Auswärtiges Amt verweigert afghanischen Künstlern die Einreise
Nur bei Übernahme eventueller Asylkosten
Weimar, 30. Juni 2016. Das Auswärtige Amt verweigert afghanischen Künstlern, die an dem Weimarer Projekt "Transit Europa" beteiligt sind, die Einreise, das teilt das Theater bzw. das Kunstfest Weimar in einer Presseaussendung mit. Man erarbeite derzeit gemeinsam mit Partnern aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz unter dem Titel "Transit Europa" eine Serie von Projekten, in denen dem afghanischen Theaterensemble AZDAR eine zentrale Rolle zukommt. Dieses Ensemble wird seit seiner Inszenierung "Heartbeat: Silence After the Explosion" (2013) in seiner Heimat von den Taliban bedroht und kann dort nicht mehr auftreten. Nun werde den afghanischen Künstlern bis zum heutigen Tag die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland verweigert, schreibt nun das Theater und protestiert gegen Privatbürgschaften, die das Auswärtige Amt einfordert.
Nach jüngsten Angaben des Auswärtigen Amts könne die Einreise ausschließlich nur erfolgen, wenn für die fünf afghanischen Künstler persönlich unterzeichnete Verpflichtungserklärungen abgegeben werden. Mit der Abgabe einer solchen Erklärung verpflichten sich Privatpersonen, im Falle eines Antrags auf Asyl, alle im Zusammenhang mit dem Asylverfahren entstehenden Kosten zu übernehmen. Das Theater kommentiert das wie folgt: "Kulturaustausch ist keine Privatangelegenheit! Auch wenn aus der Sicht des Auswärtigen Amts bzw. der deutschen Botschaft in Kabul das Risiko besteht, dass die afghanischen Künstler nach Ende des Projekts nicht in ihre Heimat zurückkehren, sollte dies kein hinreichender Grund dafür sein, einen Kulturaustausch zu verhindern."
Das Projekt ist eine künstlerische Kooperation zahlreicher öffentlicher Kulturinstitutionen (Deutsches Nationaltheater Weimar, Kunstfest Weimar, Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch", Theater Freiburg, Schauspielhaus Bochum, Kurtheater Baden, Theater Chur, La Filature, Scène Nationale - Mulhouse, Kulturstiftung des Bundes, Jeune Théâtre National, Flämische Regierung, Goethe-Institut und Institut Français). Damit sei das Projekt eine öffentliche Angelegenheit, heißt es aus dem Theater und "persönliche Verpflichtungserklärungen zur Ermöglichung einer Einreise der afghanischen Künstler schließen sich deshalb für uns aus!"
Update: Offener Brief
5.7.2016. Das Ensemble der Produktion "KULA – Nach Europa" hat auf die Einreiseprobleme des afghanischen Theaterensembles AZDAR mit einem Offenem Brief reagiert: "Seit Anfang an waren wir konfrontiert mit der Problematik, dass dieser Kulturaustausch an entscheidender Stelle latent als humanitäres Projekt eingestuft wurde, und das meint: man ging davon aus, dass die KünstlerInnen nur zum Zwecke hergeholt würden, dass sie hier in Deutschland einen Asylantrag stellen können", schreibt das Ensemble in diesem. Dem Brief zufolge entstand diese Vermutung auf Seiten der Behörden vor allem durch die Tatsache, dass in dem afghanischen Ensemble teils miteinander Verheiratete arbeiten. "Mit der Begründung, dass Zweifel an den Rückkehrabsichten bestünden und die Frauen nur zur Familienzusammenführung eingeladen seien, wurden – nachdem wir alle strukturellen und finanziellen Anforderungen erfüllt hatten – kurz vor dem Beginn der Arbeit die Visa-Anträge für alle Beteiligten abgelehnt."
Wie das Ensemble schreibt, hatte es sich deshalb ("aus Not") dazu entschlossen, die afghanischen Darsteller erneut einzuladen – diesmal allerdings nur die Männer. "Dies, obwohl wir die Logik dieses Vorgangs in keiner Weise teilen. Dass ein Land wie Deutschland die Ungleichstellung weiblicher und männlicher Künstler affirmiert, hat alle Beteiligten zutiefst erschreckt." Laut dem Offenen Brief traten nichtsdestotrotz wenig später erneut Probleme auf: "Trotzdem wurden wir ein paar Tage später aufgefordert, persönliche Verpflichtungserklärungen für die Künstler zu unterschreiben." Dies führte letzten Endes dazu, dass das Deutsche National Theater und das Kunstfest Weimar das Projekt als gescheitert erklärten. Die Begründung dazu im offenen Brief: "Unser Bestreben war und ist ein kultureller Austausch. In die Logik, aus bestimmten Gebieten kommende Künstler nur als potentielle Asylsuchende zu betrachten, wollen wir uns nicht begeben."
Nichtsdestotrotz arbeite das Ensemble weiter an "KULA", das am 01. September 2016 Premiere feiern soll. "Wir werden mit der uns auferlegten Einschränkung künstlerisch umgehen, gleichzeitig aber mit all den hier versammelten Kräften und Ressourcen für Unterstützung werben, damit der zentrale und noch offene Punkt der künstlerischen Begegnung mit AZDAR in einem Jahr fortgesetzt werden kann." Dazu prüfen die Theatermacher gerade, ob ein Fortführen das Projekts in einem Drittland gegebenfalls möglich ist.
LINK: Der Offene Brief im Wortlaut
(nationaltheater-weimar.de / sik / sae)
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würden Sie das bitte umgehend mit den Herren Steinmeier (und ggf. de Misère) klären?
Gruß -
Frank-Patrick Steckel.
Das Gute ist aber: die Bürokratie weiß das, und kann bei der richtigen Art von Unterhöhlung sehr unbürokratisch und niederschwellig sogar einem Einzelfall gerecht werdende Sachentscheidungen treffen. Das überrascht mich immer wieder...
Natürlich!
Das ist doch eine einmalige Chance!
Und das würden die meisten von uns hier in ihrer Situation ganz genauso tun.
(http://www.touring-artists.info/755.html)
(...) Für Antragstellung (des Visums) erforderlich:
(...)
ein Nachweis darüber, dass der Lebensunterhalt entweder aus eigenen Mitteln oder durch Dritte im Rahmen einer Verpflichtungserklärung (zum Beispiel des Einladenden) bestritten werden kann,
Verpflichtungserklärung
In solchen Fällen, in denen die Antragstellerin oder der Antragsteller nicht über ausreichende finanzielle Eigenmittel verfügt, kann sich ein Dritter durch Abgabe einer Verpflichtungserklärung nach den §§ 66-68 AufenthG (bundeseinheitlicher Vordruck) verpflichten, für die aus dem Aufenthalt des Gastes in Deutschland entstehenden Kosten (einschließlich der Kosten für eventuelle Krankenbehandlungen und Rückführung in das Heimatland) aufzukommen. (Muster einer Verpflichtungserklärung - bitte nicht verwenden!) "
und bei wikipedia:
"Der Verpflichtungsgeber kann eine natürliche oder eine juristische Person sein.
Die Rechtsfolgen einer solchen Erklärung, die gegenüber der Ausländerbehörde oder Auslandsvertretung abzugeben ist, regeln § 66, § 67 und § 68 Aufenthaltsgesetz.
Die Verpflichtungserklärung begründet keine unmittelbare Verpflichtung gegenüber dem begünstigten Drittstaatsangehörigen, eröffnet aber staatlichen Stellen eine Rückgriffsmöglichkeit für den Fall, dass sie wegen des Aufenthalts Kosten tragen müssen, denen keine Beitragszahlungen entgegenstanden.
So können ggf. Sozialhilfekosten, Leistungen nach dem AsylbLG, jeweils inkl. anfallender Krankenbehandlungskosten, sowie die Kosten einer etwaig erforderlichen Abschiebung einschließlich Abschiebungshaft anfallen (...)
https://de.wikipedia.org/wiki/Verpflichtungserkl%C3%A4rung_(Ausl%C3%A4nderrecht)
und hier
http://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__66.html
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vielleicht kriegen sie einfach kalte Füße?
Mir schwant, dass die beteiligten Institutionen selber ahnen, dass sie nicht nur für die üblichen "klassische" Dinge bürgen würden, wie Krankenversicherung und Lebensunterhalt -- während der Gastspieldauer-- (was ja auch bei jedem -beispielsweise- japanischen Gastkünstler so wäre)...sondern über eben auch für alles jenseits der Gastspiedauer.
Mir scheint es, als wenn die Macher selber damit rechnen würden, dass die afghanischen Künstler Asyl beantragen werden (ist doch auch logisch, sie werden von den Taliban verfolgt!)
Deswegen erstaunt mich dieser Versuch eines Seitenhiebs auf das Verhalten des Auswärtige Amtes auch....
...was sie eigentlich kritisieren müssten, sind die deutschen Gesetzgeber.
Versuch der Zerstörung der Schengen-Arbeits-Visagesetze durch das vielschichtige Einladen von Künstlern aus Kriegs-Ländern für ein Kunstprojekt, mit gleichzeitiger selbstverständlicher Verweigerung der von Amtsseite automatischen geforderten erforderlichen Bürgschaften (siehe oben) - und folgend entsprechender anklagender Öffentlichkeitsarbeit.
Da, wie wir wissen, eigentlich jeder ein Künstler ist, könnte das ZPS mit dieser Methodik hundert- oder tausendfach den erneuten Versuch starten, notleidenden Menschen eine sichere Passage nach Deutschland zu komponieren erm organisieren
bzw eine solche Vision... für uns zu konstruieren.
Das Vorhaben wird dann wieder mit Pauken und Trompeten an Steckels "Taliban in den Ämtern" scheitern, was dann mit noch lauteren Pauken und Trompeten verächtlich kommentiert werden wird.