Kritik der Eröffnungsrede des "Kongo Tribunals" von Milo Rau in Bukavu am 29. Mai 2015
Finsterer Kunstwille?
von Esther Slevogt
29. Mai 2015. "Das Kongo-Tribunal" hat der Schweizer Theatermacher Milo Rau sein Projekt überschrieben, das heute Abend eröffnet wird. Das Projekt will eine Öffentlichkeit für die verbrecherischen Zusammenhänge herstellen, die zwischen dem internationalen Rohstoffhandel und dem seit fast zwei Jahrzehnten andauernden Kongokrieg bestehen, der nicht nur ein Bürgerkrieg sondern auch ein von multinationalen Interessen getriggerter Wirtschaftskrieg ist.
Das Projekt will verhandeln und offenlegen, wie die westlichen Industrieländer von der systematischen Destabilisierung der Region profitieren; wie Menschen brutal ermordet und umgesiedelt werden, um neue Rohstoffvorkommen zu erschließen; wie also im 21. Jahrhundert westlicher Kolonialismus (unter den Augen der UNO!) die Ausbeutungsverhältnisse fortsetzt und pervertiert, deren brutale Ausformung unter anderem Joseph Conrad in seiner berühmten Erzählung "Herz der Finsternis" beschrieb. Mit dem brutalen Elfenbeinhändler Kurtz, der im Innern des Kongo ein Schreckensregime führt, hat Conrad 1899 eine archetypische Alptraumfigur des Kolonialismus erfunden.
"Es ist notwendig, zum Akteur zu werden"
"Das Kongo-Tribunal" findet in Bukavu statt, einer Stadt im Osten der Demokratischen Republik Kongo, der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu, einem der Zentren des Rohstoffabbaus. Im erprobten Format symbolischer Gerichtsverhandlungen sollen zwei mal drei Tage lang Hearings (ab 26. Juni auch in Berlin an den Sophiensaelen) stattfinden, in denen die komplexen Verflechtungen aufgefächert werden sollen, die für Krieg und Elend verantwortlich sind. Eben um eine Öffentlichkeit herzustellen, um mit der Kunst ins Leben einzugreifen, ja, in die Politik. "Ich denke, es ist notwendig, zum Akteur zu werden", sagt Milo Rau in einem Interview mit der Deutschen Welle (das der Pressemappe zum Projekt beiliegt). "Wenn man mich später fragt: ‚Was hast Du getan, als sechs Millionen Menschen gestorben sind?', dann will ich nicht sagen müssen: 'Ich habe in Paris einen Roman von Michel Houllebecq dekonstruiert.'"
Doch dann diese Eröffnungsrede. Schon beim ersten Absatz reibt man sich ungläubig die Augen: weil Rau allen Ernstes sein dokumentarisches Kunstprojekt in der Tradition der Nürnberger Prozesse sieht. Jener Prozesse also, mit denen ab Herbst 1945 die Siegermächte des 2. Weltkrieges vor einem Internationalen Militärgerichtshof einige Hauptverantwortliche für die Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zogen. Legitimiert unter anderem durch Regelungen, die ab 1943 von der United Nations War Crime Commission erarbeitet worden waren.
Die blinden Augen der Zeitgenossen
Das "Kongo Tribunal" ist lediglich durch den privaten Aufklärungs- und Kunstwillen des Theatermachers Milo Rau legitimiert, der in den nächsten Absätzen seiner Rede dann die Nürnberger Prozesse als einseitige Siegerjustiz markiert – womit seit siebzig Jahre vornehmlich Rechte die Legitimation der Nürnberger Prozesse anzuzweifeln versuchen. Es sind Argumente, die Rau nun nutzt, um seinen eigene Herangehensweise im Kongo als den besseren Weg darzustellen, ohne im Folgenden wirklich klar zu machen, worin genau diese Verbesserung besteht. Vielmehr ist seine oberflächliche Auseinandersetzung mit den Nürnberger Prozessen von reichlich vager Sachkenntnis geprägt.
So war die "Shoah" (die damals noch gar nicht so hieß, geschweige denn so wahrgenommen wurde) in Nürnberg gar nicht das zentrale Thema, sondern der deutsche Angriffskrieg, damit verbundene Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung der überfallenen Länder und die systematische Ermordung Kriegsgefangener. Rau bemüht die "Augen der Zeitgenossen", auf deren Seite er sich schlägt, um die Nürnberger Prozesse als Siegerjustiz zu markieren: also die Augen jener Deutschen, die Hitler gewählt hatten und 1945 angeblich zum ersten Mal im Zuge der Medienberichte über die Nürnberger Prozesse von den in ihrem Namen begangenen Verbrechen erfuhren, die im eigenen Namen zu verfolgen sie sich, wie wir wissen, später sehr schwer tun sollten.
Ein bunter Mix an Gerichtsprozessen und Tribunalen
Und man kommt aus dem Augenreiben beim Lesen von Raus pathetischer und in staatsmännischem Duktus formulierter (und großflächig auch weiterhin höchst unsauber argumentierender) Eröffnungsrede gar nicht mehr heraus. Denn als Nächstes wird das "Vietnam-Tribunal" auf die Rau'sche Traditionskette vom "Nürnberg Tribunal" bis zu seinem "Kongo Tribunal" gereiht. In diesem Zusammenhang auch auffällig: wie schön das wording unterschwellig das Corporate Design des Rau-Projektes zu unterstreichen versucht. Der geläufige Terminus für Nürnberg ist eigentlich "Nürnberger Prozesse". So wie das "Vietnam Tribunal" hierzulande eigentlich unter dem Namen "Russell Tribunal" in die Geschichte eingegangen ist: Benannt nach seinem Mitinitiator, dem britischen Philosophen und Literaturnobelpreisträger Bertrand Russell, der (gemeinsam u.a. mit Jean-Paul Sartre) 1966 zu einem symbolischen Tribunal zur Untersuchung der amerikanischen Kriegsverbrechen in Vietnam aufrief, um eine internationale Gegenöffentlichkeit gegen den Vietnam-Krieg zu mobilisieren und Menschenrechtsverletzungen der US-Armee zu dokumentieren.
Dem Beispiel dieses "Russell Tribunals" sind weitere Tribunale gefolgt, u.a. das 2003 abgehaltene "Irak Tribunal" oder das 2009 ins Leben gerufene und von Rau ebenfalls in seine Traditionskette eingereihte "Palästina Tribunal". Lauter NGO-ähnlich auftretende, von tendenziell diffusen Interessen und Menschen ge- bzw. betriebene, letztlich private Veranstaltungen, ohne völkerrechtliche Legitimation. Dazwischen mengt Rau immer wieder fröhlich den Internationalen Gerichtshof in Den Haag, das Hauptrechtssprechungsinstrument der Vereinten Nationen.
Der Künstler als politischer Wirrkopf?
Alles Rau, oder was? Ist hier am Ende ein politischer Wirrkopf am Werk? Ein Künstler, der sich das Superman-Kostüm übergestreift hat und nun den Weltenretter mimt? Die Lektüre der großspurigen Rede, die von populistischen Ressentiments und Halbwissen geprägt ist, lässt das befürchten. "Die globalisierte Wirtschaft verlangt nach global agierender Kunst", sagt Rau im bereits zitierten Interview mit der Deutschen Welle. Wohl wahr.
Doch in einer Welt, die sich dem Einzelnen zunehmend als undurchdringbares Konglomerat aus Inszenierungen, Bildern und Entfremdungszusammenhängen präsentiert (und auch staatliche Autorität zunehmend dereguliert und Privatinteressen unterwirft), hat die Kunst noch eine andere Verantwortung: nämlich dem einzelnen Menschen, der ihr (zum Beispiel im Theater) als Zuschauer gegenübertritt ein Instrumentarium zu vermitteln, die medial versiegelte Benutzeroberfläche, als die sich alle soziale Wirklichkeit zunehmend präsentiert, beschreiben, dekonstruieren und schließlich vielleicht sogar durchdringen zu können. Statt sich selbst an der Konstruktion dieser Benutzeroberflächen zu beteiligen, Differenzen einzuebnen statt sie scharf heraus zu modellieren.
So könnte es passieren, dass die Conradschen Mr. Kurtze des 21. Jahrhunderts von der eigenen Hybris geblendete westliche Künstler sind.
Esther Slevogt, in Paris geboren, ist Mitgründerin, Redakteurin und Geschäftsführerin von nachtkritik.de. Sie studierte Philosophie, Literatur- und Theaterwissenschaften, ist Kritikerin, Buchautorin und eine der Architekt*innen der Berliner Konferenz Theater und Netz.
Milo Raus Eröffnungsrede zu "Das Kongo Tribunal", hier auf Französisch.
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"(breivik äussert) auch Gedanken, die man jetzt tendenziell eher links einordnen würde, also die Idee von: Warum dürfen eigentlich die Indigenen in Bolivien, warum haben die Sonderrechte, und warum haben die Indigenen in Norwegen, warum haben die einheimischen Deutschen und Norweger, warum haben die eigentlich keine Sonderrechte von der UNO, ist das nicht rassistisch, ist das nicht unfair? Also der packt ein an vielen Ecken, wo man sich eigentlich safe gefühlt hat."
Wenn sich Milo Rau also bei derlei art von Arier-diskurs schon ideologisch ertappt fühlt, dann überraschen mich auch nicht die neuen, skandalösen aussagen dieses scharlatans.
Andererseits: Schön, dass jemand trotzdem noch was verändern will. Aber wie immer kommt es dabei wohl auf das Wie an.
(Sehr geehrter Kirillov, wir haben die Rede veröffentlicht, weil wir sie für eine programmatische und poetologisch aufschlussreiche Positionsbestimmung eines wichtigen Theatermachers unserer Tage halten. Mit besten Grüßen, Christian Rakow aus der Redaktion)
Was sich aber tatsächlich zu fragen lohnt:
Warum ist Milo Rau auf jedem Foto von sich im Kongo (taz, etc.) in Zeigefinger-/Wegweisergeste zu sehen, von umstehenden Locals und Mitarbeitern flankiert, die Weisung des Messias/Aufklärers empfangend? (Fotocopyright IIPM)
Warum nennt er schon oder überhaupt bereits im ersten Satz der Eröffnungsrede sich selbst noch einmal als Initiator?
Daraus herleitend: Warum wird in den Arbeiten Milo Raus seine eigene Rolle, seine Herkunft, sein Auftrag, sein Anliegen und seine Intention nicht kontextualisiert, historisch eingeordnet oder sogar hinterfragt?
Warum spricht ein Dokumentartheatermacher oder ggf. Künstler von einer "Wahrheit" und meint diese sogar vertreten zu können?
Sozialakktivistisch sind Milo Raus Initiativen beachtlich und berechtigt. Künstlerisch sind sie uninteressant und reaktionär.
lieber Sektempfang in Bürzelsheim als Sektenempfang in Bukavu.
Sie wollen die Welt verbessern und reagieren wie beleidigte Kaninchenzüchter auf Kritik. Kann man auch nur einigermaßen verstört zur Kenntnis nehmen.
beleidigt bin ich nun wirklich nicht - denn genau das, was Sie als Ursache meiner vermeintlichen Beleidigung ausmachen, findet hier ja gerade nicht statt: Auseinandersetzung und Kritik mit einem Theater-/Filmprojekt nämlich. Ansonsten hat die Debatte ja jetzt auch ihren Zenith überschritten und ich klinke mich dann mal aus. An Sie, verehrter Heinz Hummel, gerne noch der praktische Hinweis: Das Bier schmeckt besser in Bukavu als der Schaumwein... Prost!