Er sagt, sie sagt

von Falk Schreiber

Hamburg, 27. April 2014. Das Ende einer Liebe ist eigentlich kein Stoff fürs Theater. Wenn die Liebe zu Ende geht, dann ist das unspektakulär und traurig, aber es ist im Grunde banal. Ein alltäglicher Weltuntergang. Zudem ist das Liebesende eine zutiefst ernste Angelegenheit und kollidiert entsprechend mit der ironischen Grundhaltung, die sich auf den deutschen A-Klasse-Bühnen durchgesetzt hat, einer Haltung, die auch am Hamburger Thalia auf fruchtbaren Boden fällt. Was nicht zuletzt an Ensemblemitglied Jens Harzer liegt, dessen Spiel mittlerweile so von Trauer über die Mittelmäßigkeit der Welt angefüllt scheint, dass man sich den 42-Jährigen gar nicht mehr anders vorstellen kann als mit hoffnungslos ätzender Ironie die Bühne überziehend.

Liebes-Scheitern als Exportschlager
Pascal Rambert hatte "Clôture de l’Amour" eigentlich exklusiv für Stanislas Nordey und Audrey Bonnet geschrieben, mit denen er das Stück schon 2011 beim Festival von Avignon inszenierte. Seither zieht der Autor, Choreograph und Regisseur durch die Welt und stellt die drei Jahre alte Inszenierung immer wieder mit neuen Schauspielern nach, in Moskau, Zagreb, New York. Und jetzt als Deutsche Erstaufführung auch in Hamburg, in der Thalia-Nebenbühne Gaußstraße. Mit Marina Galic und Ironiemeister Jens Harzer als zerfallendes Paar, das sich Verachtung und Hass an die Köpfe schmeißt.

ende einer liebe2 560 krafft angerer hJens Harzer und Marina Galic giften sich an © Krafft Angerer

Man kennt Rambert an der Elbe – vor drei Jahren gastierte der Franzose mit der Performance "Libido sciendi" auf Kampnagel, Körpertheater, das damals von der Lokalpresse im Vorhinein als "pornografisch" zum Skandal hochgejazzt wurde. Ein Skandal, der dann ausblieb: "Libido sciendi" war keine Pornografie, sondern eine tänzerische Studie über Intimität mit viel nackter Haut und als solche trotz des völligen Verzichts auf Sprache gar nicht mal so weit weg vom sprachmächtigen "Ende einer Liebe".

Eine Stunde Redezeit pro Person
Nackt geht es auch in der Gaußstraße zu – wobei "nackt" in erster Linie den Verzicht auf jeglichen Tinnef meint. Die Bühne ist bis auf Wandelemente, Neonröhren und einen einzelnen Scheinwerfer leer, die Darsteller tragen unspektakuläre Alltagskleidung (die bei ihm ein wenig schluffig wirkt, bei ihr auf eine sehr attraktive Weise zurückgenommen), und die performative Aktion ist aufs Nötigste beschränkt. Was heißt, dass zunächst der Mann eine gute Stunde lang monologisiert, die Frau beschimpft, angreift, umschmeichelt, während diese seine Worte wie Schläge auf sich einprasseln lässt. Worauf die Rollen getauscht werden und die Frau eine weitere Stunde giftet.

Insbesondere während der ersten Stunde hat das einigen Reiz, Harzer spricht ununterbrochen leicht neben sich und verzichtet weitgehend auf Gestik, während Galic mit ihrem Körper reagiert, sich krümmt, manchmal schluchzt und ansonsten schwer erträglich leidet. Nachdem man allerdings die strenge Form verstanden hat, schlafft der Abend ab, auch weil Galic den aktiven Part nicht so souverän meistert wie ihr Kontrahent (und man darf an dieser Stelle durchaus überlegen, ob Ramberts Schauspielerführung ein fragwürdiges Frauenbild zu Grunde liegt). Auch stolpert man mehrfach über Sentenzen, die in ihrem Pathos ein wenig aus der Zeit gefallen wirken: "Der Krieg ist kein Vergnügen!" herrscht der Mann seine Frau an, und kurz fragt man sich, ob das Ende einer Liebe tatsächlich Krieg sein muss. Ob es nicht vielleicht ein zivilisatorischer Fortschritt ist, so abgefuckt zu sein, dass man alle Verletzungen ironisch abmildern kann. Und ob man ausgerechnet einem Jens Harzer diese Kriegsmetaphorik tatsächlich glauben will.

Schwelgen mit Kinderchor
Aber egal, der Text in der Übersetzung Peter Stephan Jungks ist eine böse Anklage von nahezu bernhardscher Wucht, die Performance auf eine virtuose Weise minimalistisch und die Inszenierung kaum existent. Die "zurückhaltende" Regieposition sorgt dafür, dass jede inszenatorische Aktion mit wahnsinniger Bedeutung aufgeladen wird: das Schlussbild mit nackten Oberkörpern und lächerlich-aufwändigem Kopfschmuck. Oder der Kinderchor, der zwischen den zwei Hassmonologen eine Zäsur setzt ("Ich träum' mich heimatwärts / für dich, da schlägt mein herz / Bumm-di-di-bumm"). Und nach und nach wächst in einem die Erkenntnis: Gezeigt wird zwar das Ende einer Liebe, dieses Ende ist aber in erster Linie das Nachdenken über Anfang und Alltag der Liebe. Die Träume vom gemeinsamen Altern, der Kinderwunsch, das Ejakulat im Rachen. Schön.

Und der tosende Schlussapplaus zeigt: Das Publikum ist überhaupt nicht besonders ironiesüchtig, das Publikum denkt manchmal ganz gerne über die Liebe nach. Bitteschön: Hier wurde die Liebe beendet, bald ist Spielzeitpause, und im September eröffnet Jette Steckel die neue Thalia-Saison. Mit "Romeo und Julia", Anfang einer Liebe.

Ende einer Liebe
von Pascal Rambert, aus dem Französischen von Peter Stephan Jungk
Regie und Ausstattung: Pascal Rambert, Ausstattungsmitarbeit: Christoph Rufer, Dramaturgie: Susanne Meister.
Mit: Marina Galic und Jens Harzer sowie den "Hamburger Alsterspatzen", dem Kinderchor der Hamburgischen Staatsoper unter der Leitung von Jürgen Luhn.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.thalia-theater.de

 

Kritikenrundschau

Alexander Kohlmann schreibt auf der Website des Deutschlandradios (26.4.2014): Jens Harzer zeichne einen "Gerne-Groß, der es ihr einmal richtig zeigen will, ausbrechen aus dem Gefühl der Unterwerfung", bei Marina Galic werde aus der Zuneigung "Vernichtungswille"; mit "Angst, aber auch Faszination" beobachte der Ehemann "die Furie, in die sich seine Ehefrau verwandelt". Es sei eine "ganz spezielle Geschichte einer Beziehung", die das Thalia-Theater an diesem Abend zeige. Doch verknüpfe diese Rückschau auf "ein gescheitertes, gemeinsames Projekt wohl jeder Zuschauer mit ganz eigenen Lebenserfahrungen". Das Ganze gerate "allerdings doch arg lang". Die "Leistung der Schauspieler" allerdings sei "überwältigend". Am Ende sei zu spüren, wie nahe ein Theater "ohne doppelten Boden, ironischer Distanz und den allgegenwärtigen Brechungen" auch dem Personal auf der Bühne im "deutschsprachigen Regie-Theater" noch gehen könne.

Till Briegleb schreibt in der Süddeutschen Zeitung (28.4.2014): Das Paar stehe sich "in präziser Heeresordnung weit entfernt gegenüber" und zelebriere die gegenseitige Vernichtung. Durch Ramberts Auffassung von "Scheidung als Kanzelreden" fehle dem Ehekrieg jedoch "jeder Stachel". Die "ungestörten Vorträge von Vorwürfen" erschöpften sich im Klischee: "Er – der selbstgefällige Dozierer mit maximal grausamer Gefühlskälte, sie – die verbal unterlegene Gefühlsverbitterung". Das sei so "in sich widerspruchsfrei" und "vermeintlich geschlechtertypisch", und von Harzer und Galic "nahezu ironiefrei als Wirklichkeit präsentiert", dass es so aufwühlend wirke wie 120 Minuten Kalter Krieg: "scheußlich ohne Dramatik".

"Minimalistisch, unpathetisch, unparteiisch, zerstörerisch, schmerzhaft" sei "Das Ende einer Liebe", so Monika Nellissen im Hamburger Abendblatt (29.4.2014). Besonders angetan scheint sie nicht: Ramberts Sprache verheddere sich "in Metaphern und Gedankenmäandern, die allerdings Harzers Intensität, seiner Konzentration und dem nie nachlassenden, schmerzhaften Kampf Mann gegen Frau nichts anhaben können". Marina Galics Reaktion darauf, die "mit Schweigen, Positionswechseln, Stöhnen, schwerem Atmen und Weinen reagiert", findet sie "überflüssig".

Im Hamburg-Teil der Zeit (30.4.2014) schreibt Kilian Trotier: "Die Reduktion ist radikal an diesem Abend. Sie schafft den Raum für Worte, die einen Bruch artikulieren, der nicht mehr zu überwinden ist." Der Titel verschleiere, welche Pathologie noch aufbrechen wird in diesem Duell. Das Gebäude der Liebe werde nicht gesprengt, sondern Schicht für Schicht abgetragen. Sie zögern den Abschied hinaus, weil sie wissen: Dies ist ihr letzter gemeinsamer Moment.

 

 

Kommentare  
Ende einer Liebe, Hamburg/Berlin: es wird der Horror
Mehr als eine Stunde lang spricht zunächst Harzer, versucht zu begründen, philosophiert, beschuldigt, zeichnet ein Bild von der Unmöglichkeit dauernder Liebe. Spannend ist dabei weniger das Gesagte, sondern die Diskrepanz zwischen Harzers markant-ironischer Stimme und dem unerbittlichen Ernst, der seine Worte durchzieht. Wenn er auch das glauben mag, was er da von sich gibt, wir vermögen es nicht. Kraftvoller ist dann schon die unterdrückte Wut, mit der Galic ihre Replik auflädt. “Es wird der Horror”, prophezeien beide, und je länger der abend dauert, desto bereitwilliger möchte der Zuschauer dies unterschreiben. Denn irgendwas stimmt hier nicht. Dier abstrakte Distanz, die universelle Autonomie von jeglicher konkreten Situation passt nicht zur Vehemenz, mit der sich Harzer und Galic angiften, die Allgemeingültigkeit, mit der hier philosophiert wird, verpufft angesichts der schalen Floskeln und ausgelutschten Metaphern, die ihre Banalität nicht verbergen können. Die Konzentration, welche zunächst Harzer und später Galic dem Publikum aufzwingen, hält nicht lange, zu einfach macht es sich der text, zu wenig will er wirklich wehtun. Und doch zieht sich das, zwei endlose Stunden lang, ohne dass sich hier weiterer Erkenntnisgewinn oder gar eine Überraschung böte. Und so schaltet der zuschauer irgendwann ab, widmet sich, wie René Pollesch in Gasoline Bill so schön thematisierte, seinen ganz privaten Gedanken und löst womöglich so manches kleinere Problem, während der Sprachfluss nicht versiegen will. So ganz unnütz war der Abend dann doch nicht.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/06/29/franchise-theater/
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