Onkel Wanja - Der Shorty zum Gastspiel der Stuttgarter Tschechow-Inszenierung von Robert Borgmann beim Theatertreffen 2014
Warten auf andere Galaxien
von Georg Kasch
Berlin, 5. Mai 2014. Manchmal zahlt sich Treue aus. Wie im Fall von Armin Petras und Robert Borgmann. Borgmanns Macbeth-Inszenierung war die letzte große Premiere in Petras' Intendanz am Berliner Maxim-Gorki-Theater, und sie war eine Katastrophe: eine nicht enden wollende spannungslose Wirrnis, ein Abend der intellektuellen Nebelkerzen.
Petras ließ sich nicht beirren und arbeitete mit Borgmann auch in Stuttgart weiter zusammen (okay, die Verträge standen schon, aber angeblich hat er Borgmann auch am neuen Haus machen lassen). Und dann wurde ausgerechnet Borgmanns "Onkel Wanja"-Inszenierung zum Theatertreffen eingeladen. Trotzig und kämpferisch klang Petras bei der Urkundenüberreichung: Er sei froh, sagte er, dass die Jury wieder dazu übergegangen sei, nicht die erfolgreichsten, sondern die besten Inszenierungen auszuzeichnen.
Große Daseinsfragen
Das allerdings sahen nicht alle Theatertreffenbesucher so: In den freundlichen, etwas müden Applaus mischten sich Buhs, die mit Bravos gekontert wurden. Buhs, die sicher stärker ausgefallen wären, hätte nicht viele Zuschauer schon in der Pause die Flucht ergriffen. Offensichtlich fühlten sie sich von der zelebrierten Langeweile auf der nahezu leeren Bühne überfordert oder von der prolligen Anlage der Figuren. Seelenzergliederung und Einfühlung sind Borgmanns Sache nicht, die großen Seins-Fragen und die Lebens-Sehnsucht schon.
Was die Fliehenden verpasst haben? Arg viel nicht, denn der Abend faserte – anders als bei der Stuttgarter Premiere, wie Insider behaupten – ziemlich aus. Wirklich beeindruckend war allerdings das Neonröhren-Rad zwischen Todesstern-Ufo und Heiligenschein, das bedrohlich und schön zugleich über der Bühne schwebte, ein Licht in der Finsternis, das die Tristesse von Wanja und Sonja allerdings auch nicht mehr erhellen kann.
Hier geht's zur Nachtkritik der Stuttgarter Premiere von Onkel Wanja im Oktober 2013.
Zur Theatertreffen-Festivalübersicht mit Nachtkritiken und Kritikenrunschauen zu allen Premieren sowie Shorties zu den TT-Gastspielen.
meldungen >
- 05. November 2024 Europäischer Filmpreis: Eidinger und Rogowski nominiert
- 05. November 2024 Proteste gegen Sparauflagen in Dresden und Berlin
- 05. November 2024 Dresden: Erich-Ponto-Preis 2024 für Marin Blülle
- 05. November 2024 Euripides-Verse auf Papyrus entdeckt
- 05. November 2024 Kanton Bern: Freilichtspiele Moosegg enden 2026
- 04. November 2024 Schlingensief-Gastprofessur an Marta Górnicka
- 31. Oktober 2024 Neuer Verwaltungsdirektor am Theater Oberhausen
- 30. Oktober 2024 Carl-Zuckmayer-Medaille für Maria Schrader
neueste kommentare >
-
Leserkritik Von unten herab, Wiesbaden
-
Bullshit, Berlin Wir sehen nicht
-
Die Orestie, Hamburg Vielgestaltig
-
Trumpsche Regietypen Späte Antwort
-
Gittersee, Berlin Konventionen als Klischees
-
Nathan der Weise, Dresden Mehr davon!
-
Gittersee, Berlin Im Kammerspielton
-
Leserkritik Wiedergutmachungsjude, Berlin
-
Bullshit, Berlin Schön anzusehen
-
Poetik Samuel Finzi Hinter Regie-renden
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
ich liebe peter kurth, aber er war leider nicht zu verstehen, in diesem riesensaal. und ich saß in der zweiten reihe.
(Lieber Stanley, hier finden sich alle "Inszenierungen in der Diskussion": http://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/theatertreffen/tt14_programm/tt14_diskutiert/tt14_diskutiert_1.php
Schöne Grüße, die Redaktion / ape)
Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/05/07/ist-ja-nix-passiert/
können sie mir hier mal den gegensatz erklären? "Denn was Borgmann zeigt, ist weniger eine plakative Parabel auf eine womöglich als erstarrt oder gar ersterbend erfahrene Gesellschaft: ... Letztlich ist die Langsamkeit, die Borgmann zelebriert, Ausdruck und Metapher existenzieller Einsamkeit, der Unmöglichkeit zueinander zu kommen." na, was ist denn das anderes als eine erstarrte und ersterbende gesellschaft, wenn alle darin existentiell einsam sind?
Würde mich freuen, wenn Sie das ausführen könnten. (Beliebtes Mittel von Verschwörungstheoretikern ist ja gerade, auf "dunkle Machenschaften" zu verweisen und die ominösen "Mächte".)
Die Einladung war keinesfalls unnötig, sondern streitbar. Aber eine lustvolle, auch intelligente und bereichernde. Das zu sehen fällt freilich schwer, wenn man selbst keinen Zugang zu solchen Inszenierungen findet. Wie wäre es, einfach anzuerkennen, dass sich die Jury hier mit guten Gründen für eine sehr gute Inszenierung entschieden hat, die auch ihre Gegner findet.
Ich bin gern bereit, Ihren Verschwörungsandeutungen Gehört zu schenken, wenn Sie etwas konkreter würden statt es bei einem vieldeutigen und wenigsagenden "fast zwangsläufig" zu belassen.
Letzte Frage: Was wäre Ihre Auswahl aus der Longlist gewesen? Und darüber hinaus?
PS: Ich bin übrigens der Überzeugung, dass "Ohne Titel" eine "Fehl"-Einladung ist. Das kann ich gern ausführen. Bald, so hoffe ich.
Das sei Ihnen unbenommen. Worum es mir ging - und ich gebe zu, dass mir die Rezension ungewöhnlich schwergefallen ist - war auszudrücken, dass das was dieses Theater anstellt, auch mit dem Zuschauer, jenseits der üblichen Instrumenteebenen - Text, Bühnenbild, Darstellung, etc. abläuft, dass es nichts sagt oder zeigt, sondern den Zuschauer einlädt, eine Erfahrung zu machen, die jene reflektiert, der sich die Figuren ausgesetzt sehen. Ich fühlte mich als Zuschauer in eine andere Welt- und Zeiterfahrung versetzt, die erstmal primär keine inhaltliche oder gar sprachliche Ebene hatte, sondern, in erster Linie meine eigene war. Und hier sehe ich auch die Unterscheidung zwischen Gesellschaftsbeschreibung und individuelle Welterfahrung. Die automatische Verbindung, die Sie offenbar sehen, erkenne ich nicht. Und dass sich das sprachlich kaum beschreiben lässt, liegt m.E. in der Natur der Sache.
Ich schrieb, man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, schließe also eine Verschwörung der Jury explizit aus. Das haben Sie falsch verstanden. Was ich meine, ist, wie auch bemerkt, mit etwas Fantasie an der Liste abzulesen.
Hier ist eine durchaus gerechtfertigte Ballung von Münchner Inszenierungen zu erkennen. Ich habe bis auf „Fegefeuer“ (heute noch) alles gesehen. Dagegen stehen zahlreiche Inszenierungen aus Berlin, die definitiv alle schwächer sind. Noch eine Münchner auszuwählen, wäre vermutlich nicht gegangen. So hat man unter den Berlinern, und da gebe ich Ihnen recht, eine Alibi-Veranstaltung ausgewählt. Vermutlich wäre die Münchner Inszenierung von „Onkel Wanja“ interessanter gewesen. Karin Henkel hatte man aber schon (auch eine nicht unbedingt stimmige Entscheidung). Da Stuttgart nur noch mit einer Rimini-Produktion in der Auswahl war, hat es Borgmann sozusagen dem Proporz zu verdanken, und natürlich der Kurzsichtigkeit der Jury, was mögliche Alternativen betrifft.
Ganz sicher kann man da aber nie sein, da die Entscheidungsfindung ja nicht im Detail offengelegt wird. Ich denke, der Auswahlmodus bedarf seit langem einer dringenden Überholung. Es wäre auch denkbar, die Regietalente in einer separaten Sektion zu zeigen, ähnlich dem Salzburger Young Directors Project. Da hätten Sie eine ganz andere Aufmerksamkeit und man würde auch anders darüber diskutieren. Das TT hat sich unter Thomas Oberender und Yvonne Büdenhölzer zwar versucht zu modernisieren, geändert hat es sich aber nur bedingt. Es ist nun mehr denn je eine etablierte Marke im Festivalrummel, etwas bemerkenswert Innovatives sucht man hier vergebens.
in welche wohl? in die des Theaters, in die des (zeitlosen?) - e w i g e n
W e l t t h e a t e r s wird man wirklich versetzt, und darum geht es scheinbar, oft wirklich nicht mit rechten Dingen zu im Theater, auf der Bühne, und man spricht von Bühnenzauber und Magie . . .
(ich hoffe ich übertreibe hier nicht all-zu-viel)
(Dehn-)Speck-Dackl entstehen zu lassen!
"Ich fühlte mich als Zuschauer in eine andere Welt- und Zeiterfahrung versetzt, die erstmal primär keine inhaltliche oder gar sprachliche Ebene hatte, sondern, in erster Linie meine eigene war." es tut mir leid, ich versteh das nicht. eine andere welterfahrung, die in erster linie ihre eigene ist? hä? was ist besonderes daran, sie in ihre eigene welterfahrung, die sie ja ständig machen, zu versetzen? das ist ja dann gerade keine andere erfahrung. und wieso soll das keine sprachliche ebene haben? herr krieger, versuchen sie das doch noch einmal zu durchdenken und in präzise worte zu fassen. das sich das sprachlich nicht beschreiben lassen soll, ist doch eine ausflucht.
Und lieber Stefan: Wenn es ein Theatertreffen in den letzten Jahren gab, dem man politische Überlegungen am wenigsten vorwerfen kann, dann dieses. Ich habe bislang 6 Inszenierungen gesehen, die zum Bemerkenswertesten zählen, das ich in den letzten Jahren erleben durfte, die ästhetische Perspektiven eröffnen, neu sehen und erfahren lassen und in ihrer Gesamtheit den Theaterraum erheblich erweitert haben. "Unnötig" - welch unpassendes Wort - war hier gar nichts.