Hier ist Show!

21. Juli 2023. Mit neuer Spielstätte vor Bergpanorama, neuem Stück-Reigen und reichlich Stars eröffnet Gregor Bloéb die erste Runde seiner Intendanz bei den Tiroler Volksschauspielen in Telfs. Was aber haben neun Autor:innen heute über die sieben Todsünden zu erzählen?

Von Martin Thomas Pesl

"7 Todsünden" bei den Volksschauspielen in Telfs © TVS / Victor Malyshev© TVS / Victor Malyshev

21. Juli 2023. Was Telfs alles an Streit rund um seine Tiroler Volksschauspiele in den letzten Jahren erlebt hat, dazu müsste Felix Mitterer mal eine Fernsehsaga schreiben. Hier würde es den Rahmen sprengen.

Relevant ist: dass der Tiroler Schauspieler und ehemalige Hobby-Anti-Woke-Aktivist Gregor Bloéb diese Woche die erste Edition seiner Intendanz eröffnet hat; dass die Volksschauspiele im Sommer 1981 mit dem Einakterzyklus "Die sieben Todsünden" von Franz Kranewitter aus der Taufe gehoben wurden; und dass Bloéb dieses Konzept für 2023 aufgreift, allerdings in Form von Stückaufträgen an verschiedene Autor:innen.

Kitt des Abends: die Band

Der Titel ist schlanker geworden, "7 Todsünden", alles andere fetter. So gibt es eine neue Open-Air-Spielstätte neben der Birkenbergkirche, von der aus man auf ein spektakuläres Gebirgspanorama blickt, und eine beeindruckende Namensliste: Auf der Bühne stehen Marthaler-Mimin Olivia Grigolli und die TV-Lieblinge Gerti Drassl und Gerald Votava, David Schalko gab eine Erzählung zur Bearbeitung frei, etwas Neues schrieben neben dem oben genannten Mitterer etwa der Physiker Johannes Schmidl und der Oscar-nominierte Dokumentarfilmer Hupert Sauper. Oh, und Uli Brée, Drehbuchguru ("Vorstadtweiber") und Sprecher der hiesigen Intendanzfindungskommission. Diese hatte wohl eine Frau erstgereiht, doch der Telfer Bürgermeister entschied sich dennoch für Gregor Bloéb.

7 Todsünden 23 c TVS Victor Malyshev"Zorn" von Lisa Wentz: Iris Schmid, Marlene Markt, Olivia Grigolli (dahinter die Band), Klaus Rohrmoser, Bernhard Battermann und Lisa Hörtnagl © TVS / Victor Malyshev

Ein bisschen Gossip durfte jetzt doch sein, welche Sünde ist das: Hochmut? Neid? Die Produktion in der Regie des Intendanten kommt jedenfalls als große audiovisuelle Völlerei daher. Ein Rundpodium mit Drehscheibe ist umgeben von einem meterhohen roten Gerüst, das die vierköpfige, als Kitt des Abends essenzielle Band trägt. Die Leuchtlettern des Titels und ein sexy Tanzensemble erzählen von Anfang an: Hier ist Show!

Wie eine Familie zerbricht

Konkret: Talkshow. Der Prolog von Sauper/Schmidl läuft als Pro-&-Contra-Debatte zum Thema Landminen ab. Keiner der Todsünden zugeordnet, hängt der platte Kommentar auf die heilige Kuh Meinungsfreiheit etwas in der Luft, ähnlich wie die Filmbilder, die den Abend drei Stunden später als Epilog beschließen. Zieht man noch Marie Stockhausens Teil über Neid in Betracht – eine lupenreine zeitgenössische Tanzchoreografie –, ist das hier weniger Theaterstück als regionale Kreativleistungsschau: Ob Film, Tanz oder Text, fast alle stammen aus oder leben in Tirol.

Jeweils folgend auf ein paar Glockenschläge und den Namen der Todsünde erleben wir, wie ein menschenverachtender Comedian von einer Zuschauerin in seinem Hochmut entlarvt wird, wie die Trägheit da, der Zorn dort als allegorische Figuren ihr Recht erkämpfen, wie eine Familie zerbricht, weil sie ihre Pilze nicht mehr gewinnbringend verkaufen kann, wie ein Schlagersänger einer einsamen Frau ein privates Konzert gibt und schließlich, wie an einem Menschen sein Leben vorbeizieht – der Tod als surrealer Kulminationspunkt des großen Fressens.

Todsünde, was heißt das überhaupt?

Diese einzelnen Szenen sind ordentlich gearbeitet, jeweils mit Fokus auf den Stärken der Texte und der Spieler:innen. In Mitterers "Habgier", einem virtuos überzeichneten Kasperlspiel im Dialekt, erntet die frisch dem Existenzialismus in Helena Adlers "Trägheit" entflohene Gerti Drassl als Oma gleich mehrere Szenenapplause, als sie nach der Ankündigung "I mag a nimmer" Trippelschritt für Trippelschritt das Weite sucht. Lisa Wentz dringt anhand eines Angriffs auf eine Frau im Zug tief in die griechische Mythologie vor – man merkt, die junge Dramatikerin will was, und man hofft auf mehr von ihr. Schalkos "Cowboy" ist dafür ein Sketch wie früher im Fernsehen, mit Schlusspointe. Die Tribüne tobt angesichts von Grigollis wollüstiger Komödiantik und Votavas runtergerockter Falco-Coolness.

7 Todsünden 16 c TVS Victor MalyshevGerti Drassl in "Trägheit" von Helena Adler © TVS / Victor Malyshev

Nun schaffen aber neun (im weiteren Sinne) Autor:innen eben höchst unterschiedliche Werke. Zwar bemühen sich Bloéb und Dramaturg Florian Hirsch redlich, ihr Konstrukt als aus einem Guss bestehend wirken zu lassen, indem sie Elemente aus allen Szenen in die anfängliche Talksendung schummeln und die Tanzprofis auch in Sprechszenen einbinden. Dennoch entsteht, vergleichbar mit Yana Ross’ Salzburger Reigen im Vorjahr, über den Reißbrettentwurf hinaus keine ergiebige Beschäftigung damit, was das überhaupt heißt: eine Todsünde.

Immerhin Kurzweil ist durch die Kleinteiligkeit garantiert. Eine Revue zum Einstand, wieso nicht? Aber jetzt wäre es interessant, von jedem und jeder einzelnen dieser Autor:innen das komplette Sündenregister geschrieben zu bekommen. Ein paar Jahre ist Herr Bloéb ja vielleicht noch da.

7 Todsünden
von Hubert Sauper (Prolog + Epilog) und Johannes Schmidl (Prolog), Calle Fuhr ("Hochmut"), Helena Adler ("Trägheit"), Felix Mitterer ("Habgier"), Lisa Wentz ("Zorn"), David Schalko ("Wollust"), Marie Stockhausen ("Neid") und Uli Brée ("Völlerei")
Uraufführung
Regie: Gregor Bloéb, Bühne, Lichtdesign: Volker Hintermeier, Kostüme: Lane Schäfer, Musik: Matthias Jakisič, Choreografie: Marie Stockhausen, Dramaturgie: Florian Hirsch.
Mit: Gerti Drassl, Olivia Grigolli, Lisa Hörtnagl, Marlene Markt, Iris Schmid, Bernhard Bettermann, Klaus Rohrmoser, Gerald Votava, Heinz Weixelbraun, den Tänzer:innen Sonja Maria Schwaiger, Paulo Alberto dos Santos, Gustavo de Oliveira dos Santos, Marie Stockhausen und den Musikern Matthias Jakisič, Bernhard Locker, Wolfi Rainer und Alexander Slavik.
Premiere am 20. Juli 2023
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.volksschauspiele.at

Kritikenrundschau

Gregor Bloéb rausche in sieben Stopps quasi einmal durch Theatergeschichte, schreibt Kritikerin Barbara Unterthurner in der Tiroler Tageszeitung (online 22. Juli 2023, €). Was in Telfs vom vielfach diskutierten "Volkstheater" bleibe, fragt sie sich in ihrer Besprechung – und antwortet: "In '7 Todsünden' nicht viel - und doch alles." Bloéb starte mit "Überwältigungstheater, das nicht weiß, wann es genug ist." Mehrfach überstrahle die Show den Inhalt. Das Publikum sei hier gefordert. Aber: "Tosenden Applaus gab's nach knapp drei Stunden trotzdem."

Als Dietmar Schönherr, Kurt Weinzierl, Otto Grünmandl und all die anderen prominenten Gründerväter der Tiroler Volksschauspiele sich im Sommer 1981 zusammenfanden, um das Volksstück zu erneuern, griffen sie zu einem finsteren Stoff," schreibt Ivona Jelcic in der Wiener Tageszeitung Der Standard (23.7.2023). In seinem Einakterzyklus "Die sieben Todsünden" habe Franz Kranewitter die menschlichen Laster mit realistischem Furor durchs bäuerliche Leben wüten lassen, "ohne sich dabei als Bußprediger zu verstehen." Im Gegensatz dazu kratze Neufassung nun "durchaus auch an der Läuterung, etwa wenn es in Uli Brées recht flachem Versuch über die "Völlerei" ein Jedermann-Epigone (Klaus Rohrmoser) vor den Bergen an Kaviar und Hummer erzittert, die er einst verspeist hat." So richtig will daraus dem Eindruck der Kritikerin zufolge, "aber kein großes Ganzes werden, was auch an der hohen qualitativen Schwankungsbreite der aneinandergereihten Minidramen liegen mag. Bisweilen kippt der Abend gar in Richtung Sketchparade, die 'Wolllust'(basierend auf Schalkos Erzählung Cowboys) gerät zum Klamauk, Gerald Votava als abgehalfteter Countrysänger im Glitzeranzug sorgt dennoch für Gejohle im Publikum."

"Ja, das ist Volkstheater in vielen Facetten. Gewiss nicht immer gut, manchmal auch ein bisschen dämlich, aber wild, unverblümt, voller Kraft und Saft," schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (26.7.2023). "Zu Gregor Bloébs Volkstheaterverständnis gehört offenbar auch das Raue und Rohe, das Wüste und Grelle. Das passt. Seine Inszenierung ist überbordend in jeder Hinsicht, pralles Theaterleben, mal brillant, mal kaum zu ertragen. Alle Mittel werden bedient." Bloéb nehme jeden Textteil, "wie es kommt, erfindet jedes Mal einen neuen Stil."

Kommentare  
7 Todsünden, Telfs: „Volksschauspiel“
"So wie sich die Einheit Tirols politisch aus der Darstellung des Willens zur Selbstverteidigung ergibt, so manifestiert sich die kulturelle Identität Tirols im und durch sein „Volksschauspiel“. Theater in Tirol, das war einmal das Spiel seiner Fürsten mit dem Volk, das war einmal das Wechselspiel zwischen Kirche und Staat, das war einmal das Spiel zwischen befestigten Städten und offenem Land, das war einmal das Spiel um den Rang in der Pyramide der Gesellschaft und in der Bedeutung von Heimat im Durchzugsland. Und dann, nicht zu vergessen ist dabei das Schachspiel mit dem Bauernopfern und den Zügen dagegen mit seinem im und durch das Spiel wachsenden Selbstbewusstsein der Frau und des Mannes auf der Straße, wirksam nach innen und außen, zur Festigung des Gemeinsamen im „Gemeindespiel“ und zur Verbreitung der Botschaft kultureller Identität durch Nationalsänger und Nationalspieler. Tanz, Gesang und Bühnenspiel waren das Werbemittel für Fremde zum Gast-Werden in den Bergen. Auf all den Bühnen zwischen Palästen und Hütten im Kampf um den Platz zwischen Macht und Ohnmacht kommt dem Volksschauspiel die Rolle des Spielens für und durch und mit dem Volk, das heißt um das Überleben des Mehr als die Summe seiner Minderheiten zu." (Aus dem Katalog zum Theater in Tirol, der Ausstellung auf Schloß Tirol 2022)
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