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Pierre Boulez ist tot
Streitbarer Avantgardist
Baden-Baden, 6. Januar 2015. Der Komponist und Dirigent Pierre Boulez ist am Dienstag im Alter von 90 Jahren in Baden-Baden, seinem deutschen Wohnsitz, gestorben. Das melden diverse Medien, unter anderem sueddeutsche.de. Pierre Boulez wurde 1925 in Montbrison bei Lyon geboren und studierte am Pariser Konservatorium. Er leitete als Dirigent u.a. das Sinfonieorchester des damaligen Südwestfunks in Baden-Baden, die Symphoniker der BBC in London und die New Yorker Philharmoniker.
Spiegel-Interview von 1967 sagte er: "In einem Theater, in dem vorwiegend Repertoire gespielt wird, da kann man doch nur mit größten Schwierigkeiten moderne Opern bringen -- das ist unglaubwürdig. Die teuerste Lösung wäre, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen. Aber glauben Sie nicht auch, dass dies die eleganteste wäre?" Schon damals schlug er vor, für neue Opern "Experimentierbühnen" anzugliedern: "Diese scheinbar unsinnige Forderung ist im Schauspielbetrieb ja weitgehend verwirklicht."
Über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg war der streitbare Ausnahmekünstler einer der wichtigsten Vertreter der musikalischen Avantgarde. Als Komponist entwickelte er Arnold Schönbergs Zwölftontechnik zur sogenannten seriellen Musik weiter, die auf Zahlen- oder Proportionsreihen basiert. In einem berühmten1976 bis 1980 dirigierte Boulez den "Jahrhundertring" in Bayreuth, den Patrice Chéreau anlässlich des 100. Geburtstags der Bayreuther Festspiele schuf, 2004 war er der Dirigent des von Christoph Schlingensief ebendort inszenierten Parsifal. 1979 verantwortete Boulez die Uraufführung der dreiaktigen Fassung von Alban Bergs "Lulu".
Heiner Müller wollte seit 1993 ein Libretto für eine Oper von Boulez schreiben, wozu es allerdings nie kam – das Libretto blieb unvollendet. Bei dem letzten Treffen zwischen Müller und Boulez erzählte Ersterer von seinen Plänen für eine theatrale Erneuerung des Atriden-Mythos, angelehnt an das japanische Bunraku-Figurentheater, bei der die Figuren aus den Sofitten gesteuert und gleichzeitig gesungen werden sollte, eine Art "Tragödie im Zeitraffer", "1000 Jahre Mythos in zehn Minuten", wie Alexander Kluge es umschrieb.
Das Atriden-Thema beschäftigte Boulez bereits in den Fünfziger Jahren, wie etwa im Nachruf von Le Monde oder bei dem Musikwissenschaftler Martin Zenck nachzulesen ist: Von 1946 bis 1956 arbeitete er mit der Theatertruppe "Compagnie Madeleine Renaud – Jean-Louis Barrault" zusammen, für die er Schauspielmusiken einrichtete und 1954/55 die Bühnenmusik "L'Orestie" schrieb, eine Aischylos-Adaption von André Obey, die von Jean-Louis Barrault auf die Bühne gebracht wurde. 1962 bis 1968 arbeitete Boulez an dem Antonin-Artaud-Projekt "Marges", dessen Werk-Konzeption allerdings Fragment blieb. 1974 schrieb er die Bühnenmusik zu Barraults "Ainsi parlait Zarathoustra" nach Nietzsche.
(ape / wb / sle)
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