Gerichtstag über die Ausbeuter der Erde

von Sophie Diesselhorst

14. November 2017. Mit wehendem Haar sitzt Milo Rau auf einem Auto, das über die Schotterpisten der ostkongolesischen Provinz Süd-Kivu holpert – da, wo der Erdboden am reichsten ist, und die Menschen am ärmsten. Schnitt. Wir sehen jubelnde Menschen, die sich in einem Dorf vor ihren Häusern versammelt haben und ihre hoffnungsbrennenden Gesichter dorthin zu richten scheinen, wo eben noch Milo Rau saß. Einen kleinen Moment lang wird dieses Missverständnis in der Luft hängen gelassen und dann aufgelöst – es ist nicht Rau, den sie feiern, sondern der oppositionelle Präsidentschaftskandidat Vital Kamerhe, mit dem zusammen Rau unterwegs ist und der in der nächsten Szene eine Ansprache hält, in der er um Unterstützung für Raus "Kongo Tribunal" wirbt.

Postkolonialismus oder Neokolonialismus?

Ist das Postkolonialismus oder Neokolonialismus? Dass er sich dieser Frage, die im Zuge seines 2015 in Bukavu (der Hauptstadt von Süd-Kivu) und Berlin (an den Sophiensaelen) über die Theaterbühne gegangenen "Kongo Tribunals" bereits heftig diskutiert wurde, nicht entziehen will, markiert Milo Rau in dem nun in den deutschen Kinos startenden Dokumentarfilm über das Projekt; am deutlichsten in dieser "Missverständnis-Szene", wo der Verdacht der neokolonialistischen Selbstherrlichkeit des westlichen Regisseurs durch die Richtung des Zuschauerblicks auf Kamerhe als kongolesischen Verantwortungsträger in spe zerstreut werden soll.

Kongo Tribunal 3 560 Filmstill RealFictionFilme uFilmstill aus "Kongo Tribunal" © RealFiction Filme

Aber eigentlich ist das ein Nebenschauplatz, ging es Rau in seinem "Kongo Tribunal" doch – anders als zum Beispiel in seiner Theaterarbeit Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs – nicht um ein selbstreflektives Innehalten, sondern in kunst-aktivistischem Geiste darum, eine postkolonialistische Verantwortungs-Übernahme durchzuspielen, indem die Agenten des Elends im Ostkongo symbolisch zur Rechenschaft gezogen, ihre Verbrechen aufgedeckt werden – und zwar im Team von kongolesischen und internationalen Politikern, Betroffenen und "Experten", also: Anwält*innen, Journalist*innen, Soziolog*innen, Menschenrechts-Aktivist*innen.

"Im Dienste der öffentlichen Meinung" finde das Tribunal statt, so formuliert Rau es etwas schwammig bei der Eröffnungsrede in Bukavu, der je drei Verhandlungstage ebendort und in Berlin folgten, bei denen von Rau und seinem Team handverlesene Geschworene unter dem Vorsitz eines echten Richters, des als Belgier (auch) die ehemalige Kolonialmacht im Kongo repräsentierenden Jean-Louis Gilissen, etliche Zeug*innen zu vor-recherchierten Fällen befragten.

Abschaffung der Straflosigkeit gefordert

Es wurden symbolische Urteile gesprochen gegen die kongolesische Regierung, die im Nachklapp tatsächlich zwei der "angeklagten" Minister entließ; gegen die multinationalen Firmen, die den reichen Boden in Süd-Kivu ausbeuten und nicht nur nichts auf die Rechte der dort lebenden Menschen geben, sondern einen seit 20 Jahren schwelenden tödlichen Konflikt schüren, um das Machtvakuum zu erhalten, in dem sie zu 100 Prozent im eigenen Interesse agieren können. In Berlin wurde zum Abschluss die "Abschaffung der Straflosigkeit" gefordert und die Regierung des Kongo zur Einrichtung von national-international gemischten Tribunalen zur Aufarbeitung der Bürgerkriegs-Verbrechen aufgerufen.

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Der Dokumentarfilm wirft nun Schlaglichter auf die Verhandlungen und ihre Vorbereitung, springt unter den etwas reißerischen Kapitelüberschriften "Reichtümer der Erde", "Der Weg in den Bürgerkrieg" und "Die Herren der Welt" zwischen den ehrwürdig-dunklen Gerichts-Bühnenbildern in Bukavu und Berlin hin und her und kontrastiert sie mit Landschaftsbildern, die immer wieder in von oben betrachtet wunderschöne, hügelig-grüne Gegenden zoomen und schockierende Bilder zutage fördern des zerklüfteten Bodens, dem die multinationalen Konzerne Banro und MPC seine wertvollen Ressourcen ohne Rücksicht auf ökologische und menschliche Verluste entreißen.

Sendungsbewusster Realismus

Bilder auch von Massakern, die in Süd-Kivu an der Tagesordnung sind. Ob vor aus Perspektivlosigkeit hochgekochten Rebellengruppen oder vor der sie bekämpfenden kongolesischen Armee, die Menschen leben normalerweise in Angst und Schrecken. Das Massaker von Mutarule wird im Tribunal stellvertretend unter die Lupe genommen und im Film durch schockierende Bilder von toten Kindern und zerstörten Häusern beglaubigt. Schwer verdaulich ist das. Aber Verdaulichkeit ist auch nicht gesucht. Eher schon Sperrigkeit in der Behandlung des groß angelegten Tribunals. Wobei die Hintergrundmusik das Unterfangen als leicht pathetisch outet und manches ein bisschen zu sendungsbewusst vorauseilt.

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Das kann einen die feinen Akzente übersehen lassen, mit denen Milo Rau seinen "globalen Realismus" als Kunst im aufklärerischen Dienst der Weltverbesserung ausdifferenziert, indem er das Tribunal immer wieder als Theater bezeichnet, betont, dass es keine juristische Wirksamkeit hat, sondern höchstens eine symbolische – und damit die, die als Zeugen oder Experten auftreten, aber auch das Publikum als Mitspieler*innen einlädt, sich auf den Weg zu einem gemeinsamen Glauben an "Wahrheit und Gerechtigkeit" zu machen; so steht es auf großen Bannern über dem Tribunal. Doch erst einmal müssen sie, müssen wir ja überhaupt daran glauben, dass wir tatsächlich in einer Welt leben.

Die Lage in Süd-Kivu hat sich seit 2015 weiter destabilisiert, Gerechtigkeit scheint weiter entfernt denn je. Diese Wahrheit ist schwer zu ertragen. Vor diesem Hintergrund kann einem Raus Anliegen auf einer anderen Ebene ausbeuterisch, also doch neokolonialistisch scheinen: das eindrucksvoll zerstörte Land als lokales Vehikel für sein "globalästhetisches" Experiment, das Tribunal als Verortung einer so mächtigen Schieflage, dass man sich als schuldbewusster Profiteur vor einem übermächtigen Ohnmachtsgefühl nur schnell auf die Metaebene flüchten kann, um die Zustände, wie der Geschworene Harald Welzer in seinem Schluss-Statement, in einen schlauen Begriff wie "Verantwortungsdiffusion" zu fassen. Die Möglichkeit dieser moralisierenden Kritik hat Rau uns allerdings selbst geschaffen. Der "globale Realismus" schlägt an, wenn auch zuweilen mit dem Holzhammer.

 

Das Kongo Tribunal
Ein Dokumentarfilm von Milo Rau
Regie: Milo Rau

Filmstart Deutschland: 16.11.2017
www.realfictionfilme.de


Mehr zur Diskussion um das Kongo Tribunal. Auf Milo Raus Eröffnungsrede in Bukavu schrieb Esther Slevogt eine Erwiderung. nachtkritik.de besprach die Berliner Aufführung des Kongo Tribunals.

Über Milo Rau im Kontext des Aktivistischen Theaters schreibt Sophie Diesselhorst in ihrem Essay Hype und Elend des Artivismus.

Zuletzt erarbeitete Milo Rau für die Berliner Schaubühne das Historienstück Lenin und veranstaltete die General Assembly zur Verhandlung von Fragen der Weltgerechtigkeit.

 

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