Wille zur Unverfügbarkeit

4. Mai 2012. Was sagt uns die Auswahl über den Zustand des Gegenwartstheaters? Gibt es einen neuen Trend?, fragt Dirk Pilz in den Zeitungen des Dumont-Konzerns Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau (4.5.2012).

Und antwortet: "Es gibt keinen Kanon mehr. Es gibt keine allgemeinverbindliche Übereinkunft mehr, was als gutes Theater gelten könnte. Es gibt noch nicht einmal mehr einen Konsens darüber, was Theater überhaupt ist, außer dass da irgendwie Menschen vor Menschen etwas vorspielen. Noch weniger herrscht Einigkeit in der Frage, was das ganze Theater soll." Das sei, schreibt Pilz, zugleich auch das Geheimnis des Erfolges. Es gibt keinen Kanon mehr, um so froher sind alle, dass es eine Bestenliste gebe, auch wenn die Jury immer nur von den bemerkenswerten Aufführungen spreche.

In diesen Zeiten der Bestenliste, in denen alles nur noch funktionieren müsse, also die "eingesetzten Mittel ihren angestrebten Zweck erfüllen" müssten, egal welche Mittel verwandt würden, ginge es alleine um den einen Zweck: die "Herstellung von Glaubwürdigkeit, Simulierung von Authentizität. Echt gespielte Gefühle, echt simulierte Wirklichkeit, der Schein einer echten Echtigkeit".

Nur eine Aufführung verlasse diesen Rahmen. Und nun endlich schwingt sich Pilz doch zu einer Setzung auf, denn "John Gabriel Borkman" sei nicht nur sehr lang, "sehr zornig, sehr eigensinnig, sehr unberechenbar", sondern: singulär. Der Abend stehe "jenseits der Geschmacksfragen" und sei ein "theaterhistorischer Einschnitt". Diesen "Willen zur Unverfügbarkeit" habe es "bislang nicht gegeben".

(jnm)

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