Bericht vom 32. Fadjr-Festival - Theaterbrief aus Iran
Die Morgenröte hinter dem Smog
von Ralf-Carl Langhals
Teheran, 27. Januar 2014. "Das Kopftuch bleibt!" Für das Gastspiel des Nationaltheaters Mannheim in Teheran hat Nicole Heesters diesen eigentlich gestrichenen Lorca-Satz wieder aufgenommen. Sie spielt die Titelrolle in Calixto Bieitos Mannheimer Inszenierung "Bernarda Albas Haus". Nirgends passt er besser als hier, gilt er doch auch für die neun Schauspielerinnen und ihre Kolleginnen der NTM-Abteilungen, die mit zum Fadjr-Festival in den Iran gereist sind. Es ist das einzige deutsche Gastspiel dieses 32. Festival-Jahrgangs und seit Jahren auch wieder der erste Festivalbeitrag aus Deutschland.
Um den Auftritt des Berliner Ensembles mit Claus Peymanns Brecht-Inszenierung "Mutter Courage" hatte es 2008 reichlich Aufregung gegeben. Stützt man mit einer solchen Reise als deutscher Kulturträger das System Ahmadinedschad? So lautete damals die nicht unberechtigte Frage. Einige Jahre war nun kein deutscher Gast im Iran zu sehen. Mittlerweile haben sich die politischen Verhältnisse in Teheran unter Präsident Hassan Rohani spürbar entspannt, auch wenn Organisationsschwächen und Sittenwächter immer noch eine Rolle beim Festival spielen. Ist es nun besser, aufgrund weiter existierender Folter und Zensur politisch korrekt zuhause zu bleiben? Oder straft man damit nur die Zuschauer in Teheran, die es nach Kontakten und kulturellem Austausch mit dem Westen dürstet? Mannheims Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski traf die Entscheidung, mit einer Teilnahme am Fadjr-Festival nun auch von deutscher Seite wieder Zeichen zu setzen. Eines, über das deutsche Botschaft und Goethe-Institut froh sind, denn die Nachfrage nach deutschen Sprachkursen, Austausch und Anknüpfungspunkten ist im Iran derzeit hoch.
"Man kann den Iran als Frau dann doch recht schnell überhaben"
Im beißenden Smog des 17-Millionen-Molochs begegnen dem Besucher freundliche, neugierige Menschen, die sich sichtlich darüber freuen, dass westliche Ausländer bereit sind, sich ein eigenes Bild von der Situation im Iran zu machen. Die Baubranche boomt, Bildungsniveau und Jugendarbeitslosigkeit sind hoch. Hassan Rohani hat Exiliraner eingeladen, in die Heimat zurückzukehren, doch nach nur drei Monaten nach den Wahlen, bekennt ein Iraner beim Tee: "Ich habe meinem Bruder abgeraten, weil ich seine Befürchtung, bei einem plötzlichen Rückschlag vielleicht nicht wieder ausreisen zu dürfen, nicht wirklich reinen Gewissens zerstreuen konnte." Hoffnungen, Befürchtungen und Widersprüche.
Nicht alles dreht sich in der Islamischen Republik um Kopftücher, dennoch fühlen sich westliche Frauen im ständigen Ausnahmezustand. Bleibt der mindestens knielange Mantel auf der Straße der überheizten Räume wegen mal kurz offen, kann es schon mal einen feindseligen Rempler eines Passanten geben. Andererseits fragen junge Iranerinnen nach den zwei erfolgreichen Vorstellungen vor gut 2000 Zuschauern, warum die Mannheimer Truppe so überkorrekt verschleiert war. Ein Land der Widersprüche und der halbtolerierten Freiheiten und halbignorierten Überschreitungen. Im Bus heißt es für Frauen immer noch: hinten sitzen. Der Hauch des Exotischen verfliegt so schnell wie die Bereitschaft, anderer Länder Sitten als Gast respektvoll und duldsam anzunehmen: "Man kann den Iran als Frau dann doch recht schnell überhaben", sind sich Schauspielerinnen, Beleuchterin, Regieassistentin und Souffleuse trotz freundlicher Begleiterinnen und zahlreicher positiver Erfahrungen am dritten Tag einig. Ihrem großartigen Spiel um die mehr sadistisch als religiös motivierte Witwe Bernarda Alba und ihre weggeschlossenen Töchter merkt man das an.
Es ist ein Theatererlebnis, das einen vermeintlich bekannten Text in ein völlig neues Licht stellt. Ersetzte man in Federico García Lorcas "Tragödie von den Frauen in den Dörfern Spaniens" das Glockengeläut durch den Gebetsruf des Muezzins und die Kruzifixe durch Halbmonde, wäre es auch ein Stück über die Frauen des Iran, zumal in der an die Landessitte angepassten Kostümsituation: Beine, Arme und Hals mussten zusätzlich verhüllt werden. Ihre Zigarette und ihren Whiskey durfte Bernarda unverändert auf der Bühne genießen. Auch beim Text hatte man keine Einwände.
Über 50.000 Zuschauer an sieben Spielorten im ganzen Land
"In jedem Land gibt es einen Rahmen, innerhalb dessen man sich bewegen darf, auch in Ihrem", sagt Festivalleiter Gader Ashena und nennt Beispiele aus dem zweiwöchigen Programm, die belegen, wie breit dieses Feld seines Erachtens mittlerweile gesteckt ist. Ob er das Programm, das selbst vor Ort erst nach drei Tagen in Englisch und nicht in Heftform, sondern ausschließlich im Stundenplanformat zu bekommen ist, denn schon selbst zu verantworten hat? Schließlich ist der neuberufene Chef erst seit knapp zwei Wochen im Amt… Ja, er sei ja zweieinhalb Jahre Assistent des vorigen Leiters gewesen, davor habe er vier Jahre die theaterwissenschaftliche Abteilung der Teheraner Uni geleitet. Die Frage nach der Ursache des Amtswechsels beantwortet Ashena diplomatisch: "Wenn der Staat sich erneuert, wechselt auch das Personal, das ist in jedem Land so, auch bei Ihnen."
Es ist die 32. Auflage des Fadjr-Festivals, das seit 1983 die Rückkehr Ajatollah Khomeinis aus dem französischen Exil feiert. Das einstige Ziel, die Kultur lobpreisend auf den Boden des Koran zu stellen, erfüllt das Festival mit über 50.000 Zuschauern sicher längst nicht mehr. Seinem Namen "Morgenröte", losgelöst vom 1. Februar 1979, scheint es aber zart hoffnungsfroh entgegenzugehen.
Unter den 24 Gruppen, die zum zeitgleich in Teheran und sechs weiteren Provinzen stattfindenden Festival eingeladen sind, gehören neun europäische, u.a. gibt Stefan Kaegi von Rimini-Protokoll einen Workshop. Neben den Mannheimern sind Gäste aus Italien, Slowenien, Spanien, Ungarn, Frankreich, Polen, Norwegen, Estland, Korea und Armenien dabei; dominiert wird das Festival freilich von iranischen Künstlern.
Festivalleiter: "Ich bin ein Mann der Kunst und nicht der Politik"
Inhaltlich ist das Programm allenfalls "bunt durchmischt" zu nennen: Eine Bearbeitung des kurdischen Nationalepos' "Mam o zin", eine mit Handpuppen wie Humor versetzte orientalische "Romeo und Julia"-Geschichte, Ali Jalalis launig-kluge Antikriegsfabel "Robinson & Crusoe" und Tschechows "Onkel Wanja" in der (für deutsche Augen unerträglich staubigen) Regie des iranischen Theaterhelden Akbar Zanjanpour stehen recht unvermittelt nebeneinander.
Die Mannheimer Nationaltheater-Großproduktion erscheint bezugslos zwischen einer 25-minütigen Medienperformance aus Bologna (Anna Dora Dornos "ausencia, alone in the crowd") und spanischem Körper-/Schattentheater (Andrea Cruz' "Mala Sombra"). Festivalleiter Gader Ashena, der sich selbst als "Mann der Kunst und nicht der Politik" sieht, erläutert seine Kriterien: "Wir laden nicht aus politischen Gründen ein, wir versuchen viele Farben und Stile des hier vertretenen Theaters abzubilden. Wir achten mehr auf die Arbeiten selbst. Und schauen auf das Interesse der Truppen, wo machen sie mit, wohin waren sie eingeladen."
Bei den Auslandseinladungen verhehlt Ashena nicht, dass es sehr wohl davon abhängt, wie das Verhältnis zum Herkunftsland, zu dessen Botschaft und Kulturvermittlungsinstitut ist. Wenn es dem Land wirtschaftlich gerade nicht so gut gehe, müsse man eher kleinere Produktionen aus den Nachbarländern einladen. Der Blick in den Westen ist für ihn kein zwangsläufiger: "Es kann genauso gut sein, dass wir in den nächsten Jahren mal nach Afrika oder ausschließlich nach Asien blicken."
32. Fadjr International Theater Festival
www.fadjrtheaterfestival.com
Offenlegung: Der Autor wurde vom Nationaltheater Mannheim zum Festival nach Teheran eingeladen.
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