Zukunftsfeier

15. Februar 2024. Nach der Rassismus-Debatte am Düsseldorfer Schauspielhaus 2021 wurde es konzipiert: ein selbstverwaltetes "Schwarzes Theater" für die Landeshauptstadt von NRW. Jetzt ist es eröffnet. Mit dem Multimedia-Stück "Die Wasserträgerin" in der Regie von Natasha A. Kelly.

Von Dorothea Marcus

"Die Wasserträgerin" vom Verein Black German Arts and Culture in Düsseldorf © Nando Nkrumah

15. Februar 2024. Wasserrauschen füllt den Raum, schwarzes Meer die Leinwand. Dann fährt die Kamera langsam in Großaufnahme über den nackten Körper der "Schreitenden Wasserträgerin", auch "Die Nubierin" genannt. Die Hände in die Hüften gestützt, blickt sie stolz und rätselhaft vom Bildschirm zum Publikum.

Die Bronzeskulptur, die heute wieder am Düsseldorfer Rheinufer steht, wurde 1925 vom jüdischen Bildhauer Bernhard Sopher geschaffen: eine junge, schwarze Frau mit einer Vase auf dem Kopf. 1938 wurde sie von den Nazis „entartet“ genannt und abgebaut, sollte eingeschmolzen werden. Sophers Frau rettete und verschiffte sie, als beide 1935 in die USA emigrieren mussten – der Bildhauer war mit einem Berufsverbot belegt worden.

Doch ist es nicht auch ein zutiefst kolonialer, weißer Herrschaftsblick, den der später verfolgte Künstler hier auf ein junges, schwarzes Mädchen wirft? Auch die Performerin Zena Sakata ist eine junge, schwarze Frau, ihre Statur ähnelt verblüffend der Skulptur. In eng anliegendem Glitzeranzug schreitet sie auf die Bühne, trägt ebenfalls eine Vase, geht fast völlig im Umriss der "Nubierin" auf – und ist doch krasse Lebendigkeit und Gegenwärtigkeit gegenüber der als Kunstwerk erstarrten Männerfantasie. Sie füllt den Raum mit Präsenz, Tanz, Stimme: "Seht ihr die Spuren der Geschichte auf meiner Haut? / In meinen Augen spiegelt sich die Zeit. / Ich war lange das Problem – euer Problem, für das ihr schnell eine Lösung gesucht habt."

Auf dem Screen erscheinen goldene Gestalten, weitere Wasserträgerinnen, ruhige Bilder von Frieden – bis Schüsse und Schreie ertönen, die Gestalten in Stücke zerfallen. Auch Zena Sakata fällt auf die Bühne. Doch aus den Scherben ersteht etwas Neues, eine göttlich glitzernde Eiswolke, die ihre "Töchter" erweckt: "Lass deine Wut das Eis zum Schmelzen zu bringen."

Die globalen Ströme der Ungleichheit

Sakatas Bewegungen sind mal Street Dance, erinnert an Stile wie Krumping, Voguing, Breaking, dann wieder eher klassisches Ballett, souverän, lässig, rot angestrahlt wechselt sie die Register. Schwarz-weiße Videoanimationen zeigen, wie die Wasserträgerin auf einem Boot in die USA gelangt – auch ein Segel(sklaven)schiff und ein Flüchtlingsboot sind auf den Wellen zu sehen, die globalen Ströme der Ungleichheit bedingen einander.

Wer war das Mädchen, das der Bildhauer einst porträtierte, was wurde aus ihr in der Nazi-Zeit – ehe sie zum Objekt Nr. K, SB 114 in den Düsseldorfer Kunstarchiven wurde? Sakata klettert in einen Kasten, es könnte ein Sarg sein, erzählt Geschichten von anderen, kaum bekannten schwarzen Frauenschicksalen: etwa das von Martha Ndumbe, Tochter einer Deutschen und eines Kameruners, die in Berlin aufwuchs, vor sozialer Diskriminierung zur Sexarbeiterin und Kleinkriminellen wurde, 1944 im KZ Ravensbrück starb. Oder Marie Hegner, 1884 in Namibia geboren, 1934 in eine Nervenheilanstalt zwangseingewiesen, zwangssterilisiert als "Gefahr für die genetische Gesundheit", mit 54 Jahren gestorben.

Natasha A. Kelly hat ihnen in ihrem Buch "Schwarz. Deutsch. Weiblich" ein Denkmal gesetzt – und forscht seit langem zu Schwarzer Kunst während der Weimarer Republik.

Ein Skandal und die Folgen

Wer einst für Sophers Denkmal Modell gestanden hat, bleibt leider vergessen – während das Schicksal des jüdischen Bildhauers gut dokumentiert ist. Doch an diesem Abend wird kein schwarzes gegen jüdisches Leid aufgewogen, auch der Nahost-Konflikt ist kein Thema, auch wenn Natasha A. Kelly politisch durchaus schon als Propalästina-Aktivistin aufgetreten ist. Und auch wenn manches sprachlich etwas zu pathetisch und bombastisch gerät, gelingt es der Uraufführung in Düsseldorf, ohne direkte aktuelle politische Bezüge und Schlagworte zu einem poetischen Ereignis zu werden.

Auch durch ihre Entstehungsgeschichte: Drei Jahre lang verhandelte die Kulturwissenschaftlerin, Professorin, Autorin und Aktivistin Natasha A. Kelly mit dem Düsseldorfer Kulturdezernat und dem NRW Landesministerium, bis diese erste Premiere und Eröffnung des "Schwarzen Theaters" möglich wurde. Gelder in Höhe von zunächst rund 50.000 Euro flossen. Das Projekt wurde vorangetrieben nach dem "Rassismus-Skandal" am Düsseldorfer Schauspielhaus im Jahr 2021, als der Schauspieler Ron Iyamu seine rassistische Diskriminierungserfahrung auf Proben via Social Media öffentlich machte – und eine große Debatte über rassistische Strukturen und Machtmissbrauch an deutschen Stadttheatern auslöste.

Der lange Weg zum eigenen Haus

Natasha A. Kelly gehörte damals zu den Regisseurinnen, die ein geplantes Projekt in Düsseldorf absagte: "Wir fordern eine selbstorganisierte Freie Bühne als aktive Möglichkeit, uns dem institutionellen Rassismus zu entziehen", schrieb sie damals in einem Offenen Brief. Komplett selbstverwaltet wird die neue Bühne nun tatsächlich, vom Verein "Black German Arts und Culture" im Düsseldorfer Theatermuseum, dem ehemaligen Hofgärtnerhaus im Hofgarten, Düsseldorfs zentralem Park.

ThisIsAfrofuturism NkrumahLandschaft des Afrofuturismus © Nando Nkrumah

Im Foyer gibt es Sekt und Sambusak-Teigtaschen, die Stimmung ist fröhlich, bis die Zuschauer in die kleine Studiobühne des Museums gelassen werden. Vorher wurde sie eher selten zu Lesungen oder von der Freien Szene genutzt, war von Schließung bedroht, jetzt sitzt das Publikum dicht gedrängt auf den engen Sitzreihen. "Lange hat es bis zur Eröffnung gedauert, weil wir im Team komplett unhierarchisch basisdemokratisch entscheiden", sagt eine sichtlich aufgeregte, aber strahlende Kelly in der Eröffnungsrede.

Cool und spannend ist schließlich, wie der kurze Abend nicht in Klage und Anklage stehen bleibt, sondern zur Feier von Selbstermächtigung und Afrofuturismus wird: in grandiosen Videobildern blickt ein riesiger, erst weißer, dann schwarzer, schließlich goldener Kopf über eine Mondlandschaft, eine rote Sonne verspricht utopische Zukünfte, aus den Wassertropfen des Meeres bilden sich Bilder der Ahnen, Pfeiler der Vergangenheiten, gegen das Verschwinden – und fantastische, surreale Bilder. "I feel my body, I am somebody", rappt schließlich die Musikerin Varinia Akua in Sonnenbrille und Bomberjacke eine Empowerment-Hymne.

Interessant zu sehen ist nun, wie sich das neue Schwarze Theater in Düsseldorf international vernetzt: Parallel zum Theaterstück wurde etwa ein Film zur "Wasserträgerin“" gemacht, der parallel beim Weimar Republik-Festival der New Yorker Carnegie-Hall gestreamt wird (und danach noch zwei Wochen stehenbleibt). Angeregt wurde das durch Reynaldo Anderson, Gründer des BSAM (Black Speculative Arts Movement), der Afrofuturismus als eigene Diskurs-Perspektive verstanden wissen will, indem er eigene, neue, positive Narrative und Setzungen entwirft – und mit Natasha A. Kelly noch manches Projekt plant, unter anderem eine Podiumsdiskussion über "faschistische Kontinuitäten und die Fragilität der Demokratien" mit seinen Studierenden und dem Kreativkollektiv aus Düsseldorf. Ist nur zu hoffen, dass auch hier der Nahost-Konflikt nicht seine spalterischen Schatten wirft.

 

Die Wasserträgerin Eine Geschichte der Befreiung
von Natasha A. Kelly, Anita Berger, Aminata Estelle Diouf, Digital Visual Design: Nando Nkrumah, Musik und Sound Design: Varinia Akua, Ton: Baba Omar, Licht: Wayne Smith, Kamera und Schnitt: Poutaire Lionel Somé, Produktionsleitung: Anita Berger.
Mit: Zena Sakata.
Premiere am 14. Februar 2024
Dauer: 45 Minuten, keine Pause

www.instagram.com/black.german.arts.and.culture

 

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