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Diskussionsveranstaltung im Schauspiel Köln von Demonstranten gestürmt

Was gilt es zu verteidigen?

7. Juni 2016. Eine Diskussionsveranstaltung beim Kölner Kunst- und Kulturfest Birlikte in der Spielstätte Depot 1 des Schauspiel Köln ist von etwa 150 Demonstranten gestürmt und anschließend abgebrochen worden. Das berichtet der Kölner Stadtanzeiger. Im Rahmen der Diskussionsveranstaktung "Was gilt es zu verteidigen?" sollte der Mitgründer der Alternative für Deutschland (AfD) Konrad Adam mit der Berliner Professorin und Integrationsforschein Naika Foroutan diskutieren. Es handelte sich dem Bericht zufolge um eine von über hundert Veranstaltungen im Rahmen des Kölner "Birlikte"-Festivals, dessen Mitveranstalter das Schauspiel Köln ist.

Kurz vor Beginn der Diskussion stürmten laut KSTA etwa 100 bis 150 Demonstranten mit Trillerpfeifen und "Keine-Bühne-der-AfD"-Rufen den Saal. Ein Youtube-Video zeigt Meral Sahin, die Sprecherin der IG Keupstrasse, die ebenfalls zu den Mitveranstaltern des Festivals gehört, wie sie versucht, die Diskussionsveranstaltung gegen die Demonstranten zu verteidigen: "Ich bin die Stimme der IG Keupstraße und ich muss euch sagen: ich wollte unbedingt diese Diskussion", ruft die Frau mit dem gepunkteten Kopftuch von der Bühne in den Tumult. "Ich werde nicht ausgehalten in diesem Land! Warum? Was ist an mir falsch? Ich will das wissen, von Angesicht zu Angesicht." Einem Bericht der taz zufolge besetzten die Demonstanten der Antifa 30 Minuten lang die Bühne, bevor Intendant Stefan Bachmann ihnen schließlich die Mikrofone abdrehte und die Veranstaltung abbrach.

Meral Sahin verteidigt die Meinungsfreiheit. Video: kstavideos / Youtube

"Durch das Verhindern des Gesprächs zwischen Naika Foroutan und Konrad Adam unter Einbeziehung des Publikums wurde ein wichtiger Teil von Birlikte beschädigt", zitiert der Kölner Stadtanzeiger Stefan Bachmann. Das diesjährige Motto des Festivals "Zusammenreden" schließe auch "Streit, Meinungsverschiedenheiten und möglicherweise auch offenen Protest mit ein". Durch den Sturm des Theaters sei jedoch "jedes Reden unmöglich geworden".

Das "Birlikte"-Festival fand in diesem Jahr zum dritten Mal statt. Die erste Ausgabe wurde 2014 aus Anlaß des 10. Jahrestages des NSU-Nagelbombenanschlags in der Keupstraße als Gedenkfest organisiert. Veranstalter sind die IG Keupstraße, die AG Arsch huh, Zäng ussenander e.V., das Schauspiel Köln und die Stadt Köln. Die Keupstraße im Stadtteil Köln-Mülheim ist von türkischen und kurdischen Geschäften geprägt.

Am 9. Juni 2004 waren bei dem Nagelbombenanschlag des sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) in der Keupstraße 22 Menschen verletzt worden, einige davon schwer. Mehrere Geschäfte wurden verwüstet oder beschädigt, zahlreiche parkende Autos durch die Explosion und herumfliegende Nägel beschädigt oder zerstört.

(KSTA / taz / WDR / YouTube / sle)

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Kommentare  
Kölner Diskussion gestürmt: absolut unangebracht
Ich schätze es, dass die Antifa bei Neonazi-Aufmärschen und ähnlichen Veranstaltungen wie Pegida aufmerksam sind und mit Gegendemonstration reagieren. Über die Art der Demonstrationen und die Gewaltbereitschaft lässt sich diskutieren. Der Unterschied jener Veranstaltungen zu dieser liegt darin, dass es sich um einseitige Repräsentationen zur Etablierung und Stärkung rechter Gruppierungen handelt. Hier allerdings handelt es sich um eine Diskussionsveranstaltung, in der mehrere - möglicherweise konträre Meinungen - eine Stimme bekommen, aufeinandertreffen, in Dialog treten. Es ist absolut unangebracht solche Dialogveranstaltungen verhindern zu wollen. Hier wurde nicht nur die Stimme eines AfD-Vertreters entzogen, sondern die Stimmen vieler, die sich kritisch gegen die AfD geäußert hätten.
Kölner Diskussion gestürmt: Ideologisierung von beiden Seiten
"Ich werde nicht ausgehalten in diesem Land! Warum? Was ist an mir falsch? Ich will das wissen, von Angesicht zu Angesicht."

Ich verstehe diesen Satz nicht. Klar ist er wahrscheinlich erstmal dadurch entstanden, dass die Stimmung so gereizt war. Dieses Laut-Werden bringt tatsächlich nichts in Bezug auf eine ruhige Diskussion. Das Problem ist in meiner Wahrnehmung also die Masse bzw. die Öffentlichkeit. Ist die Antifa denn ruhig geblieben oder ist sie selbst dann auch lauter geworden? Das wird über das Video nicht ganz deutlich. Stummer Protest wäre für mich okay. Dadurch wird niemand an Leib und/oder Seele verletzt.

Ich frage mich ausserdem, in Bezug auf den oben zitierten Satz, warum jemand unbedingt wissen will, was an ihm selbst falsch ist. Darum geht es doch gar nicht, oder? An Meral Sahin ist sicher nichts falsch, und das kann auch nur sie selbst allein wissen. Niemand wird ihr ihr Richtig-sein absprechen können, schon gar nicht ein AfD-Vertreter. Sie empfindet sich als richtig und will wissen, was an ihr falsch ist? Das ist ein Paradox, oder? Der AfD-Vertreter wird ihre individuelle Persönlichkeit nicht kennen, sondern sie nur als Teil einer vorgestellten Masse sehen. Warum will sie, die sich selbst als "Opfer" vorstellt, das unbedingt vom "Täter" bestätigt wissen? Wenn sie wüsste, dass sie richtig ist, und das weiss sie sicher, mit oder ohne AfD, die interessiert sowieso nicht im Zwischen-den-Menschen, dann müsste sie eigentlich auch nicht diskutieren. Wenn sie ihren eigenen, potentiellen Hass auf andere projizieren möchte, kann sie das tun. Vieles ist unbewusst und deswegen projiziert. Aber es trifft letztlich immer nur einen selbst.

Es geht bei der AfD um Politik. Und in der Politik werden Menschen leider immer in einer Masse zusammengefasst: DIE Antifa, DIE Türken, DIE Roma, DIE Mädchen, DIE AfD-Anhänger usw. SIND soundso. Denn darum geht's, die AfD soll nur ein weiterer, bis dahin unbekannter böser Menschenfischer bzw. -beeinflusser sein, womit die bekannten Parteien automatisch wieder gut sind, ja, stimmmt denn das? ABER: Geht es nicht immer um einzelne Individuen? Um Zwischenmenschliches? Kann das nicht ausserhalb der Bühne von Angesicht zu Angesicht geklärt werden? Zwischen Meral Sahin und Konrad Adam als Menschen? Und zudem auch ohne DIE Wissenschaft als "großen Erklärer"? Es wird IMMER ideologisiert, von BEIDEN Seiten, wenn das auf offener Bühne veranstaltet wird. Manchmal gibt es auch einfach zwischenmenschliche Probleme, die als Rassismus erscheinen, aber ganz andere Ursachen haben. Ich würde sagen, Meral Sahin wäre besser beraten, wenn sie sagen würde: "Ich werde politisch instrumentalisiert. Warum? Ich will das wissen, von Angesicht zu Angesicht. Und warum gibt's den BND nach dem NSU-Skandal eigentlich immer noch?"
Kölner Diskussion gestürmt: AfD einladen geht nicht
Ich verstehe das nicht, wie AFD-Politiker zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen werden können. Das geht einfach nicht.
Kölner Diskussion gestürmt: Ende von Illusionen
Die AfD bedeutet das Ende von Illusionen über unsere Gesellschaft. Es gibt einen Anteil von etwa 15 % in der Bevölkerung, der eben nicht weltoffen, multikulturell und liberal ist. Damit müssen Politiker, müssen wir alle umgehen, und zwar inhaltlich. Nur in einer politischen Auseinandersetzung ohne Gewalt ist das möglich.
Kölner Diskussion gestürmt: Totschweigen funktioniert nicht
@Clemens: weil nur so es möglich ist, die Positionen herauszuarbeiten, diese Politiker zu stellen und letztlich dann mit besseren Argumenten zu bekämpfen. Das Totschweigen dieser Partei hat nicht funktioniert und ist endlich zu Ende. Sie sind (siehe #4) für einen nicht-kleinen Teil der Gesellschaft wählbar (ich glaube übrigens an 20%+), und daher müssen die etablierte Politik und die Gesellschaft sich in diese Auseinandersetzung begeben. Solche intoleranten Hausfriedensbruch- und Niederschreiaktionen wie in Köln sind nicht nur dazu völlig ungeeinet, sondern befördern auch noch die Selbstwahrnehmung von Rechtsnationalisten als im eigenen Land verfolgte Minderheit, für die die Spielregeln der Demokratie nicht gelten. So daß man ein Recht auf Selbstverteidigung mit allen Mitteln habe.
Stellen und bekämpfen, m.E. gerade exemplarisch gut mit Herrn Gauland gelungen (FAS, Anne Will).
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