Mythologie der Schwarzen Frau

28. April 2024. Eine Reise durch Jahrhunderte und Erinnerungsschichten: in Dortmund hat Miriam Ibrahim den Romanstoff von Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo auf die Bühne gebracht. Als Theaterfest.

Von Karin E. Yeşilada

"Adas Raum" von Sharon Dodua Otoo am Theater Dortmund © Birgit Hupfeld

28. April 2024. Dass auch außerhalb der Berliner Bubble ein Hotspot Schwarzen deutschen Theaters entsteht, hätte in Dortmund noch vor ein paar Jahren niemand geglaubt. Doch Intendantin Julia Wissert hat es geschafft: Soviel dynamische Diversität, soviel Schwarze deutsche Bühnen- und Diskurskultur, so junges, diverses Publikum macht das Theater Dortmund – pardon Düsseldorf und Berlin – richtig sexy. Jetzt brachte Miriam Ibrahim hier Sharon Dodua Otoos ebenso vielschichtigen, wie komplex strukturierten und ungemein vielstimmigen Romanstoff "Adas Raum" heraus.

Miriam Ibrahim ist versiert in der Inszenierung zentraler Texte Schwarzer deutscher Literatur, und sie überzeugt. 2021 hatte sie Olivia Wenzels "1000 Serpentinen Angst" in Hannover auf die Bühne gebracht. Demnächst kommt am Münchner Residenztheater ihr in Zusammenarbeit mit Julienne De Muirier entstandenes Stück über die Dichterin May Ayim heraus. Schwarzes deutsches Theater wächst und vibriert. Mit der Inszenierung von Sharon Dodua Otoos gefeiertem Roman "Adas Raum" kommt nun eine weitere Erfolgsproduktion dazu.

Von Diskursen durchwoben

Dabei ist der dichte, hochkomplexe und poetische Text der Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin eigentlich ein dramaturgischer Alptraum: Kaum stringente Handlungslinien, dazu Zeitsprünge und eine Polyphonie von Stimmen, die aus Menschenkörpern oder -seelen oder aus Gegenständen sprechen. Es verweben sich Gender-Diskurse mit postkolonialen Diskursen, mit Erinnerungsdiskursen der Shoa, mit gegenwärtigen Berlin-Diskursen zu einer Zeiten durchwirkenden Mythologie der Schwarzen Frau.

Dieses hohe Maß an Abstraktion verlangt nicht nur dem Lese-, sondern auch dem Theaterpublikum einiges an Konzentration ab. Ada ist mehr Konzept als konkrete Figur; sie ist das Leitmotiv der Geschichte der Frau durch die Jahrhunderte. Sie wird immer wieder geboren und stirbt, sie wird ermordet und sie wechselt vom Körper zum Gegenstand zur Erinnerungsstimme. Ada ist eine afrikanische Mutter, deren Kind totgeboren wird, ist verschleppte Sklavin, noch bevor die Portugiesen das spätere Ghana erobern.

Die Adas der verschiedenen Zeit- und Gedächtnisschichten: Linda Elsner, Beatrice Masala, Nika Mišković, Lucia Peraza Rios  © Birgit Hupfeld

Dann wieder ist Ada eine Lady, die im England des 19. Jahrhunderts gegen die Konkurrenz der Männer Pionierforschung in der Informatik leistet. Als Gefangene im deutschen Konzentrationslager wird sie gegen Kriegsende zur Prostitution gezwungen. Und im heutigen Berlin findet die hochschwangere Ada keine Wohnung. Alle diese Adas sind präsent und sprechen zu uns. Jasco Viefhues hat die nicht leichte Aufgabe dramaturgisch gut gelöst. Zu Beginn erläutert uns eine Erzählerin-Ada das Konzept kurz, so dass wir anschließend folgen können.

Die Farbe Türkis

Es läge nahe, die verschiedenen Zeitstränge jeweils spezifisch zu besetzen und auszustatten, sich an den wenigen Handlungsszenen entlang zu hangeln oder gar afrikanische Topografien zu typisieren. Doch Miriam Ibrahim umgeht solche Fallstricke des "Race Doings" und entwickelt, ähnlich Sharon Dodua Otoo, eine andere Ästhetik. Das Konzept der Vielstimmigkeit im Roman wird optisch umgekehrt, indem die von sechs Schauspieler*innen verkörperten Adas alle gleich erscheinen.

Gekleidet sind sie in übergroße, hellgemusterte Mantelkleider (bestehend aus knöpfbaren, weiten Röcken und Kapuzenoberteilen), unter denen schlichte, türkisblaue Kleider- und Hosen-Blusen-Ensembles stecken (Kostüme: Gianna-Sophia Weise)."Entkernt" in Türkis wirken die Schauspieler*innen handfest, als glaubbare Körper. Die äußere Hülle der Mantelkleider fungiert dagegen als abstrakte, aber dynamische und wandelbare Hülle der vielfach beschriebenen Ada-Körper.

In den klug erdachten Kostümen von Gianna-Sophia Weise: Lucia Peraza Rios und Linda Elsner © Birgit Hupfeld

Bei den vielen kreiselnden Drehungen der Schauspieler*innen, mit denen Zeitsprünge markiert werden, schwingen die Mantelkleider wie die Derwisch-Röcke des Mevlana-Ordens. In übergezogenen Kapuzen verbergen sich Körper und Stimme wie in einer mythologischer Höhle, in der Adas Erinnerungen hallen. Auf die leuchtend violette Innenseite zusammengeknäult, werden die Oberteile wiederum als totes Kind an die Brust gepresst, und dann wieder werden die Röcke von wütenden Adas furios zu Boden geschleudert. Am stärksten wirken die Mäntel, wenn sie der vergewaltigten Ada einer nach dem anderen still um die Schultern gelegt werden, oder wenn Ada in einer späteren Episode, nach dem Massenmord im Konzentrationslager aus dem Haufen hingeworfener Mäntel einen nach dem anderen aufklaubt und an sich drückt.

Fließende Choreografien

Die Schauspielerinnen of Colour spielen zurückhaltend, um dem Text allen Raum zu lassen, aber unter großem Körpereinsatz: Sie tänzeln, gruppieren sich umeinander oder stieben voneinander weg und bewegen sich in fließenden Choreografien auf der drehbaren Bühne. Leider wird der Text zu sehr deklamiert und zu wenig mit Stimmentimbre ausgestaltet (das merkt die Rezensentin hier persönlich an; befragte Theaterbesucher*innen wollten das so nicht bestätigen). Bisweilen gibt es auch Leerlauf-Momente, insgesamt ist die Performance intensiv.

Das Zusammenspiel von Bühne (Nicole Marianna Wytyczak, die auch schon in Hannover mit Ibrahim gearbeitet hat), Licht (großartig von Markus Fuchs) und Ton (Gertfried Lammersdorf) ist hervorragend. Die begehbare Felsenlandschaft harmoniert farblich mit den hellen Erdtönen der Kostüme und erhält durch die aufregende Beleuchtung, die jedes Thema anders gestaltet, fast schon ein Eigenleben. Den Rahmen bildet das auf den Bühnenvorhang projizierte Meer, das Fruchtbarkeit und Unendlichkeit verströmt.

"Adas Raum" ist eine gelungene Roman-Umsetzung (meinte auch die anwesende Autorin) und ein intensives, unter die Haut gehendes und auf der Haut kitzelndes Bühnenerlebnis, das vom Publikum begeistert gefeiert wird.

Adas Raum
nach dem Roman von Sharon Dodua Otoo
Uraufführung
Regie: Miriam Ibrahim, Dramaturgie: Jasco Viefhues, Bühne: Nicole Marianna Wytyczak, Kostüme: Gianna-Sophia Weise, Video: Amon Ritz, Co-SND-Design: tracy september, Licht: Markus Fuchs, Ton: Gertfried Lammersdorf. 
Mit: Akasha Daley, Linda Elsner, Beatrice Masala, Nika Mišković, Lucia Peraza Rios, Viet Anh Alexander Tran.
Premiere am 27. April 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theaterdo.de

 

Kritikenrundschau

Ada sei hier so etwas wie ein Weltgeist, unsterblich, omnipräsent, allwissend, aber nicht gegen Schmerz gefeit, so Kai-Uwe Brinkmann in den Ruhr Nachrichten (29.4.2024). "Eine Geschichte vom ewigen Kampf für Würde." Optisch sei der Abend ansprechend, inhaltlich bleibe vieles vage und diffus, "viel versandet im Ungefähren." 

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