Schweigsame Bewohner u.A. - Online-Inszenierung
Die digitale Avantgarde
10. Oktober 2021. Alles auf neu scheint die Devise der Netztheater-Produktion zu sein, die Nachwuchsregisseur Kostja Treplejow als „die neue Form" vorstellt. Ein spannendes Jonglieren mit allem, was technisch geht, dem klassischen Theaterraum enthoben.
von Martin Kanterel
10. Oktober 2021. Was Regisseur Kostja Treplejow Digitales Theater nennt, braucht den Ort Theater nicht. Nur der Name wird entliehen; Gebäude, Bühne und Bühnenbild sowie die Interaktion zwischen Schauspieler und Publikum werden nicht benötigt. Wo früher die Auflösung von Verwechslungen zum Effektrepertoire gehörte, werden diese nun zum kleinsten gemeinsamen Nenner der dramatischen Inszenierung. Anstatt nur moderne technische Elemente in eine Bühnenerzählung einzubinden, hat Treplejow tatsächlich mit dem viel bemühten weißen Blatt Papier begonnen; darin begründet sich die Virtuosität, mit welcher der neue Raum bespielt wird.
Begriffe wie Multimedialität und Social Media sind abgedroschen - sie werden meist dort geführt, wo alte Ideen mit neuer Technik übertüncht und Anachronismus mit Spielereien verschleiert werden soll. Sieht man Treplejows Arbeit, fällt diese Hilflosigkeit angesichts kommunikationstechnischer Neuerungen derart ins Auge, dass man dem Künstler allein dafür danken möchte. Diverse digitale templates werden ineinander verwoben, bis sie zumindest den Zuschauenden, vielleicht aber sogar die Eingeweihten verführen mit ihrer visuellen Sprache. Form ist hier definitiv König.
Digital ja, aber Theater?
Daher scheint eine inhaltliche Beschreibung dessen, was das Erstwerkt eines neues Genre werden könnte, kaum möglich. Einzig in der zeitlichen Länge der Inszenierung verlässt der Künstler mit ca. eineinhalb Stunden die klassischen Pfade nicht. Ansonsten ist diese technisch beeindruckende tour de force schwerlich mit klassischem Theater zu vergleichen, werden dort doch zumeist Stücke inszeniert, während hier die Inszenierung das Stück ist. Um zu zeigen, was technisch heutzutage möglich ist, greift Treplejow tief in die Trickkiste der Effekte und brilliert mit einem fulminanten Einsatz von neuen Bildern und Formen, welche die Zuschauer mitreißen in einen Strudel der Impressionen.
Welche Wege Treplejow weiter einschlägt, scheint ebenso interessant wie die Frage, in welcher Weise die etablierten Stätten mit seinem Vorstoß umgehen. Der Künstler hat sich mit dieser Arbeit einen Vorsprung geschaffen, den aufzuholen nicht leicht sein wird - denn er hat sein Werk nicht nur explizit als digitales Theater bezeichnet, sondern betont durch seine Arbeit auch, eben dieses mit seinen neuen Formen erneuern zu wollen. Ob er Recht behält, werden Publikum und Theaterszene mit viel Aufmerksamkeit verfolgen.
von Kostja Treplejow
Regie & Text: Kostja Treplejow, Dramaturgie: Edda-Lina Janz, Technik: Constanze Feulner.
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