14. Oktober 2022. Gelitten, gehasst, gebraucht? Die Theaterkritik gerät in die Kritik. Wie eh und je. Aber die Tonlage wird wieder heftiger, die Spielräume enger. Theatermacherin Amelie Deuflhard und FAZ-Theaterkritiker Simon Strauß messen das Terrain aus und streiten über Wirkung und Wirklichkeit der Kritik im Theaterpodcast #50.
14. Oktober 2022. Rau ist der Ton, der gegenüber Theaterkritiker:innen angeschlagen wird. Wie "Scheiße am Ärmel" der Kunst blieben ihre kritischen Einlassungen an einem hängen, ließ die Hamburger Intendantin Karin Beier vergangenes Jahr wissen. Überholt seien ihre Ansichten, befand der Regisseur und Performer Benny Claessens kürzlich gegenüber einer Nachtkritikerin und rief der Rezensentin nach: "Your Time is Over, Darling!" Und dann soll auch noch die Kritiker:innenjury beim Theatertreffen, dieses Gremium "unabhängiger Köpfe", wie es die ehemalige Jurorin Shirin Sojitrawalla nennt, von der neuen Leitung nach und nach abgeschafft werden. Oder? Ganz klar wurde das nicht bei der Pressekonferenz des Intendanten Matthias Pees und der vier neuen Theatertreffen-Leiterinnen zu den Veränderungen an den Berliner Festspielen. Quo vadis, Theaterkritik?, diese Frage steht im Raum. Und sie ist Thema im Theaterpodcast #50.
Diskussionsstoff gibt es genug für Simon Strauß, Kritiker und Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und Amelie Deuflhard, Intendantin auf Kampnagel, die bei Elena Philipp von nachtkritik.de und André Mumot von Deutschlandfunk Kultur zu Gast sind.
Abschottung und Affirmation?
Amelie Deuflhard hatte in einem Text mit ihrem Kollegen Matthias Lilienthal im März dieses Jahres die Kritik abgeschrieben – diese sei "natürlich lange nicht so wichtig wie vor 30, 40 Jahren". Und sie freute sich über die Möglichkeit der Gegenrede: "Jetzt, in Zeiten von Social Media, kann man über ganz viele Kanäle selbst kommunizieren." Wollen die Theater sich abschotten und nur noch Berichte lesen, die ihre Arbeit und ihre Ansichten affirmieren?
Streitbar tritt Simon Strauß an, die Institution der Kritik als "Gegenüber" und "unabhängigen Blick von außen" zu verteidigen. Karin Beier etwa sei nicht im privatwirtschaftlich Unternehmen tätig, sondern befinde sich in Abhängigkeit von Steuergeldern. "Und Steuergelder sollten durchaus kontrolliert werden", so Strauß. "Die Kulturpolitik, die meistens keine Ahnung von Theater hat, wird sich natürlich irgendwie auch verlassen müssen auf das, was Expertinnen und Experten davon halten."
Dialog und Dissens gibt es im Theaterpodcast #50: Kann die Einschätzung eines Kritikers oder einer Kritikerin Allgemeingültigkeit beanspruchen? Und ist der Blick auf Kunst unabwendbar an die eigene Identität gebunden, wie Amelie Deuflhard sagt, oder ist es Aufgabe der Kunst, sich allen verständlich zu machen, wie Simon Strauß fordert?
Aber: warum müssen immer die 65-jährigen Rentner bemüht werden, wenn es darum geht, für wen Theater gemacht wird. Ich bin in diesem Alter und fühle mich diskriminiert. Mit 65 ist man nicht plötzlich blöde und versteht nix mehr...
Was für eine tolle, zugewandte, unaufgeregte Diskussion! Dass man dies in unserer überhitzten Debattenunkultur wirklich noch erleben kann, ist wirklich ganz groß. Vielen Dank. Ein wenig gewundert hat mich nur, dass die Frage, wie sich die Kritik durch die Möglichkeit ihrer Kommentierung (d.h. auch des Widerspruchs) bspw. auf Portalen wie "Nachtkritik" geändert hat, ausgespart wurde. Dennoch: Wirklich toll!
Aber: warum müssen immer die 65-jährigen Rentner bemüht werden, wenn es darum geht, für wen Theater gemacht wird. Ich bin in diesem Alter und fühle mich diskriminiert. Mit 65 ist man nicht plötzlich blöde und versteht nix mehr...