Das Prinzip Mann

von Wolfgang Behrens

Berlin, 20. Januar 2016. Was war denn das jetzt? Nach den obligatorischen fünf Stunden – darunter macht's der Noch-Volksbühnen-Intendant nicht mehr – schüttelt man sich erst einmal einen Trip aus den Gliedern, dessen expressive Finsternis einem auch bei Frank Castorf nicht alle Tage begegnet. Diesmal hat man sich nicht – wie noch bei den Karamasows – in den Bert Neumann'schen Sitzsäcken gefläzt: Zum düster dräuenden Turm gestapelt, hinter dem Kunstnebel im Gegenlicht wallt, laden sie vielmehr zum Schauen ein. Eine Abraumhalde? Ein mythischer Berg? Ein rauchender Lavahaufen? Den Grundraum Neumanns jedenfalls erleben wir jetzt aus der umgedrehten Perspektive, auf der Bühne sitzend, während sich die Schauspieler*innen im Zuschauerraum so exaltiert wie inbrünstig auf und um diesem/n Sitzsack-Turm herum abrackern.

Von der radikalen Andersheit

Gegeben wird Friedrich Hebbels "Judith". Ein Stück, dessen alttestamentarisch kraftstrotzende, wenn nicht kraftmeiernde Gestalten schon den Spott eines Karl Kraus herausgefordert haben: Eine Parodie sei diese Tragödie, die den Nestroy'schen Hohn (Nestroy hatte Hebbels "Judith" neun Jahre nach der Uraufführung 1849 recht prominent veräppelt) schon in sich trage und die auf die Grimasse angewiesen sei. Und ja, sieht man Martin Wuttke anfangs neckisch über die Sitzsäcke hüpfen und klettern, breitbeinig watschelnd und aus federnden Knien staksend, mit kahlem Schädel und Pferdeschwanz, hört man ihn fisteln und krächzen, so scheint die Grimasse nicht fern: In diesem brutalen Baals-Jünger Holofernes steckt viel Arturo Ui, eine Rolle, die Wuttke seit nunmehr über 20 Jahren am nur zwei Kilometer entfernten Berliner Ensemble einzigartig komisch verkörpert.

judith 560 ThomasAurin HKraft des Kapriziösen: Birgit Minichchmayr als Judith, Martin Wuttke als Holofernes © Thomas Aurin

Doch der parodistische Zungenschlag bleibt an diesem Abend Episode, nur ab und an kehrt er zurück, am kräftigsten wohl, wenn zur fröhlichen Wiederbelebung des langsam ermattenden Publikums in der fünften und letzten Stunde der Aufführung ein echtes Kamel die Bühne entert. Bis dahin aber hat sich Castorf von der angemaßten Wildheit der Hebbel'schen Figuren anstecken lassen, hat die Selbstermächtigungen und Unbedingtheiten einer Judith und eines Holofernes zum Anlass genommen, sich im wilden Denken zu üben. Denn jenseits des Hebbel-Textes wird viel Wildes und Wirres geraunt: Man hört von Riten und Kulten, von Heliogabal und vom Schisma des Irshu (wer, bitte, kann mir sagen, was das ist?), von der Scheidung des Geistes ins männliche und weibliche Prinzip, von der radikalen Andersheit und von der ursprünglichen Kraft des Hasses. Ausweislich des Programmblattes lauschen wir dabei Artaud und Baudrillard (ein paar unvermeidliche Heiner-Müller-Sätze fallen natürlich auch), doch da ist auch Anderes zu hören, der antike syrische Dichter Lukian etwa und wohl auch die eine oder andere esoterische Quelle.

Zwischen Mystik und Poststrukturalismus

Das alles wird mit geradezu flammendem Eifer vorgetragen, und wenn die Spieler*innen mal wieder in die grell orangefarbenen Plastikzelte zur Linken oder in orientalisch ausgestattete Gemächer im Rückraum entschwinden, dann agitieren sie auch gerne die Handkamera an. In der appellativen Übertreibung dieser wie gewohnt auf eine Leinwand übertragenen Ultragroßaufnahmen verharrt immerhin ein komisches Restmoment – ansonsten prasseln diese zwischen Mystik und Poststrukturalismus mäandernden Botschaften eher als recht humorfreie Gardinenpredigten auf uns ein.

Für die in der belagerten Stadt Bethulien spielenden Akte hat sich Castorf diesmal gar eines Chores versichert, der hemmungslos den von Einar Schleef erarbeiteten Mittelkanon plündert: Da wird nicht nur skandiert, da wird auch rhythmisch getrampelt, und einmal grölen die Männer die zweite Gralsszene aus "Parsifal", als gelte es Richard Wagner im Fußballstadion zu etablieren. Dazu wabern beständig dissonant basswummernde oder orientalisierende Klänge bedeutungsschwanger und Weniges bedeutend durch den Raum. Auf diffuse Weise ist so nahezu alles in dieser Inszenierung auf einen archaisierenden Expressionismus abgestellt.

Kraft des Kapriziösen

Es ist zum Weglaufen! Und es ist faszinierend! So gespreizt die Textauswahl (bei Hebbel angefangen) auch sein mag, so chaotisch das alles zusammengemantscht scheint, so irritierend bleibt es doch auch in seiner ungeschlachten Setzung. Und das Hauptpfund des Castorf-Theaters sind zuletzt eben doch seine Darsteller*innen, die den energetischen Druck aufbauen können, um eine solche Setzung fünf Stunden lang zu behaupten. An der Kraft des Kapriziösen etwa, die Birgit Minichmayr ihrer Judith verleiht, an ihrer immer wieder überschnappend ins Heisere kippenden Stimme mag man sich kaum sattsehen und -hören. Was man mit gleichem Recht von der messerscharfen Direktheit Jasna Fritzi Bauers als Judiths Magd Mirza sagen kann. Vom aasigen Wuttke ganz zu schweigen.

Und so goutiert man am Ende doch noch halbwegs wach die finale Pointe – Achtung, Spoiler! –, dass Judith den Gewaltmenschen Holofernes, das Prinzip Mann, den Imperialismus und das wilde Sein auch durch Köpfen nicht aus der Welt schaffen kann. Holofernes ist immer noch da und darf das Schlusswort sprechen, während Judith, den abgeschlagenen Kopf in Händen, verzweifelt davonwankt. Dann aber schüttelt man seine Glieder und fragt sich: Was war denn das jetzt?

 

Judith
von Friedrich Hebbel
Regie: Frank Castorf, Raum: Bert Neumann, Einrichtung Judith: Caroline Rössle Harper, Kostüme: Tabea Braun, Chorleitung: Christine Groß, Licht: Lothar Baumgarte, Videokonzeption und Kamera: Andreas Deinert, Ton: Christopher von Nathusius, Tonangel: William Minke, Dramaturgie: Sebastian Kaiser.
Mit: Birgit Minichmayr, Martin Wuttke, Jasna Fritzi Bauer, Mex Schlüpfer, Stefan Kolosko. Chor: Yasmin El Yassini, Judith Gailer, Ann Göbel, Anita Groschen, Leonie Jenning, Anke Marschall, MissVergnügen, Estefania Rodriguez, Nathalie Seiß, Johanna Skirecki, Julius Brauer, Jakob D'Aprile, Florian Denk, Niklas Dräger, Max Grosse Majench, Fritz Walter Huste, Henry Kotterba, Paul Rohlfs, Marcus Schinkel.
Dauer: 5 Stunden, eine Pause

www.volksbuehne-berlin.de

 

Kritikenrundschau 

Castorfs "Judith" "vermag (...) auch das netteste Kamel nicht mehr zu retten", befindet Irene Bazinger in der FAZ (22.1.2016). Als besonders betrüblich empfindet Bazinger, "dass Birgit Minichmayr als souveräne, kokett abgründige Diva von einer Judith, Jasna Fritzi Bauer als deren schrill-schräge Magd Mirza und Martin Wuttke als getrieben-bösartiger landfremder Eindringling so selten auf der Bühne und so oft indirekt auf der Leinwand zu sehen sind." Sie sah in der Volksbühne eine "groteske Mischung aus Kino und Theater", die "mehr gedacht als gemacht habe".

Für Peter Laudenbach von der Süddeutschen Zeitung (22.1.2016) ist Castorfs neueste Inszenierung "natürlich eine Zumutung", die zugleich Spaß macht, so man denn eine "gewisse Neigung zum sadomasochistischen Theatergenuss" mitbringt – also: "ein abgefuckter, düsterer, großartiger Abend!". Birgit Minichmayr fand Laudenbach "gefährlich lasziv", Martin Wuttke wiederum "beneidenswert verspielt". Laudenbach empfand "Judith" als "moralfreie Kehrseite seiner letzten Arbeit, der erstaunlich klaren Auseinandersetzung mit Dostojewskis 'Brüdern Karamasow'".

"Kein schlechter Castorf, auch wenn das komisch klingt", findet Jan Küveler in der Welt (19.1.2016). Er empfand den Abend als "ehrlich gesagt ziemlich anstrengend. Relativ unwitzig, untypisch für ihn. (...) Beinahe scheint es, als wolle Castorf, der die Volksbühne ja schon mit Beton planiert hat, bevor demnächst Chris Dercon die Intendanz übernimmt, den letzten Zuschauer vergraulen." Wenn um Mitternacht alles vorbei ist, möchte Küveler dennoch "zum Erschöpfungsglauben" Castorfs übertreten.

Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (21.1.2016) meint: "ein vorbildlich quälender Volksbühnenabend". Zwar seien viele Zuschauer zwischendurch ausgestiegen, dennoch "bleiben (sie) bis zum Schluss", und "nach fünf zermürbenden Stunden gibt es einen erstaunlich kraftvollen Schlussapplaus."

"Alles an dieser Inszenierung ist ambitioniert, musikalisch untermalt wie in einem Historienfilm, mit Lagerfeuerflackern und Kunstnebel," schreibt Simone Kaempf in der taz (21.1.2016). Das Zusammenspiel von Birgith Minichmayr als Judith und Martin Wuttke als Holofernes sei intensiv. "Man staunt, was sie an Textmengen körperlich machen, wie sie dennoch aufdrehen, wenn sich im Finale alles mit Glamour auflädt", führt Kaempf aus.

Christine Wahl sah für Spiegel Online (21.01.2016) eine Mordszene, auf die "wohl selbst Quentin Tarantino neidisch" wäre. "Kurzum: Es ist großes philosophisches Trash-Kino, was sich gegen Ende der fünften Aufführungsstunde in der Berliner Volksbühne ereignet." Davor sah sie ein mäanderndes Stück, gemacht für "assoziative Anlagerungen", das sich allerdings vor allem kurz nach der Pause "in der multiplen Interpretation eines Volksbühnen-Chores gefühlt derart endlos und frontal in Richtung Publikum ergießt, dass man schon sehr ausgeruht sein muss, um daran ausschließlichen (intellektuellen) Genuss zu finden."

Rüdiger Schaper vom Tagesspiegel (21.01.2016) hat einen Tipp für das Castorf-Publikum: "Das Fiese bei diesem Castorf ist, nicht zum ersten Mal, dass es gegen Ende erst richtig losgeht." Das Finale sei nämlich tatsächlich eines mit "Kraft". Nichtsdestotrotz sah er in der Volksbühne eine Inszenierung, "die keinen Fokus hat, keinen Rhythmus und einen schlechten Sound".

"Eine monolithische Textgeschwulst wälzt sich über die Bühne, die selbst die endlich wiedervereinigten großartigen Schauspieler Birgit Minichmayr und Martin Wuttke (…) nicht bewältigen können", beobachtet Caspar Shaller in der Zeit (28.1.2016). Doch "wie so oft bei Castorf" werde man von der zweiten Hälfte für das Ertragen der ersten belohnt. Als nach der Pause "der brillante Chor" auftrete, nötige die Inszenierung einen zu der Erkenntnis: "Diesen Text muss lesen, wer begreifen will, was gerade in der Welt passiert."

Kommentare  
Judith, Berlin: kunstgewerbliche Verirrung
Ja, man kann diesen ganzen Dramaturgie Hokuspokus, die Virtuosität der Spieler und den Mega-Raum von Bert Neumann genau so beschreiben, wie es Herr Behrens tut. Man kann den Abend aber auch als eine kunstgewerbliche Verwirrung eines größenwahnsinnigen Regisseurs in die Tonne kloppen. Castorf in Ehren, aber ich freu mich auf den Neuanfang!
Judith, Berlin: schrecklich und eitel
Es war schrecklich und eitel, Schauspieler und Regisseur wissen und wußten zu genau, daß sie Stars sind. Die unterschweellige Überzeugung und Botschaft: wir sind doch genial, oder? Die Figuren verschwanden darüber ins Nichts. Eine Leere mit bunter Verpackung. Pseudometabene. Langweilig. Leider.
Judith, Berlin: weg mit den Mauern
ich mich auch! reißt die alten mauern nieder. weg damit. für immer. lasst es international werden. alle menschen in berlin haben das recht auf dieses theater. (...) Ein hoch auch auf den neuen Direktor der VB.
Judith, Berlin: in Berlin braucht's keinen Neuanfang
@#1 In Berlin, und anhand der Vielzahl von Theatern, von einem Neufang zu reden ist albern. Als Zuschauer muss man, unter dem Aspekt des Neuanfangs, lediglich zur Schaubühne, HAU oder anderen wechseln.
Judith, Berlin: Kamel und Ende von Nestroy
Apropos Nestroy: Zwei Motive bei Castorf könnten direkt von Nestroy her stammen. In Judith und Holofernes gibt es die Regieanweisung: "Dem Holofernes wird ein Kamel mit zwei großen Höckern vorgeführt." Und auch bei Nestroy überlebt Holofernes, weil die Judith (die bei Nestroy ein Mann ist) nur einer Attrappe den Kopf abhaut.
Judith, Berlin: ein Trip
Derart herausforderndes Theater wird es in Berlin absehbar nicht mehr geben ... fünf Stunden; na und? Keine Minuten zu viel. Größenwahnsinnig? Quatsch mit ganz viel Soße, liebe Nörgler - hier denkt wenigstens noch jemand all das (oder vieles von dem) mit, was an Über- Unter- und Neben-Tönen mitschwingt zumal in einem oberflächlich eher abgelegenen Text. Noch einmal erstreitet sich Castorf die Deutungshoheit im Berlin der grauen Mäuse. Seine Verlässlichkeit in Trotz und Grobianismus wird sehr vermisst werden. Und "Was war das denn?" - meinetwegen: ein Trip. Den gibt's so sonst nirgends.
Judith, Berlin: genial
Castorf ist großartig! Aber größenwahnsinnig?! An den meisten Theatern wird einfach gespielt, wie es in den kleinen Reclambüchern. Warum sollte Frank Castorf es den anderen Theatern auf einmal gleichtun?
Es gibt keine Pseudometaebene. Und wenn, dann ist auch das gewollt - pseudo. Es braucht keinen Neuanfang an der Volksbühne. Es braucht keinen Manager. Es braucht jemand, der Castorf geniale Arbeit ehrt und weiterführt. Es kommen viele junge Leute frisch zu den Theatern, sie sollen sehen, was möglich ist. Mit diesem wahnsinns Regisseur und Intendanten. Mit seiner intelligenten Arbeit. Mit seinem Theater.
Und zurecht, dass sie denken, dass sie genial sind - weil sie es auch sind.
Judith, Berlin: wie Renner dastehen wird
Fakt ist Renner wird wie er es sich wünscht in die Geschichte eingehen.Als einer der etwas international absolut einmaliges wegwarf damit er es durch etwas austauschbar auf jedem Festival wiederfindbares ersetze.
Der Kleinbürger spielt den Mann von Welt und zeigt uns mit großer Geste was er von Ihr schon alles begriffen hat.Wir stehen schweigend beeindruckt.
Judith, Berlin: nicht sehr besonders für Castorf
@Mchaela Laages

Berlin der grauen Mäuse? Schon mal im Gorki gewesen? Entschuldigung, aber auf solch eine platte Ansage, gibt's eine platte Gegenfrage. Der Abend war nicht sehr besonders auf CastorfS Niveau bezogen. Man wird es tatsächlich vermissen, die eigene und einzigartige Exaltiertheit dieses Hauses.
Judith, Berlin: Einziges Chi-Chi
Fakt ist das Herr Renner keine Ahnung hat. das die Berliner Theaterlandschaft gerade zu einem einzigen Chi-Chi verarbeitet wird und das Berlin und seine Theaterlandschaft dafür nicht steht. Berlin braucht eine Volksbühne mit Castorf und seine ganze Vielfalt. Nur darum exspiriert diese Landschaft in berlin, weil einem alles geboten wird. In den kommenden Jahren wird sich das alles zu einem Brei entwickeln Dank der Profilierung unwissender Politiker! Schade! Um Berlin und seine unglaublichen Theater die dafür weltberuhmt gewesen sein werden...
Judith, Berlin: Link
Das muss man sich anschauen: Probenausraster von Castorf bei "Judit", und dann im Interview: "Demokratie ist das Ende der Kunst". Schon cool …

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2652072/Regieberserker-Frank-Castorf#/beitrag/video/2652072/Regieberserker-Frank-Castorf
Judith, Berlin: Link
Hier noch ein interessanter Beitrag dazu (rbb "Stilbruch"):

http://www.rbb-online.de/stilbruch/archiv/20160121_2215/judith-volksbuehne-berlin-frank-castorf.html
Judith, Berlin: häusliche Gewalt
Was wir sehen, wenn wir die Fernsehberichte über die Probenarbeit von Frank Castorf betrachten, ist nichts weiter als häusliche Gewalt, ausgedehnt auf den Theaterraum. „Solo-Sex“ eines Cholerikers beim Produzieren Ur-provinzieller Lebensumstände, von denen er meint, dass seine Co-abhängigen sie brauchen, um sich entweder in Zuspruchs- oder Absetzbewegungen vom gewalttätigen Patriarchen, selber zu finden. Castorf´s Führungsstil ist der eines Autokraten, der versucht Demokratie-freie Räume zu kreieren, in denen nur er herrscht. Mit Regiekunst hat das wenig zu tun. So wie es auf der Herrentoilette in der Volksbühne zugeht, so sieht es auch am Regiepult von Herrn Castorf aus. All das Fluchen auf die angeblich provinzielle Spielweise, bringt die Provinz erst hervor. Diese Art der Wut und des Hasses, des auf alles Spucken wollen, ist der Grundpfeiler provinziellen Zorns, wie er sich auch schon, nur ohne Hebbel, in Heidenau seinen Weg bahnte. Die Unterschiede sind lediglich graduell. Im Kern brüllt es sich mit Klassikern nur etwas unverfänglicher. Bei genauerer Sicht, brüllt da einer gegen die Provinz und ruft sie zugleich über dosiert herbei. All das Getöse, die Pose des autokratischen Künstlers ist nur die übersteigerte Fassade tiefster Provinz, und die häusliche Gewalt ist sozusagen ihr ewiger Begleiter, so wie die nahestehenden leisen Verwandten, die das Verhalten des Patriarchen versuchen der Außenwelt zu erklären, und seine Übergriffe somit rechtfertigen wollen. Herr Hegemann verfängt sich in dieser Aufgabe, in dem er nicht sehen will, dass nicht nur die Liebe, sondern auch längst schon der Hass durchgetacktet ist. Das, was man am Hass noch als Freiheit empfinden möchte, ist der Moment der rohen Gewalt, des Übergriffes, des Kontrollverlustes, den man einzig und allein als freien kreativen Moment anerkennt, weil er entfesselt sei. In Wahrheit verwechselt man in diesem Moment einfach nur die Gewalt, die Selbstermächtigung mit der Freiheit, das freie Leben wird eingetauscht gegen ein Verbrechen, und diese Form der Kriminalität zur Freiheit erhoben. Freiheit, wie sie jeder Kleinkriminelle meint zu erleben, wenn er ein Auto anzündet oder ein Büdchen ausraubt, aber eben nur solange bis sein Treiben ein jähes Ende findet. Dann ist das Geschrei, der Jammer groß. Ebenso bei Castorf. Da versichert man sich in seinem Leid noch mal der Loyalität der Bande. - Letztendlich ist es aber so, wenn man seine Kinder oder seine Frau zusammen brüllt, befinden die sich nach kurzer Zeit auch in einem Ausnahmezustand, in dem sie sehr wahrscheinlich zu mehr fähig werden, als sie eigentlich wollen. Nur kämen sie nicht so schnell auf die Idee, diesen scheußlichen Ausnahmezustand für Schauspielkunst zu halten. - Der Ausnahmezustand, den Schauspieler erreichen können, beruht auf ihrem Talent, ihrer Inspiration, ihrem Engagement und ihrer Leidenschaft für einen Stoff. Druck von Außen mag kurzfristig den Innendruck erhöhen, Talent ersetzen und befördern kann er nicht, und man kann gänzlich auf ihn verzichten, wenn man sich wirklich frei fühlt, frei von Neurosen, frei von Cholerik. Erst dann ist man in der Lage Schauspieler anders anzusteuern, einen anderen Umgang mit ihnen zu pflegen, der über das Verstehen und Versinnlichen, über Leidenschaft und nicht Aggression läuft.
Judith, Berlin: Pose und Provokation
Lieber Herr Baucks, nur mit salbungsvollen Worten ist auch noch keine große Inszenierung entstanden. Wie wollen Sie denn einen Abend über den uns umgebenden Hass machen, ohne nicht auch mal zu versuchen, den selbst zu erzeugen. Castorfs Regie ist Pose und Provokation seiner Schauspieler und des Publikums, sich über das Normale hin zu verausgaben. Das sagt ja noch nichts darüber aus, ob er nicht auch fähig ist, leidenschaftlich zu lieben. Sie sehen das aus ihrer ganz persönlichen Sicht. Häusliche Gewalt kann ein Trauma sein. Castorf aber auch nur in die Nähe davon zu bringen und seine Schauspieler als Koabhängige zu bezeichnen, ist dann leider so ein Fall von "Mäusehirn", wie es Castorf seinen Schauspielern an den Kopf wirft. Zu kurz gedacht, Herr Baucks, tut mir leid, das so sagen zu müssen.
Berlin, Judith: Entleerung
Lieber Herr Bo,

wenn sie denken, Cholerik sei ein alternativloser Regiestil und danach kämen nur noch salbungsvolle Worte, dann irren sie schwer und zeigen ihre ganze Ahnungslosigkeit. Es sind sicherlich weit aus mehr Inszenierung auf Grund von Passion und Liebe zu Stande gekommen, als auf Grund von Aggression. Ich kenne die Verhaltensweisen von Herrn Castorf nur allzu gut und habe sie häufig erlebt bei Regisseuren, die scheiterten und am Ende sind. Das Mäusehirn, dass Castorf seinen Darstellern unterstellt, und das sie mir nun nachsagen wollen, entspricht dem Zustand der eigenen Entleerung, die ein Regisseur im Scheitern erlebt, und meistens überträgt er nur eigenes Unvermögen, dass Reale zu fassen, auf seine Schauspieler. An dieser Stelle soll dann das Verausgaben über das Normale hinaus sinnstiftend sein, obwohl es nur die eigene Erschöpfung überdeckt, weiter nichts. Und diese Erschöpfung findet ihre Ursache in der sinnlosen Verausgabung, die Castorf als Kunst zelebriert. Aber am Ende bleibt alles hohl, weil das eigene Mäusehirn im Regisseur schon längst gesiegt hat. Und dann beginnt der ungezügelte Zorn auf alles, der in sinnlose häusliche Gewalt endet, in der man alles mit allem vermengt, Syrien mit Hebbel, Judith mit der Isis, Holofernes mit echter Männlichkeit, die Kette ließe sich endlos fortsetzen, beschreibt aber letztendlich nur den Zustand gänzlicher Zerrüttung, die immer in Gewalt endet.
Judith, Berlin: Rumgebrülle
Ernstgemeinte Frage:
Ist dieses Rumgebrülle wirklich packend? Was will man damit kommunizieren? Gilt das als intensiv? Mag ja sein, daß es für die Schauspieler kreislauffördernd ist,aber wozu?


Leider wirkt der Orientklischeekitsch sehr provinziell. Wie von einem all-inclusive Robinsonreisekatalog entnommen. Aber gut, vielleicht wirkt es erst in seiner vollen Länge.
Judith, Berlin: von Kleingeistern ge**ckt
DANKE Volksbühne! Danke, Herr Castorf! Es ist eine Inszenierung mit wichtigen Statements, Denkanstößen und Diskussionsbeiträgen unter Verwendung von Texten, die die heutige Wirklichkeit philosophisch reflektieren. Genial wie Castorf in die Hebbel-Vorlage seine Fragestellungen, die uns alle betreffen, verpackt!
Wer nur sieht, was er/sie sieht, wird natürlich keine Erkenntnisse oder Gedanken haben. Die eigene Denkleistung des Zuschauers forderte schon Brecht, in dem er meinte, das Theater solle sich nicht auf das Niveau des Zuschauers herab begeben, einen Anlass zum Denken geben.
Berührt hat mich ein Monolog von Martin Wuttke in den mit Puppen besetzten Sitzreihen unter der russischen Cola-Leuchtwerbung: ein Requiem auf die Volksbühne und auf den scheidenden Intendanten, der „vor der Zeit geköpft“ wird. Schon vorher spielt Wuttke mit seinem abgeschlagenen Kopf des Holofernes, aber er bleibt, ob geköpft oder nicht! Und auf das Stück bezogen: auch der Hass und das Böse bleibt in der Welt, wir hatten es nur verdrängt.
Denkende Menschen sind in der Reflektion von Verhältnissen nicht zimperlich. Theater lebt vom „als-ob“, deshalb muss es brachial sein um nicht nur in der Realität zu bleiben.
Aber wenn das letzte intelligente, den Zuschauer fordernde Theater kommerzialisiert ist, werdet/n Ihr/wir merken, dass nun nicht nur die Clubszene, sondern auch die aufklärerische und anspruchsvolle Theaterkultur mindestens aus (dem nun zum Dorf werdenden) Berlin-Mitte weg gentrifiziert wurde!
Jubel den Kleingeistern aus der Provinz, die Berlin immer noch ficken bis nichts mehr von der substanziell-künstlerisch prosperierenden Stadt übrig ist!
Judith, Berlin: nicht im Ernst
der sitzt doch nicht im ernst in einer adidas-jacke am regiepult??
Judith, Berlin: mit Mäusehirn
Nichts gegen Castorf und seine Cholerik, ob gespielt oder nicht. Man muss ja schließlich nicht bei ihm arbeiten. Aber ich würde sehr gern einmal mit Herrn Bo gemeinsam proben, wie Castorf- gespielt natürlich - und beispielsweise ich - gespielt natürlich - miteinander proben und uns mit Mäusehirnen beschmeißen, bis einer einmal den andern am Kopf trifft. - Ich fand diesen Kommentar # 14 also sehr inspirierend! - danke. Lieber Herr Baucks, Sie dürfen auch mitproben und unter den gespielten Castorf ein Mäusehirn stellen!!
Judith, Berlin: Ausfall
Nun gab es den ersten Vorstellungsausfall wegen Krankheit. Erinnert mich an die ausgefallenen Vorstellungen nach der Premiere von "Karamasow". Die Proben scheinen echt anstrengend zu sein!!
Judith, Berlin: keine dämlichen Opfer
sehr geehrter herr baucks,

ob mäusehirn oder nicht,
schreiben sie ein schönes buch,
vieleicht möchte es jemand lesen,
vieleicht auch nicht,
die wortwahl haben sie ja, um gegen jegliche gewalt anzukämpfen.
glauben sie denn wirklich,die schauspieler die sich mit castorf einlassen sind nur dämliche opfer?
das muß (!) von denen keiner.

schlafen sie ruhig weiter.

ps.
ich fand judith übrigens auch flach.

mfg
der gute
Judith, Berlin: wie können sie sagen...?
lieber guter #21! wie können Sie sagen, dass Schauspieler, die wie Opfer behandelt werden und die sich wie Opfer behandeln lassen, keine sind? heißt das für Sie auch, dass die Opfer auf der Straße, eher keine sind. und jetzt sagen Sie bitte nicht, Sie hätten ja einschränkend "nicht nur" gesagt. Das würde sich für mich nur anhören wie das neue "Aber".
Judith, Berlin: Brachialität ist nicht alternativlos
Ich habe sehr viel Verständnis dafür, das echte Fans jammern und jaulen, wenn sich ihr Idol Castorf vor laufender Kamera selber zum brüllenden Kleinbürger denkonstruiert. Das tut weh. Aber eine Sache sollte man doch einmal klarstellen, lieber I.K.

Sie schreiben: „Denkende Menschen sind in der Reflektion von Verhältnissen nicht zimperlich. Theater lebt vom „als-ob“, deshalb muss es brachial sein um nicht nur in der Realität zu bleiben.“

Dennoch ist es so, dass die Regieanweisungen eines Regisseurs nicht in die Gnade des „als ob“ fallen. Sie sind reale Vorgänge in einem realen Arbeitsverhältnis, und nicht zu verwechseln mit der Rolle, die ein Schauspieler spielt. Der Bühnenvorgang befindet sich im Zustand des „als ob“, nicht aber die Art und Weise, wie er produziert wird. Die Produktion und Arbeitsweise spiegelt den Geist eines Hauses wieder. Und hierbei ist Brachialgewalt nicht alternativlos und kein „muss“ für das Theater, schon gar nicht als Arbeitsweise. Wie sie auf den Gedanken kommen, das nur Brachialität zum Denken führt, bleibt mir verschlossen. Das Gegenteil ist der Fall.

Zudem, wenn sie nur ein wenig von Probenabläufen verstehen würden, würden sie leicht erkennen, dass es empfindlich unprofessionell ist, seine Schauspieler bei einem ersten Durchlauf auf der Bühne, der auch zugleich die Generalprobe darstellen soll, vor laufender Kamera, derart zusammenzufalten.

Und mein lieber „guter“, das Buch, dass sie sich von mir wünschen, müssen sie sich wohl selber schreiben, denn ich stehe dafür nicht zur Verfügung.

Da hat also der scheidende Intendant ein neues Schimpfwort für seine Herrentoilette ausgegeben und seine Gemeinde niemand es dankbar an: Das Mäusehirn.

Fein. Dann weiterhin viel Spaß beim Wortgeklimpere.
Judith, Berlin: Fasten
Lieber Herr Baucks, Sie haben recht, wie mir scheint, Ihnen ist einiges verschlosssen. Bald ist Fastenzeit. Wie wärs sich ein bißchen nachtkritikfasten aufzuerlegen, Herr Baucks? verzicht! Dann hättenSie viel Zeit und könnten sich für eine Hospitanz bei Castorf bewerben. dann müssten Sie nicht eine ganze Welt anhand von Schlüssellochblicken beurteilen. Oder als Toilettenmann,dann wüede auf den Herrentoiletten dervb so richtig aufgeräumt. Frei nach Schlingensief: Wir müssen unser Körbchen sauberhalten....Noch ne Frage: Meinen Sie auch Iggy Pop und Axel Rose sollten nicht so laut schreien bei Ihren Konzerten?
Judith, Berlin: Kleingeister
Man, Castorf ist doch kein Theaterpädagoge, sondern ein Theaterbesessener, der keine Kompromisse machen muss, auch nicht mit den Schauspielern, die freiwillig mit ihm arbeiten! Bitte entmündigt nicht diese fantastischen Schauspieler/innen, die sich diesem "Kampf" um eine Inszenierung hingeben! Auch oder oft auch besonders die Proben müssen brachial sein, damit ein wenig davon durch die Aufführung beim Publikum ankommt, damit die Spieler das Stück tragen.
Castorf kämpft für seine Gedanken, Zusammenhänge, die er findet, die er logischer Weise als extrovertierter Regisseur der Welt mitteilen möchte.
Ach, die "süßen" Kleingeister kapieren es doch nicht! Vergeben die Mühe der Erklärung!
Und wer hier "wortklimpert", ist die Frage!
Judith, Berlin: Hirn aus dem Kopf spielen
Lieber Martin Baucks, nicht doch so schrecklich aufregen! Der Frank Castorf hat meines Wissens in einem Interview etwa 1997 schon einmal gesagt, dass er erreichen möchte, dass sich seine Leute das Hirn aus dem Kopf spielen. Ich habe das damals so verstanden, dass er möchte, dass die unter dem Stress von mehr Textinhalt als sie fassen können ohne in tiefsinniges Grübeln zu verfallen, nur mehr spielen können. Nur mehr nstinktiv auf und durch den Text hindurch reagieren und beim gemeinsamen reagieren miteinander vor Publikum zusätzlich aufeinander reagierend agieren. Haben Sie das verstanden? Ich fand das nicht unbedingt zu meiner Art zu probieren passend, aber für Castorfs künstlerische Entwicklung, angefangen von seiner Diplomarbeit bis zu dem damaligen Zeitpunkt einen stringenten Denkweg, den er künstlerisch praktisch umzusetzen suchte. Ich habe das o.e. Video nicht gesehen, aber vielleicht können Sie mir beschreiben, was da geschieht: Schlägt der seine Leute da? Mit der Faust, mit der flachen Hand oder tritt der ihnen in den Allerwertesten??? Oder brüllt der nur so herum? Das wäre nun nicht die Art unter der ich genug Stress bekäme, um zu Höchstleistungen aufzulaufen, aber mich hätte auch Hebbels Judith nicht interessiert. Auch nicht von Castorf aufgepeppt. Andere können so zu Höchstform auflaufen. Fakt ist: Beinahe 20 Jahre nach dem damalig abgelieferten Gespräch hat Castorf beinahe geschafft, was er nach eigener Aussage wollte - von Mäusehirn bis zu gar kein Hirn ist es aber beim Theater trotzdem noch ein beachtlicher Weg. Für den wünsch ich ihm alles Gute - ganz gleich wo er gerade geladen ist, die Sau rauszulassen.
Judith, Berlin: Jux-Hoffnung
Oft dachten wir darüber nach, bei Proben mit Pressebesuch eine Katastrophen-Stimmung zu fingieren. Man kann nur hoffen, das Castorf und die Seinen das in die Tat umgesetzt haben. Derlei Blafferei ist ansonsten natürlich absolut lächerlich. Selbstverständlich kann man Schauspieler zu existenzieller Höchstform bringen, auch ohne diesen narzisstischen Kokolores. Mich hat das Castorf-Theater geprägt und die Volksbühne war für mich ein Wallfahrtsort. Ich weiß auch, dass das Gefüge da reichlich crazy ist und das dies einen Teil der Faszination ausmacht - das Extrem wider die Alltäglichkeit. Wenn sich Künstler, die auf der Bühne u.a. den Despotismus anprangern lassen, jedoch selbst als Despoten aufführen, sich dabei gefallen und allesverachtendes Zeug quatschen, dann empfinde ich das jedoch zunehmend als ermüdend und uninteressant. Bleibt wie gesagt zu hoffen, dass die Volkbühnen-Crew sich einen Jux aus dem Besuch der Medien gemacht hat.
Judith, Berlin: Relikt
Warum lassen sich Schauspieler terrorisieren? Nu weil auf der Trainingsjacke des Maestros "Castorf" draufsteht? Früher gehörte cholerik zum Standardrepertoire eines jeden rEgisseurs. Genauso wie Sexismus, ausufernde Selbstüberschätzung und Egomanie. Früher. Castorf scheint ein Relikt aus vorsintflutlichen Zeiten zu sein, das nicht bemerkte , daß die Welt sich weitergesdreht hat. Ebenso wie Minichmayr, Wuttke und Co. , die das offensichtlich mit sich machen lassen. Wenn Castorf nicht Castorf wäre ,sondern irgendwo ein junger Provinztegisseur, dann wären sie laut brüllend und schreiend nach der ersten Probenwoche ausgestiegen. So aber lassen sie sich anbrüllen und schreien sich unsinnig die Seele aus dem Leib. Sogar mit einem künstlichen Theaterton, der auch nur nach Provinz riecht.
Judith, Berlin: Vertrauensbruch
Wutausbrüche von Regisseur*innen sehen durch Schlüsselloch oder Kameralinse beobachtet sicher oft so aus, als würde ein Monster über hilflose Häschen herfallen. Aber nicht immer, wenn man jemanden sieht, der gerade zu einem Schlag ausholt, ist das ein abscheulicher Täter, der gerade einem willenlosen Opfer Gewalt antut. Es gibt auch Kämpfe,in die sich alle Parteien freiwillig und sehenden Auges begeben. Und es gibt Prozesse in intimen Beziehungen, die von Außenstehenden nicht einfach verstanden werden können. Was auf Theaterproben passiert, fällt oft in diese Kategorie. Und genau deshalb sollte es eben auch NICHT von Außenstehenden gesehen werden können! Proben und die komplizierten Gefühle, die da hervorgeholt werden (und natürlich nicht nur "Denken"!),finden deshalb in einem geschützten Raum statt. Denn Außenstehenden könnten sonst- genau wie es jetzt geschehen ist- meinen, sie hätten der Demütigung der Schauspieler beigewohnt. Es ist ganz normal, dass Castorf schreit und tobt, aber dass er es zulässt, dass das im Fernsehen gezeigt wird- mitsamt den Gegenparts, die nun hier als hilflose Opfer dastehen- das ist durch und durch schäbig! Ein wie ich finde sehr hässlicher Vertrauensbruch.
Judith, Berlin: die Attitüde des Herrn
Lieber Bernhard Voigt,

Axel Rose und Iggy Pop, sind Sänger, keine Regisseure, Ausnahmetalente, ebenso wie Martin Wuttke und Birgit Minichmayr. Sie brauchen keinen Einpeitscher, wie auf einer römischen Galeere. Sie schöpfen ihre Kraft aus sich selbst heraus, Solokünstler eben, bei denen sie davon ausgehen dürfen, dass sich keiner von ihnen öffentlich auch nur drei Sekunden so behandeln ließe, wie wir es in diesem Beitrag des ZDF sehen können.

Und liebe „DieHuupspitanz“, nichts kann die Verhaltensweisen vor laufender Kamera von Herrn Castorf rechtfertigen, keine Probenmethodik, noch irgendeine Spielweise, die dazu führen soll, dass sich Schauspieler ihr Hirn aus dem Kopf spielen. Und selbstverständlich werden unter Stress niedrige Instinkte geweckt, die sich dann an den Latrinen ausleben lassen, aber intuitiver, instinktiver oder reaktiver wird das Spiel durch öffentliche Demütigen und Beschimpfungen nicht.

Natürlich gibt es Probenweisen, in denen man als Regisseur mit den Schauspielern mitgeht, und so versucht sie von außen weiter anzuspornen, zu Höchstleistungen zu motivieren. Aber hier handelt es eindeutig um eine öffentliche, völlig fruchtlose und sinnfreie Demütigung, wie man sie von Despoten einer Kleinfamilie kennt. Es ist ein Offenbarungseid des Regisseurs Castorf. Und es versteht sich von selbst, dass bei einem solchen Grad von Despotie, die gedemütigten Mitarbeiter, und das sind nicht nur die Schauspieler, ihre Frustration in der Herrentoilette an Fremden, sich außerhalb des Hauses Befindlichen, ausleben, um ihre eigene Erniedrigung zu kompensieren. So funktioniert der Kleingeist in einer Diktatur, Herr I.K., und selbstverständlich fühlt sich jeder, in solchen kleinbürgerlichen, provinziellen Arbeitsstrukturen, dann ebenso ermächtigt vermeintliche Feinde zum Brötchen, zum Hospitanten zu machen. Sie übernehmen die Attitüde des Herrn, der sie leitet.

Axel Rose und Iggy Pop wüssten sich zu wehren. Niemals würden sie zulassen, dass ihr Ruf öffentlich derart beschädigt würde. Über die hier vorgeführten Schauspieler muss wohl der nächst höhere Dienstherr seine schützende Hand legen, denn sie selber zeigten keinerlei Gegenwehr mehr. Eine wirklich tragischer Moment.
Judith, Berlin: für den häuslichen Frieden
Sehr geehrter Herr Baucks,
Sie haben ja so Recht. Stoppt die häusliche Gewalt an den Theatern! Die eine Hälfte der VolksbühnenschauspielerInnen muss bereits mit Krücken auf der Bühne erscheinen, die andere Hälfte schafft es erst gar nicht zur Arbeit. Das muss sofort aufhören. Herr Baucks, rufen Sie den höheren Dienstherrn und Regierenden Bürgermeister Michael Müller an. Oder besser noch, gründen Sie eine Selbsthilfegruppe für TheatermitarbeiterInnen, die unter der häuslichen Gewalt ihrer Intendanten und Regisseure leiden. Tun Sie was für den Weltfrieden und den häuslichen Frieden auf deutschen Bühnen. Amnesty International, Greenpeace und die Albert Schweizer Stiftung werden es Ihnen danken. Dagegen nimmt sich dann der fragwürdige Preis der Akademie der Künste Berlin für den dilettantischen „Mäusehirn“-Quäler Frank Castorf tatsächlich wie ein Trostpreis für sein seit Jahren gescheitertes Herumgekleckse aus. Picasso rotiert bestimmt schon im Grabe.
Judith, Berlin: Polemik
Da der Wortklimperer seine verbalen Ergüsse weiterhin ausschweifend um sich wirft, bin ich getrieben, diesen in seine polemischen Schranken zu verweisen. Denn die Ausführungen sind genau das, was Castorf meint: Provinzscheiße!", aber wenn der Herr anscheinend in Ermangelung eines herausfordernden Engagements zu viel Zeit hat, soll er ruhig weiter polemisieren. Freie Geister werden über ihn hinwegsehen.
Und warum sollte I.K. ein Mann sein? Vielleicht traut er einer Frau diese Worte und Gedanken nicht zu?! Ach, Castorf hat so recht mit der PROVINZSCHEISSE!

(Liebe Diskutant*innen, die Kommentare balancieren langsam an der Grenze, an der sie ins Beleidigende kippen. Bei einer weiteren Verschärfung des Tons werden wir die Diskussion abbrechen müssen. Es grüßt wb für die Red.)
Judith, Berlin: Unterscheidung
Zu #31: Es gibt nicht nur "Provinzscheiße". Es gibt auch Hauptstadtscheiße.
Judith, Berlin: Kosmopolitik
Mein liebes I.K.,

egal welchen Geschlechts sie auch seien, zu Menschen wie ihnen muss man einfach ganz besonders lieb sein, damit sie nicht noch mehr Schaden an ihrem Idol nehmen. Nur leider ist es einfach so, dass sie blind sind für denjenigen, den sie verehren, und in ihrer Blindwütigkeit, schlagen sie um sich, ebenso wie ihr Vorbild. Eigentlich Schade (…)

Mit einem kosmopolitischen Gruss

Ihr

Martín Baucks
Judith, Berlin: mengenmäßig
Na watt denn nu, Herr Baucks, brüllt oder schlägt oder tritt er? Soll ick da etwa selbst gucken??? Fiele mir ja nicht im Traum ein, einen indiskreten Blick in Proben zu tun, ganz gleich, wer das aus welchem Grund getan und veröffentlicht hat. Ich übe übrigens schon seit ich Ihren Kommentar las, überzeugend ein Brötchen zu sein - das ist sauschwer!!! - Vor allem für Hopspitanten! - Castorf is nich mein Idol, ich kenn den Mann gar nicht! Meine eigene Wut is mir!
F.-P. S.: Jaja, aber Sie werden doch zugeben, dass die Hauptstadtscheiße naturgemäß im Großen und Ganzen größer ist. So mengenmäßig...
Judith, Berlin: nicht das Erbsenhirn senken
Am provinziellsten ist dieses wütend-defensive beleidigen aller die es wagen nicht in Ehrfurcht vor Castorf demütig das Haupt mit dem Erbsenhirn zu senken.

Man kann ja auch mit Humor oder Leidenschaft etwas erklären.
Judith, Berlin: die Larmoyanz des Meisters
Jaja, Theater ist ja so besonders. Es braucht natürlich Druck, damit was Gutes rauskommt.
So ein Quatsch, und diese Überhöhung des eigenen (bzw. von Diskutanten hier: fremden) Verhaltens unerträglich.
Sollte irgendwo sonst in einem deutschen Unternehmen der Vorgesetzte seine Mitarbeiter in dieser Form ansprechen, und das auch noch öffentlich und im Fernsehen, wäre das ein Fall für die Gerichte und sowieso das öffentliche Strafgericht der Moral... so sind sie, die Investmentbanker, die Kapitalisten, die Neoliberalen. Hier aber: klar, geht ja gar nicht anders.
Am entlarvensten für mich aber die Larmoyanz des 'Meisters':
Wuttke: Das ist schwer!
Castorf: Was soll ich sagen, meine Intendanz endet 2017...

Heul' doch, bzw. spuck doch drauf... albern.
Judith, Berlin: die polnische Lösung
Bei Gott, mein lieber Stefan B., da haben sie jetzt aber wirklich mal recht. Castorf sollte endlich mal aufräumen mit all diesen westlichen Krankheiten, wie Amnesty, der Albert Schweizer Stiftung, Greenpeace, und packen wir doch gleich die Grünen und die Heinrich Böll Stiftung noch mit drauf, und all diese Fahrradfahrer und Genderfreaks und Veganer. Deutschland braucht endlich eine Alternative. Für eine polnische Lösung. Die Volksbühne greift durch. Endlich.

Aber nicht mehr lange.
Judith, Berlin: gelungene mediale Inszenierung
Verfolgt man diese Debatte, so muss man sich wirklich sorgen um den gegenwärtigen Status der Repräsentation im Theater. Es ist bestürzend, dass so viele Nachtkritik-Leser derart moralisierend argumentieren und so gar nicht mehr auf den inszenierten, imaginären Charakter dessen, was da geschieht, zu achten scheinen. Ist es denn so erstaunlich, dass ein Regisseur und seine Schauspieler eine Inszenierung, in deren Zentrum Formen des gesellschaftlichen Hasses stehen, mit einer offenbar gelungenen medialen Inszenierung von Hass begleiten? Der inszenierte Charakter dieser Probenausschnitte ist doch offenkundig. Und es gehört zur Größe dieser Schauspieler, dass sie an der Kritik der üblichen Repräsentation mitarbeiten, indem sie sich - im geschützten Raum der Kunst- zugunsten der Freiheit eben dieses Raumes demütigen lassen. Dazu gehört auch, den Feind und die Machtverhältnisse von Unterdrückern und Unterdrücktem nicht - moralisierend - draußen zu suchen, sondern selbst zu verkörpern und damit nicht nur in ihrer gesellschaftlich wirksamen Grausamkeit exemplarisch vorzuführen, sondern auch zu einem lustvollen Spiel zu verwandeln. Wie bei einem SM-Spiel wird hier keinem Gewalt angetan, der nicht in diese eingewilligt hätte. Die wirkliche Grausamkeit werden diese klugen Schauspieler, die sich der eigenen Markenbildung hier mehr demütig entziehen als sie eitel zu betreiben, ganz gewiss außerhalb der Volksbühne erleben müssen: bei vielen wahrhaft selbstherrlichen, weil kommerziellen Produktionszusammenhängen.
Judith, Berlin: Aphorismus
Ja, lieber Dialektiker, wer nicht mit dem eigenen Kopf unterm Arm nach Hause geht, hat sich nur vermarkten lassen!
Judith, Berlin: symbolisch oder konkret
Auf symbolischer Ebene (um nicht zu sagen: auf der Ebene der Kastration) trifft Ihr Aphorismus etwas, Herr Baucks. Und er gälte ebenso für die Zuschauer wie für Wuttkes / Holofernes zweiten Kopf. Ich fürchte nur: Sie meinen ihn konkret. Und konkret verstanden eignet ihm jene zynische Gewaltsamkeit des Moralischen, die alle Differenz zwischen Spiel und Realem tilgen will.
Judith, Berlin: Welles und Scorsese
Es gibt ja zwei wirklich prominente Großkünstler des Weltkinos, die der These, dass die Darstellung von egomanen, grössenwahnsinnigen, überbordenden, gefrässigen Charakteren und Geschichten auch nur mit egomanen, grössenwahnsinnigen, erniedrigenden Methoden zu erreichen ist, entschieden widersprechen.
Zugegeben keine Deutschen: Orson Welles und Martin Scorsese!
Berühmt dafür, eine äusserst entspannte, offene Arbeitsatmosphäre, zu schaffen, in der sich Darsteller aufgehoben und geborgen fühlen und bereit sind sich tatsächlich preiszugeben! Und zwar, weil sie es SELBER wollen und nicht, weil ein Puppetmaster sie dahin brüllt. (Auch wenn sich der Brüller, dabei selber sehr lebendig und potent fühlt).
Wäre es nicht tatsächlich bemerkenswert, derart dicke, pelzige, lebendige Eier zu haben, von einer monströs-perversen Welt zu erzählen zu können, ohne sich wie Kim Jong Il aufzuführen?
Judith, Berlin: ein neues Stück
Herr Baucks, jetzt enttäuschen Sie mich aber. Polen? Haben Sie keine echte Diktatur? Das macht der Castorf doch nie, wo der schon in Moskau inszeniert hat. Fahrradfahrer, Genderfreaks und Veganer - das sind doch nicht die brennenden Probleme unserer Zeit. Typisch bürgerliche Denke... Sie wissen schon. Haben Sie gestern Abend nicht Anne Will gesehen? Wir leben doch in Deutschland schon in einer Bananenrepublik. Das muss man der Beatrix von Storch lassen, eine Nase für echte Theaterstoffe hat die. Angela Merkel muss vor dem Volkszorn nach Chile fliehen. Na und was macht die da. Richtig! Die lernt da von Margot Honecker, wie‘s geht mit dem Regieren. Von Ex-Ober-Pionierleiterin zu Ex-FDJ-Sekretärin. Machen Sie da ein Stück draus, Herr Baucks. Aber entscheiden Sie sich schnell, sonst macht’s der Richter und es landet wieder vor selbigem. Sichern Sie sich also vorher die Rechte bei Frau von Storch und lassen Sie Castorf die Regie nur machen, wenn er die Herzogin als Hauptdarstellerin nimmt. Die Honecker gibt die Sophie Rois. Wuttke muss natürlich auch mitmachen. Der spielt den Seehofer, der die Merkel per Verfassungsgericht aus dem Amt klagt. Da träumt der Brecht von. Das muss, muss, muss auf die Bühne. Bitte enttäuschen Sie mich nicht.
Judith, Berlin: drauf gepfiffen
Es gibt eine hübsche Anekdote aus uralter Theaterzeit - vom seinerzeit sehr berühmten Intendanten und Regisseur Hans Schalla in Bochum, dem direkten Vorgänger von Zadek.

Der war berühmt für seine Brüllorgien auf Proben. Eines schönen Tages hatte er sich endgültig heiser gebrüllt. Er ließ sich dann eine Trillerpfeife aus der Requisite bringen: ein Pfiff hieß: "Text!" Zwei Pfiffe: "Pause!" Es wurde dann andauernd gepfiffen.

Es gibt offenbar nichts Neues unter der Sonne.
Judith, Berlin: Logik des Widerstands
"Das ist ein monolithischer Text, ihr Mausehirne!" Na, toll. Der Mensch ist eben kein Monolith, sondern voller Leidenschaft. Und da soll ich dann als Schauspielerin also zurückbrüllen, weil das Castorf sadomaso antörnt? Meint der jetzt wirklich, dass Frauen eh nicht denken können?! Wie blöd ist der denn?! (…) Bloß eines muss man ihm lassen. Widerstand geht wohl tatsächlich nur da, wo man angebrüllt wird. Wie soll Widerstand gehen, wenn man schweigend missachtet bzw ignoriert wird? Was ja in kapitalistischen Verhältnissen nicht ganz selten vorkommt.
Judith, Berlin: doch
#42 kann man. sogar ganz ohne eier. herzlichst.
Judith, Berlin: es gibt Augenhöhe
wie wunderbar sie das auf den punkt bringen. tatsächlich gibt es sie, die augenhöhe in der kunst der theatralen kunst der menschen auf der bühne, mit menschen in lebendigen und erspielten verspielten, überhöhten -drehten situativen begegnungen. die sehr wohl auch hart, kalt und brutal sein können.sprich modern, heutig und politisch.
geht kunst aber mit s.o.staatlicher hierachie? also führung?
Judith, Berlin: Raum der Freiheit
Das Verhalten von Herrn Castorf auf der Probe kenne ich auch von anderen Vertretern seines Faches. Immer wenn es Publikum gibt, will man zeigen, wer der wirklich große Künstler ist und wer das Sagen hat. Lächerliches Gepose.
Was bewegt bloß alle, die seine Methode des Druckausübens als die einzige Möglichkeit betrachten, Kunst zu produzieren? Ist ihnen klar, dass sie einem uralten romantischen Prinzip huldigen, welches besagt, nur Kampf und Leid sind die Quellen "wahrer" Kunst?
Druck erzeugt Gegendruck und zumeist Verkrampfung. Aber es kommt darauf an, eine Atmosphäre zu schaffen, die das Freisetzen aller Fähigkeiten ermöglicht. Natürlich gibt es immer Spannungen, die sich entladen müssen, doch das sollten keine wüsten Beschimpfungen sein. Ganz allgemein gesagt, kann sich Kunst nur in einem Raum der Freiheit wirklich entfalten.
Regisseure sind wie Dirigenten Anreger und Wegweiser, doch sie realisieren selbst keine Kunst, das machen diejenigen, die Abend für Abend auf der Bühnen stehen und den Kopf dafür hinhalten, was sich die Herren oder Damen in der siebten Reihe so ausgedacht haben.
Überhaupt Künstler? Sind wir Theatermenschen nicht eher Interpreten, Kunsthandwerker und sollten entsprechend bescheidener auftreten? Ich weiß, das ist ein Gedanke, der jedes der "Theatergenies" erschaudern lässt.
Judith, Berlin: franken Helden
Beinahe neiden möchte man es diesem gewaltig franken Helden, um wie Vieles mehr von seiner Creation hier Rede als von unseren Creaturen scheint. Um so fröher jedoch macht es Unterzeichnete/n da, also den neuesten Disputen der Theatralkunst noch bescheidenst Folie unterlegt haben zu dürfen.
Dies mit Hochachtung, stets der
&cet
Judith, Berlin: Sadismus
Nachdem die Kulturzeitnachrichten heute diese unsägliche Dokumentation eines Regie-Versagens nochmals sendeten, sollte man nunmehr ernsthafter auf den Vorgang eingehen. Eingangs muss man erwähnen: Nichts ist normaler als das Theaterleben. Auch im normalen Leben sollen alle so funktionieren, wie Computer. Das entspricht der Grundforderung des bekennenden Sadisten Castorf an seine Darsteller, zu funktionieren wie Computer. Er bemüht die kurze Produktionszeit, als Grund für seinen Sadismus. Jedoch ist er selber der Herr und kann diese Zeiten bestimmen. Wenn er den ersten Durchlauf zu Generalprobe erhebt und danach den Schauspielern eine Premiere abverlangt, ist das Teil seiner sadistischen Probenstrategie. Dieser Sadismus führt lediglich zu Versprechern, selbst bei Herrn Wuttke, der plötzlich sogar an dem einfachen Wort „Untergang“ sprechtechnisch strauchelt, weil er öffentlich beschimpft wird.

„Unverschämtheit!“ schallt es, und verhallt auch zugleich. Wer nicht fliegen will, ist für Castorf renitent. Und Renitenz gegen die „sadomasochistische Grundbeziehung“ zwischen Schauspieler und Regisseur ist dem „Herrn“ unerträglich. Eine Renitenz, die zur Demokratie führen könne, eine zu große Gefährdung für Castorf. Er betrachtet unter demokratischen Verhältnissen die Kunst als verunmöglicht. Für ihn ist es undenkbar, den emotionalen Zustand einer Figur zu vermitteln. „Ich kann nicht sagen, dass musst du so oder so machen.“, dies wäre für Castorf als Regieanweisung unzumutbar. Er meint, in dieser gewalttätigen Methodik liege etwas „Besonderes“ und sie befördere und finde „besondere“ Menschen. Sicherlich sind Masochisten eventuell besondere Menschen.

Genaugenommen sind aber genau sie der gesellschaftliche Normalfall, und eben die ganz normalen Erfüllungsgehilfen des Normalen, die Castorf vorgibt zu verachten. Masochisten sind diejenigen, die diese Gesellschaftszusammenhänge tragen und fortsetzen. Und unfähige Führungskräfte sind ihre Despoten.

Und wo, in welcher historischen Schule meint Castorf diese Grundbeziehung erlernt zu haben? In der ehemaligen DDR. Dort hat er seinen Sadismus einstudiert, und nun spuckt er bis zum seinem Tode weiter auf alles. Nicht pathetisch, wie er meint, sondern kleinkariert sadistisch. Ein Fall für die Laubenpieper.

Auf die unsägliche Interpretation Hegemanns das Stück „Judith“ betreffend, muss man erst gar nicht eingehen. Sie ist Erfüllungswerkzeug des sadistischen Meisters.

Frau Schortmann von der Kulturzeit möchte zunächst noch die Schauspieler konsultieren, bevor sie zu einem Urteil kommt. Was für ein Armutszeugnis angesichts der Probenaufzeichnungen, die ihr vorliegen. Der Domplatz von Köln liegt direkt auf dem Asphalt, mit dem Volksbühne gerade von innen planiert wurde.

Und wenn Castorf meint, e könne einen solchen Kommetar subsummieren, in was auch immer, irrt er gewaltig
Judith, Berlin: Tarantinos Vorbild
Übrigens, wenn man den Aussagen von Christoph Walz, Michael Madsen, Jennifer Jason Leigh u.s.w. glauben darf, so ist auch Herr Tarentino ein Regieseur, der durch Vertrauen, Behutsamkeit, ja sogar LIEBE, seine Darsteller zu diesen inspirierten Leistungen führt.
Laut einem Interview im "esquire", braucht er selber am Set vor allem Spass und eine gelöste Athmosphäre.
Aber er ist natürlich auch nicht Deutscher.
Judith, Berlin: wo du schwach dich zeigen darfst
Ich nehme meinen Kommentar #45 aufgrund von (Theater-?)Erfahrungen im öffentlichen Raum zurück. Widerstand geht nur da, wo man angebrüllt wird? Nee nee nee, das ist eben genau falsch gedacht. Widerstand geht nur da, wo man sich wechselseitig in seinen Gefühlen wahrnimmt und anerkennt. In diesem Sinne würde ich dann auch sagen: Eine Frau oder ein Mann, welcher NUR rational denken kann ist nicht schön. Schön ist nur eine Frau oder ein Mann welcher mitfühlen kann. Und auch Adorno hat dazu übrigens mal was gesagt: "Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren."
Judith, Berlin: Tarantino-Zitat
@ 50
Wo hier gerade im Vergleich zu Castorf der Altmeister des guten Film-Trashs zitiert wird: "Are you gonna bark all day, little doggy, or are you gonna bite?" (Michael Madsen zu Harvey Keitel in Quentin Tarantinos "Reservoir Dogs")
Judith, Berlin: minderwertiger Porno
Offensichtlich sind sie ein Freund von „public disgrarce“, einer Spielart der SM Kultur, denn nichts anderes betreibt Castorf dort während der Generalprobe. Und sie wollen auch einmal gerne öffentlich „Den Westen ficken.“, denn mit diesem Satz wird auf der Homepage der Volksbühne die Produktion „Judith“ beworben. Der Rest liest sich wie ein Drehbuch für einen minderwertigen Pornofilm und klingt wie folgt: Judith, die apokryph biblische Heldin in Hebbels Tragödie, will begehrt und geliebt werden, aber es findet sich im frommen Bethulien kein Mann, der ihr gewachsen ist. Alles nur Feiglinge und Schlappschwänze. Holofernes, der heidnische und (fast) allmächtige Usurpator ihres Volkes ist ein anderes Kaliber.

Und, wo sortieren sie sich so ein? Wenn sie mich schon eher bei den Hunden und Schlappschwänzen sehen? Sind sie auch so ein Berserker?! So ein anderes Kaliber?!

Tut mir leid, wenn ich nicht ihren „pornographischen“ Neigungen entsprechen kann. Aber im Zusammenhang mit den Erklärungen unter der Rubrik „Den Westen ficken.“ sind Castorf´s Ausführungen eindeutig sexuell konnotiert; eben sexistisch, übergriffig.

Ein Intendant, der seine Position gegenüber seinen Mitarbeitern öffentlich missbraucht, und das Ganze in einen erotischen Zusammenhang setzt, den er bestimmt, und in dem er keinen Widerspruch, keine Renitenz duldet, und der sein Verhältnis zu seinen Mitarbeitern wie folgt, als eine ausschließlich sadomasochistische Beziehung auf Grund einer Despotie definiert.

Möge das bellenden und beißenden Hunden gefallen, für andere ist es ein Vertrauensbruch, der zur sofortigen Aufkündigung des Dienstverhältnisses führen müsste.
Judith, Berlin: beißen und bellen
Zu #54: "Und übrigens: Ich beiße besser, als ich belle." (Jodie Foster zu Denzel Washington in INSIDE MAN von Spike Lee.)
Judith, Berlin: nachhaltig wie Picasso
Baucks schauen Sie sich das wahre Interview an und verstehen Sie endlich, was Castorf will, Ihr Geschreibsel ist unerträgliches Geschwätz im Angesicht dessen, was Castorf sagt. Sie haben nichts verstehen wollen oder können, Sie polemisieren. Zum Glück sehen das andere anders, zum Beispiel Matthes. Man möchte in diesem Fall und mit der Begründung übereinstimmen, auch Picasso war kein einfacher Künstler im bürgerlichen Sinne, aber ein Nachhaltiger, zumindest da stimme ich dem Vergleich zu.
Welches Theater wollen Sie?
Judith, Berlin: spaltet und bringt Dynamik
PS: Ich finde es gut, wie Castorf die Theaterwelt spaltet und damit eine Dynamik ins Haus bringt. Der Rest wäre unerträgliche Langeweile. Möge uns diese nicht verloren gehen.
Judith, Berlin: mehr als nur Frank Castorf
@54

mensch baucks,

"den westen ficken" ist das eine,

seien sie doch mal so kulant,wie sie gerne sein möchten,
und nicht neidisch auf einen kulturdampfer,der seit einem vierteljahrhundert in der mitte von der hauptstadt steht,
und sie waren nicht dabei.
die volksbühne ist und war schon immer mehr als nur f.c.

herzlichst
tom
Judith, Berlin: Dynamik der Reitpeitsche
Lieber Olaf,

was Herr Matthes und Frau Becker entscheiden, ist ihre Sache. Man muss ihrem Urteil nicht folgen. Jedoch eines ist völlig klar, an dem Interview von Herrn Castorf gibt es so gut wie nichts, dass man nicht verstehen könnte. Es ist in seiner herzlosen Eindeutigkeit so simpel, dass wohl der Inhalt auch Herrn Matthes nicht verschlossen bleiben dürfte, von dem ich solange annehme, dass er nicht öffentlich gedemütigt werden möchte, bis er persönlich das Gegenteil verlautbaren lässt.

Und mögen sie auch die Dynamik der Reitpeitsche noch so lieben, Herr Olaf, sie können und dürfen Sadismus nicht zur Grundlage eines Arbeitsverhältnisses erheben. Was sie privat befriedigt geht keinen etwas an. Ich weiß nicht, was sie dazu bringt, zu meinen, dass öffentliche Demütigungen lediglich eine Frage seien, wie dynamisch man damit die Theaterwelt spaltet. Das ist etwas, dass man nicht verstehen muss. Verstehen sollte man aber, dass solche Demütigungen nicht geduldet werden dürfen, selbst wenn die Betroffenen sie anscheinend in Kadavergehorsam hinnehmen.

Und nun kommen wir zu ihnen, lieber Tom. Kulanz! Sie fordern also Kulanz! Und argumentieren mit Neid. Man solle also Herrn Castorf in seiner Triebbefriedigung kulant entgegen kommen. Warum sich nicht mal vom Chef so richtig fertig machen lassen?! Wahrscheinlich soll man die Übergriffe des „Meisters“ auch noch genießen, nicht wahr?! Leben und arbeiten sie in solchen Verhältnissen? Haben sie schon ihren „Kulturdampfer“ mit den idealen Arbeitsbedingungen gefunden, wo sie turnusmäßig vor laufender Kamera zerlegt werden? Nein?! Nicht?! Dann bewerben sie sich doch beim Dschungelcamp. Dort sind solche „Tugenden“, eine solche Art von „Kulanz“ und „Entgegenkommen“ geradezu erwünscht. Vielleicht ist dort ihr idealer Platz.

An den Theatern gelten andere Regeln, die ihnen offensichtlich nicht vertraut sind.
Judith, Berlin: die Logik Kim Jongs
@ olaf 57
Ich finde es gut, wie kim jong un nord- und südkorea spaltet und damit eine dynamik in die geopolitische situation bringt. der rest wäre uneträgliche langeweile. möge uns kim jong uns nicht verloren gehen.

(merken sie, wie doof ihr argument ist. mal abgesehen davon, dass sie nicht einmal richtige bezüge setzen: möge uns diese nicht verloren gehen, schreiben sie, und beziehen sich damit eindeutig auf unerträgliche langeweile. hahaha.)

herzlich kju
Judith, Berlin: einer zittert
Einer findet seine idealen Bedingungen auf einem theatralen "Kulturdampfer" und einer zittert darum, dass ihn die auf ihn eingehenden Widerreden in seiner Reitpeitschenphantasie der von ihm (h)ausgemachten "SM-Kultur" halten mögen - bitte, liebe Redaktion, schickt dem Mann ein Pornoheft, sonst geht der uns hier noch für die Demokratie verloren!-
Mal zur VB-Judith aus dramaturgischer Sicht: - ach nein, ein andermal-

(Den Wunsch, die "Judith" wieder ins Zentrum der Diskussion zu rücken, gern auch "aus dramaturgischer Sicht", teilt die Redaktion und bittet die Diskutant*innen mithin, sich vom hinlänglich erörterten Sadismus-Vorwurf ab- und der Inszenierung zuzuwenden. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow)
Judith, Berlin: Was ist das Schisma des Irshu?
Was zum Beispiel, um den Ball von Christian Rakow aufzunehmen, ist denn nun dieses vermaledeite Schisma des Irshu? Das weiß ich noch immer nicht.
Judith, Berlin: Einvernehmen
Der Castorf sagt das er dem Schauspieler zum Fliegen verhelfen will.Der Schauspieler glaubt von sich aber das er das nicht kann.Darüber muss er als Spielmeister hinweghelfen mit dem Ziel das daraus dann etwas sehr besonderes entsteht.Das ist eine Beziehung im gegenseitigen Einvernehmen.Der Schauspieler hatte vorher oft Gelegenheit zu sehen das der Castorf Schauspieler zu besonderen Leistungeb führen kann.Das der Herr Baucks daraus eine sadistische Wixphantasie ableitet ist sehr herabwürdigend und beleidigend.Man kann doch einfach mal zur Kenntnis nehmen das niemand gezwungen wird an der Volksbühnezu arbeiten.

(Werte Diskutant*innen, bitte sehen Sie uns nach, wenn dies die letzte Veröffentlichung zum Thema "Probe und Sadismus" ist. Offen ist weiter die Frage zum Schisma des Irshu. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Judith, Berlin: wie in Bangladesch
Lieber Christian Rakow, lieber Wolfgang Behrens,

wenn ich mich gegen ein T-Shirt aus Bangladesch entscheide, dann nicht wegen der schlecht gezogenen Nähte, sondern, weil es unter unmenschlichen Bedingungen produziert wurde. - Und sie, Herr Kranzler, können mir gerne ein Pornoheft zusenden. Überlassen sie das bitte nicht den Redakteuren. Ich möchte zu gerne wissen, was sie für mich auswählen.

Ich schicke ihnen dann im Gegenzug den Text des Dramas „Judith“ von Hebbel. Dort können sie im zweiten Akt folgenden Satz der Figur der Judith lesen: „Sieh, keine vierzehn Jahr war ich alt, da ward ich dem Manasses zugeführt.“ Heute würde man wohl eher von einer Zwangsheirat sprechen. Im folgenden beschreibt sie den Verlauf ihrer Ehe. Dort steht nichts davon, dass ihr Mann ein „Schlappschwanz“ war. Im Gegenteil. Er erkannte in ihr eine Heilige und aus diesem Grund vollzog er nicht die Ehe an ihr, sondern verstarb. Man muss Hebbel natürlich in dieser so angelegten Biographie nicht folgen. Aber aus der Figur von diesem Punkt ausgehend eine sexuell frustrierte junge Frau zu machen, die sich aus Ermangelung echter Kerle, dem Holofernes in die Arme wirft, ist eine reine Männerphantasie.

Wenn man in der Konzeption schon mit solch kruden Frauenbildern arbeitet, ist es nicht verwunderlich, dass der Regisseur seine Hauptdarstellerin niederbrüllt. Das kann mannigfaltige Gründe haben. Wahrscheinlich stellt er im Moment der Brüllerei fest, dass seine Konzeption nicht aufgehen mag. Oder aber er selber liegt mit seiner Männerphantasie über die Figur „Judith“ so sehr daneben, dass er auch in seiner Darstellerin nichts anderes als ein „Mäusehirn“ erkennen kann. Eben eine Frauenfigur, die er auf Grund seiner Konzeption auf ihre sexuelle Frustration reduziert hat.

Diese Konzeption aber Hebbel zuzuschreiben, wenn man schreibt: „Judith, die apokryph biblische Heldin in Hebbels Tragödie, will begehrt und geliebt werden, aber es findet sich im frommen Bethulien kein Mann, der ihr gewachsen ist. Alles nur Feiglinge und Schlappschwänze.“ ist arg fahrlässig. Denn wenn sie dann das Stück wirklich einmal lesen, lieber Herr Kranzler, dann werden sie feststellen, dass die Figur „Judith“ ganz anders grundiert ist. Wie gesagt, in der Volksbühnenversion eine reine machohafte Männerphantasie.

Und da sind wir wieder beim entscheidenden Punkt, die Redaktion möchte zur Tagesordnung übergehen. Man möchte lieber die Qualität der Naht diskutieren, und nicht das ganze Paket, wie das T-Shirt aus Bangladesch produziert wurde.

Aber hierbei dreht man sich nur im Kreis, denn nach kürzester Zeit, wenn man die Nähten abgetastet hat, ist man schon wieder zwangsläufig beim Ganzen. Und für das gilt offensichtlich:

Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Es ist ein wenig so, wie in dem Stück „Eine Frage der Ehre.“ Zwar ist der General überführt, aber man ist sich nicht so ganz sicher, ob man ihn nun auch festnehmen sollte.

Wo sie dabei mein Zittern entdeckt haben wollen, Herr Kranzler, ist mir unklar. Wie machen sie das, meine physischen Regungen durch das Internet wahrzunehmen?

Wie dem auch immer sei, auch eine dramaturgische Untersuchung der Arbeit von Herrn Castorf, kann zu keinem anderem Ergebnis kommen.

(Der Punkt, werter Martin Baucks, ist hinreichend klar geworden. Alles Weitere nimmt sich als beharrliches Insistieren aus, das die Diskussion in die Endlosschleife bindet bzw. einnäht. Mit besten Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Judith, Berlin: vermutlich verhört, zum Schisma
Lieber Herr Behrens, ich konnte wegen des Ausfalls am letzten Samstag die Inszenierung nicht sehen. Vermute aber, dass Sie ich verhört haben. Castorf verwurstet immer wieder sehr viel religiöses Zeug in seinen Inszenierungen. Was ein Schisma ist, denke ich, werden Sie wissen. Also eine kirchliche Abspaltung. Das kann nun religiös gesehen, vieles bedeuten. Zur Zeit, in der das Stück spielt, hat es sicher jede Menge solcher religiösen Abspaltungen gegeben. Man benutzt den Terminus Schisma auch in Bezug auf Sekten. Vielleicht war von Osho (Bhagwan) die Rede, was ich nicht glaube. Interessant wird es, wenn Hanan-Ishu gemeint ist. Das ist ein christlicher Patriarch von Bagdad aus dem 8. Jahrhundert und Anhänger des Nestorianismus, einer Abspaltung der Ostkirche im 5. Jahrhundert. Die haben bis weit in den Osten hinein zu den Turkvölkern, nach Indien und China missioniert. Machen Sie sich einen Reim drauf.
Judith, Berlin: Belegstellen fürs Schisma
Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, mich nicht verhört zu haben (ausschließen kann ich es gleichwohl nicht). Allerdings findet man ja tatsächlich online Belegstellen für das "Schisma des Irshu", nur dass sie auf Portugiesisch sind und auch nicht vollständig verfügbar. Hier:
https://www.google.de/search?q=Schisma+des+IShu&ie=utf-8&oe=utf-8&gws_rd=cr&ei=zmKrVrCUL8qLsgG0yKnICw#q=%22Schisma+de+irshu%22&tbm=bks

Tja … !?
Judith, Berlin: Tauschangebot
Lieber Stefan B. - das ist doch mal eine dramaturgisch wertvolle Ansage! - ich bin begeistert am Reim machen!!

Lieber Herr Baucks, das verrate ich Ihnen nicht, wie ich das mache! Und ich tausche Pornos nicht gegen Hebbel, wären sie so freundlich, sich das zu merken? Ich würde Ihnen gegen ein Programmheft (analoge Version) einen Porno, unbesehen aus einer Grabbelkiste gezogen wie ein Los, schicken und gegen das Hebbel-Stück in der ältesten zu bekommenen Druckfassung (analog) meine eigene Judith-Analyse, könnte aber sein, dass das fast ein Roman wäre... Gilt der Handel?
Judith, Berlin: Zerstörer des Kults
Viel interessanter finde ich übrigens die Erwähnung von Heliogabal, dem spätrömischen Kaiser, der den syrischen Baalskult in Rom eingeführt hat. Das wäre ja auch so eine Abspaltung von der ursprünglichen Religion der Römer und Hinwendung zum Orientalismus, dem vermeintlichen Ende des Abendlandes. Artaud hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Heliogabal oder Der Anarchist auf dem Thron". In Bezug auf Artauds "Theater der Grausamkeit" als Kritik am abendländischen Theater macht das Sinn. Castorf sieht sich wohl als Zerstörer des Kults der Unterwerfung des Theaters unter den Text. So, jetzt kann Herr Baucks wieder übernehmen, der uns das sicher dramaturgisch untersuchen wird.
Judith, Berlin: esoterisch Portugiesisch
Scheint etwas Esoterisches aus der jüdischen Kabala zu sein. Ich kann allerdings auch kein Portugiesisch. Hier noch eine Fundstelle. Vielleicht kennt jemand den Linguistiker Jonas Negaalha. Der hat ein Buch drüber geschrieben.
https://www.google.de/?gws_rd=ssl#q=Reflexos+linguistic+del+schisma+de+Irshu+(Jonas+Negalha)
Judith, Berlin: Religions-Abspaltung
Ja, so macht das alles sehr viel Sinn für Castorf, die Bezugnahme auf Artaud und dessen Hintergründe. Auch weil es sich in dem Fall um eine Abspaltung in der Religion handelt, wovon man zur Zeit Nebukadnezars, dessen General Holofernes war, nicht reden kann, ohne geschichtsignorant rückwärtig eine Religion zur Hauptreligion einfach zu bestimmen... - Nochmal danke, Herr B. - Und dann ist ja auch eine Hebbel-Judith-Kritik enthalten - das söhnte mich auch mit einem Castorf'schen Anfall schlimmeren Ausmaßes, als dem, das Herrn Baucks so erregt, aus!
Judith, Berlin: Heliogabels Spermawiege
Lieber Stefan B.,

Heliogabel beginnt wie folgt, ich lese es ihnen gerne aus meiner reichhaltigen Bibliothek vor:

Kapitel I

Die Spermawiege

„Pulsiert um den Leichnam Heliogabels, der ohne Grab endete, abgeschlachtet von seiner Polizei in den Latrinen seines Palastes, ein mächtiger Strom von Blut und Exkrementen, so pulsiert um seine Wiege ein mächtiger Strom von Sperma. Heliogabal wird in einer Zeit geboren, wo jeder mit jedem schlief; und man wird nie erfahren, wo und von wem seine Mutter wirklich geschwängert worden ist. Für ihn als syrischen Fürsten gibt die Abkunft mütterlicherseits den Ausschlag, - ...“

Ich will ja nicht zimperlich sein, aber schon wieder sitzen wir in der Pornofalle. Sie haben anscheinend ein Talent für solche Exkurse. Aber nur weil das Wort „syrisch“ vorkommt, ist da noch kein besonderer Bezug zum Heute, noch zu „Judith“.

Und nun dürfen sie wieder übernehmen. Selbstverständlich muss sich Castorf dem Text nicht unterordnen. Aber man darf ebenso selbstverständlich kritisch untersuchen, was für Texte er so aufwirft und wie er sich als Person dazu verhält.

Aber dies tat ich ja schon.

Lieber Kranzler, meine älteste Hebbel Ausgabe "Judith" ist von 1910 und wurde in Berlin gedruckt. Wenn sie ihnen hilft, überlasse ich sie ihnen für eine Kurzfassung ihrer Interpretation, falls sie sinnfällig ist und nicht mit einer "Spermawiege" beginnt.
Judith, Berlin: was Orientalisches
Bei Irshu könnte es sich auch um Orus (oder auch Horus) handeln. Der Sohn der Isis und des Osiris wird mit Jesus verglichen. Irshu, prince of the Palis, traced to Orus, called Pingasa: https://books.google.de/books?id=c_qGYEbhifMC&pg=PA98&lpg=PA98&dq=Irshu,+prince+of+the+Palis,+legend+of+III.+316;+traced+to+Orus,+321;+called+Pingasa&source=bl&ots=SRkTSVJ1WE&sig=w5-CRcMkQUJo4tWnTkmf9thY_PQ&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiH5dClzs_KAhVC7w4KHdoBCRIQ6AEIHDAA#v=onepage&q=Irshu%2C%20prince%20of%20the%20Palis%2C%20legend%20of%20III.%20316%3B%20traced%20to%20Orus%2C%20321%3B%20called%20Pingasa&f=false
Es ist auf jeden Fall was Orientalisches. Jesus ist eine Figur die ja auch im Koran eine nicht unerhebliche Rolle spielt.
Judith, Berlin: Überfluss, der sich dem Zufall anbietet
Ja, is okay. Ich habe noch nie einen Text mit "Spermawiege" begonnen und schätze an Artaud vor allem die Texte, die er den Intendanten über die er sich geärgert hat, geschickt hatte. Ob in meiner Interpretation Sinn fällig wird/ist, weiß ich nicht zu garantieren, aber es dürfte mit einer etwa 75%en Sicherheit so irgendwie der Fall sein. Ich werde mich um Kürze bemühen und mich auf ungefähr 10 Seiten beschränken. Wäre das annehmbar für Hebbel 1910/Berlin? Ob der mir bei voraussehbaren Sachen hilft, ist mir dabei so was von gleich, die Wahrscheinlichkeit ist eher gering. Meine Erfahrung ist aber, dass Überfluss in jeder Hinsicht zu ganz überraschenden Ergebnissen führen kann, wenn er sich dem Zufall anbietet...
Judith, Berlin: aus dem Indischen
"Schisma de Irshu" (auf Deutsch: Schisma von/aus Irshu) kommt aus dem Indischen, es ist ein okkulte These über Gott als das ewige Licht, aus dem alles besteht. Und als die ewige innere Wahrheit.Das Zentrum des Lichtes, das Innerste. Es ist verwandt mit der Kabbala, aber nur in dem Sinne, daß in der Kabbala all dies der jüdischen Glaubenslehre steht, das "mündlich" überliefert wurde und keinen aufgeschriebenen Beweis (wie in der Thora ) liefern konnte. Also die magischen Legenden. All die magischen Sachen, wenn man auch will, das, was man heute vielleicht als Esoterik beschreibt. Anscheinend wurde das Schisma von Irshu, das heißt einfach, der Glaubenssatz von Irshu oder aus Irshu, vor circa 5500 Jahren in die Kabbala übernommen, bzw ist dort aufgetaucht.
Judith, Berlin: Quellen
Und für sie, lieber Herr Behrens, nehmen sie die Ausgabe von Artaud´s „Heliogabal“ (übrigens mit „a“ am Ende) zur Hand, erschienen bei Rogner&Bernhard. Dort finden sie unter dem Anhang I einige Ausführungen zum „Schisma des Irshu“.

Eine weitere Quelle wäre Antoine Fabre d` Olivet aus dem Text „De l`Etat soziale de l`homme ou Vues philosopiques sur L´Histoire du genre humain.“ (1822)

Und teilen sie uns doch dann bitte ihre Erkenntnisse hier mit, in welchem Zusammenhang das „Schisma des Irshu“ zu der Inszenierung von Herrn Castorf steht.
Judith, Berlin: zur Text-Komposition
Ein paar Anmerkungen, was da überhaupt gespielt wird (weil die meisten das Stück bisher wohl noch nicht sehen konnten): Der Text der Aufführung besteht alternierend aus Judith von Hebbel (fast ungekürzt), und "Heliogabal" von Artaud- auch das fast zur Gänze. (Ich habe den Artaud nicht da, aber ich denke nicht, dass das Schisma des Irshu von irgendwo anders kommt). Dazu kommt gegen Ende - ganz antagonistisch und schwarz- eine Chorpassage mit einem Text von Jean Baudrillard, "Die Stadt und der Hass". Falls es noch weitere Einsprengsel gibt, habe ich sie nicht erkannt,sie sind aber jedenfalls nicht von Gewicht gegenüber diesen bestimmenden Blöcken. Diese wiederum beziehen sich inhaltlich ganz stringent aufeinander.

"Judith" mordet bei Hebbel aus Entsetzen über sich selbst: was sie für ihre Liebe zu Volk und Gott gehalten hat,erkennt sie entsetzt als ungestilltes sexuelles Verlangen. (Auch wenn der Gedanke Herrn Baucks Anstandsgefühl verletzt- er ist da nicht allein! Das Stück war schon 1850, lange vor Freud!, ein Schocker). Judith ist bereit als letzte Rettung für ihr Volk den feindlichen Anführer Holofernes zu verführen und zu enthaupten. Soweit die Bibel. Nun Hebbel: weil Judiths Mann Menasses die Ehe mit ihr niemals vollzogen hat ("Ich kann ja nicht! rief er, ich kann nicht!") - warum, das eben weiß Judith nicht und es quält sie, sie hält sich deshalb für wertlos, wird Judith in ihrer ersten Nacht mit Holofernes von sexueller Lust überwältigt. Ihr eigener Körper läuft zum Feind über- und Holofernes bemerkt das. Sie tötet ihn, nicht aus Patriotismus, sondern weil sie es nicht ertragen könnte, den Zeuge ihrer Demütigung am Leben zu lassen.

Dass dieses Thema hochaktuell ist, ist offensichtlich: es ist eine von vielen Geschichten aus der Bibel, in denen vom archaischen Zusammenhang von Sex, Gewalt und auserwähltem Volk erzählt wird. Das Bild eines hochgehaltenen, noch blutenden abgeschlagenen Kopfes kommt noch dazu- Gemälde der nackten Judith mit dem Kopf des Holofernes waren durch die Jahrhunderte in Abertausenden Schlafzimmern zu sehen. Judith ist eine Heldin unserer jüdisch-christlichen Bilderwelt- und eine Ikone feministischer Mädchen- und an die Ähnlichkeit der Bilder erinnert zu werden ist schockierend.

"Heliogabal" schließt in vieler Hinsicht an Judith an. Ein ganz naiver Märchenanschluss ist der, dass Judith am Ende von Hebbels Stück möglicher Weise von Holofernes schwanger ist. Heliogabal wiederum kam aus Syrien und wird in verschiedenen Texten als Sohn einer Hure beschrieben. Ungefähr dieselbe Zeit, derselbe Ort- man denkt: könnte dieser wilde anarchistische Mensch auf dem römischen Kaiserthron vielleicht der Sohn aus dieser entsetzlichen Begegnung zwischen Judith und Holofernes gewesen sein?

Zwischen der Entstehung der beiden Texte liegen 80 Jahre, der langsame Tod Gottes, der erste Weltkrieg. Beide beschäftigen sich mit Glaubenskriegen und bei beiden erweist sich der Kampf der Geschlechter als eigentlicher Ursprung des Krieges. Aber was bei Hebbel noch Entlarven von Lüge und Scheinheiligkeit ist, das enthält bei Artaud auch den Kern der surrealistischen Erlösungshoffnung: dass nämlich Sexkampf, mit allen Mitteln geführt und furchtlos durch alle Gräuel hindurch, schließlich zur Versöhnung in zukünftigen androgynen Wesen führen könne- hier Heliogabal selbst.

Für Castorf/sein Team und alle Altlinken waren und sind das ebenfalls zwei wichtige Theorieblöcke, die einander oft widersprechen:(siehe nächster Kommentar)
Judith, Berlin: Verzweiflung fehlt, Ekstasepraxis muss her
Forts:
Die eine Theorie: die Lust, Feinde zu töten, und Sex seien ein und diesselbe Lust (Inzwischen neurochemisch bestätigt: nach befriedigendem Sex wird Oxytocin ausgeschüttet- das bewirkt: Zärtlichkeit, Bindungsbereitschaft, Mitgefühl mit den Armen- und erhöht gleichzeitig die Fremdenfeindlichkeit und die Aggression gegen Feinde).
Der zweite Block: die Hoffnung auf die subversive Kraft sexueller Befreiung. Make Sex not war! Den Westen ficken brächte, radikal genug betrieben, nicht den Tod sondern den Frieden.
Die Schauspieler diskutieren also zwei Arten der möglichen Selbsterkenntnis über Sex und Krieg: als Judithfiguren :"du glaubst, du kämpfst für das Gute/die Befreiung/gegen Willkür und Unterdrückung- und dann erkennst du: tief im Inneren folgst du nur deiner eigenen Gier. Alles andere hast du dir nur vorgelogen." Artaud/Surrealismus: "Alle Kämpfe, die mit Sex und Gier und allen denkbaren Perversionen zu tun haben, müssen ausgetragen werden, wenigstens symbolisch- das wird zur Befreiung führen und zum Ende von Krieg und Gewalt."

Als Schauspiel funktioniert dieses Gegeneinanderstellen der beiden Theorieblöcke leider schlecht. Früher ging dieses Zusammenwerfen von kontroversen Texten inmitten eines Stückskeletts bei Castorf oft gut, es entstand dann soetwas wie ein großer Körper, dessen Organe die Suchbewegungen der Schauspieler zu sein schienen, und dieser Körper hatte eine eigene Psychologie, handelte nach einer eigenen Logik, und schien dem dringenden Bedürfnis zu folgen, etwas auszudrücken, das sich nicht besser ausdrücken ließ, als durch das, was sie die Schauspieler gerade taten. Bei "Karamasow" ist das wieder so. Hier bei Judith nicht. Die Zusammenstellung der Texte ist sehr klar und trotzdem wirkt es so, als seien sie nicht das Problem der Menschen auf der Bühne. (Und das macht einen Ausraster des Regisseurs auf der Generalprobe nochmal "normaler": da war es Matthei am Letzten und es funktioniert nicht. )
Was fehlt, ist die Verzweiflung. Denn wer kann das noch glauben mit der subversiven Kraft des Sex, die ganz allein den Krieg beenden soll? Artaud war völlig verrückt, als er den Text schrieb, er bezieht seine Überzeugung aus der Chemie des Irrsinns, dem kann nur folgen,wenn man sich in ebenfalls irgendeiner Ekstasepraxis bedient (da wollte Castorf von den Schauspielern, dass sie "fliegen") -Aber nach dem Faschismus kann man nicht mehr wirklich glauben, dass ein bloßes Offenlegen der Abgründe, und sei es auch nur symbolisch, wirklich friedensstiftend sein könnte. - und im Stück kommt dann auch der Baudrillardtext. Der ist wirklich schwarz, hoffnungslos- und, Herr Baucks: da ist auch Schluss mit dem altmodischen Sex und Sperma. Die Mitglieder des Chors sprechen in dieser Phase der Aufführung so, als sei es ihr Eigenes, da werden die Gedanken endlich "bühnenwirksam".
Aber dann wird es Castorf (dem Dramaturgen)zu unerträglich nihilistisch- (es ist auch hart!). Und es kommt ein Ende, damit die Kinder schlafen können: der böse Holofernes zieht sich nach dem Beischlaf mit Judith noch einen üblen Porno rein. Und die Dienerin Mirza ist so angewidert von diesem Machoschweinsein, dass sie in einer Heiner Müller Text ausbrechen kann: "wer sagt dass Sklaven keine Heimat haben?"- und nun hat sie doch wieder eine: die Revolution! Wäre Holofernes/Castorf nicht so böse gewesen... Aber das ist ein zu billiger Trick. (Und da wo unbedingt animalische Anziehung sein sollte, tritt ein Kamel auf- das ist natürlich lustig, und das Kamel IST animalisch anziehend- aber insgesamt ist das alles besser gedacht als umgesetzt. Und das, was gedacht ist, lässt wenig Spielraum für Hoffnung- was vielleicht wiederum der Grund ist, warum die Schauspieler so einen leeren Überdruck produzieren müssen: weil es kein gemeinsames Ziel mehr gibt, nicht einmal mehr einen gemeinsamen Feind.
Judith, Berlin: mit Artaud überspielt
Mensch, Frau Walfisch - tolle Interpretation! - Mich stört trotzdem, dass immer alle Hebbel ungeschoren lassen mit der seinen (wie oft heute auch bei seiner Magdalena). Einfach ausnocken durch Artaud und Artaud durch Castorf mit philosophischem Beistand ist eben doch vielleicht zu kopflastig?. Bloß weil das damals ein Schocker war, sollte man doch vielleicht nicht verabsäumen, eine Gesellschaft mit zu spielen, die dadurch geschockt werden konnte und einen Dramatiker, der also unbedingt der legendären Judith - wo er für die Figur doch frei entscheiden kann! - eine nichtvollzogene Ehe unterschieben möchte, damit die - zur Kopflosigkeit führende - sexuelle Überwältigung von der eigenen Hingabe stimmig wird... Der Schritt wird ausgelassen, sondern via Artaud überspielt durch Castorf und seine Leute offenbar - und da sperrt sich natürlich in denen was, weil das ja heutige Leute sind - denk ich mir - Und eine Frage, weil wir hier nach den anfänglich pornösen Pubertierereien endlich zum erfreulichen Quellenaustausch kommen: haben Sie eine Quelle dafür, dass die Judith-Gemälde-Repros massenhaft in Schlafzimmern gehangen hätten?? Weiß man, in welchen Schlafzimmern genau?? Das ist soziologisch sehr interessant!
Judith, Berlin: kritische Würdigung
(@Gretel Walfisch)

(...)

Judith ist, folgt man Hebbel, gerade einmal siebzehn oder achtzehn Jahre alt und Witwe und Jungfrau, wenn sie das Zelt des Holofernes betritt. Und ihre Motivlage zur Ermordung ist tatsächlich eine andere, wenn sie das Zelt betritt, als zu dem Zeitpunkt, wenn sie es wieder verlässt. Sie erlebt, wie sie eben doch nicht kalt und emotional unbeteiligt bleibt. Das ist wahr. Ich meinte lediglich, dass man sie nicht auf das schlichte Maß der sexuellen Frustration reduzieren sollte, nicht, dass es dieses Motiv überhaupt nicht gibt. Ich sage einfach nur, der Vorgang ist etwas komplexer, die Motivlage vielschichtiger. Das ist alles.

Sehr schön beschreiben sie, wie es möglich wurde, dass die Konzeption im Vorgang der Realisation scheiterte. Sein persönliches Versagen, dann öffentlich an die Darsteller weiterzureichen, ist mehr als unschön.

Wissen sie, es ist nicht so schwer Themenblöcke zu erfinden, sagen wir mal D´Annunzio mit der Salome zu verschneiden. Es kommt auf die Umsetzung an.

Und haben sie sich schon einmal gefragt, ob solche Überforderungen wirklich noch gebraucht werden? Stellen sie auch einmal solch eine Art von fragwürdigen Höchstleistungen in Frage?

Und müsste man eine solche Tat von Judith nicht auch einmal kritisch würdigen?

Wenn hier schon Kritiker das Problem haben das Schisma des Irshu, was immer noch nicht geschehen ist, richtig einzuordnen, wie sieht es dann wohl bei dem gesamten Konglomerat aus?

Und letztendlich geht es immer noch darum, einen öffentlich Übergriff anzuerkennen und sich einzugestehen, dass so etwas nicht folgenlos bleiben darf. Danach kann man dann immer noch über das Schisma debattieren. Aber auch da wird wenig Erfreuliches bei herauskommen, da es sich um einen Prinzipienstreit handelte, der blutig ausgetragen wurde. Ein Streit darum, verkürzt gesagt, ob das Männliche oder das Weibliche Prinzip vorherrschen soll. Das Männliche soll gesiegt haben. Wie das bei Castorf aussieht, konnten wir besichtigen.

(...)
Judith, Berlin: Angst vor der weiblichen Lust
@ Kranzler: Ach, das ist doch ganz einfach. Diese Bilder hingen/hängen wahrscheinlich in Schlafzimmern von mächtigen Männern, welche auch endlich mal Opfer sein wollen - klassisches Sadomaso-Dings übrigens, wie ich mal hörte. Bis heute gibt es viele öffentlich mächtige Männer, die sich privat von Dominas in Windeln legen und auspeitschen lassen, so hilflos wie ein kleiner Säugling. Alice Miller hat das wunderbar treffend beschrieben. Nur so können sie ihre Hilflosigkeit spüren und doch die Paschas bleiben, denn gekaufter Sex oder Pornos bedrohen sie nicht in ihrer Persönlichkeit. Nur eine Frau, welche sie wirklich lieben würde, würde das tun. Seit der Emanzipation der Frau in den 70ern des 20. Jahrhunderts wähnen sie sich als Opfer der weiblichen Lust, vor der sie irgendwie auch Angst haben. Folglich steht der abgeschlagene Kopf dann auch dafür, dass sie sich als rational denkend und sich selbst kontrollierend wahrnehmende Männer beim Sex eben nicht mehr unter Kontrolle haben. Ebenso wenig wie Judith. Das bedroht ihre weltliche Macht, aber eben leider nur kurzzeitig. Sobald sie mit einer Frau geschlafen haben, reden/brüllen sie weiter wie die sich ihrer rationalen Führung sicher wähnenden Blödhammel.
Judith, Berlin: Castorfs Gestus der Rebellion
Mensch, Herr Baucks, da traut man sich ja überhaupt nichts mehr schreiben, wenn Sie sich in kleinste Details mit einem „schön, dass Sie beschreiben, wie alles scheitert!“ verbeißen. Für mich ist da nichts schön dran. Die Bilder und – wie man ein bisschen großspurig sagt: Bedeutungsräume, die hier aufgerufen wurden- haben sich für mich zu einem sehr einleuchtenden Ganzen gefügt, das ziemlich genau den Denkbewegungen in meiner eigenem Leben entspricht. Ich bin froh, dass es das gibt, ich bin nämlich weder Charlie, noch das Volk, noch Paris, war weder von kollektiver Liebe ergriffen noch von Wut- und sooo froh, dass es sie noch gibt, die Volksbühne: denn ich war: Judith! (in den 80ern), ich war Artaud! (in den 90-ern), ich bin vielleicht jetzt Baudrillard (das ist nichts Gutes, was er beschreibt, das sind Vereinzelte, rechter Abschaum im Prinzip), hauptsächlich ratlos. Castorftheater hat immer über einen kollektiven Gestus der Rebellion funktioniert, selbst wenn es eine „without a cause“ war. Wenn das bei Judith fehlt, liegt das wohl nicht an „künstlerischem Versagen“. Ich hätte aber gehofft, dass sie es schaffen, die Ratlosigkeit in eine Form zu bringen, die, wie früher die Rebellion, eine Verbindung zwischen den Zuschauern herstellt, der Vereinzelung entgegentritt – dass das nicht gelungen ist, finde ich alles andere als schön.
Judith, Berlin: Das Schisma des Castorf
Wissen sie, liebe Gretel Walfisch, sie haben ein persönliches Verhältnis zu der Arbeit von Frank Castorf, das sollte ihnen niemand nehmen wollen. Mein Verständnis von Theater ist breiter aufgestellt. Ich lasse mich nicht auf ein Idol zuspitzen, und schon gar nicht, wenn es so sehr fehlt.

Am Wochenende sah ich eine schöne Aufführung im Renaissance Theater, die ihre Berechtigung hat und deren Hauptdarstellerin Anika Mauer mich zum Ende hin wirklich berühren konnte. Natürlich traf sich dort das alte Insel-Publikum aus Westberlin und es gab standing ovations zum Schluss. Ich habe mich davon mitnehmen lassen. Es war ein wenig, wie eine Zeitreise.

Ganz anders war es bei „Fear“ von Falk Richter. Aber auch da habe ich mich über lange Strecken an die Hand nehmen lassen. Die Dekade Castorf geht zu Ende. Und dafür gibt es Gründe. Er spuckt auf alles. Das hat er in der DDR gelernt. Und er will sich bis zu seinem Tod nicht weiter entwickeln. So etwas gibt er offen zu. Keine Weiterentwicklung meinerseits, sagt Frank Castorf. Da versteht es sich von selbst, dass auch er irgendwann gehen muss, wie all die anderen Spielweisen auf der Bühne, die er meinte Verunmöglichen zu müssen.

Für jeden kommt bei Zeiten der „Payday“. Da zahlt man dann für seine Verfehlungen, für eine Haltung, die meint, an ihr scheiden sich alle. Auch das Schisma des Frank Castorf findet sein Ende und neu Formen werden folgen, wenn sie nicht schon längst andernorts lebendig sind.
Judith, Berlin: Hopfen und Malz
@82: "Und dafür gibt es Gründe." Welche denn? Zu wenig marktgängig? Zu viel Kunst? Zu wenig touristisch?

Mich interessiert diese Haltung "Keine Weiterentwicklung" sehr, wenn sie derart strahlkräftig ist wie die von Castorf/Neumann/Haus. Es ist eine Frage der Relativbewegung: Keine Weiterentwicklung kann die stärkste Weiterentwicklung sein. Dialektik ist nicht jedermanns Sache, Mehrdeutigkeit auch nicht. Sperma mit Porno kurzzuschließen ist schon bedenklich flach gedacht. Hopfen und Malz ...
Judith, Berlin: Dialektik?
Lieber „Dont feed the baucks“,

zwei Dinge gehen überhaupt nicht zusammen, Dialekt und künstlerische Stagnation. Letzteres ist bei Castorf der Fall. Baudrillard stellt zu recht die Frage: Was tun nach der Orgie? Und er antwortet darauf: Heute können wir die Orgie und die Befreiung nurmehr simulieren, so tun, als bewegten wir uns weiterhin immer schneller in diese Richtung, während wir in Wirklichkeit leer durchdrehen...

Dieses „leer durchdehen“ führt zu Stagnation und Nihilismus. Zu einem Nihilismus, den Castorf in „einer gewissen schicksalhaften Gleichgültigkeit weiterproduzieren muss“, um nochmals Baudrillard aufzugreifen.

Welche Dialektik erkennen sie in einem solchen Zustand?!
Judith, Berlin: nicht nur das Schisma des Irshu
So, ich habe mir nun auf Anregung von Martin Baucks und Gretel Walfisch tatsächlich Artauds "Heliogabal" besorgt und bekenne meine Niederlage ein. Nicht nur das Schisma des Irshu wird dort expliziert – wie es Baucks ja schon belegt hat –, auch die Stellen, die ich als Lukian bwz. als "die eine oder andere esoterische Quelle" identifiziert habe, stammen samt und sonders aus dem Artaud-Text (wobei dieser auf Lukian und wohl auch auf die eine oder andere esoterische Quelle zurückgreift). Baucks' Frage indes, "in welchem Zusammenhang das 'Schisma des Irshu' zu der Inszenierung von Herrn Castorf steht", vermag ich auch mit dieser neuen Erkenntnis nicht zu beantworten. Die hermeneutischen Anstrengungen von Gretel Walfisch haben sicher ihre Berechtigung, ein schlagender Satz in ihren Überlegungen bleibt jedoch: "Als Schauspiel funktioniert dieses Gegeneinanderstellen der beiden Theorieblöcke leider schlecht."
Judith, Berlin: Rätsel über Rätsel
Lieber Wolfgang Behrens,

jetzt kann man sich natürlich die Frage stellen: Endet die Debatte hier oder fängt sie gerade erst an?

Gretel Walfisch meint Heliogabal könnte das Kind der Judith sein. Mal abgesehen davon, dass circa dreihundert Jahre zwischen ihnen liegen, ist dies unwahrscheinlich und Artaud wäre wahrscheinlich der erste der Frau Walfisch widerspräche, denn er stellt gleich eingangs fest, dass der Vater des Heliogabal nicht genannt werden kann, da er zu einer Zeit gezeugte wurde, wo jeder mit jedem schlief.

Ob Heliogabal als Nachfahre des Holofernes im übertragenen Sinne geeignet wäre, bleibt zweifelhaft, denn Holofernes hätte sicherlich seinen „Prätorianern“ niemals einen homosexuellen Tänzer vorausgeschickt, der vor ihnen hertänzelt. Geht man allerdings davon aus, dass das Böse in den Genen liegt, könnte eine solche Erbfolge sinnbildlich wahrscheinlich sein.

Was spricht jedoch dagegen, dass Judith ihr Kind in Bethulien aufzieht und er dort zu einem anständigen Menschen heranwächst? Castorf will einen stets zum Selbstzweck auf den Weg des schlimmsten anzunehmenden Falls lenken.

Nun denn. Ebenso ist es natürlich so, dass man sagen könnte, Judith schlüpft in die Rolle des Moses und rettet das jüdische Volk vor den Assyrern. Ob sie dabei im Moment des Mordes tatsächlich dachte, „Oh, mein Körper läuft zum Feind über und dies ist eine narzisstische Verletzung die ich nicht hinnehmen kann, deshalb töte ich ihn jetzt.“, wer vermag es zu sagen, wer hielt das Licht dabei. Sicherlich durchlebte ihre Motivation eine Metamorphose. Ob die allerdings eine feministische Ausrichtung hatte, darüber möchte ich nicht entscheiden.

Transponiert ins heute ist natürlich viel denkbar. Eines will mir jedoch nicht in den Kopf. Wenn eine Jüdin in einer aussichtslosen Lage ca. 100 Jahre vor Christi ihre Festung, ihr Massada verlässt, um denn Kopf der Feinde, der Assyrer zu töten, wie wird sie dann in einer heutigen Interprätation zu einer Art Isiskämpferin, die den Westen „fickt“?

Ist Wuttke, mit seinem seltsamen Pferdeschwanz, denn nun tatsächlich das Abbild des Westens? Oder wie habe ich mir das vorzustellen? Beide solidarisieren sich miteinander und ziehen gemeinsam gen Westen, um dort Gucci zu kopulieren?

Rätsel über Rätsel.
Judith, Berlin: viel früher
Pardon, der zeitliche Abstand zwischen Judith und Heliogabal ist wesentlich größer. Verfasst wurde der Text wahrscheinlich cica hundert vor Christi.
Judith, Berlin: zu klug
mir fast wird nur noch komisch ums zwerchfell,wenn ich die gesalbten widerlegungen seinerseits lesen darf.
in meiner schulzeit,in den 70/80'er,im westdeutschland,wäre er genau so gesehen worden,wie teilweise hier.
ein mensch der immer noch was gegensetzten möchte und kann!!!
doch verfangen als einzelkämpfer in der eigenen auslegung.
von den lehrern hochgelobt,von den mitschülern bestenfalls ignoriert.


er ist zu klug für diese welt,
er muss sich seine eigene erfinden.
fremde gefühle haben bei ihm kein platz.
es kann nur einen geben. ;-)
Judith, Berlin: Wer jetzt?
@ x

liebe/r x ,
haben sie herrn castorf oder herrn baucks gemeint?
Judith, Berlin: Wettstreit
Bis zur Pause funktioniert der Abend ganz gut, vermögen es doch Wuttke und Minichmayr, die widerstrebenden Weltprinzipien zu verkörpern. Wuttke ist das Männliche, das Patriarchat, der Unterdrücker, Minichmayr das Weibliche, Dienende, Unterdrückte. Doch ist da eben kein reines Gut-Böse-Schema. Nein, Wuttke findet wenig Helles in seiner Figur, Minichmayr dafür so manch Finsteres in der ihren. Am Ende stehen zwei Machtprinzipien einander gegenüber, wobei Macht stets an erster Stelle steht. Archaisierend, paralytisch ist die düstere Atmosphäre, die das leidenschaftliche und doch monotone Deklamieren, die karge Bühnenlandschaft, der wabernde Nebel und das fahle Licht schaffen. Im Kern ist die Welt kein farbenfrohes Spiel, sondern ein Wettstreit um die Herrschaft über das Leben, die stets vor allem Herrschaft über den Tod meint. So gibt es am Ende auch keinen Gewinner: Gerade hat Judith Holofernes gemeuchelt, trägt seinen Kopf unter dem Arm (mit dem letzterer schon zu Beginn Fußball spielte), tritt in einen Raum und da sitzt er. Martin Wuttke, in Gold gewandet, aasig grinsend. Das Männliche und weibliche bedingen einander, spielen sie doch das gleiche Spiel. Kein Gut ohne Böse, kein Hell ohne Dunkel, da ist es denn auch egal, wer wofür steht. So weit, so stringent.

Allerdings hätte Frank Castorf diesmal gut daran getan, nach zweieinhalb Stunden Schluss zu machen. Die zweite Hälfte gerät zum Offenbarungseid des Castorfschen Theaters. Da wimmelt es nur von Versatzstücken. Ein Schleef-artiger Chor tritt auf und zerfällt doch gleich wieder, wenn er in einer ausufernden Partyszene unendlich lang über Hass und Krieg und was auch immer debattiert. Wollte jemand Castorfs Theater parodieren, er müsste nur diese Szene übernehmen. Judith und Holofernes kommen erst spät dazu, sie haben längst ihr Pulver verschossen und ergehen sich über weite Strecken in grotesk-surrealer Farce. Im Rang sitzen Henry-Hübchen-Puppen (Selbstreferenzialität darf natürlich nicht fehlen), ein echtes Kamel tritt auf und doch ist das wenig mehr als zweistündiges Zeitschinden, da hilft auch die gelungene Schlussszene wenig. Wo Castorf vor der Pause eine durchaus gelungene Essenz seines Theaters schafft, es zu ungeahnter atmosphärischer Dichte konzentriert, da löst es sich in der zweiten Hälfte in seine Bestandteile auf. Behauptet es zunächst seine Relevanz, macht es sich später obsolet. Das ist der vielleicht spannendste Dualismus dieses Abends.

Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2016/03/05/die-zweiheit-der-theater-welt/
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