Es geht um Hoffnung

4. Oktober 2023. In Kyiv fand an zwei Tagen im September der Kongress "Theatre Walks Across Europe" statt. Theatermacher*innen aus der Ukraine, Litauen und Polen diskutierten über Theater und Krieg in Europa. Unter den Speaker*innen: die Dramaturgin und Festival-Kuratorin Birgit Lengers, die ihre Eindrücke von der Reise aufgeschrieben hat.

Von Birgit Lengers

Verschüttete Komödie: Das Za Dvumya Zaitsami-Denkmal auf der Desyatinnaya Straße in Kyiv © Birgit Lengers

4. Oktober 2023. "Laut §8 besteht keine Leistungspflicht für Krankheiten, Unfälle und Todesfälle, die durch aktive Teilnahme an Kriegsereignissen verursacht worden sind", klärt mich die E-Mail der Rechtsberatung meines Theaters auf. Ich versichere, das sei nicht mein Plan. Nachdem das abschließend geklärt ist, wird der Dienstreiseantrag nach Kyiv unterzeichnet.

"Denk an Feuchttücher und Trinkwasser", rät M. "Nimm unbedingt Bargeld mit, Euro oder Dollar, und versteck es an verschiedenen Orten", ermahnt mich P., "in Kyiv ist es jetzt wie in den 90ern". "Meine Mutter macht die Scheine mit Sicherheitsnadeln an der Unterwäsche fest. Und pack Beruhigungsmittel ein", ergänzt A. "Was für Beruhigungsmittel? Soll ich mir Baldrian besorgen, oder Valium?""Ok, Alkohol funktioniert auch." Ich kaufe eine Flasche Rotwein mit Schaubverschluss. S. gibt mir Duschgel und Trockenpflaumen mit. Interessante Kombination. P. schickt einen Link: www.ukrainealarm.com. Ich lade mir zwei Filme, ein Buch und die Warn-App herunter, stelle die Region um Kyiv ein. Das muss reichen für die Reise von Berlin über Krakau und Lwiw nach Kyiv. Abfahrt um 10:52, um Mitternacht über die Grenze in Przemysl, Ankunft am nächsten Tag, 9:55.

Reisebegegnung #1

Im Zug sind alle Plätze belegt. Auf den Bildschirmen im Gang läuft Infotainment: Was tun bei Depressionen? Wie uns die Helden der Territorialverteidigung beschützen. Und Cartoons sprechender bunter Züge laufen im Loop. Keine Kinder, nur ukrainische Frauen sind unterwegs mit großen Koffern. Nicht ganz, schräg gegenüber sitzt ein älterer Mann. Auf seinem Schoß aufgeklappt ein Notenheft. Mozart. Wir kommen ins Gespräch. Er ist Deutscher, Dirigent. Für ihn geht es ab Lwiw weiter nach Czernowitz, der Partnerstadt von Düsseldorf. Dort trifft er ukrainische Musiker:innen, meine Kolleg:innen, sagt er. Ich frage ihn, warum er diese Reise auf sich nimmt. "Einer muss es ja machen."

An der Grenze eine lange Schlange, keiner drängelt, keiner hebt die Stimme, alle warten diszipliniert, distanziert. P. hat mir geschrieben "Meine Heimat riecht nach verbrannten Lappen." Ich rieche nichts. Auffällig ist die Stille inmitten so vieler Menschen.

UkrainealarmScreenshot der APP Ukrainealam.com, die vor russischen Luftangriffen warnt

Wir fahren in die Morgendämmerung, endlose Felder rechts und links. Ein Mann verteilt frisch aufgebrühten Kaffee. Der Filter füllt den kleinen Pappbecher komplett aus. Er entscheidet, dass ich ein süßes Gebäckstück essen soll. Geduldig hält er das Kartenlesegerät minutenlang in Richtung der Kornfelder, bis die Zahlung durchgeht. Ich schicke P. eine Nachricht: "Bin bald da. Deine Heimat riecht nach Kaffee und Zimt. Holst du mich ab?"

Alarm

Abends im Hotel mache ich ein verbotenes Bild. Direkt unter meinem Balkon ist ein Kontrollpunkt, der die Zufahrt zum Präsidentenpalst abriegelt. Mir war nicht klar, dass das Regierungsviertel so nah ist. Ist das gut oder schlecht? "Du bist am sichersten Ort der Ukraine", versichert mir V. Ich lasse die Tür zum Balkon geöffnet. Nachts um 3:00 Alarm von draußen und asynchron vom Handy. Was nehme ich mit in den Schutzraum? Unten am Aufzug führt mich ein Hotelmitarbeiter in den Keller und gibt mir eine Decke. Ich bin komplett allein hier. Ist das Hotel leer? "Wir Ukrainer haben unsere Telegramkanäle und wissen, was da fliegt", schreibt V. Ich habe keine Angst, ich bin nur sehr müde.

Mütter

Drei Mal begegne ich der Mutter Heimat. Zum ersten Mal, als ich die Treppe des Golden Gate Theaters heruntergehe. Hier findet der 6. internationale Kongress Theatre walks across Europe statt, kuratiert von der ehemaligen Intendantin (bis 2022) Ksenia Romashenko, digital und in Präsenz, zweisprachig Ukrainisch und Englisch. Mutter Heimat, das Wahrzeichen Kyivs, steht auf einem alten Fernsehgerät und hält zur Begrüßung, statt Schwert und Schild, Blumen und Maske in den Händen. Das Original, mit 62 Metern die höchste Statue Europas, wurde 1981 zum Gedenken an den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland errichtet. Seit dem Unabhängigkeitstag 2023 trägt sie ein neues Symbol auf dem Schild. Hammer und Sichel wurden durch den ukrainischen Dreizack ersetzt.

Mutter Ukraine2023 Kongressteilnehmer*innen auf der Treppe im Golden Gate Theatre: auf einem alten Fernseher steht das Wahrzeichen von Kyiv. © Golden Gate Theater

Kulturminister Rostyslaw Karandieiev begründete die symbolische Maßnahme damit, dass nicht nur der Widerstand an den Front garantiert werden müsse, ein erfolgreicher Kampf werde auch "an der ideologischen und kulturellen Frontlinie" geführt. Das dritte Mal halte ich das Bild der Mutter auf zwei Postkarten in der Hand. Einmal trägt sie einen Heiligenschein und die Karte ist mit "Glaube" überschrieben. Einmal eine rote Kette und den Schriftzug "Liebe". Es fehlt "Hoffnung". Um Hoffnung geht es auf der Konferenz und um den Verlauf "ideologischer Frontlinien" im Theater.

In der Ausstellung Flying Trajectories (Flugbahnen) von Zhanna Kadirova im PinchukArtsCentre verbindet die Künstlerin Tradition und Handwerk mit einer Identitätssuche inmitten der zerstörten Heimat. Im Ausstellungsraum Anxiety (Angstzustand) treffe ich eine weitere Mutter. Sie steht zwischen Pilzen auf einer grünen Wiese. Im Hintergrund zwei kleine, rot gedeckte Häuser. Über ihrem Kopf ist LUFTALARM in den hellblauen Himmel gestickt. Kardirova floh im März 2022 aus Kyiv nach Transkarpatien, wo sie sich mit traditioneller Stickerei auseinandersetzte und idyllische Heimatmotive mit Warnhinweisen in verschiedenen Sprachen kombiniert. S. sagt: "Da steht MUTTER ALARM." "Wo steht denn Mutter?" "Die Mutter steht immer dort. Sie überragt alles. Das ist unsere Kultur. Die Mutter bedeutet alles."

Europa. Krieg. Theater

Auch die Teilnehmer:innen des zweitägigen Theaterkongresses sind fast ausschließlich Frauen. Zwei Theatermacher werden aus Litauen und Polen live zugeschaltet. Im Zentrum steht dennoch ein weiterer Mann, Stas Zhyrkov, der das Golden Gate Theater als jüngster Intendant der Ukraine von 2014 bis 2019 leitete. Programmatisch stellte er die Begriffe "Freiheit" und "europäische Öffnung" in den Mittelpunkt seiner Arbeit: "Das Theater ist eine Welt, in der Freiheit herrschen sollte. Freiheit der Gedanken, Wahlfreiheit. Die Toleranz gegenüber dem Menschen ist die Pflicht des Theaters. Und natürlich ist die Intoleranz gegenüber der Intoleranz eine der Aufgaben des Theaters."

Internationale Arbeitsbeziehungen verbinden ihn seit 2015 mit dem Theater Magdeburg, wo er am deutsch-ukrainischen Festival Wilder Osten teilnahm. Seit 2022 inszenierte er u.a. an der Schaubühne Berlin, den Münchener Kammerspielen, dem Schauspielhaus Zürich und am Düsseldorfer Schauspielhaus, wo ich bei der Odyssee, gespielt von ukrainischen und deutschen Frauen, als Dramaurgin mit ihm zusammenarbeitete. Zur Zeit lebt er in Litauen und ist Teil der künstlerischen Leitung des State Small Theatre in Vilnius.

Ukraine lunchLunch in der Konferenzpause © Golden Gate Theater, Kyiv

Auffällig viele der Konferenzteilnehmer:innen sind seine Arbeitspartner. An den zwei Konferenztagen (19./20. September) gibt es ein dichtes Programm mit neun Impulsen, drei Paneldiskussionen und einer szenische Lesung (News from the past, eine Kooperation von Stas Zhyrkov mit den Münchener Kammerspielen) plus Abschlusspanel. Als Impulsgeber:innen waren Vertreter:innen kultureller und gesellschaftspolitischer Institutionen eingeladen: Olena Apchel (ehemalige Co-Leiterin des Theatertreffens), Anastasiia Haishenets (Leiterin der Abteilung Darstellende Künste am Ukrainischen Institut), Inesa Pilvelyte (Generalintendantin des Stadttheaters Alytus, Litauen), Simonas Keblas (Leiter des Small State Theatre Vilnius, Litauen), Birgit Lengers (Kuratorin des Festivals RADAR OST und Leiterin der Sparte Stadt:Kollektiv am Düsseldorfer Schauspielhaus), Martyna Faustyna Zaniewska (Soziologin in Białystok, Polen), Tomasz Rodowicz (Künstlerischer Leiter des CHOREA Theaters in Łódź, Polen), Olha Baibak (Pressechefin der ukrainischen Gewerkschaft der Theaterschaffenden), Iryna Chuzhynova (Dozentin an der Iwan-Kotljarewskyi-Universität der Künste in Charkiw).

Die Idee zum Kongress als einem Instrument der Kulturdiplomatie entstand schon 2017. Ziel war es seitdem jedes Jahr, einen Begegnungsraum für einen europäischen Dialog zu gestalten, der seit dem Euromaidan ("Revolution of Dignity") für die Entwicklung des ukrainischen Theaters von entscheidender Bedeutung ist. Ich war 2019 zum erstem Mal dabei. Im Mittelpunkt des diesjährigen Treffen standen die durch den Angriffskrieg verursachten Herausforderungen aus internationaler und ukrainischer Perspektive. In den Podiumsdiskussionen wird nach der sozialen Funktion des Theaters, nach der Rolle des ukrainischen Theaters im internationalen Kontext, u.a. als "Instrument des Widerstands gegen die Narrative des Aggressors" und nach den Auswirkungen des Krieges auf das Theatersystem gefragt. Versucht wird so eine Standortbestimmung des ukrainischen Theaters und aktuelle Herausforderungen und Perspektiven zu identifizieren. Unterstützt wird der Kongress von der Ukrainischen Kulturstiftung.

Ukraine PavloArie BLengersBirgit Lengers und der Theatermacher und Dramatiker Pavlo Arie  © Golden Gate Theatre, Kyiv

Es fehlen sowohl personelle als auch finanzielle Ressourcen. Die während der Corona-Pandemie reduzierten öffentlichen Zuwendungen werden seit Kriegsbeginn weiter empfindlich gekürzt. Die Theater sind nicht Teil der "kritischen Infrastruktur", d.h. sie werden weder in besonderer Weise geschützt noch im Wiederaufbau unterstützt. Viele Gebäude, insbesondere in den besetzten Gebieten im Süd-Osten des Landes sind zerstört, besetzt oder dienen als Schutzraum. In vielen Regionen finden Vorstellungen ohne Dach, Fenster und Elektrizität statt, werden permanent durch Bombenalarm unterbrochen. Öffentliche Gelder kommen in Kriegszeiten der Verteidigung und humanitärer Hilfe zugute. Dazu kommt, dass männliche Theatermitarbeiter nicht reisen dürfen, eingezogen wurden, auch viele Künstler:innen kämpfen, z.T. freiwillig an der Front.

Neben den Ressourcen, so die Kritik, fehlt auch eine verbindliche Strategie des Kulturministeriums, was Kunst leisten kann und soll. Die Theatermacher:innen fühlen sich auch politisch alleingelassen. Aber: Theater findet trotz allem statt (nur in Charkiw ist es z.Zt. von Seiten der Stadtverwaltung verboten). Die Vorstellungen sind gut besucht, es besteht ein großes Bedürfnis nach Kultur, Gemeinschaft und auch nach Unterhaltung und Ablenkung. "Das ukrainische Publikum ist seit mehr als drei Jahren eingeschränkt, abgeschnitten und kulturell hungrig", betont Ksenia Romashenko. "Aber sollen wir angesichts der allgemeinen Kriegsmüdigkeit jetzt nur noch Komödien spielen", fragt eine Theatermacherin, "für uns ist es wichtig, unsere Erfahrungen auch künstlerisch zu verarbeiten. Ich kann nur über den Krieg sprechen, alles andere ist banal."

Die Notwendigkeit den Krieg zu thematisieren, die "Narrative des Aggressors" zu widerlegen, prägen die kulturelle Mission im Exil. Die Kooperationen und Kollaborationen im Ausland sind materiell und ideell überlebenswichtig für das ukrainische Theater, für seinen Existenz-, Identitäts- und Kulturkampf. Der Krieg ist auch ein kultureller. Serhij Zhadan bringt es auf den Punkt: "Während des Krieges sollte die Kultur nicht innehalten. Denn sonst ist nicht ganz klar, warum dieser Krieg geführt wird."

Unique Selling Point

"Die Frontlinie ist immer näher als gedacht." Mit dem Zitat der Autorin Iryna Tsilyk beginne ich meinen Impuls. Die Zeile stammt aus dem Gedicht Ich habe es satt, mich schuldig zu fühlen. Darin beschreibt sie eine Begegnung mit einer Schweizerin im Jahr 2016, die es einfach leid ist, sich für einen "fremden Krieg" zu entschuldigen. Wie nah die Front verläuft, wie sehr uns dieser Krieg betrifft, dass mit ihm auch unsere Sicherheit und unsere Werte auf dem Spiel stehen, hat die westliche Welt tatsächlich erst am 24.2.2022 begriffen. Die internationale Solidarität wurde fast unisono als "unbedingt" bekräftigt. In einer Welt voller Ambivalenz und Ambiguität, gab es endlich den Imperativ der guten Tat.

Die Theater in Deutschland reagierten sofort: Fassaden leuchteten blau-gelb, der Hashtag #staywithukraine ging in den sozialen Netzwerken viral, Lesungen ukrainischer Texte wurden ad hoc initiiert, Benefiz-Konzerte organisiert, Spenden gesammelt. Die Hilfsbereitschaft war ähnlich groß, wie zuvor unsere Unkenntnis, ja Ignoranz. Ukrainisches Theater spielte in Deutschland keine nennenswerte Rolle. Ausnahmen bilden das Festival Wilder Osten (2016) in Magdeburg und der Fokus Ukraine der European Theatre Convention, die sich seit 2014, also seit der Annexion der Krim, gezielt mit der Theaterszene in der Ukraine vernetzt, Festivals initiiert hat und Arbeitsstipendien für ukrainische Künstler:innen vergibt. Erwähnenswert sind hier auch der Heidelberger Stückemarkt 2017 mit dem Gastland Ukraine und das Festival RADAR OST seit 2018 am Deutschen Theater Berlin. Wenn der Krieg etwas Gutes hat, dann, dass die ukrainische Kultur in Europa jetzt in ihrem Reichtum und in ihrer Eigenständigkeit (und nicht als ein Satellit der russischen) wahrgenommen wird, dass sie aber auch mit einem neuen Sendungs- und Selbstbewusstsein auftritt.

GedenkwamndKyiv 2023 BLengersGedenkwand für die Toten dieses Krieges in Kyiv © Birgit Lengers

In meinen Vortrag Ukrainian theatre in exile as a tool of resistance versuche ich, verschiedene Wirkungsbereiche zu differenzieren und Prinzipien der Zusammenarbeit zu formulieren: Neben den symbolischen Solidaritätsveranstaltungen der ersten Phase gab es konkretes: Gastspieleinladungen (z.B. die groß angelegte vom Goethe Institut unterstütze Tour von Bad Roads), Netzwerke und partizipative Projekte wurden initiiert, Residenzen für Autor:innen eingerichtet, ukrainische Künstler:innen an deutschen Theatern engagiert. In Kooperationen und Kollaborationen mit z.T. gemischtem künstlerischen Team und Ensemble vertiefte sich die Zusammenarbeit. Fünf Prinzipien der Zusammenarbeit erscheinen mir wichtig, wenn es um Qualität und Kontinuität gehen soll:

1. NICHT ÜBER, SONDERN MIT
2. NICHT INTEGRATION IST DAS ZIEL, DAS ZUR VERFÜGUNGSTELLEN VON INFRASTRUKTUR IST DER ANFANG
3. KOLLEKTIVE STRUKTUREN STÄRKEN, STATT EINZELKÜNSTLER ENGAGIEREN
4. ADRESSAT IST DAS PUBLIKUM HIER UND DORT
5. DER LANGE ATEM

Gerade ein langer Atem ist angesichts der Kriegsmüdigkeit wichtig, die auch in Deutschland wahrgenommen wird. Deshalb stellt sich, wenn man nicht nur Komödien spielen will, die Frage nach der besonderen Aufgabe und Qualität des ukrainischen Theaters. Dabei sind zwei Bereiche zu unterscheiden, zum einen Theater als Bericht und Dokumentation, wobei der Künstler die Aufgabe des Zeitzeugen übernimmt. Auffällig sind hier Recherche- und Interviewbasierte Textsorten, die vielen Kriegstagebücher, die aufgeführt wurden, die Verwendung von authentischem Ton- und Bildmaterial als Theatermittel. Ziel dieser Arbeiten ist Information, Aufklärung – Gegenpropaganda vielleicht. Zudem erzeugt die Darstellung von individuellen Schicksalen auf der Bühne Nähe, Empathie – Katharsis vielleicht.

Zum anderen sind ukrainische Künstler:innen per Schicksal zu Expert:innen bestimmter Themenfelder geworden und können diese Perspektive auch in ihre Lesart von klassischen Texten einbringen (wie z.B. in den Klassikerüberschreibungen Antigone in Butscha oder Tell – eine ukrainische Geschichte in der Regie von Stas Zhyrkov). Die Qualität speist sich hier aus einer besonderen Expertise, was die großen Themen "Heimat/Exil", "Identität", "Fragilität des Lebens" betrifft. Und dieses existentielle Erfahrungswissen, wie die Dringlichkeit und Haltung, mit der die Fragen künstlerisch verhandelt werden, sind ein Gewinn im und für das Theater im Exil.
Also: Nein, spielt jetzt keine Komödien!

Die deutsche Russenfrage

Online zugeschaltet sind aus Deutschland die Kulturjournalistinnen Anja Quickert (Internationale Heiner Müller Gesellschaft) und Dorothea Marcus (u.a. TH, Deutschlandfunk Kultur, nachtkritik.de), beide interessiert die Frage, warum Ukrainer:innen sich weigern, mit Russ:innen, selbst mit Putinkritiker:innen, Dissident:innen zusammenzuarbeiten. Eine gerade in Deutschland hochemotional diskutierte Frage, kürzlich wieder bei Netrebkos Auftritt in der Deutschen Oper. "Ich würde nein sagen, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken", sagt Stas Zhyrkov, "eine Zusammenarbeit ist für mich im Moment unmöglich, auch wenn man mit dem liberalsten russischen Künstler spricht, spürt man in der DNA ihren russischen Imperialismus. Letztendlich haben sie sich entschlossen, diesen Präsidenten zu wählen. Die Ukraine hat 2014 mit der "Revolution der Würde" auf dem Maidan eine andere Wahl getroffen und einen hohen Preis gezahlt. Ja, für uns ist das jetzt schwarz/weiß." Pavlo Arie differenziert und betont, es gehe weniger um russisch im Sinne der Nationalität oder Ethnie, sondern um eine kulturelle Ideologie, von der man sich abgrenzen müsse. Andrii Palatnyi (Zentrum für zeitgenössische Kunst DAKH) sagt mir: "Jetzt ist es unmöglich. Bitte akzeptiert das trotz eurer deutschen Versöhnungsromantik."

Reisebegegnung #2

Auf meinem Weg zum Bahnhof treffe ich keine Mutter, sondern eine Braut. Bis zu den Hüften steckt sie fest in einem gigantischen Haufen mit Sand gefüllter Säcke. Von ihrem Bräutigam, der sich für seinen Heiratsantrag auf die Knie begeben hat, ragt nur den Kopf heraus. Za Dvumya Zaitsami stellt eine Szene aus dem Film "Jagd auf zwei Hasen" (auch bekannt als Eine Komödie aus Kyiv) aus dem Jahr 1961 nach, gedreht genau hier in der Altstadt. Wenn man heiraten will, oder glücklich verheiratet sein möchte, muss man den Ring berühren. Das ist jetzt unmöglich. Aber dank des unbedingten Willens der Ukrainer:innen, dieses kleine Denkmal gegen Angriffe zu schützen, wird es irgendwann wieder möglich sein. So lange bleibt die Liebeskomödie verschüttet.

Im Zug neben mir sitzt ein älterer Mann. Mit tätowierten Händen hält er einen erstaunlich kleinen Rucksack auf dem Schoß fest. Er spricht mich auf Englisch an, es ist offensichtlich, dass auch ich nicht von hier bin. Ich biete ihm Rotwein an. "I’m from Canada. Military. Air Force. I came here as a volunteer. But they told me I’m too old.” Er hat in einem Tierheim gearbeitet und zeigt mir auf seinem Telefon Bilder von ausgesetzten, verwahrlosten, verletzten Tieren. "Einer muss es ja machen." Plötzlich Alarm kurz vor der polnischen Grenze. Ich habe vergessen, meine Warn-App zu deaktivieren. Die ganze Ukrainekarte ist jetzt dunkelrot. P. schreibt: "Gut, dass du unterwegs bist, Kyiv wurde die ganze Nacht beschossen, es gibt Verletzte."

Zuhause verteile ich die Postkarten der Mutter Heimat. Sie sind frankiert. Das war A.s Idee: "Bald kommen die Menschen wieder in die Ukraine und schicken Karten von hier nach Hause. Du bist jetzt gekommen, das gibt uns Hoffnung."

Hinweis 10. Oktober 2023: Die ursprüngliche Bebilderung wurde in Abstimmung mit der Autorin nachträglich geändert, weil sie – wie die Diskussion im Kommentarthread nachvollziehbar macht – vom Thema und der Absicht des Textes ablenkt. 

Birgit Lengers ist Dramaturgin und Künstlerische Leiterin vom Stadt:Kollektiv, der partizipativen Sparte am Düsseldorfer Schauspielhaus. Zuvor hat sie lange Jahre am Deutschen Theater Berlin als Mitglied der Theaterleitung die Bereiche Junges DT und DT International verantwortet und war u.a. Kuratorin des Osteuropa-Festivals "Radar Ost".

Kommentare  
Theaterbrief Ukraine: Danke!
Bravo, Birgit und Danke!
Theaterbrief Ukraine: Das Foto
„If I can turn back time“, so heißt ein Song den Cher aufnahm. Es gibt ein sehr berühmtes Musikvideo dazu, dass zurecht eine zeitlang als sexistisch geächtet wurde. Cher tritt dort spärlich gekleidet vor Soldaten auf einem Kanonenboot auf. Souverän unterhält sie dort kreischende Männer. Sie sitzt sogar irgendwann auf einer Kanone. Nun sehe ich hier bei Ihnen, liebe Redaktion, eine Frau lässig angelehnt, in spätsommerliche Kleidung, an ein Panzerrohr. Mit einem siegesgewissen Ausdruck im Gesicht. Wahrscheinlich ein eroberter oder zurückgelassener russischer Panzer. Können Sie mir bitte dieses Bild erklären? Und warum wurde es veröffentlicht? Es packt mich das nackte Entsetzen. Ein Bild erzählt oft mehr als jedes Wort.

___________________
Werte*r xy,
Vielen Dank für Ihren Kommentar.
Wir haben in der Redaktion gemeinsam mit der Autorin die Veröffentlichung des Fotos diskutiert und uns dann für diese Bebilderung entschieden. Das Foto zeigt die Autorin an einem symbolischen Denkmal stehend, das zeigt, dass die Ukraine sich bisher erfolgreich ihrer Eroberung widersetzt hat. Es handelt sich um erbeutete russische Panzer, die auf dem Prachtboulevard Chreschtschatyk in Kyiv aufgestellt sind, und zwar genau da, wo die Russen eigentlich drei Tage nach ihrem Überfall auf die Ukraine als Sieger aufmarschieren wollten.
Das Foto provoziert, aber es spricht auch von der Präsenz des Krieges.
Ich selbst tendiere dazu, es als Solidaritätsadresse an die Ukraine zu lesen.
Herzliche Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt
Theaterbrief Ukraine: Danke und das Foto
Liebe Nachtkritik-Redaktion
Liebe Esther Slevogt…erstmal vielen Dank für den interessanten Artikel von Birgit Lengers.

Der Deutschlandfunk erwähnt in einem Artikel vom 19.8.2023 einen Bericht der „New York Times“. Es geht um Schätzungen gefallener Soldaten auf beiden Seiten.
70 000 auf ukrainischer Seite und 120 000 auf russischer. Die Verletzten, verstümmelten und schwer traumatisierten Soldaten, Soldatinnen und Zivilisten nicht mit gerechnet. Nicht zu vergessen, dass die Zahlen nicht verlässlich sind und oft niedriger angegeben werden.

In und um diesen Panzer herum wurde getötet und gestorben!

Mein Mitgefühl gilt grundsätzlich allen Menschen, die für diesen Wahnsinn sterben, auch auf russischer Seite.

Das sind zumeist Menschen, die in einer teilweise kaputten Gesellschaft aufgewachsen sind, geprägt von Diktatur, Armut, Gewalt und Alkohol und nun von einem menschenverachtenden Machtapparat verheizt werden der ihnen Ruhm und Geld verspricht, ganz Europa ins Wanken bringt, vor allem aber die Hoffnung aller Menschen auf eine friedlichere Welt und einen Planeten der lebenswert bleibt mit Füßen tritt.

Der Krieg in der Ukraine ist jetzt schon eine der blutigsten und zerstörerischsten Konflikte, den wir in Europa seit dem zweiten Weltkrieg gesehen haben.
Mit diesem Trauma wird die ukrainische Gesellschaft, aber auch die russische noch Jahrzehnte zu kämpfen haben. Und wir wissen nicht was noch kommt!

Unter diesem Aspekt, fällt es mir sehr schwer Eure Begründung für die Auswahl des Fotos, noch das Foto an sich zu verstehen oder es als konstruktive Provokation wahrzunehmen (so unter dem Motto, ihr bekommt uns nicht klein)

In Anbetracht der deutschen Vergangenheit und der Gewalt die von deutschem Boden vor nicht einmal einem Menschenleben ausgegangen ist, in Anbetracht der Tatsache, dass in der Schlacht und anschließenden Besetzung von Kiev 1941 durch die deutsche Wehrmacht schätzungsweise 700 000 russische und ukrainische Soldaten starben oder gefangen genommen wurden (in der roten Armee kämpften ca. 6 Mio Ukrainer),
halte ich es für absolut unpassend, als Theaterschaffende aus Deutschland lässig lächelnd an einer Tötungsmaschine zu lehnen.

Als junger Schauspieler glaubte ich an eine Zukunft, in der Frieden und Toleranz zwischen den Menschen dieser Erde dominieren. Ich habe den Wehrdienst verweigert und glaubte an die Idee einer Welt ohne Waffen. Das Theater schien ein Raum zu sein für diese Utopie! Vor kurzem hat jemand gesagt „Pazifist zu sein macht nur Sinn, wenn alle Pazifisten sind.“ Ist das wirklich wahr? Ich habe keine Antwort auf diese Frage. Aber eine Verantwortung als Künstler für diese Werte einzutreten.

Mit der Begründung für die Auswahl dieses Bildes, macht Ihr es Euch zu einfach. Doch Leute! „Ein Bild erzählt oft mehr als jedes Wort!“ Es provoziert nicht, es ist einfach nur traurig.

…mit dem allergrößten Respekt für Eure Arbeit und für Birgit Lengers. Danke.
Theaterbrief Ukraine: Affront
Das Bild lese ich als bewussten Affront und eine gezielte Verletzung für alle Menschen, die jedem Krieg gegenüber eine kritische Haltung einnehmen. Diese neue Lässigkeit im Umgang mit Tod und todbringenden Waffen symbolisiert das krasse Gegenteil zum Kniefall von Warschau. Mich persönlich verletzt eine solch Bildsprache zutiefst. Eine Provokation kann ich nicht entdecken. Zu was sollte es mich den provozieren?
Theaterbrief Ukraine: Luxus
@xy Es gibt Menschen, in der Ukraine zum Beispiel, denen wird Krieg bei aller Friedensliebe aufgezwungen - nämlich durch den Überfall der Russen samt damit einhergehender Gräueltaten im Februar 2022. Das ist schon eine ziemliche Luxushaltung, die sie sich hier leisten. Das Bild stört diesen Luxus offenbar.
Theaterbrief Ukraine: Unbequem
Eine kritische Haltung gegenüber kriegerischen Auseinandersetzungen ist alles andere als luxuriös. Es ist ziemlich anstrengend und unbequem.
Theaterbrief Ukraine: Scheinbar unbequem
@xy

Tatsächlich beginnt die Bequemlichkeit bereits in dem Moment, in dem lapidar von "kriegerischen Auseinandersetzungen" an sich gesprochen wird und dann der Bezug zu Brandt in Warschau hergestellt wird: Der damalige Kanzler kniete vor einem Mahnmal, des explizit den Aufständischen des Warschauer Ghettos gewidmet ist. Auch diese waren in Kriegshandlungen vermittelt und das damit einhergehende "Nie wieder!" bedeutet nicht einen theoretischen Universalpazifismus, sondern die Forderung, nie wieder im Zustand der Wehrlosigkeit zu sein. Man bedenke an dieser Stelle sowohl die polnische als auch die jüdische Erfahrung mit den imperialen Mächten deutscher und sowjetisch-russischer Prägung. Tatsächlich ist Ihre scheinbare kritische Auseinandersetzung daher außerordentlich bequem, da sie aus einer einer post-imperialistischen Perspektive formuliert ist.
Theaterbrief Ukraine: Zwei Gesten
Mein lieber Wolkow, was immer sie da auch an Theorie formulieren, kann in der Praxis nicht bestehen. Sie können nicht wegreden, dass dort Menschen auf beiden Seiten täglich sterben und das dieses Sterben sofort beendet werden sollte. Und der Besuch von Brandt, auf den ich hier nicht weiter eingehen möchte, ist nicht auf den Kniefall zu reduzieren. Trotzdem stehen beide Gesten, das lässige Lehnen an einem Panzer und der Kniefall sich diametral entgegen. Es sind zwei Beispiele einer sehr unterschiedlichen Bildsprache. Die eine macht mir Angst und die andere zeigt eine tiefere Einsicht in das menschliche Sein und Demut.
Theaterbrief Ukraine: Nicht aufgepasst
An „ Tomate "
Grundsätzlich haben Sie recht und ich hoffe , Sie lassen sich nicht zu einem weiteren Kommentar hinreißen . Sie haben alles gesagt . Es geht halt auch um Empathie und Feingefühl und letztlich auch um Geschmack. Gerade da vertut sich Theater oft . Will „ frei " sein und drüber stehen bla bla . Ich denke das hier ist so ein Beispiel. Alles gut gemeint , aber letztlich bei der Auswahl des Fotos nicht aufgepasst , Tragweite nicht beachtet , gepennt , verwechselt. Sollte nicht passieren , kommt leider vor , hat hoffentlich jeder gemerkt und wird - ebenso hoffentlich-, nicht wieder passieren.
Theaterbrief Ukraine: Geste und Tat
@xy

Die Praxis ist aus der Perspektive der Opfer imperialistischer Gewalt recht simpel: Vulgärpazifismus führt in deren Unterdrückung und das "tägliche Sterben" betrifft dann nur diese und nicht den Aggressor. Brandt kniete vor dem Denkmal derer, deren Kampf scheiterte, Frau Lengers posiert vor einer Installation, die einen Kampf gegen drohende Auslöschung eben nicht vergebens erscheinen lässt.

Angst sollte es Ihnen machen, dass Sie persönlichen mentalen Komfort scheinbar höher schätzen als legitime Selbstverteidigung.
Theaterbrief Ukraine: Mentaler Komfort
@ Wolkow und Redaktion: Wer einen solchen Kommentar schreibt und eine Redaktion, die ihn veröffentlicht, beide sollte man nicht mehr ernst nehmen.

Es geht nicht um mich und meinen mentalen Komfort. Das ist albern. Noch weniger geht es um legitime Selbstverteidigung.

Es geht um eine unangemessene und geschmacklose Geste.

(Anm. Redaktion, insbesondere @xy, @Wolkow. Die Auseinandersetzung um Bild und Ausdeutung ist zwischen den Beteiligten hier hinreichend geführt, die Positionen sind klar markiert. Wir behalten uns vor, Beiträge, die ums bereits Gesagte kreisen, nicht mehr zu veröffentlichen. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Theaterbrief Ukraine: Bildinterpretation
Mein lieber Wolkow,

das Bild ist zentralperspektivisch aufgenommen. Allein das ist geschmacklos. Denn es stellt die Autorin in den Mittelpunkt, nicht den Konflikt. Aber es gibt einen zweiten Menschen in diesem Bild, der durch die Zentralperspektive verdrängt wird. Es ist ein Mann, der dem Fotografen oder der Fotografin den Rücken zudreht. Er steht dort, die Hände in den Taschen und betrachtet das Kriegsgerät. Tatenlos. Kontemplativ. Er ist vielleicht der, der diesen Panzer hätte im Einsatz fahren sollen. Er hat keine Sandalen an und rotlackierte Fußnägel. Er trägt keinen Designerrock und eine Adidasjacke oder gar Leggings mit Spitzen. Er gehört wahrscheinlich zu der Gruppe, die in solchen Panzern sterben oder andere damit zu Tode bringen. Er ist die eigentlich die interessantere Person! - Glaubt er auch an den Sieg der Ukraine? Ist der Sieg das Ende eines Krieges?

Könnte uns Frau Lengers einmal die Geschichte dieses Panzers erzählen? Wer hat ihn gebaut? Wer saß darin? Wieviel Tote hat er produziert? Und war sein konkreter Einsatz erfolgreich? Wird der selbe Typ Panzer nicht auch von der Ukraine genutzt? Wie funktioniert dieser Panzer? Ist er ein sicherer Arbeitsplatz? Würde Frau Lengers gerne an so einem Arbeitsplatz tätig sein? Wer wären ihre ArbeitgeberInnen? Und, falls Sie einen solchen Arbeitsplatz annehmen würde, wie lange hätte Sie dann noch, nach ihrer Meinung, Zeit zu leben?
Theaterbrief Ukraine: Nur eine Frage
@xy

Stellen Sie nur eine Frage: wie kommt das Wrack eines russischen Panzers auf diesen Platz?
Sie richten es sich in einer Scheinkritik wohlig ein, um den eigentlichen Fragen auszuweichen. Ferner: die Aufständischen des Warschauer Ghettos hätten sich derartige Bilder sicherlich eher ersehnt als eine Aufnahme vor dem Mahnmal ihres Untergangs.

P.S.: Wieviele ukrainische Menschen müssten Kriegsgeräte führen, wenn der putinsche Neoimperialismus nicht die kulturelle und faktische Auslöschung der Ukraine beschlossen hätte?

(Anm. Redaktion. Wie zuvor angekündigt, würden wir das gut ausgeleuchtete Zwiegespräch hier beenden. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Theaterbrief Ukraine: Ich widerspreche
Alle reden über das Fotos; ja finde ich auch problematisch. Aber mindestens genauso problematisch: „Versöhnungsromantik“- ist das jetzt ein Schimpfwort? Die einzige Hoffnung die wir haben ist doch Versöhnung! Im kleinen(Familie, Freunde), wie im sog.Grossen (Gesellschaft, die Welt). Und ebenso problematsich: „Imperialismus in der DNA“. Überhaupt anzunehmen, dass Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu irgendwas („Volk“, Land, „Rasse“) etwas in ihrer Genetik verankertes Schlechtes haben-diese Annahme ist faschsitisch, rassistisch und zynisch und. menschenverachtend. Ich widerspreche aufs heftigste.
Theaterbrief Ukraine: Signale setzen
Vielen Dank für diesen Artikel, ich finde ihn gut geschrieben und interessant, ich habe ihn gerne gelesen. Mich freut auch das klare Engagement für das Theater in der Ukraine und seine Macher:innen. Weiter so!
Zunehmend verwirrt verfolge ich die Diskussion hier über ein einziges Element dieses Artikels, über ein Foto, das jetzt auch noch in eine völlig unangemesse, übergriffige und fast schon sexistische Bildinterpretation mündet.
Man könnte natürlich über die Haltung der Autorin, die aus diesem Artikel spricht, diskutieren, man kann anderer Meinung sein, wie ein Frieden in der Ukraine möglich ist. Man kann eigene Signale setzen, zum Beispiel nach Kyiv fahren und dort für bedingungslosen Frieden mit Russland demonstrieren. Oder eine Friedensdemo in Moskau? Auch eine gute Geste: Kerzen anzünden vor der Ruine des Theaters in Mariupol. Gerne mit eigenem Kniefall.
Hier unter dem Zeichen xy die eigene tiefe Verletzung zu thematisieren und dann über die roten Fußnägel auf einem Foto zu ätzen geht offensichtlich auch. Ok.
Theaterbrief Ukraine: Im Kontext
@Jule E.:
Wenn ich es richtig verstehe sind dies jeweils Äußerungen ukrainischer Künstler, Menschen die persönlich und künstlerisch Partei sind. Und die vielleicht, wenn der Krieg und die konkrete Bedrohung für Leib, Leben, Freiheit und eigene Kultur vorüber ist, selbst versöhnlicher denken werden.
Ich für meinen Teil bemühe mich, solche Äußerungen aus dem Kontext zu lesen und daher großes Verständnis dafür zu haben. Mir würde es vermutlich nicht anders gehen.
Theaterbrief Ukraine: Keine Lappalie
Ich bin mir nicht sicher, ob es nur ein Zwiegespräch ist und ich finde das Foto keine Lappalie. Ein Panzer ist eine Waffe und Waffen töten Menschen. Sich als Unbeteiligte (Frau Lengers ist nun mal keine Ukrainerin!) in so einer selbstgewissen Pose, lächelnd, vor einem Panzer fotografieren zu lassen, ist meiner Meinung nach geschmacklos.
Theaterbrief Ukraine: Pietätlos
Das Problem ist nicht, sich vor einem Panzer ablichten zu lassen. Die Frage ist doch, wie man das tut. (...) In der Politik gäbe es bei einem solchen Foto (zurecht) Rücktrittsforderungen. Es ist pietätlos, (...) Es generiert auch keine nötige Aufmerksamkeit, denn die Lust, den Text dieser Frau darunter zu lesen, vergeht einem bei dieser Pos(s)e. (...)

Liebe Kommentator:innen, wir bitten Sie, sich an unsere Kommentarregeln zu halten. Mit freundlichen Grüßen aus der Redaktion, sd
Theaterbrief Ukraine: Gut-Böse
Lächelnd vor einem Panzer zu posieren empfinde ich grundsätzlich als absolut geschmacklos, eigentlich schon fast zynisch.

Der „ältere Mann mit den Mozart-Noten“….-um nur ein Beispiel zu nennen-bitte, was erzählt uns das…die feinsinnigen künstlerischen Ukrainer ?

Und dann: „Eine gerade in Deutschland hochemotional diskutierte Frage, kürzlich wieder bei Netrebkos Auftritt in der Deutschen Oper. "Ich würde nein sagen, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken", sagt Stas Zhyrkov, "eine Zusammenarbeit ist für mich im Moment unmöglich, auch wenn man mit dem liberalsten russischen Künstler spricht, spürt man in der DNA ihren russischen Imperialismus. Letztendlich haben sie sich entschlossen, diesen Präsidenten zu wählen“

Dieses Zitat ist absolut rassistisch und paßt wunderbar zum Schwarz-Weiß Denken unserer Zeit.
Die Guten und die Bösen.

Was die Präsenz des Krieges in Erinnerung rufen würde wären Bilder des täglichen grausamen Sterbens auf beiden Seiten,-wo sind sie denn ?
Theaterbrief Ukraine: Symbolik
Es gibt einen ikonischen Vorfall zu Anfang des russischen Angriffs auf die Ukraine: den Funkverkehr zwischen einem ukrainischen Militärstützpunkt und dem später versenkten russischen Kreuzer "Moskau". Dieser Funkverkehr endete mit der Aussage der ukrainischen Soldaten "F..k dich, russisches Kriegsschiff", die es inzwischen sogar auf eine offizielle Briefmarke geschafft hat.
Der Spruch wird häufig auch von Nicht-Ukrainern, die sich mit der Ukraine solidarisieren, verwendet. Das provoziert vor allem bestimmte Menschen. Einige dieser Menschen behaupten dann sogar, die vulgäre, unflätige Sprache sei das Problem. Ich habe da immer Schwierigkeiten es zu glauben. Ich glaube es geht um was anderes.

Ich musste sehr lachen, als ich in einem Kommentar zu "dem Bild" las: "Eine Provokation kann ich nicht entdecken", und dann festzustellen dass der/dieselbe KommentatorIn in mehreren Umkreisungen immer wieder sehr deutlich zeigte, dass er/sie provoziert wurde. Ich finde das ausgesprochen bemerkenswert!

Die ausgebrannten russischen Panzer stehen aus bestimmten Gründen und mit einer bestimmten Symbolik beladen mitten in Kyiv. Sie sind kein Mahnmal, sondern ein Zeichen, ein Symbol, ein Denkmal in einer Stadt im Kriegszustand. Man kann sich, in was für einer Pose auch immer, davor fotografieren lassen. Wer sich davon provoziert fühlt, soll es sein. Herzliche Grüße gehen raus, russisches Kriegsschiff!
Theaterbrief Ukraine: Mut
Vielen Dank für den Artikel und einen Einblick in eine vermutlich aufreibende, wenn auch faszinierende Reise. Grade zum aktuellen Zeitpunkt ist es wichtig sich vor Augen zu führen, wie sich die Situation entwickelt, wie es den Menschen dort ergeht und in diesem spezifischen Zusammenhang auch einen Blick auf die Kunst und Kunstschaffenden zu werfen.
Auch mich, wie scheinbar viele Deutsche in der Theaterbranche, interessiert sehr warum die Zusammenarbeit zwischen Ukrainer:innen und Russ:innen auch im Ausland unmöglich scheint. Die Zitate von Stas Zhyrkov und Pavlo Arie scheinen dabei ein wenig Licht auf die hochemotionale Situation. Dennoch, wirklich nachvollziehen kann man es wahrscheinlich nur schwer, wenn man sich nicht selber nicht in der Situation wiederfindet. Aber genau deswegen empfinde ich es als essenziell in den Austausch zu treten, Raum zu schaffen und auch mit den Menschen vor Ort zu sprechen.
Dementsprechend sehe ich das Foto (dessen Diskussion hier meiner Meinung nach einen unverhältnismäßig großen Raum einnimmt) nicht despektierlich, sondern als Zeichen der Solidarität zu dem Menschen die Frau Lengers dort besuchen durfte und welche Ihr Einblick in deren Leben und Alltag mit dem Krieg gewährt haben. Ich habe tiefsten Respekt vor dem Mut, der nötig für eine solche Reise ist. Dementsprechend hoffe ich sehr, dass der Fokus wieder auf die Berichterstattung fällt und der Reisebericht genau das spendet: Einsicht, Hoffnung und Mut.
Theaterbrief Ukraine: Hinweis
Hinweis: Die ursprüngliche Bebilderung wurde in Abstimmung mit der Autorin nachträglich geändert, weil sie – wie die Diskussion im Kommentarthread nachvollziehbar macht – vom Thema und der Absicht des Textes ablenkt.
Theaterbrief Ukraine: Dank und Empfehlung
Ich bin gerade zurück aus Kyiv. Ich habe die zerstörten Panzer auch gesehen und auch ich habe mich davor fotografiert. Zusammen mit meinem Freund, dem Theaterregisseur Pavlo Yurov. Pavlo hat 2014 eine Gefangenschaft bei den Russen überlebt und Pavlo kann heute leider kein Theater machen, weil er eingezogen wurde und in der ukrainischen Armee als Pressesoldat dient.

Deshalb erlaube ich mir ein paar Gedanken:

Ihr Lieben!

Für mich und für uns Ukrainer*innen, es ist kein Krieg zwischen der Ukraine und dem russischen Imperium. Es ist ein Krieg zwischen Licht und Dunkelheit, Freiheit und Sklaverei, Demokratie und Diktatur, Zukunft und Vergangenheit. Es ist ein Zivilisationskrieg.

Wir in der Ukraine verteidigen nicht nur unser Zuhause, unsere Heimat, wir verteidigen eine Welt, in der Menschenwürde und Freiheit die wichtigsten WERTE sind.

Ein Notiz - wir in der Ukraine nutzen bewusst das kleine „r“, wenn wir über das russische Imperium schreiben.

Ich werde jetzt nicht aufzählen, welche Verbrechen die Menschen in der Ukraine erleben. Allein vor 4 Tagen sind mit einem präzisen Raketenbeschuss während einer Beerdigung in dem Dorf Grosa mit 300 Einwohnern 52 Menschen getötet worden!!!!
Ich werde hier keine Fotos schicken, die das Herz brechen… und die Seele verstummen lassen.

Wenn ich auf diese zerstörten Panzer schaue, hilft es mir, mein Angst zu überwinden. Ich kann diese Exemplare der „2. Armee der Welt“ auslachen! Ich kann sie meinen Kindern zeigen und sagen, schaut sie euch an: wie blöd diese Panzer sind, wie lächerlich. Habt kein Angst, das wird mit jedem Monster passieren, das unsere Leben, unsere Zukunft zerstören will!

Deshalb fotografieren sich die Menschen davor, lächeln, lachen, und ja, sind auch stolz.
Ich werde nicht erzählen, wie, teilweise mit bloßen Händen, die Menschen in der Ukraine solche Monsterpanzer gebremst, zerstört haben….

Und für mich persönlich sind es nicht nur russische Panzer mit „Z“ Zeichen. Sondern es sind Symbole der Dunkelheit, Symbole des Todes, von Zerstörung, Vergewaltigung, Folter, Vernichtung.

Und wenn Menschen davorstehen und lächeln, demonstrieren sie, auf welcher Seite sie stehen, solidarisch mit den Menschen zusammenstehen, die mutig Widerstand leisten! Mit den Menschen. die das Licht verteidigen, die Freiheit, das Leben selbst! Mit ihrem eigenen Leben verteidigen!

Ich danke Birgit Lengers, dass sie den MUT gehabt hat in die Ukraine zu reisen. Und danke dafür, dass sie jetzt darüber erzählt. Ich wünsche mir, dass wir hierauf unsere Aufmerksamkeit lenken und über all die sprechen, die gerade in der Ukraine Theater, Kunst machen, die bauen, wieder aufbauen, komponieren, neue Gedichte schreiben.

Danke Birgit, dass Du über diesen unglaublichen Lebenswillen und diese Lebensenergie erzählst.

Ich verstehe nicht, warum stattdessen, so viel Zeit in die Diskussion über Äußerliches fließt…

Ich würde sehr empfehlen, statt eure Energie für diese Kommentare zu verwenden, reisen Sie in die Ukraine! Machen sie sich ein Bild vor Ort!
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