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Übersetzer Karl Dedecius ist tot

Deutsch-polnischer Aussöhner

28. Februar 2016. Der deutsch-polnische Übersetzer und Kulturvermittler Karl Dedecius ist am Freitag im Alter von 94 Jahren gestorben, meldet unter anderem die Neue Zürcher Zeitung. Der in Lodz geborene Dedecius übersetzte fast alle wichtigen polnischen Dichter, insbesondere aber die vier Koryphäen des 20. Jahrhunderts: Wislawa Szymborska, Czeslaw Milosz, Zbignew Herbert und Tadeusz Rozewicz.

Nach dem deutschen Einmarsch in Polen im Zweiten Weltkrieg wurde er von der deutschen Wehrmacht eingezogen und in Stalingrad schwer verwundet. Nach der Kriegsgefangenschaft ging er 1950 zunächst nach Weimar, 1952 siedelte er in die Bundesrepublik über und wurde Angestellter bei der Versicherung Allianz AG. Nebenbei beschäftigte er sich mit polnischer Kultur und Literaturübersetzungen, pflegte private Kontakte zu polnischen Schriftstellern, brauchte aber erst eine neue Lebens-Stabilität, um sich der Literatur zu widmen. In der Einleitung zur polnischen Ausgabe von "Vom Übersetzen" schrieb Jerzy Kwiatkowski: "Formal betrachtet könnte man sagen, dass dieses große Übersetzerwerk nach Feierabend entstanden ist, als Folge eines Hobbys".

1959 erschien seine erste, mittlerweile legendäre Anthologie polnischer Lyrik "Lektion der Stille". Seit 1967 war er Mitglied des Deutschen PEN-Zentrums. 1979 initiierte er das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt, dessen Direktor er bis Ende 1997 blieb. Seine Korrespondenzen mit berühmten polnischen Schriftstellern wie Zbigniew Herbert, Czesław Miłosz, Wisława Szymborska oder Tadeusz Różewicz, übergab er im Jahre 2001 dem Karl Dedecius Archiv der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

"Manchmal lag der Verdacht nahe, dass er eine seltene psychische Disposition besass, das Schöpferische und das Nüchtern-Geschäftige miteinander zu verbinden – auch indem er beides gleichermassen brauchte. (...) Jeder, der auch nur kurze Zeit mit Dedecius verbrachte, konnte einerseits spüren, dass das Übersetzen für ihn eine Leidenschaft, ja eine Sucht war", schreibt Marta Kijowska über ihn in ihrem Nachruf in der NZZ. Und weiter: "'Übersetze nichts im Auftrag, sondern alles in eigener Sache.' Schon allein dieser 'Vorsatz für den Eigengebrauch', wie er es nannte, liess erkennen, dass man es mit einem Besessenen zu tun hatte, der Begriffe wie Seitenhonorar, Normvertrag oder Tagespensum höchstens vom Hörensagen kannte. Und andererseits war es genauso auffällig, dass er nichtsdestoweniger über Geschäftssinn und Führungsqualitäten verfügte."

(NZZ / sik)

 

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