Koala - Lukas Bärfuss versucht den Selbstmord seines Bruders zu begreifen
Das Erzählen stockt
von Sophie Diesselhorst
24. März 2014. Das Titelbild: Man guckt von oben auf einen Koala-Bären, der um den ihn bezeichnenden Titel herum in blassgrün ertrinkt. Oder ist er schon längst tot und in Formaldehyd konserviert?
Der Anlass für den schweizerischen Theater- und Romanautor Lukas Bärfuss, "Koala" zu schreiben, war der Selbstmord seines Bruders Ende 2011. Will Bärfuss sich interessant machen? Fällt ihm nichts mehr ein?
Selbst wenn weder noch, besteht die Gefahr, dass bei so einem Unterfangen nicht viel mehr herauskommt als eben das wenige, das ein sich einigelndes Trauernden-Hirn nach außen senden kann. Bärfuss tut nichts, diese Gefahr zu verharmlosen. Er beginnt ganz konventionell mit der Erinnerung an das letzte, kurze und oberflächliche, Treffen mit seinem Bruder in der Heimatstadt, wo er einen Vortrag über den Selbstmörder Kleist zu halten hatte. Er berichtet dann von der Selbstmord-Nachricht ein halbes Jahr später, die ihn kalt erwischt hat. Von seiner kurz- und längerfristigen Auseinandersetzung damit.
Der Erfolg des Selbstmörders
Aus der Erinnerung daran ersteht der erneute Versuch, zu "wissen, was meinen Bruder am Leben gehindert hatte", den Bärfuss diesmal mit dem Arbeitswerkzeug des Schriftstellers unternimmt.
Durch die Erinnerung passierten Ratlosigkeit als Resultat des Alleine-Nachdenkens, außerdem der Selbstmord als Tabuthema, das Abendessen mit Freunden zu Schweigekreisen verwandeln kann und Gedanken, die sich im Kreis drehten bis zur Verbitterung: "An seinem Tod war nichts zu bedauern. Er war nicht unausweichlich gewesen, mein Bruder hatte ihn gesucht. Die angemessene Reaktion wären Glückwünsche gewesen: Der Selbstmörder hatte Erfolg und bekommen, was er wollte."
Die Zeit aber hat dann innere Distanz geschaffen, und: "Der Imagination musste die Funktion einer erkenntnistheoretischen Maßnahme zugemessen werden, um eine Erzählung zu rekonstruieren, von der man keine abstrakten Begriffe, sondern nur konkrete Bilder besaß".
Als Ausgangspunkt seiner Reise in die Fiktion nimmt Bärfuss den Pfadfindernamen seines Bruders, "Koala". Nachdem er sich vorgestellt hat, wie der Bruder seine Initiation bei den Pfadfindern empfunden hat, bricht er ab und setzt ganz woanders an.
Er referiert Berichte aus der ersten Zeit der Straf-Kolonisierung Australiens, und zwar mit dem Interesse eines Naturforschers, der die Verschiebung von Lebensräumen beobachtet: Nach der Ansiedlung der Europäer sterben die Ureinwohner aus – die Jagd auf Koalas gemacht haben. Die Koalas vermehren sich daraufhin unkontrolliert. Später werden sie bei den Jägern der Kolonisatoren zu begehrten Jagdtrophäen. Der faule, verhaltensauffällige Koala wird als Überraschung der Evolution dargestellt und dann zum Symbol der Überlebens-Verweigerung stilisiert, das schon in der Prä-Dienstleistungsgesellschaft einen Ausrottungsinstinkt auslöste.
Betont kunstlos
Bärfuss übertreibt es mit der Bildhaftigkeit. Auf diese Weise enttarnt er jedoch den Ausflug ins Reich der Bilder kunstvoll als Fluchtversuch. Kunstvoll ist "Koala" vor allem in der Konstruktion – in der Ausführung bleibt Bärfuss betont kunstlos. Die Sprache ist spielemuffelig und bilderarm, passagenweise wirkt die Erzählung wie hingeworfen und extra nicht noch einmal überarbeitet. Immer wieder verstrickt der Erzähler sich im Arhythmus menschlicher Konzentrationsfähigkeit in einzelnen Handlungsfäden, nur um sie dann abrupt abzuschneiden. Der Duktus von "Koala" ist stockend, und so wird man bei der Lektüre auch zum stockenden Leser. Es entwickelt sich kein Sog.
Aber etwas anderes: Bärfuss, der ja auch fürs Theater schreibt, nutzt die Prosa nämlich – ganz klassisch – als Möglichkeit zum intimen Zweiergespräch. Und zieht den Leser von "Koala" mittels der suchenden, lebendigen Erzählweise derart ins Vertrauen, dass man nicht trotz der Holperigkeiten, sondern gerade wegen ihnen weiterliest, bis zur Erkenntnis: So ein Roman geht unweigerlich zu Ende, genauso wie so ein Leben. Das Leben des Bruders allerdings "hatte sich in keine Erzählung gerundet, nichts hatte sich vollendet, kein Sinn sich gezeigt, keine Moral ließ sich schließen aus dem, was er vorgelebt hatte".
Koala
Von Lukas Bärfuss
Wallstein Verlag, Göttingen 2014
182 Seiten, 19,90 Euro
Das Theaterstück "20.000 Seiten" von Lukas Bärfuss wurde im Februar 2012 von Lars-Ole Walburg in Zürich uraufgeführt. In der Dresdner Inszenierung von Burkard C. Kosminski ist es zum diesjährigen Heidelberger Stückemarkt eingeladen.
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