. Karim Daoud, seit 2016 Ensemblemitglied des Gorki und an "The Situation" beteiligter Künstler/Schauspieler meldet sich ebenfalls, via Facebook, zu Wort: "Auf eurer Bühne angekommen, fühlte ich, dass ich mich ausdrücken konnte, wie ich es wollte. Ich fühlte mich akzeptiert, unabhängig von Religion, race, Nationalität, unterschiedlicher kultureller Prägung. Ich verspürte eine Art Sicherheit, wie man sie nur im eigenen Zuhause empfinden würde. Auf dieser Bühne hatte ich das Gefühl, dass ich den inneren Schmerz künstlerisch ausdrücken konnte, im Namen von Gerechtigkeit und Gleichheit."

Immer noch steht zu "The Situation" auf der Website des Theaters: "Yael Ronen und die Schauspieler*innen, die aus Syrien, Palästina und Israel nach Berlin gekommen sind, setzen sich mit den paradoxen Wiederbegegnungen ihrer »Nachbarn« sowie mit den Geistern ihrer Vergangenheit auseinander."

Künstler*innen als Sympathisant*innen?

Wenn das 2016 galt, warum ist es dann heute nicht mehr wahr? War das, was am 7. Oktober und ff. geschah, so unmöglich zu denken? Vielleicht war die Hoffnung, künstlerische Auseinandersetzung hätte außerhalb des Bezugsraumes Theater Relevanz, vermessen. Und, werden hier jetzt Künstler*innen zu Repräsentant*innen eines Staates oder Sympathisant*innen einer terroristischen Partei/Miliz? Denn das würde doch die Absetzung/Aussetzung der Inszenierung schlussendlich bedeuten.

Macht da weiter, wo Ihr stehengeblieben seid oder bleibt tatsächlich stehen. Haltet das aus! Im Theater entscheiden die Bühne und der Saal. Nicht die Fahne auf dem Dach und nicht die Zeilen auf der Website.

Im Statement der Theaterleitung steht wie nebenbei noch etwas Beunruhigendes: "Jetzt ruft die Hamas dazu auf, jüdische Einrichtungen in Deutschland zu attackieren. Das stellt uns an die Seite aller jüdischen Menschen in Deutschland.“ – Wo standet Ihr denn zuvor? Sicherlich doch genau auch da, nehme ich an. Vermutlich zwingt hier die eigene Verunsicherung das Offensichtliche zu betonen, führt letztlich eher zur Verunklarung. Lasst es doch einfach. Macht da weiter, wo Ihr stehengeblieben seid oder bleibt tatsächlich stehen. Haltet das aus! Im Theater entscheiden die Bühne und der Saal. Nicht die Fahne auf dem Dach und nicht die Zeilen auf der Website. Lasst Euch nicht zurufen, "Ihr habt doch euren Moralischen Kompass verloren!" Das ist eine widerliche, semantische Konstruktion – spricht sie doch eher von der Verdinglichung des Menschen als von unserer Fähigkeit, Mitgefühl und Vernunft miteinander zu verbinden.

Sammelt die Scherben ein!

Mehr noch – und das gilt, denke ich, für alle im Kunstbetrieb: Bekenntnisse taugen nichts, sind bedeutungslos, wenn sie ein paar Wochen oder Monate später eh wieder revidiert werden. Da flattert der nächste "Offene Brief" mit Bitte zur Ko-Zeichnung ins Haus und wieder wird eiligst entschieden, vorher noch flüchtig Pro und Kontra abgeklopft – dieses absurde Spiel verläuft seit Jahren wieder und wieder nach demselben unbrauchbaren Schema. Wer glaubt, Kunst und Politik wären übereinanderlegbar, wird immer in dieselbe Falle tappen müssen. Denn, wohin soll der eingeforderte, sich selbst immer schneller reproduzierende Wettbewerb an Beileids- und Solidaritätsbekundungen führen, wenn nicht zu Eitelkeit und letztlich zu Selbstveropferung als ultimativer Gewissensanästhesie?

Nicht nur ans Gorki, auch an alle anderen: Verschließt eure Bühnen nicht! Streitet euch in und mit der Kunst! Holt die, die sich verstoßen glauben, zurück! Sammelt die Scherben ein – oder lasst sie liegen, bis Ihr sie Euch, wenn Ihr den Streit gemeinsam gewonnen habt, als Orden ans Revers steckt!

 

Kolumne: Atif Mohammed Nour Hussein

Atif Mohammed Nour Hussein

Atif Mohammed Nour Hussein ist Regisseur und Puppenbauer. In seiner Kolumne stöbert er zwischen Verschobenem und Ablagerungen im Überbau.

Kommentare  
Kolumne Hussein: Bemerkenswert
Ein bemerkenswerter Text, wie ich finde.

Es wurde in der Vergangenheit schon oft unangenehm bis peinlich, wenn Intendant*innen oder Künstler*innen zu politischen Themen Stellung bezogen haben - da taten die oft wohlfeilen Statements aber nicht so weh wie jetzt, weil sehr vorhersehbar. Das ist in diesem Konflikt, der so verdammt kompliziert ist und bei dem es eben nicht die eine, offensichtlich gute Seite gibt, nicht mehr der Fall.
Kolumne Hussein: Die gute Seite
@Roger Doch, es gibt die eine gute Seite. Das sind die am 7. Oktober sinnlos und unschuldig Ermordeten, Gefolterten, Entführten, Geschändeten, Traumatisierten. Und es gibt eine ganz schlechte Seite, nämlich eine kriminelle Bande namens Hamas, die Israel völlig zerstören will, seit Jahrzehnten Raketen abfeuert, Selbstmordattentäter schickt sowie die Familien so genannter "Märtyrer" finanziell unterstützt und freundlicherweise unterstützt wird vom iranischen Regime, das Mädchen ohne Kopftuch tot schlagen oder Schwule und Aufsässige an Kränen aufhängen lässt.
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