Eine Familie - In der Komödie am Ku'damm bringt Ilan Ronen das well made play von Tracy Letts auf eine Simultanbühne
Nichts als die Wahrheit
von Georg Kasch
Berlin, 22. Januar 2015. Das Boulevardtheater ist immer für eine Überraschung gut. Als in den Kategorien E und U erzogener Mensch schaut man auf die Schauspielerliste, sieht viele bekannte Fernsehgesichter, gleicht das mit seiner bisherigen Erfahrung mit Theatern und Inszenierungen dieser Art ab und denkt sich: naja.
Dann sitzt man im Parkett, schaut gebannt auf die Bühne, während einzig das Publikum sich als Boulevard erweist, weil es jeder Pointe, aber auch jeder außergewöhnlicheren szenischen Entäußerung auf der Bühne hinterhergröhlt. Da gibt es zum Beispiel den Moment, wo Violet Weston drogenbenebelt zu Eric Claptons Lay Down Sally tanzt. Ursula Karusseit bewegt sich so cool aus der Hüfte, wie das nur möglich ist bei einer 75-Jährigen. Es bleibt dennoch ein höchst tragischer Moment – der hemmungslos weggewiehert wird.
Gut, fürs Publikum kann die Truppe nichts, die sich in einer unabhängigen Produktions-Gesellschaft zusammengefunden hat, um an Berlins größtem Boulevardtheater Tracy Letts' Erfolgs-Dramödie "Eine Familie" aufzuführen. Aber für die Besetzung. Und den Regisseur. Der heißt Ilan Ronen und ist Leiter des Habima National Theatre in Tel Aviv. Während seine Kinder Yael und Michael Ronen seit Jahren zwischen Schaubühne, Ballhaus Naunynstraße und Gorki arbeiten, inszeniert er zum ersten Mal in Deutschland. Was ihre Abende auszeichnet, findet sich hier als im besten Sinne konservatives Theater wieder: Witz und Abgrund liegen oft nur eine Wortlänge auseinander.
Alles kreist um sich selbst
Ronen folgt Letts' very well made play, das wunderbares Schauspielerfutter ist mit seiner Mischung aus Familiendrama, Seifenoper und Boulevardkomödie in der Tradition von Edward Albee und Tennessee Williams, mit liebevoller Genauigkeit: Lauter Charaktere aus Fleisch und Blut, voller Eigenheiten, Widersprüche und handfester Konflikte. Wenn man Letts' messerscharfe Pointen zu effektheischend serviert, rutscht das Konstrukt schnell Richtung Schenkelklopfer – trotz Sucht-, Fremdgeh-, Inzest- und Missbrauchs-Umwegen.
Hier nicht. Tal Shacham hat ein Haus mit mehreren Ebenen auf die Drehbühne gestellt, dessen Räume ineinander übergehen und nach oben hin auszufransen scheinen – ein überschaubarer Kosmos in Auflösung, der zunehmend um sich selbst kreist. Auf die Fenster im Obergeschoss wurde sogar die im englischen Original titelgebende Landschaft in Oklahoma gepinselt ("August: Osage County"), wie einem erst nach und nach aufgeht.
Eine Simultanbühne, die Ronen auch so nutzt, weil er die Gleichzeitigkeit der Handlungen betont. Wenn sich die drei Schwestern zum Gespräch ins Arbeitszimmer des Vaters zurückziehen, dann hockt ihr Cousin Little Charlie stumm vorm Fernseher, kloppen die anderen Karten, tigert ihre Mutter durch ihr Schlafzimmer, blättert unterm Dach Johnna in ihrem Buch, die als Pflegerin eingestellt ist und sich als Heilerin für alle entpuppt. Ronen treibt die Dialoge durch Überlappungen in die enge Verzahnung, und wenn kurz vorm Dinner-Showdown im Durcheinanderreden die große Sprachverwirrung herrscht, dann ist das sowohl szenische Verdichtung als auch ein Bild dafür, wie sehr hier verbal alle um sich kreisen, ohne zuzuhören.
Ungleiches Kräftemessen
Vor allem hat Ronen aus einer ziemlich disparaten Gruppe aus altgedienten Stadttheater-Schauspielern, Freie-Szene-Gesichtern und Fernsehsternchen ein echtes Ensemble geformt. Eines, das die Pointen lässig abfeuert als aus dem Affekt abgeschossene Verletzungen – und um diese Verletzungen weiß. Das seine Figuren gerne mal bis an den Rand der Karikatur auslotet, aber diese Grenze nie überschreitet. Ursula Karusseit ist das tablettensüchtige Muttermonster Violet Weston, die ihre Familie um sich versammelt, nachdem ihr Mann verschwunden ist. Eine Chance, um alle mal so richtig runterzuputzen. Ihr "Ich sage nur die Wahrheit" wird zur großen Lüge des Abends: Natürlich ließe sich das, was sie austeilt, auch mit weniger Gift verspritzen. Lange lauert Karusseits Violet mit wachem Blick, um dann zuzupacken wie eine Schlange, sich mit aller Körperkraft in den anderen zu verbeißen. Das ist vor allem deshalb unglaublich packend, weil sie ihre Figur zwischen Triumphgeheul und Verzweiflungsstöhnen als Mensch grundiert, der geliebt werden will.
Annette Frier als älteste Tochter Barbara unterspielt sie im zunehmenden Zweikampf. Das hier ist kein Königinnendrama wie oft, sondern ein ungleiches Kräftemessen, weil klar wird, dass Barbara es nur zur billigen Kopie der Mutter bringen würde. Frier zeichnet beeindruckend eine von Anfang an zwischen allen Stühlen sitzende Frau, deren eigentliche Tragik darin liegt, den Knoten zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen nicht lösen zu können. Während Friederike Kempter ihre Karen als Tussi im Mantel der großen Selbstlüge anlegt, die sie selbst nur mühsam glauben kann, pendelt Eva Löbau als Ivy angenehm zwischen dem Selbstbewusstein einer Frau mit Uni-Karriere und dem Drama, immer wieder zum Kind gemacht zu werden.
So fügt sich die Berliner Erstaufführung von "Eine Familie" jenseits des comic relief zu einem dichten, zeitlosen Drama, das so problemlos auch auf den großen Bühnen der Stadt laufen könnte. Und mit einem Ensemble, aus dessen Fernseh-Vergangenheit man keine voreiligen Schlüsse ziehen sollte.
Eine Familie (August: Osage County)
von Tracy Letts, Deutsch von Anna Opel
Regie: Ilan Ronen, Bühne: Tal Shacham, Kostüm: Magdalena Emmerig, Musik: Ivica Vrgoč.
Mit: Annette Frier, Ursula Karusseit, Friederike Kempter, Felix von Manteuffel, Eva Löbau, Marion Breckwoldt, Jan Messutat, Ivan Vrgoč, Jaron Löwenberg, Amelie Plaas-Link, Eva Bay.
Eine Produktion der santinis production GmbH
Dauer: 3 Stunden 15 Minuten, eine Pause
www.komoedie-berlin.de
Mehr zu Eine Familie: In John Wells' Verfilmung des Stücks tyrannisierte Meryl Streep als Violet Weston ihre Verwandten – unsere Filmkritik. Deutschsprachige Versionen des Stücks gab es u.a. in Mannheim, Wien, Bochum, Basel und Potsdam.
"Offenbar ist es kein Problem für Vater Ronen, Theater zu machen, das sich nicht selbst reflektiert, sondern einfach nur eine Geschichte erzählt, die Balance zwischen Parodie und Tragik hält sowie den Ehrgeiz und die Spielwut aus den Akteuren kitzelt", beschreibt ein begeisterter Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (24.1.2015). Er preist die Leistung von Ursula Karusseit und schließt: "Ein knapp dreieinhalbstündiges intelligentes rücksichtsloses Gemetzel, das, nach den Stoßseufzern und den bitteren Lachattacken zu urteilen, so manchem im Publikum zu Trost und Ansporn für den Hausgebrauch gereichen wird. Bitte nicht nachmachen!"
"Bei aller Lust an der komödiantischen Überzeichnung wird doch sein feines psychologisches Gespür offenbar", schreibt Sandra Luzina im Tagesspiegel (27.1.2015). "Und die famosen Darsteller stürzen sich mit Verve in die Psychoschlacht, verraten ihre Figuren aber nie an die Karikatur."
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Nein, ich will das Publikum nicht abschaffen, es gehört ja - siehe oben - ganz substantiell zum Gelingen einer Aufführung. Aber gerade deswegen darf man doch seine Reaktionen auch beschreiben und - ja! - auch von seiner Warte aus kritisieren. Und wie überall hat man auch hier das Recht zum Irrtum. Wie ja auch das Publikum irren kann. Und der Kritiker erst recht.
http://www.radioeins.de/programm/sendungen/mofr1013/_/eine-familie.html
Diese Individuen tun doch das, was wir uns wünschen: Ins Theater gehen und diese Theater machen das, was gut ist: Sie spielen. Was will Herr Kasch? (...) Diese Form der Pauschalverurteilung von Menschen ist ziemlich ... (unerträglich). Lieben Sie es, Herr Kasch, wenn man von "den Kritikern" als Ihresgleichen spricht? (...)
Zugegeben trifft man diese Form von Publikum - und ja, natürlich, es sind nie "alle", aber es reichen ein paar Nervensägen, um einem die Laune zu vergällen - eher im Multiplexkino, aber es gibt sie auch im Theater. Die Hölle, das sind manchmal eben wirklich nur die anderen.
Die Säuerlichkeit, mit der die "Zunft" auf Widerspruch stets empfindlich reagiert und sich Kritik an der eigenen, vor profundem Wissen triefenden Meinung verbieten möchte, spricht für sich...
Es zeugt von einer besonderen Borniertheit, SchauspielerInnen ihre grundsätzliche Befähigung abzusprechen - oder wie sonst erklärt sich Herrn Kaschs Verwunderung darüber, daß SchauspielerInnen an einem Boulevardtheater ihr Handwerk können???
Ein fest zementiertes Kastendenken, das die deutsche Theaterlandschaft seit Ewigkeiten schön sortiert hält - und von Neid und Missgunst abzulenken sucht...
Es wundert mich wirklich, was alles in obige Kritik von Georg Kasch hineingelesen wird. Gast (Nr. 16) etwa glaubt, Kasch spreche "SchauspielerInnen ihre grundsätzliche Befähigung" ab, jedenfalls denen des Boulevards. Wo steht das? Kasch, wie ich ihn lese, referiert auf einen Boulevard-Begriff, der sich aus einer Summe von Stilmerkmalen zusammensetzt und der mit bestimmten Erwartungen verknüpft ist. Wenn diese Erwartungen erfüllt werden (z.B. eine bestimmte Art des Hinspielens auf Pointe), dann heißt das noch lange nicht, dass die SchauspielerInnen ihr Handwerk nicht verstehen. Es heißt schlicht, dass sie boulevardesk, im Stile des Boulevard-Begriffs nämlich, spielen. Manche machen das wunderbar, und Kasch würde das m.E. auch nicht in Abrede stellen. Dass er aber seine Erwartungen in der Kritik vorher formuliert, finde ich weder borniert noch eitel: Ich finde es ehrlich. Er markiert die Position, von der aus er überrascht wird. Was ist dagegen zu sagen? Wenn Gast allerdings behaupten möchte, es gäbe an den deutschsprachigen Privat- und Boulevardtheatern in der Regel nichts Boulevardeskes zu sehen, dann strecke ich die Waffen ...
Gast ist auch der Meinung, Kasch messe seiner Rezeption "Relevanz für eine breitere Öffentlichkeit" bei. Mag sein, dass, wer schreibt, auch gelesen werden will. Dass Kasch seine Ansicht aber darüber hinaus auf eine ausgezeichnete oder herausragende Weise für relevant hielte, kann ich nicht erkennen. Und jeder Öffentlichkeit steht es frei, eine Kritik auf nachtkritik.de zu ignorieren. Die Relevanz einer solchen Kritik, wenn es sie denn gibt, ergibt sich ja nicht qua Selbstermächtigung, sondern erst aus der Rezeption und dem Diskurs, die ihr folgen (oder auch nicht).
Nun noch ein Wort zu schnitzel (Nr. 11). Sie sagen Folgendes: "Zurück zu Hensel: Der Kritiker hat zwei Aufgaben: Beschreiben was aus der Bühne war - und seine subjektive Ansicht, ob je_mensch sich das anschauen sollte." Nun weiß ich nicht, ob Sie mit Hensel die Autorität Georg Hensel aufrufen wollen oder ob Sie Hensel schreiben, aber Kasch meinen (immerhin heißen beide Georg). Was ich mich aber frage: Ist die Aufgabe des Kritikers wirklich so fein säuberlich definiert, quasi bürokratisch vorgeschrieben? Sucht sich ein Kritiker seine Aufgabe nicht jedes Mal selbst? Wenn das Ereignis es zulässt, dann kann er sehr wohl über das Publikum schreiben. Er kann uns auch seine Meinung verweigern, ob man sich das anschauen sollte, er kann stattdessen Bezüge herstellen oder Assoziationen ins Kraut schießen lassen. Der Kritiker ist frei, er hat keine definierte Aufgabe. Er muss nur damit leben, dass man ihn nicht liest, wenn er etwas schreibt, das zu niemandem spricht. Was übrigens etwas ist, das die Kritiker sogar mit den Schauspielern verbindet: Die müssen nämlich auch damit leben, falls niemand kommen sollte, der sie sehen will.
das ist ja alles schön und gut formuliert von Ihnen. Aber es stimmt so nicht. Sie sagen, der Kritiker sei frei, er habe keine definierte Aufgabe. Das setzen sie auch noch in Analogie zum Schauspieler.
Aber das ist doch einfach sachlich falsch. Ein Kritiker und ein Schauspieler werden gemeinhin schon durch ihre Berufsbezeichnungen auf ein gewisses Regularium festgelegt. Sie haben Rollen. Berufliche Rollen.
Ob ein Schauspieler im Rahmen dieser beruflichen Rolle die eine oder andere Abbiegung in der ästhetischen Arbeit - zumeist in der Zusammenarbeit mit der Regie wählt - ist dann fast immer Sache eines Probenprozesses. Lawinky und Stadelmeier haben da ein Sonderstück aufgeführt, welches anscheinend eine Grenzsituation von Schauspiel markiert hat, die den Arbeitgeber dazu bewog diesen Schauspieler nicht mehr als solchen beschäftigen zu wollen. (Dass dann daraus Being Lawinky wurde hat m.E. eine sentimentale Dimension, die in der romantischen Epoche besser beheimatet gewesen wäre - Kunst und Leben sind ja mal nicht eins. Gottseidank!!! [wäre ja auch schnell langweilige die Kunst])
Der Schauspieler ist also nicht ganz so frei. Die Kunst vielleicht schon.
Und der Kritiker? Ist der ein Künstler? Hat dieser "Künstler" als einziges Kriterium seiner Kunst die Aufmerksamkeitsökonomie zu befragen? Das wäre ja nun wirklich traurig. Ich denke genau so wie es im Schauspiel weiterhin Kriterien für die Bestimmung vom Zweck der Übung und Güte der Ausführung selbiger gibt, gibt es diese auch für Kritiker. Gerade diese Definitionsarbeit, was intersubjektiv diskursiv werden kann, was also über die reine individuelle Kunsterfahrung hinausgeht, ist doch etwas an der die Güte eines Kritikers zu erkennen wäre. Kann Kritiker x oder y erkennbar, nachvollziehbar machen, was an dieser oder jener Aufführung gut oder schlecht war. Sich davon völlig frei zu sprechen, dass es Kriterien gibt erscheint mir widersinnig. Natürlich ist der Kritiker frei, wie jeder Mensch in unserem Lande in großem Maße in seiner Lebensgestaltung frei ist - aber das ist doch nun wirklich banal. In der berufliche Sphäre endet diese Freiheit im Rahmen der Qualitätsdiskussion, die Professionalität kennnzeichnet. Alles andere bleibt narzisstische Pennälerlyrik, die nur vom Applaus lebt und nicht sagen kann was gut oder schlecht an ihr ist.
ich glaube, wir sind nicht allzu weit voneinander entfernt. Natürlich bin ich auch der Ansicht, dass es für eine gute Kritik Kriterien gibt. Diese Kriterien sind aber weit weniger klar umrissen, als schnitzel unter 11. das vorgab. Die Kriterien gibt zu einem Teil der Gegenstand vor. Da aber der Kritiker (wie jeder andere Zuschauer auch) den Gegenstand nicht einfach fix und fertig gegeben bekommt, sondern im Erkenntnisprozess aktiv an seiner Konstruktion mitarbeitet, gibt es einen gewissen Spielraum, wie sich der Kritiker (oder der Zuschauer) die Kriterien definiert. In diesem kleinen Spielraum liegt aber eine große Freiheit - es ist gewissermaßen die Freiheit der Hermeneutik. (Einfaches Beispiel: Schon die Frage, ob ein Versprecher, ein nicht funktionierende Mikrofon oder die Publikumsreaktion zum zu besprechenden Gegenstand dazugehören, wird jeder für sich anders beantworten.) Ein anderer Teil der Kriterien ergibt sich aus dem Wunsch, die Kritik verständlich zu machen, also wird der Kritiker auch bestimmten erprobten Modellen folgen, wie man einen Text, eine Beschreibung oder eine Argumentation aufbaut. Er kann aber auch bewusst davon abweichen - auch das eine Freiheit -, um in der Abweichung etwas kenntlich zu machen.
Wogegen ich mich wehre, ist das simple Dienstleister-Modell, das schnitzel entworfen hat: Beschreiben, werten - und aus! Das Feld ist einfach reicher und freier als: "Zwei Männer langweilten sich auf der Bühne, die ein wunderlicher Baum zierte. Der Baum war von Beckett, der Abend zum Vergessen."
ps. Ich persönlich halte Kritiker übrigens nicht für Künstler, sondern nur für kunstnah. Und was ich über Kritiker und Schauspieler schrieb, meinte ich eigentlich nicht in Bezug auf deren Freiheit - ich meinte nur, dass sich sowohl Kritiker und Schauspieler ein Publikum erhoffen.
vielen Dank für Ihre mail. Ich bin zu 99% d'accord und verstehe auch Ihr Unbehagen am mechanistischen Dienstleistermodell. Das ist, genau wie Sie darlegen, natürlich allein aus Gründen der Hermeneutik mehr als albern.
Dennoch muß ich dem hier wild in Kraut schießenden Kritikerbashing eines zugestehen. Das Gefühl, dass Kritik sich oftmals ausführlicher mit der Anreise des Kritikers zum Theater beschäftigt als mit einer dezidiert nachvollziehbaren Darstellung und Einordnung des Gesehenen, dieses Gefühl beschleicht mich leider auch immer wieder.
Es ist sicherlich ein Kennzeichnen der Postmoderne, dass das Fragementarische, das Unfertige eine besondere, schützenswerte Qualität darstellt und somit auch die höchst individuell gestaltete - vielleicht wahrhaftig aus dem Gegenstand geborene - Kritikerreaktion auf dem Papier/Bildschirm wertvoll ist. Dennoch muß ich persönlich sagen meine geschmackliche Vorliebe geht dahin, dass diese individuelle Reaktion in der Kritik auch nachvollziehbar an den größeren Kontext angebunden wird; diskursiv wird und in Abgleich mit größeren Narrativen kommt. Schwammig formuliert, aber hoffentlich trotzdem verständlich. Diesen letztlich aufklärerischen Impetus erwarte ich mir von einer guten Kritik und ich vermute einige Andere auch, die sich hier als Schulmeister und Blockwarte gerieren. Aber: "Als ich um 10.00 Uhr auf die Uhr schaute, war es erst halb neun." bleibt natürlich ein Markstein grandioser Kritik, und weist wieder in die völlig andere Richtung... Es bleibt spannend.
Nein, das kann man nicht mit anderen Bühnen der Stadt vergleichen. Das war unerträglich. Ich selbst wurde bei dieser Enge der Sitze (2. Reihe Parkett) ständig von meinem dicken Nachbarn angepöbelt. Keiner wunderte sich, hätte zum Stück ja auch gut gepasst.
Wie großartig Kommödie sein kann, zeigt Fritsch immer wieder.
Ich glaube aber, es lagt nicht am Regisseur. Er kann für dieses furchtbare Publikum nichts. Herr Ronen, warum haben Sie sich diesen Ort angetan?