Prinz Friedrich von Homburg - Claus Peymann wählt Heinrich von Kleists Traum vom Überleben als Abschieds-Inszenierung am Berliner Ensemble
Am Ende nur das fürchterliche Leben
von Esther Slevogt
Berlin, 10. Februar 2017. Am Ende sank Claus Peymann vor seinem Publikum auf die Knie. Seine Inszenierung von Kleists letztem Drama "Prinz Friedrich von Homburg" hatte ein überraschend fatalistisches Ende gefunden: Als schon alle Zeichen auf Rettung des Prinzen von Homburg standen, beschwingte Musik eingesetzt und alle Beteiligten fast heiter noch einmal die in kaltes, gespenstisches Licht getauchte Bühne betreten hatten, quoll plötzlich Blut aus dem Mund der zusammensackenden Prinzessin von Oranien. Dann hing auch der Prinz selber wie eine jämmerliche Stoffpuppe tot oben auf dem Seil, über das er gerade noch mit verbundenen Augen seiner Rettung entgegen balanciert war. Auch die anderen Figuren schienen am Ende wie vom Optimismus der Cat-Stevens-Hymne If you want to sing out dahingemäht – als wollte uns der Abend, der zuvor keine Spur vom Weg des Textes in Richtung Deutung abgewichen war, nun doch noch einmal sagen: Es gibt nichts zu lachen und zu hoffen. Und was wir zu träumen glauben, ist am Ende nur das fürchterliche Leben.
Drama des Menschen
Und so kniete Peymann nun bei seinem letzten Premierenapplaus als Intendant des Berliner Ensembles vor seinem Publikum und seinen Schauspielern und erwies ihnen seine Reverenz – wie zuvor schon sein Prinz von Homburg der Staatsraison: indem er doch in das Todesurteil einwilligte, dass der Kurfürst über ihn verhängt hatte. Und das fast eine Staatskrise provoziert hätte, eine Rebellion. Beim Aufstehen wischt sich Peymann ein paar Tränen aus den Augen. Großer Applaus und großes Drama zum Abschied also, für den Peymann Kleists letztes Drama ausgewählt hat. Dessen verrätselte Geschichte zwischen Traum und Tod er noch einmal abschritt und fast zärtlich herunterbrach auf das Drama des Menschen und dessen irgendwie unübersichtlichen wie sinnlosen Hang nach Höherem. Während ihm dabei der Blick fürs Wesentliche abhanden kommt: der Blick für das kostbare und zerbrechliche Leben.
Und so ist einer der Höhepunkte des Abends dann auch die berühmte Szene, in der der Prinz von Homburg voller Todesangst vor der Gattin seines Kriegsherrn, des Kurfürsten von Brandenburg, zu Boden sinkt: die Stimme wird schrill, er wälzt und windet sich. Er verzichtet auf Glück, auf die Liebe und Ruhm, das alles interessiert ihn nicht mehr. Nur am Leben bleiben dürfen! Die Kurfürstin (von wuchtiger Bodenständigkeit: Swetlana Schönfeld) ist fast peinlich berührt. Schließlich ist der schöne Mensch (Sabin Tambrea), der sich da nun winselnd vor ihr windet, Prinz, Soldat, Heeresführer. Er hat eine Schlacht gewonnen. Auch wenn er wegen Ungehorsam nun zum Tode verurteilt wurde. Aber wie das hier nun auf Achim Freyers düsterer Bühnenschräge und in fahles diffuses Licht getaucht in Szene gesetzt ist, wie Tambrea mit Hingabe den schönen ätherischen Helden demontiert, der er bisher war, schrumpft plötzlich die ganze Welt aufs Maß des nackten (Über)lebens: Lebensträume von Macht, Liebe, Ruhm oder Theaterintendanzen – wonach man im Leben eben so strebt. Danach folgt man dem Fortgang der Geschichte einigermaßen atemlos.
Nach dem Knattern: schnörkellose Präzision
Der Triumph war nicht von Anfang an abzusehen. Denn in der ersten Hälfte schleppt sich das Drama recht unentschlossen und mit viel Theaterdonner und Mimengeknatter dahin. Doch dann erzählen Peymann und sein großartiges Ensemble Kleists berühmte Geschichte mit schnörkelloser Präzision. Kleists Stück stellt das Recht des Einzelnen gegen seine Unterordnung unter eine höhere (Staats)idee und verwickelt Protagonisten und Zuschauer in die Unauflöslichkeit der Widersprüche dieses Konflikts.
Peymann lässt die Geschichte rund um den märchenhaft schwebenden Protagonisten von bodenständig gedachten Normalos durchexerzieren. Da ist die knarzige Carmen-Maja Antoni als rechtschaffender Obrist Kottwitz, Veit Schubert als einfältiger Feldmarschall Dörfling oder Matthias Mosbach, der als schwärmerischer Homburg-Gefährte Hohenzollern durch den Abend irrlichtert. Roman Kaminskis Kurfürst ist ein donnernder Machtmensch mit Herz und Antonia Bill als Natalie eine recht handfeste Prinzessin von Oranien. Keine subtilen Helden, lauter unscheinbare Leute wie du und ich, die über die Bühne des BE stolpern wie unsereins durchs Leben. Dazwischen ragt Sabin Tambrea fast unwirklich heraus, der die Titelfigur mit der ihm eigenen Mischung aus Kälte und Zerbrechlichkeit ausgestattet hat und den Abend besonders in der zweiten Hälfte finster funkeln lässt.
Prinz Friedrich von Homburg
von Heinrich von Kleist
Inszenierung: Claus Peymann, Bühne und Kostüme: Achim Freyer, Dramaturgie: Jutta Ferbers, Sarah Thielen.
Mit: Roman Kaminski, Swetlana Schönfeld, Antonia Bill, Veit Schubert, Sabin Tambrea, Carmen-Maja Antoni, Fabian Stromberger, Carl Bruchhäuser, Matthias Mosbach, Boris Jacoby, Luca Schaub, Anatol Käbisch.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause.
www.berliner-ensemble.de
"Dass Claus Peymann zum Ende seiner Amtszeit den Prinzen von Homburg inszeniert, wirkt wie eine Einladung, seine Arbeit an den Sätzen des Prinzen zu messen. Wie weit hat den Prinzen Claus seine eigene Reise gebracht?", schreibt Peter Kümmel in der Zeit (16.2.2017). Seine Wirkung als Künstler, als in utopische Gefilde voranstürmende Radikalfigur ist geringer geworden. Von der Alarm- und Festtagsstimmung, mit der noch in Wien jede Peymann-Premiere erwartet worden war, sei in seinen Berliner Jahren nicht mehr viel zu spüren gewesen. Aber Peymann lassen sich Enttäuschungen nie anmerken. "Darin, so könnte man sagen, folgt er dem Prinzen von Homburg." Der sich in der Inszenierung zwischen Eigensinn und Gehorsam, Mut und Unterwürfigkeit, Liebe und Eigenliebe befinde. Um ihn wimmelt ein Ensemble grundvernünftiger Menschen. "Jedoch: Etwas Tieferes erkennt und spürt weder der Fürst noch sein Darsteller. Den Schrecken einer Gesellschaft, welche nur im Krieg bei sich ist, kann dieses Ensemble nicht zeigen." Claus Peymann hat nicht mehr die großartigen Schauspieler, die ihm früher, in Stuttgart, Bochum, Wien, zur Verfügung standen, sie kamen ihm auf seiner langen Reise abhanden."
Claus Peymann geht, "und er tut es so, wie man es von ihm erwarten konnte", schreibt Christine Wahl in der Neuen Zürcher Zeitung (14.2.2017). Die spektakuläre Konzentration des Anfangs lasse "leider schnell nach: Fortan wird viel deklamiert, ein bisschen grimassiert und auch mal erdenschwer chargiert, wie man es aus den Berliner Peymann-Jahren gewohnt ist".
Einen Abend, der wie sein Finale mit Cat Stevens' Popsong von "überwältigender Harmlosigkeit" geprägt sei, hat Lothar Müller von der Süddeutschen Zeitung (13.2.2017) erlebt. "Es wäre dem scheidenden Prinzipal zu wünschen, dass es ihm nun gelänge, die Abgründe auszumessen, die Kleists Schauspiel enthält, die Widersprüche sichtbar zu machen, von denen es vorangetrieben wird, und die Bedeutung, die das Stück für die Gegenwart haben könnte", schreibt der Kritiker mit Blick auf den Anfang der Inszenierung. "Aber das geschieht nicht." Die "geringe Spannungsdichte" der Inszenierung resultiere daraus, dass Peymann an der "politischen, aus Kleists Reaktion auf die napoleonischen Kriege hervorgegangenen Dimension des Stückes kaum Interesse zeigt".
"Er will vermisst werden, und er wird vermisst werden, das Verklären und Vergessen der mitunter sensationell schlechten Peymann-Inszenierungen hat jetzt schon angefangen", schreibt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (13.2.2017). Den Kleist'schen "Prinz von Homburg" hält der Kritiker für eine ausgesprochene Wahl für eine Abschiedsinszenierung, denn das "Denk-Stück" stecke voller "papiernen Figuren, voller dramaturgischer Hänger, die von der Literaturwissenschaft tapfer als Rätsel schöngeredet werden. Bei Peymann sieht man, dass sie es nicht sind." Die Inszenierung sei insbesondere in der Titelfigur von einer "programmatischen Konturlosigkeit" geprägt, es werde "immerfort mit Papier geraschelt, viel umständlich auf- und abgetreten". Das Beste an dieser Inszenierung sei, "was sie nicht hat: keine Nazi-Mäntel, keine Deutschtümelei, kaum Geschrei".
"In der Demut liegt die wahre Größe." Diese Botschaft hat Eckhard Fuhr von der Welt (13.2.2017) aus diesem Peymann-Abschied un dem Kniefall des Intendanten beim Schlussapplaus mitgenommen. Auch die Inszenierung sei von Demut geprägt, denn Peymann habe nichts anderes getan, als "genau in den Text Kleists hineinzuhören und dieses grandiose Sprachkunstwerk zum Klingen zu bringen. Das bewahrt ihn davor, die im Stück verhandelten und alle Beteiligten überfordernden Konflikte zwischen der Liebe und dem Gesetz des Krieges, zwischen Heldentum und Gehorsam, zwischen der Staatsräson und der Willkür der Gnade herunterzubrechen auf den Gegensatz zwischen Menschlichkeit und Hacken schlagender Kriegswut."
Claus Peymann habe sich für eine "konservative Deutung des Stücks" entschieden, berichtet Simon Strauss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (13.2.2017). Durch "das ostentativ arglose, geradezu aufreizend unbedeutende Spiel von Sabin Tambrea als Homburg" verschiebe sich das Gewicht dieser Inszenierung auf den Kurfürsten und dessen "ruhige, bedächtige Wesensart". Roman Kaminski spiele den Kurfürsten "als klugen Haudegen, dessen Starrsinn auf Überzeugungen, nicht auf Phantasmagorien beruht". Das bedeutet: "Claus Peymann interessiert sich nicht mehr so sehr für die Verzweiflung der Jugend, sondern vor allem für die Gefasstheit des Alters."
Die Latte lag "sportiv gesagt, krass hoch vor Peymanns drittem Anlauf mit Kleist", schreibt Peter von Becker im Tagesspiegel (12.2.2017). "Und immerhin fängt der Abend jetzt im BE ganz zauberhaft an." Zwischen dem starken Anfang und diesem Ende klaffen leider manche Löcher. "In der durchaus plausibel eingestrichenen, damit freilich auch allen Kleist’schen Überschwangs beraubten BE-Fassung gerät dieser 'Homburg' selten in die abgründige Schwebe zwischen Gefühls- und Vernunftdrama." Fazit: "Im Ganzen zu bieder, zu konventionell, es fehlt über weite Strecken die poetische Emphase und der Inszenierung eine Idee."
Peymann verabschiede sich als Chef des Berliner Ensembles mit einer kämpferisch antimilitaristischen Inszenierung, schreibt Wolfgang Höbel auf Spiegel online (11.2.2017). Den Regisseur interessiere nicht Homburgs Läuterung, "in keiner Sekunde ist sein Prinz bereit, für den Erhalt der Ordnung zu sterben", sondern sei "ein reiner, zur Kampfmaschine dressierter Tor. Ganz bei sich im Moment der maximalen Todesfurcht." Am Ende ist der Schlussapplaus-Kniefall des alten Claus Peymann der dramatische Höhepunkt dieses Theaterabends. "Der Theaterkönig schlägt die Hände vors Gesicht - und mimt einen König Lear, der in maßlosem Schmerz der Welt Adieu sagt. Dann reißt er die Arme in die Luft, winkt ausgelassen und zeigt: War alles nur Spaß, ich komme wieder. Tatsächlich will Peymann als Regisseur weitermachen: In Stuttgart, so hat er angekündigt, inszeniert er im nächsten Jahr kein anderes Stück als 'König Lear'."
"Dass hier tatsächlich eine Schlacht um Befehle und deren Verweigerung, um großes Gefühl versus kleingläubige Prinzipienreiterei geschlagen wird, ist kaum zu spüren. Ein Kleist light zum Ende einer Ära." So berichtet Ute Büsing im Inforadio des rbb (11.2.2017).
Peymann "zeigt seinen Kritikern, dass er sich auf den letzten Metern ganz gewiss nicht mehr verbiegen wird", so André Mumot in dradio Fazit Kultur vom Tage (10.2.2017). Er nehme den Klassiker rigoros beim Wort, "lässt das sperrige Militär- und Gewissensdrama vom Blatt spielen, vertraut ganz auf den Text und wird ihm, leider, nie gerecht". Sabin Tambrea gebe einen schwer neurotischen Prinzen. "Es wird viel geredet, auch geweint und gelacht, aber nur die wenigsten Emotionen schaffen es über die Rampe, von den Gedanken ganz zu schweigen." Trotzdem oder gerade deswegen sei es ein berührender Abschied und ein bemerkenswerter Abend: "Es ist Peymanns Liebeserklärung an seine Idealvorstellung von Theater, und immer wieder hat man im Zuschauerraum das Gefühl, dass all das vermurmelte Hin- und Hergerenne zwischen Schlachtfeldern und Kurfürstengemächern gar nicht fürs Publikum stattfindet, sondern für den Regisseur selbst."
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In Zürich lässt Dusan Parizek (2011) in seinem "Käthchen" zwei Schüsse fallen: Wannsee-Doppelselbstmord revisited. Die Schlüsse vom "Homburg" sind in der neueren Aufführungsgeschichte nicht weniger problematisch. (Wenn man sich nicht zu blöde ist, wie David Bösch am Münchner Resi und den Prinzen in einem goldenen Konfettiregen feiern lässt - wie wenn Bayern gerade die Champion league gewonnen hätte - zu den Jubelrufen "heil, heil, heil dem Prinz von Homburg, dem Sieger in der Schlacht von Fehrbellin").
Jetzt quillt auch bei Peymann dem Prinzen, der wie eine leblose Puppe auf dem Seil hängt, Blut aus dem Mund. Selbsttötung, was sonst. Schlimm, aber doch zu einfach. Andere Regisseure lassen da dem denkenden Zuschauer doch mehr Spielraum. Zuletzt Michael Thalheimer, bei dem in Frankfurt der Prinz auch wie eine Marionette in den Seilen hängt: gebeugt, gedemütigt, gebrochen, aber doch daher auch zurechtgebogen für den nächsten Kampf gegen "alle Feinde Brandenburgs".
Der Theatergänger denkt auch an die Stuttgarter Inszenierung von Hansgünther Heyme (1983), wo der eben Begnadigte am Bühnenrahmen kauert und sich zu den Jubelrufen der Obristen auskotzt.
Natürlich an die unvergessene Peter Stein-Inszenierung an der Schaubühne, wo der Bruno Ganz abseits (leblos?) am Boden sitzt, während die Heilrufer im Triumpfzug eine Puppe auf ihren Schultern transportieren. Botho Strauß, der damalige Dramaturg von Stein schreibt zu diesem Schlussbild: "der Prinz ist befangen in einer Sinnestäuschung: er glaubt sich schon im Paradies. Er wird mit dem Lorbeerkranz gekrönt. Der Jubel und das Zeremoniell mit dem leblosen Helden".
Aber einfach Selbstmord, wie jetzt bei Peymann - das ist mir doch zu kurz gesprungen. Bei Kleist lauten die letzten Worte: "Der Prinz: Ist es ein Traum? Kottwitz: Ein Traum, was sonst".
hier stilisiert sich der wackere CP (na, nun lasst mal, Stuttgart und Bochum waren Meilensteine, und auch in Wien gab es durchaus noch Beachtliches - wenn auch nicht so sehr von ihm, sondern von den von ihm verpflichteten Regisseuren Tabori, Zadek, Castorf), also, hier stilisiert sich der alte Mann zum reinen Tor, zum Rebellen schlechthin, der (in seiner Interpretation) daran zerbrechen muss. Das ist doch hübsch, das rührt (vor allem ihn selbst) zu Tränen. Alles bestens!
Ernsthaft wird aber niemand bestreiten, dass die großen Jahre des CP weit in der Vergangenheit liegen.
Nur: er HATTE welche (im Gegensatz zu so vielen anderen Schwachmatikern) und ganz ehrlich: wenn er nur seinen FAUST II (Stuttgart), seine HERMANNSCHLACHT (Bochum) und sein RITTER, DENE, VOSS (Salzburg) gemacht hätte, wäre er schon ein ganz Großer unter den Regisseuren.
Vergessen wir doch einfach seine versammelte Großmäuligkeit, meine Güte, wem tut das alles noch weh...
Claus Peymann, Sie waren und sind in meinen Augen ein Nationalist mehr als ein Humanist, aber klug sind Sie allemal und Sie haben dem Theater der 70er und 80er Jahre enorme Impulse verliehen, Impulse, deren Nachwirkungen wir viel zu gering schätzen. Sie waren der erste, der das Genie des großen Gert Voss zum Blühen gebracht hat. Und Sie haben Tabori länger die Treue gehalten, als jeder andere (und alle haben sie ihn den "lieben George" genannt). Dafür sei Ihnen von Herzen und mit Emphase gedankt.
Dass auch der Widerstreit der Rationalisten schnell verpufft, liegt nicht zuletzt an Peymanns Regie, beziehungsweise deren Abwesenheit. Wer wissen will, woran sein Theater in den letzten zehn, zwanzig Jahren viel zu oft krankte, dem sei dieser Abend empfohlen. Zwischen der starken inszenatorischen Klammer von Anfang und ende liegen nämlich knapp zwei Stunden dramaturgisches Geholper. Peymann reiht Szene an Szene, ohne erkennbare Übergänge. Endlos lange Auf- und Abtritte erledigen sämtliche Versuche von Timing oder Spannungsbogen, jede Szene beginnt bei Null. Das gilt auch für die Figurenzeichnung: Der Zuschauer erlebt praktisch mit jedem Auftritt einen neuen Homburg. Die wilden Stimmungs- und Einstellungswechsel werden nicht erklärt oder herbeigeführt – wozu auch die Textfassung beiträgt, die Kürzung mit Straffung verwechselt und sowenig eine Richtung hat wie der ganze Abend. So wird der übrig gebliebene Text mit ordentlich Pathos und reichlich plakativer Überzeichnung herunterdeklamiert, ruckelt das mechanische Geschichtenerzählräderwerk holprig vor sich hin und erstickt das Drama schnell in haltungsloser Textherunterleierei. Selbst das vereinfachende Schwarz-Weiß kaqpituliert irgendwann vor sinnarmem Einheitsgrau. Wie so oft verwechselt Claus Peymann Texttreue mit Beliebigkeit, das Ernstnehmen der Vorlage mit der Selbstaufgabe von Regie und Dramaturgie, bei der bald sogar das theatrale Handwerk versagt. Was bleibt, ist ein durchaus überzeugend skizzierter inszenatorischer Ansatz, gebaut um das gähnende Nichts eines künstlerischen Offenbarungseids.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2017/02/25/auf-bruchigem-seil/
Sein Homburg ist kein kantenloser Held sondern vielleicht ein tatsächlich Spätpubertierender, der in einem autoritären, präfaschistischen System seine liebe Not hat.
Vielleicht ist es aber auch ein alpträumender Offizier, ein Burn-out-Kandidat in einer Gesellschaft die mit sich und auch mit dem System nicht ganz im Reinen ist, der seine Ängste in einer schwülen Sommernacht bei Vollmond manieristisch und irreal verbildlicht.
Es ist ein Eiertanz, den er und diese Gesellschaft auf militärischer und auch familiärer Pflichterfüllung und Disziplin tanzen. Von etwas sprechen um es doch dann wieder zu unterlaufen. An Gesetze nicht wirklich zu glauben aber sie als Schutzschild zu benutzen, wenn individuelle Verantwortung gefragt wäre- Eine Gesellschaft manchmal eruptiv, manchmal versteinert.
All das hat Peymann in spannenden 2 Stunden gezeigt
Als „zu bieder, zu konventionell“ kritisierte auch der Tagesspiegel den zähen Abend, der keinen echten Rhythmus findet, dann aber, als man schon nicht mehr damit rechnet, mit einem der schönsten Theatermomente dieser Spielzeit endet.
Sabin Tambrea, eine der großen Entdeckungen von Claus Peymanns Ära, gibt der Titelfigur eine Aura der Zerbrechlichkeit, die schon während der knapp zwei Stunden über manche Längen hinweg tröstet. In der Schluss-Szene balanciert er auf einem Drahtseil, zur Cat Stevens-Hymne „If you want to sing out“ aus dem Film „Harold and Maude“ strömt das ganze Ensemble zu einer heiteren, kurzen Utopie eines glücklicheren Lebens zusammen, die jäh und tödlich endet.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2017/03/09/prinz-von-homburg-claus-peymanns-abschiedsinszenierung-endet-nach-zwei-zaehen-stunden-mit-grossem-theatermoment/
den Dichtern, besonders den Schauspielern und allen anderen viel Glück und gute Genesung.
Es war sehr anstrengend zu sehen, wie da ein sehr gut geschriebenes Stück nicht gelesen worden war und folglich einfach mißbraucht wurde.
Was habe ich erwartet ? Einen Peymann eben, wie ich ihn aus dem Buch "Mord und Totschlag" meinte herauslesen zu können. Einen Peymann, der Kleist beim Wort nimmt und ihn sagen lässt, in welcher Zeit wir leben mit all den ego-manischen Führern und dem sich selbst missverstehenden Volk. Wie das umzusetzen weiß ich als Laie (was das Theater anbetrifft) nicht - ich glaube, ich hätte das Stück aller vordergründigen Zeitbezogenheit entkleidet (Uniformen weg) und die Präzision der Kleistschen Sprache ins Zentrum gerückt (ohne alle Effekthascherei : Cat Stevens !), um die "deutschen Zustände" in ihrem über-zeitlichen und über-regionalen Versagen zu entlarven. Ich habe den Abend als vertane Chance empfunden.
( Wie es Wikipedia ausdrückt: Der Militär-Maria-Theresien-Orden wurde „für aus eigener Initiative unternommene, erfolgreiche und einen Feldzug wesentlich beeinflussende Waffentaten, die ein Offizier von Ehre hätte ohne Tadel auch unterlassen können“, an Offiziere verliehen.)
Ich konnte in der Vorstellung, die ich sah, dieses militärische Gerüst der Kleist`schen Problemstellung vergessen und gedanklich Brücken in eine moderne Leistungsgesellschaft schlagen. Ob erfolgreiche Subversion heute belohnt oder bestraft wird, ist wahrscheinlich der Balanceakt am dünnen Seil, auf den die Inszenierung hinweist.
Peymann, der seine steile Karriere am Studententheater begann, wird möglicherweise Schülertheater als Begriff auch anders sehen als so mancher Oberstudienrat. Ich fand es einen spannenden Abend, der viele Möglichkeiten zur Assoziation gab.
Ich hätte erwartet: Die klar und deutlich erzählte Geschichte von Menschen, die sich um des Zuammenlebens willen einen funktionionstüchtigen Staat gegeben haben; aber in dem Moment wo auch nur einer wegen seiner individuellen berechtigten Ansprüche ausbricht, erweist sich das Staatsgefüge als unbrauchbar: er selbst verrät seine Liebe, die Geliebte lügt, der Freund versagt... der Regierende rettet die Geschichte durch eine pseudodemokratische Abstimmung und alle können sich retten durch ein brüllendes Feldgeschrei gegen den angenommenen militärischen Feind und sind sich wieder einig. Das ist sehr böse, und kann zugleich sehr komisch sein. Es wäre in der denkbaren Wirkung weit ab von "verstaubtem Erbe".
Das geht sicher ohne Militärmäntel usw. Aber "Die Ferne bringt die Nähe" (Benno Besson) und hätte einer Spielweise bedurft und einer Inszenierung, die das Handeln der Figuren durchschaubar gemacht hätte.
In der von mir gesehenen Vorstellung am 13.4. war davon wenig zu erkennen.
Und: Sehr geehrter Herr Spitzer! Ich vermutete immer der Adressat mag Beschimpfungen, er hat zu dieser Annahme vielfach Anlaß gegeben. Und: Ihre Reaktion auf Herrn Sascha Krieger ist nicht aufschlußreicher. Und: Wie so versprechen Sie mir eine längere Leidenszeit. Ich leide nicht!
Mit freundlichen Grüßen Peter Ibrik